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Ausgabe: | 1920 Nr. 2 |
Spalte: | 301-302 |
Autor/Hrsg.: | Petrich, Hermann |
Titel/Untertitel: | Unser geistliches Volkslied 1920 |
Rezensent: | Smend, Julius |
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Theologifche Literaturzeitung 1920 Nr. 25/26.
302
und C. Hemmann eine Darftellung der Auseinandersetzung
Zwingiis mit den Täufern. Wohl die wertvollfte Arbeit
des ganzen Jahrgangs bietet die von E. Staehelin über
,Schweizer Theologen im Dienfte der reformierten Kirche
in den Vereinigten Staaten', ein tiefgrabender, mit z. T.
neuem Material arbeitender Beitrag zur amerikanifchen
Kirchengefchichte, ausmündend bei Ph. Schaff. Dem
Mittelalter gehört an die akademifche Antrittsrede des
Angliften Karljoft: Kirchliche und religiöfe Zuftände in
England vom Tode König Alfreds bis zur normännifchen
Eroberung. Der fchweizerifchen kirchlichen Parteige-
fchichte der Gegenwart dienen die beiden Referate vom
Reformertag: unfere Stellung zur religiös-fozialen Bewegung
von W. Wuhrmann und M. Boller, eine etwas
fauerfüße, aus der eigenen Notlage geborene Annäherung
der Reform an die z. Z. hochgehende religiös-foziale Bewegung
; inzwifchen ift es freilich von diefer Annäherung
wieder füll geworden. Über die religiöfen Zuftände im
gegenwärtigen Deutfchland unterrichtet wieder der un-
fchwer zu erratende Anonymus, der in ausgezeichneter
Weife Deutschlands .Verbrechen' lediglich in feinem .Eintritt
in die allgemeinen Methoden des imperialiftifch-kapi-
taliftifchen Konkurrenzkampfes' erblickt und — vielleicht
auch richtig — prognoftiziert: ,noch kann man wenigftens
hoffen, aus diefer Tragödie wenigftens eine einheitliche
Nation, eine Art größerer Schweiz, zu retten.' In die
Dogmatik hinein führt der ebenfo fchlicht wie klar und
überzeugend gehaltene Vortrag von L. Köhler ,über
wiffenfchaftliche und erbauliche Bibelbetrachtung', und
endlich dem Kirchenrechte gehört der Auffatz von
A. Bauhofer an: ,die Rechtsnatur der Kirchenortsrechte
d. h. der Rechte auf ausfchließlichen Gebrauch eines
Kirchenftuhls'. Der Herausgeber begleitet jede Nr. mit
einem kurzen Einleitungsartikel über Gegenftände verschiedenen
Gebietes; fein warmes Eintreten für Deutfchland
und fein Scharfer Proteft gegen die Gewaltpolitik
der Einteilte verdienen herzlichsten Dankl
Zürich. W. Köhler.
Jander, Dr. E.: Die Reformation der evangeliichen Kirche.
Ein Nachklang zur 400 jähr. Lutherfeier u. e. Vorklang
künft. Erneuerg. (30 S.) 8°. Halle a. S., H. Gefenius
1919. M. 1.20
Nach Jander hätte die Feier der Reformation 1917
eine umfaffende Reformation der Kirche veranlaffen follen.
4 Punkte bedürfen einer Solchen nach ihm vor allem:
1) Das Bekenntnis und Gelübde bei der Konfirmation
möge fallen. 2) Ebenfo die lutherifche Auslegung der
drei Glaubensartikel; ,fie ift eine Menfchenfatzung, die
eine Zeitlang ihre guten Dienfte verrichtete, auch jetzt
noch als fromme Betrachtung und Gebet ausgezeichnete
Dienfte verrichten kann', aber als .Glaubensbekenntnis'
nicht mehr gelten kann, da in ihr die Erkenntnis der
jetzigen Zeit nicht mehr zum Ausdrucke kommt. 3) ift
vor allem eine fichtende Hand bei den Kirchenliedern
erforderlich. ,Ihr Inhalt ift für einen guten Gefchmack
ungenießbar.' 4) bedauert er im Hinblick auf die Macht
der kath. Kirche die Einflußlofigkeit der prot. Kirche im
öffentlichen Leben. ,Man Spürt die ev. Kirche nicht'.
Auf 30 Seiten können natürlich nicht die Probleme, die
bei diefen Fragen auftauchen, von Grund aus gelöft werden;
auch verfehlt die Kritik durch ihren Ton Schon nicht
feiten ihr Ziel; aber dennoch geben diefe Ausführungen
genug zu denken. Wir fehen hinein in die Gedanken und
Empfindungen der Laien. Etwas weniger Sarkasmus
hätte den Ausführungen nur dienen können.
Alfeld. Schornbaum.
Petrich, Dr. theol. Hermann: Unfer geiftliches Volkslied.
Gefchichte u. Würdigung lieber alter Lieder. (XII,
256 S.) gr. 8°. Gütersloh, C. Bertelsmann 1920.
M. 17—; geb. 20 —
Petrich hat es mit feiner Unterfuchung über 45 geistliche
Volkslieder auf wiffenfchaftliche Arbeit abgefehen.
Er will .Gefchichtsfchreiber' fein und hat auch allerlei
zum Verständnis feines Gegenstandes dienliches zufammen-
getragen, wenn auch die Verheißung: ,Das Ganze geiftige
und geistliche Leben des letzten Jahrhunderts wird an uns
vorüberziehen', ein wenig töricht ift. Freilich ift das Buch
in erfter Linie auf , weiteste Leferkreife' angelegt. Solchen
möchte man aber einen Führer von gründlicherer Bildung
und größerem Weitblick wünfchen, dem z. B. bekannt
wäre, daß Schon das Jahrhundert der Reformation den
Unterfchied zwifchen kirchlichen und geistlichen Liedern
kennt, und der Sich mit untrer neueren Gefangbuchslite-
ratur (Elfaß-Lothringen, Württemberg, Bremen, Hamburg,
Gaugers ,Evg. Pfalter' ufw.) vertraut zeigte. Den .Standpunkt
' Petrichs in Ehren! .Kern und Stern unfres Glaubens
' ift ihm ,die hl. Dreieinigkeit und die wahrhaftige
Gottesfohnfchaft unfres Erlöfers'. Von hier aus hat das
Lied ,Geh aus, mein Herz' ,nur peripherischen Glaubensinhalt
', dichtet er den braven Rationalisten .knochenweiche
Selbftanbetung' an, ereifert er Sich über ungläubige ,theol.
IVofefforen'. Auch über Gefchmacksurteile wollen wir
mit ihm nicht rechten. Das Lied .Großer Gott, wir loben
dich' follte aber nicht wiederholt ,das deutfche Tedeum'
genannt werden, und gegen die Verwendung von ,0 Du
fröhliche' als Öfter- und Pfingftlied dürfte eine Warnung
fallen. H. Heine weisfagt nach Petrichs Meinung wie
Kaiphas, indem er feinen Freund Spitta einen .Dichter'
nennt. Ünd an Agnes Franz wird breit und umständlich
das Ideal einer — Tante anfchaulich gemacht. Vom Stil
des Buches noch ein paar Proben: Auch an diefem Zwerg-
Beethoven (,Die Himmel rühmen') wird die Klaue des
Löwen erkannt'. .Dies Lied fingt Sich durch alle diefe
Kanäle immer tiefer und fetter in die Herzen der Gemeinde
hinein'. ,Die Einheit von Religion und von
Kunft . . .' ,Die Einheit von Text und von Weife . . .'
Geradezu fchlimm ift aber der falbadernde Ton, in dem
hier ,gedolmetfcht' und mit .etliche', .Sonderlich', ,in Sonderheit
', ,es begab Sich', ,gen Baden' u. drgl. gearbeitet
wird. Das Buch bedeutet die Wiedereinlenkung in den
traktätchenhaften Anekdotenftil älterer .hymnologifcher'
Literatur, den wir überwunden glaubten, den der Poet
Nelle fo unausstehlich fand. Noch möchte ich bemerken,
daß der weftf. Philofoph, Prof. Schlüter, nicht in Paderborn
, fondern in Münfter lebte, und daß der berühmte
Liederdichter und Mitarbeiter von Juftus Gefenius nicht
.David Denifle', fondern David Denicke hieß.
Münfter i. W. I. Smend.
Kißling, Dr. Johannes B.: Der deutfche Proteltantismus
1817—1917. Eine gefchichtl. Darftellg. In 2 Bdn. 2.
Bd. 1. und 2. Aufl. (XI, 440 S.) gr. 8°. Münfter i. W.,
Afchendorf 1918. M. 6.50; geb. M. 7.50
Der 2. Band von K.s Gefchichte umfaßt die Jahre
1860 —1917. Ein Einfchnitt in der Darfteilung wird mit
dem Jahre 1890 gemacht. In beiden Teilen nehmen die
kirchenpolitifchen und theologifchen Richtungskämpfe
den Hauptraum in der Darftellung ein. Im 1. Teil werden
eingehend dargestellt: die 1873 in Preußen eingeführte
Synodalordnung, die Kämpfe um Agende, Katechismus,
Gefangbuch in Baden, Hannover, der Pfalz, die gefchei-
terten Verfuche, zu einer einheitlichen Reichskirche zu
gelangen, die damit zusammenhängenden Auseinander-
fetzungen zwifchen Union und Luthertum befonders auch
in Hannover, Heffen, Schleswig-Holftein, der Kulturkampf.
Wie im 1. Bande werden möglichst viele zum Katholizismus
übergetretene Protestanten genannt. Von der wiffen-
fchaftlichen Theologie wird der Leben- Jefu-Streit der
60er Jahre, die Theologie Ritfchls, die altteftamentliche
Kritik Wellhaufens und die neuteftamentlichen Arbeiten
von Holtzmann bis B. Weiß und Th. Zahn dargestellt;
; im 2. Teil die Theologie de« Proteftantenvereins, die
; Freunde der christlichen Welt, die religionsgefchichtliche
i Forfchung und die modernen-pofitiven Theologen; ferner
1 der kirchenpolitifche Kampf der Richtungen, der fchließ-