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Ausgabe:

1920 Nr. 2

Spalte:

298-299

Autor/Hrsg.:

Schwäbl, Franz

Titel/Untertitel:

Die vorkarolingische Basilika St. Emmeram in Regensburg und ihre baulichen Änderungen im ersten Halbjahrtausend ihres Bestandes, 740 - 1200 1920

Rezensent:

Stuhlfauth, Georg

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Theologifche Literaturzeitung 1920 Nr. 25/26.

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zuletzt einen falomonifch komifchen Ausweg). Wichtig
darf man es nennen, daß Maximos 1848 die richterliche
adminiftrative Verfelbftändigung feiner .Nation', alfo die
bürgerliche Befreiung der Melkiten vom oekumenifchen
Patriarchen, durch einen Erlaß des Sultans Abdul Medfchid
erreichte; das fyrifche und chaldäifche Millet erlangte gleichzeitig
feine volle civile Autonomie.

Hiftorifch beurteilt die belangreichfte ift die dritte
oben notierte, der zweiten auf dem Fuße nachgefolgte
Schrift Lübecks, die der altperfifchen Kirche gewidmet
ift. Sie gibt eine durchaus lefenswerte Darftellung der
Entwicklung des Chriftentums im Gebiete des Katholikos
von Seleukia-Ktefiphon bis an die Grenze der Eroberung
der davon umfaßten Lande durch die Araber. Es ift alfo
wefentlich die Zeit der Saffaniden und der wiederholten
fchweren Verfolgungen der Chriften durch diefe, die Lübeck
fchildert. Schon im 3. Jahrhundert hatte die offenbar von
Edeffa aus geleitete Miffion im Zweiftromlande und darüber
hinaus erhebliche Erfolge. Doch gewinnt die per-
fifche Kirche erft im Beginn des 4. Jahrhunderts eine einheitliche
Organifation durch BilchofPapa bar Aggai, der
es durchfetzt, daß er Obermetropolit (Katholikos) wird,
fich dabei aber als Organ des Patriarchen von Antiochia
betrachtet. Ganz unabhängig wird die Perferkirche erft
424 unter Katholikos Dadifcho auf einer von ihm abgehaltenen
Synode an feinem Bifchofsfitze. Ganze Jahrhunderte
erfüllt dann innerhalb diefer Kirche der Kampf des
Neftorianismus für feine Fertigung und Behauptung. Cha-
rakteriftifch für ihr praktifches Leben ift die 486 auf einer
neuen Synode zu Seleukia ,wiederhergeftellte' Ehe aller
Grade des Klerus (alfo auch des Katholikos!). Andrerfeits
hebt Lübeck mit Recht hervor, daß die Perserkirche allein
unter allen Landeskirchen der alten Zeit nicht im Stande
gewefen, das flerrfcherhaus für fich zu gewinnen. Die
Saffaniden blieben Anhänger ihrer alten Nationalreligion.
Damit hing es zufammen, daß fie nie auf die Dauer das
Mißtrauen gegen die chriftliche Kirche ihres Gebiets verloren
, immer von der Furcht erfüllt blieben, daß diefe
es mit den Römern (Byzantinern) hielten. Die Löfung
von den ,Bifchöfen des Abendlands' (d. h. den Patriarchen
von Antiochia) fchuf dem Katholikos auch nicht die erhoffte
dauernde Sicherheit für die von ihm geleitete (oft
fehr zerklüftete) Kirche. Auch unter den Kalifen hat diefe
vielerlei Wechfelfälle von Gunft und Ungunft erlebt. Unter
den Abbafiden hat fie doch wieder .geblüht'. Intenfiveres
geiftiges, gar etwa bedeutfames felbftändiges theologifches
Leben hat fie aber nie gewonnen. Ein Mann wie Bar Sauma
(Barfumas), Erzbifcho von Nifibis (geft. zwifchen 492 u. 495),
der Hauptförderer des Neftorianismus, war letztlich nur
durch feine Energie hervorragend. Die wohltuendfte Figur
ift wohl der Katholikos Maraba im 6. Jahrhundert zu nennen.
Der Retter des Neftorianismus im Kampfe mit dem Ja-
kobitentum, das zeitweilig auch vom Hofe (unter der Einwirkung
des Oberleibarztes Chosraus II, Gabriel vonSchiggar)
gehegt wurde, war der Mönch Babai' der Große (um 600).

Schade daß Lübeck die Gefchichte der perfifchen Kirche
nicht bis zu ihrer Erwürgung durch die Mongolenherrfcher,
zuletzt und hauptfächlich durchTimur (geft. 1404), genauer
verfolgt. Zumal auch, daß er ihre miffionarifche Wirkfam-
keit bis nach China hin kaum mit ein paar Worten ftreift.
Vgl. dazu W. Barthold, Zur Gefchichte des Chriftentums
in Mittelafien bis zur mongolifchen Eroberung, 1901.
Kurz nur ftreift Lübeck auch die Miffion feiner Kirche
unter den Retten der Neftorianer. Er berichtet, daß feit
der Mitte des 19. Jahrhunderts das gefamte neftorianifche
Miffionsgebiet fo eingeteilt fei, daß die Karmeliter Süd-
Mefopotamien (Zentrale Bagdad), die Dominikaner Oft-
Mefopotamien (Hauptfitz Mofful) und die Lazariften das
eigentliche Perfien (Mittelpunkt Urmia) bearbeiten. Heute
umfaßt das Jurisdiktionsgebiet des katholifchen .Patriarchen
von Babylon', außer feiner eigenen Diözefe Mofful,
noch zwei Erzbistümer und neun Bistümer, aber insgefamt
,vor dem Weltkrieg' nur etwa 70—icxxoo Gläubige. Die

nicht unierten Neftorianer fchätzt Lübeck als etwas zahlreicher
ein; ihr Patriarchenfitz ift Dfchulamerk (ein Örtchen
zwifchen Wan- und Urmiafee), daneben hatten fie 1904
zwei Erzbistümer und heben Bistümer. Ihre Kirche, meint
Lübeck, und er dürfte recht haben, ,ift zweifellos dieärmfte
und am tiefften ftehende' unter den .häretifchen Sonderkirchen
'. — Ich werde mich freuen, wenn ich weiteren
Studien Lübecks auf feinem Gebiete begegnen follte.
Halle. F. Kattenbufch.

Schwäbl, Dr.-ing. Franz: Die vorkarolingifche BaNlika St.
Emmeram in Regensburg und ihre baulichen Änderungen
im erften Halbjahrtaufend ihres Beftandes, 740—1200.
(S.-Dr. a. der Zeitfchr. f. Bauwefen, Jg. 1919, Heft 1—9)
(V, 64 S.) Mit 4 Tafeln u. 42 Textbildern, gr. 4°.
Regensburg, J. Habbel 19I9. M. 12—; geb. M. 16.50
Die forgfältigen, von tiefer Heimatliebe, voller Sachkenntnis
und leidenschaftlichem Eifer um die Feftftellung
des Wirklichen geleiteten Unterfuchungen Sch.s find der
Aufhellung der älteften Baugefchichte einer Kirche gewidmet
, die nach Zeit und Art eines der wertvollften
Architekturdenkmäler des frühen Mittelalters ift. ,Sie
fteht mit Abftand zumal an der Spitze aller bis heute
nachgewiefenen und in folchem Umfange bis heute noch
erhaltenen großen Bafiliken jener Zeit. In einer ganzen
Reihe von Punkten kommt ihr außerordentliche Bedeutung
zu. Das gilt vor allem hinfichtlich der Krypten-
und Apfisanlage und bezüglich des Querbaues, bzw. der
Grundrißlöfung des lateinifchen Kreuzes'(lS). Als 3fchiffige
kreuzförmige Pfeilerbasilika von heben Jochen 740 n. Chr.
gegründet, wurde fie in dem großen Neubau des Abtes
Reginward Mitte des 11. Jhs. durch den an Stelle des
Atriums nebft Vorhalle errichteten Weftchor über zweiter
Krypta zu einer Doppelchoranlage, eine Tatfache, die
bisher gänzlich unbekannt geblieben. ,Man hat bisher
St. E. den wenigen Beifpielen zugezählt, die bloß ein
weftlich.es Querfchiff zeigen, wie z. B. Obermünfter in
Regensburg' (48). Sch. führt aber den Nachweis, daß fchon
der Gründungsbau ein von einem Mittel- (Vierungs-)
türm überragtes Querhaus hatte, deffen Arme mit
Emporenausgeftattet und an den Stirnfeiten von Treppentürmen
befetzt waren.

Diefe an fich fo wichtige Tatfache des örtlichen, über
die Seitenfchiffe jedoch nicht ausladenden Querhaufes,
vermöge deffen Sch. in St. E. die ältefte uns zugängliche
Kirche über dem Grundriß des lat. Kreuzes erkennt,
wird nun aber weiterhin dem Verf. zum Ausgangspunkt
der Erforfchung des Problems der Entftehung der lat.
Kreuzbafilika (31 ff.) mit dem Ergebnis einer neuen eigenen
Hypothefe gegenüber derjenigen Grafs und derjenigen
Dehios. Ferner wird ihm die unter dem Oftchor gelegene
Halbringkrypta vermöge ihrer Eigenart, durch die fie fich
von allen bis heute bekannt gewordenen entfprechenden
Anlagen unterfcheidet, fofern ihr Halbring außerhalb
der Aplis herumgeführt ift, Anlaß und Mittel zu einer
neuen und felbftändigen Stellungnahme gegenüber dem
Problem der Herleitung des für die mittelalterliche Kirchen-
baugefchichte gleich wichtigen Chorumganges (tpff).
Schließlich führt ihn die Beobachtung der großen Ähnlichkeit
des Grundriffes von St. E. mit der Bauordnung der
Hirfauer Baufchule zu dem Nachweis, daß diefe Hirfauer
Bauordnung nicht fo fehr von Cluny her als durch
den von St. E. nach Hirfau verpflanzten Abt Wilhelm
vermittelt ift (52fr.).

So greift die Studie über ihre nächfte Aufgabe zu
den bedeutfamften PTagen in der Gefchichte des mittelalterlichen
Kirchenbaues umfaffend hinaus. Im Zufammen-
hange mit allen diefen z. T. weitausholenden Erörterungen
fällt auch für die Gefchichte manches anderen mittelalterlichen
Kirchenbaues innerhalb und außerhalb Regen-
burgs!) guter Gewinn ab. Dabei ift es noch ein befonderer

<) S. 30 u. S. 311. Text-Abb. 18 ft. 9.