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Ausgabe:

1920

Spalte:

28-29

Autor/Hrsg.:

Lietzmann, Hans (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Handbuch zum Neuen Testament. Erg. z. 2. u. 3. Bd 1920

Rezensent:

Knopf, Rudolf

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Theologifche Literaturzeitung 1920 Nr. 3/4.

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ifcher Jahwe fei zwar vorhanden und Jethro fein Priefter
gewefen. Aber bei dem Jahwe des Mofe fei das fittliche
Gebot an die Menfchen hinzugetreten (S. 31), und der
ägyptifche Erklärungsverfuch fage nicht, woher Mofe die
Verbindung des fittlichen Momentes mit der Gottheit
gewann (S. 32). Das ift fo nicht richtig, denn eine folche
Verbindung beftand bei den orientalifchen Göttern
fchon vor Mofe, und fchon vor ihm war das Sittliche zum
Natürlichen hinzugetreten. Verf. will laut brieflicher
Mitteilung in Wirklichkeit mehr fagen, nämlich daß bei dem
Jahwe des Mofe das Sittliche zu denen ureigenftemWefen
gehört. Das ift freilich etwas Anderes und kann als ein
unterfcheidendes Merkmal gegenüber anderen altorienta-
lifchen Gottesvorftellungen gelten. Es erfchöpft aber
nicht den Unterfchied. Andererfeits darf das Verbindende
nicht ausgefchaltet werden. Wenn man fich hierfür
auf zweifelhafte Entlehnungen lieber nicht beruft, fo
dürfte doch wohl zu zeigen fein, daß die altorientalifchen
Religionen eine geiftige Lage gefchaffen haben, in welcher
die Schöpfung des Mofe teils durch Abftoßung,
teils durch Höherführung vorhandener religiöfer Elemente
möglich wurde. Das ift durch Einfügung des § 6 Elemente
aus der religiös-fittlichen Geifteskultur des alten
Orients' in die 2. Auflage wenigftens angeftrebt.

2. Für die Zeit der ifraelitifcben Religionsentwicklung
in Kanaan werden ägyptifche und babylonifche Anregungen
angenommen. Die letzteren find zunächft durch
die Kanaanäer vermittelt, bis es in der babylonifchen
Gefangenfchaft zu unmittelbarer Berührung kommt. Der
Annahme, daß feit Ende des Exils die perfifche Religion
auf die jüdifche eingewirkt hätte, wird nicht Raum gegeben
, dagegen als möglich ausgefprochen, daß der Gedanke
der Auferftehung den Juden durch die Berührung
mit den Griechen nahe gebracht fein könnte (S. 138).
Das aber dürfte ficher verfehlt fein, da die Hellenen
zwar die Vorftellung eines leiblofen Fortlebens der
Seele hatten, nicht aber die einer Wiederbelebung der
geftorbenen Leiber. Diefe Vorftellung ift eranifch.
Wenn man auch dem Verf. gern wird zugeben wollen,
daß der Glaube an eine Vergeltung nach diefem Leben
aus der peffimiftifchen Lebenserfahrung der Frommen
einerfeits und ihrem Glauben an unbedingte göttliche
Vergeltungsgerechtigkeit andererfeits organifch heraus-
gewachfen fei, fo braucht das nicht die Annahme zu hindern
, daß man die Form, in welcher man fich die Vergeltung
vollzogen vorftellte, einer fremden, wahrfcheinlich
eranifchen Anregung verdankte. Für den Engels- und
Teufelsglauben dürfte ähnliches gelten. Hellenifche Anregungen
möchte man in gewiffen epikuräifchen und
peffimiftifchen Einfchlägen vermuten, fowie ficher in
alexandrinifchen Spekulationen.

3. Während die ifraelitifch-jüdifche Religion namentlich
in ihrer Entftehung, aber auch weiterhin von älteren
und gleichzeitigen religiöfen Bildungen des alten Orients
fcharf abgefetzt und ihnen gegenüber möglichft auf
eigene Füße geftellt wird, wird diefe felbe Abgrenzung
gegenüber ihrer größeren Tochter, dem Chriftentum,
völlig vermißt. Dem nachexilifchen Judentum wird eine
fo erhabene Höhenlage zugefchrieben, daß der Predigt
Jefu nichts mehr zu fagen übrig bleibt, ja auch ihre negative
, d. h. kritifche Seite fair, ins Unrecht gefetzt ericheint
. Das Judentum hat bereits die ganze Predigt Jefu,
und die Predigt Jefu ift reines Judentum. Paulus und
Johannes haben die neuteftamentliche Verkündigung verdorben
. Als Religionshiftoriker fieht man dann nicht,
mit welchem Rechte fich die chriftliche Kirche mit einer
neuen Religion als Inhalt auftun konnte. Die Entftehung
beider beruhte dann auf beklagenswerten Mißverftänd-
niffen, und der Tod Jefu auf einem unglücklichen Zufall.
Auch die Unterfcheidung von Judentum und Chriftentum
dürfte die Erkenntnis des Wefens der altteftamentlichen
Religion nur fördern.

Königsberg i. Pr. _ Ruft.

Handbuch zum Neuen Teltament. In Verbindg. m. W. Bauer,
M. Dibelius, H. Greßmann u. a. hrsg. v. Hans Lietz-
mann. Lex. 8°. Tübingen, J. C. B. Mohr.

Die Evangelien. Erklärt v. Prof. D. Dr. Erich Kloftermann u.
Prof. Lic. Walter Bauer. I. Lukas. Unter Mitwirkg. v. Prof. D.
Dr. Hugo Greilmann erklärt v. Prof. D. Dr. Erich Kloftermann 1919.

M. 9.20; geb. M. 11 —

Die Briefe des Apoftels Paulus. An Timotheus I, II. An Titus.
Erklärt v. Martin Dibelius. 1913. M. 2.10; geb. M. 3.10

— Dasfelbe. An die Römer. Erklärt v. Prof. D. Hans Lietzmann.
2. Aufl. 1919. M. 4 —; geb. M. 5.80

Mit großer Freude zeige ich hiermit den vorläufigen
Abfchluß von Lietzmanns Handbuch an, deflen Haupt-
mafle, foweit fie damals erfchienen war, ich Jahrg. 38,
Sp. 295 ff. befprochen habe. Die zwei vorliegenden Veröffentlichungen
füllen die Lücken in Band II (Evangelien)
fowie in Band III (Paulusbriefe) und das, was jetzt vorliegt
, ift: außer der Grammatik von Radermacher und
Wendlands wertvoller Doppelgabe über die helleniftifch-
römifche Kultur und über die urchriftlichen Literaturformen
eine vollftändige Erklärung des NT. mit Ausnahme
der noch fehlenden Apok., alfo gewiffermaßen
eines Kanons der Origeniften oder der fpäteren
Pefchittho. Die Erklärung der Apok. wird indeß vom
Verleger für den Herbft 1920 in fichere Ausficht geftellt.

Kloftermanns Auslegung von Luk. fchließt feine
Erklärung der Syn. ab. Die Anlage des Kommentars
ift dem Rahmen nach bereits durch die Auslegung von
Mk. und Mt. beftimmt. Denn die Löfung der fynoptifchen
Frage, zu der fich Kl. jetzt ausdrücklich bekennt, ift
felbftverftändlich die Zweiquellenhypothefe. Darum fetzt
die Erklärung der Mk.-ftücke in Luk. einfach den Mk.-
kommentar voraus und hebt nur die kleineren und
größeren Unterfchiede des Luk. vom Mk.-texte hervor.
Eingehender aber ift felbftverftändlich die Lk.-faffung
der Q.-ftücke behandelt. Die von Kl. f. Z. verfprochene
ausführliche Einleitung in die Syn., fowie Karten und
Exkurfe haben leider in diefer Auflage wegbleiben
müffen. Trotz der großen Hinderniffe, unter denen die
Arbeit vor fich ging und abgefchloffen wurde, ift doch
eine für die Zwecke des Handbuches fehr wertvolle
Leiftung herausgekommen. Anders wie die übrigen
Mitarbeiter macht Kl. den Lefer mit den Anfchauungen
der neueren Erklärer bekannt (B. Weiß, H. Holtzmann,
Plummer, Wellhaufen, Marx, Zahn, J. Weiß), auch Blaß',
Spittas und Harnacks Unterfuchungen find ausgiebig verwertet
. In femitifchen Dingen war Greßmann Berater.
Das Problem des Textes und der Quellen wird ftark
hervorgehoben, und in der Sacherklärung wird dem Benutzer
zum erften Verftändnis der Evangelien das
Nötige geboten. So wird das Buch ohne Zweifel als
eine fehr brauchbare einführende Erklärung des 3. Evangeliums
zu bezeichnen fein, die mit großem Fleiße und
mit der Gabe weitgehender Konzentration gearbeitet ift.

Dibelius' Erklärung der Paft. bringt feine Auslegung
der kleinen Paulinen zum Abfchluß. Ernfte vor-
fichtige Behandlung des literarifchen Problems geht zu-
fammen mit einer fehr eigenwertigen Heranziehung und
Ausnutzung umfangreichen helleniftifchen Materials für
die Auslegung, das, wenn irgendwo im NT., dann gerade
bei den Paft. unumgänglich nötig ift. Für D. find die
drei Briefe als ganze unpaulinifch, er erkennt keine echten
Fragmente darin an. Ich geftehe, daß feine Behandlung
des Problems zufammen mit ein paar Andeutungen bei
H. H. Mayer, Über die Paftoralbriefe (1913) mir die
Fragmentenhypothefe fehr fraglich gemacht hat. Die
Auslegung felber ift wertvoll wegen der fehr weitgehenden
Selbftändigkeit, die fie aufweift. D. arbeitet
ftark aus dem Vollen und Neuen und macht fich oft
von alter exegetifcher Überlieferung los. Den Beweis
für feine eigenen Behauptungen nimmt er nicht leicht,
und im Kleinen und Großen zeigt er eine Menge von
neuen Problemen auf.

Gleichzeitig mit dem vorläufigen Abfchluß des