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Ausgabe:

1920

Spalte:

11-18

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Walther, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Luthers Anteil an dem Siege der neuen Weltanschauung. Festrede 1920

Rezensent:

Titius, Arthur

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Theologifche Literaturzeitung 1920 Nr. 1/2.

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Biographie. Kurz, nachdem er dem Bafeler Konzil im Juli 1432 inkorporiert
worden war (vgl. Dr. P. Albert, Mathias Döring, ein deutfcher
Minorit des 15. Jh.s (1892) S. 32) wurde er von diefer Synode nach
Görlitz ausgefandt in Sachen der Ausrottung der Ketzerei ufw. (vgl. auch
Nr. 452 vom J. 1453).

Reichen Stoff bietet natürlich der Band für das Verhältnis
der Weltgeiftlichkeit zu den Franziskanern. Ein
Verzeichnis der Kuftoden, ein anderes der Brüder in den
einzelnen Klöftern und ein Regifter befchließen den Band.
Alles zeugt von forgfältiger Arbeit und wird zweifellos
Früchte tragen. Die Ausftattung ift fehr fchön.
Marburg (Lahn). K. Wenck.

Reformations-Literatur.

Später als mir lieb ift, komme ich dazu, den größtenteils
längft fertig gehaltenen Bericht über eine Anzahl von
Brofchüren, namentlich auch Feftreden, aus dem Jubiläumsjahr
zu veröffentlichen. Problemftellung und Zeichnung
find vielfach nicht minder für Luther als für den Darfteller
felbft charakteriftifch. Auch treten faft überall
die großen Linien der prinzipiellen Auffaffung, nicht Details
hervor. Haller1 geht den Urfachen der Reformation
in der allgemeinen Zeitlage nach, dem Schwinden
des Glaubens an die Kirche (auch der Kirche an fich
felbft), die dem höher gefpannten religiöfen Bedürfnis
nicht mehr genügte, der Überwindung der theologifch-
kirchlichen Bildung, dem Aufkommen des landesherrlichen
Kirchenregiments. Durch Luther erfolgt dann der An-
ftoß zu einer weltgefchichtlichen Bewegung, deren Beurteilung
als eine mittelalterliche Erfcheinung höchftens
als .glänzendes Paradoxon' gelten kann. In der Gefchichte
wirkfam ift nicht fo feine Rechtfertigungslehre als die
ganze unvergleichliche Gefamtperfönlichkeit. — In wundervoller
Zeichnung beftimmt W. Walther2 Luthers per-
fönlichen Anteil an dem Siege der neuen Weltanfchauung,
diefe eigenartige Perfönlichkeit, die überall fich ganz gibt,
mit großartigem Wirklichkeitsfirm, mit dem Drange nach
vollendetfter Gewißheit, voll gänzlicher Selbftlofigkeit, die
eben deshalb von der bedingungslofen Notwendigkeit des
Gewollten zu überzeugen vermag. Alle feine Gedanken
ruhen auf religiöfem Grunde, aber das gibt ihnen ihre
Durchfchlagskraft, denn er verkündet eine Religiofität,
wie man fie braucht, bei der man auch im weltlichen
Stande ein gutes Gewiffcn haben konnte. — Auch nach
Krüger3 ift Luther der Stein des Anftoßes, jener Luther,
der weiß, daß an Gottes Wort mehr gelegen ift als an
der ganzen Welt und der im Grunde fich eine überge-
fchichtliche Sendung anvertraut weiß. Nicht in ruhiger
Entwicklung vollzieht fich ihm der Fortfehritt der Menfch-
heit, wie einem Erasmus, fondern alles malt er mit einem,
in übernatürliche Farbe getauchten Pinfel. Eben darum
ift er der Zeit der Aufklärung fremd geworden, aber wir
find vorfichtiger geworden, wir kennen unfere Grenzen,
wir fpüren die Macht des Ewigen in uns und über uns,
und fo haben wir auch Verftändnis für das Übernatürliche
in Luther. Zeitlos ift der Glaube, den er lebendig
gemacht hat. — In etwas andrer Form, und doch über-
einftimmend fchildert Wernle4 die religiöfe Grundüberzeugung
Luthers. Von den Thefen über den Ablaß ausgehend
, die einer meifterhaften Analyfe unterworfen j gelegenen Realgrund. Damit ift das Chnftentum gegen-

und beugend, aber auch erhebend und befeligend, in den
Mittelpunkt tritt und wie fich eine Theologie geftaltet
voll erftaunlichfter Einfeitigkeiten und Paradoxien, die
mit ihrem Glauben an die Willensunfreiheit, der Rechtfertigung
allein aus Glauben, der Freiheit von Gefetz und
Gefetzeswerken, dem Glauben an die unveränderliche
göttliche Vorherbeftimmung fo recht das Gegenteil des
gefunden Menfchenverftandes ift, aber ein wunderbares
Kraft- und Freiheitsgefühl in Gott ausftrömen läßt. In
ihr find alle drei Reformatoren einig, ,ohne den Unter-
fchied auch nur einer Nuance'; fie verbinden damit das
Fefthalten an der Orts- und Landeskirche, die rückhait-
lofe Bejahung der ftaatlichen Gemeinfchaft, die Schätzung
und Pflege menfehlicher Wiffenfchaften. Ritfehl5 faßt
Luthers religiöfes Vermächtnis in der religiöfen Paradoxie
zufammen, daß chriftlich.es Kreuz und göttliche Gnade
als die beiden Kehrfeiten derfelben Erfahrung zufammen-
gehören, und daß Gottes Kraft fich in menfehlicher
Schwachheit erweife. Von hier aus macht er Luthers
und feiner Getreuen Stellung zur Politik deutlich und
weift die Kraft diefer Gedanken in der deutfehen Gefchichte
bis in die Gegenwart hinein nach. — Die Überwindung
des mittelalterlichen Gottesgedankens durch
Luther zeichnet der tiefgrabende Vortrag Holls'''.
Treten in der mittelalterlichen Frömmigkeit Gott und
Menfch neben einander, fo erkennt Luther, daß Einigung
mit Gott nur möglich ift, wenn Gott felbft diefe fchafft,
indem er Leben außer fich fetzt und zu feiner Höhe
hinanführt. Indem der Menfch erbebt unter dem
Willen, der ein Recht auf ihn hat und vor dem er doch
nicht beftehn kann, wird der erfte Schritt getan; aber
nicht der Zorn, fondern die Güte ift das Innerfte in Gott,
und fie vergibt und entfacht fo den Drang, fich Gott frei
hinzugeben. Indes hat diefe Liebestat nicht den Sinn,
nachträglich doch den Ichwillen des Menfchen zu funktionieren
, vielmehr will Gott nur Liebe. Darum muß der
Glaube, der fich zur Vergebung erhebt, das Gefühl des
eigenen Unwertes ausdrücklich einfchließen, fetzt aber zugleich
ein neues, felbftlofes Selbftgefühl. Individualift ift
daher Luther nur hinfichtlich der perfönlichen Verantwortlichkeit
, aber alle geiftlichen Güter find ihm wefent-
lich Gemeinfchaftsgüter und die ,unfichtbare' Gemeinfchaft
, welche Gottes Liebe fetzt, empfind er als etwas
Gegenwärtiges und Wirkfames. — Ihmels7 ftellt vortrefflich
dar, wie Luthers neues Gefamtverftändnis des
Chriftentums aus feinem perfönlichen Erleben hervorquillt.
Luthers Kämpfe im Klofter erklären fich daraus, daß
feine ganze Frageftellung eine andre ift als die der Kirche.
Während diefe auf ein zukünftiges Heil hinweift, erlebt
er felbft die Gegenwart des heiligen Gottes mit folcher
Gewalt, daß die Antwort unauffchiebbar wird, wie er
heute mit diefem heiligen Gotte daran fei. Er bedarf
daher der perfönlichen Gewißheit des gnädigen Gottes
und kommt, indem er lernt, fich an der Perfon Chrifti
felbft zurechtzufinden, allmählich zur Heilsgewißheit. Diefe
ift mit dem Verftändnis von Rom. 1,17 noch nicht völlig
gewonnen, fondern erft mit Herausarbeitung des Gedankens
der Imputation der Gerechtigkeit Chrifti, alfo der
Begründung des Heils auf einen außerhalb des Subjekts

werden, zeichnet er, wie ihm bald Gott allein richtend

wärtige perfönliche Gewißheit des gnädigen Gottes geworden
; es ift ganz theozentrifch, denn Seligkeit ift,

1) Haller, Prof. D. Dr. Johannes: Die Urfachen der Reformation. Gottes Willen tun und feine Ehre fuchen, nichts für fich
(Reformations-Reden). (44 s.) 8". Tübingen, j. c. B. Mohr 1917.M. 1.35 j begehren; es ift ebenfo ganz chriftozentrifch und ganz

2) Walther, Prof. D. Dr. Wilh.: Luthers Anteil an dem Siege j Fiduzialglaube. Dieter Glaube löft die Spannung zwifchen

jubi= :ra rSK ^£T^^trr^ g^**™***™* ™* g^c^, ihm

ftock, H. Warkentin 1917. M. —50

5) Ritfehl, Otto ; Luthers religiöfes Vermächtnis und das deutfehe
Volk. Ein Vortrag. (28 S.) gr. 8". Bonn, A. Marcus & E. Webers
Verlag 1918. M. I —

6) Holl, Prof. D. Dr. Karl: Was verftand Luther unter Religion?
(38 S.) 8». Tübingen, J. C. B. Mohr 1917. M. 1.20

7) Ihmels, Ludwig: Das Chriftentum Luthers n feiner Eigenart.
(8t S.) gr. 8". Leipzig, A. Edelmann 1917. M. 2.50

3) Krüger, Prof. D. Dr. Guftav: Der Genius Luthers. Akadc-
mifche Rede, geh. zur 4. Jahrhundertfeier der Reformation am 31. Oktober
1917 in der Neuen Aula der Univ. Gießen. (Reformations-Reden).
(19 S.) 8*. Tübingen, J. C. B. Mohr 1917. M. 1.35

4) Wernle, Prot. D. P.: Zum 31. Oktober 1917. Rede, bei Anlaß
der Reformationsfeier der theolog. Fakultät Bafel geh. (26 S.) 8".
Ba'el, Helbing & Lichtenhahn 1917. M. —60