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Ausgabe:

1920 Nr. 2

Spalte:

247-248

Autor/Hrsg.:

Hoh, Josef

Titel/Untertitel:

Die Lehre des hl. Irenäus über das Neue Testament 1920

Rezensent:

Windisch, Hans

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Theologifche Literaturzeitung 1920 Nr. 21/22.

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paßt, um deffen Selbftzeugnis zu ftürzen; was zur Empfehlung
der pofitiven Annahmen diefes Neuerers beigebracht
wird, müßte man für Satire nehmen, wenn der
Verf. nicht auch fonft zeigte, daß er zwar gut befchlagen
in der griechifchen Grammatik, mit ausgezeichnetem Gefühl
für fprachlich Mögliches, auch belefen in alter, ein-
fchlägiger Literatur, aber niemals einen Verfuch gemacht
haf., an einem Herzen, wie das des Paulus ift, zu ruhen.
Oder follte das S. 9 expreffioniftifch hingeworfene Bild
des Paulus, der auch nicht eine einzige Kunftperiode
hätte bauen können, Geiftesverwandtfchaft zeigen?

Einige Beifpiele für P.s Konjekturalkritik: 15, 23 f hat
ein fanatifcher Katholik, dem derSammeleifer für ketzerifche
Judenchriften anftößig war, als Erfatz für 15, 25—32 fabriziert
. 7, 7 heißt: denn ich würde nicht gewußt haben,
daß Lust Sünde ift. 3, 28 dürfte eXoyißd^e&a dem überlieferten
XoyiC,6eie{rct vorzuziehen fein: es handle fich um
Rückverweifung auf V. 23 u. 25. 1, 17 gibt ex jtiöxecog
elg ütioxiv keinen Sinn; man foll ex jäaxecog elg Xqiöxuv
'inovv lefen; 1917 hieß es noch e. 71. elg C,cofiv, und
PI. Windifch fand daran beinahe Gefallen. Ingeniös, aber
eben auch^nur blendend ift die^Umgeftaltung^ von 5, 6b 7
vjiegayctJcrjöag ajce&avev ftatt vjceQ aßeßcov a. fowie vjteg
olxelov und viceg dyajcnxov ftatt v.öixalov und v. dya&ov —
wo die falfchen Adjektive aus der gnoftifchen Lehre vom
Demiurgen eingedrungen feien. Gern wird der überlieferte
Text ins Gegenteil verwandelt: 1, 19 xb ayvcoöxov ftatt
xb yvcoöxov, 7, 13 ira epavfi CcoxrjQla ftatt tva cp. ueiaQxia.
1, 29 follen wir an fieOxbvg g>&6vov, epmvätv egiöag ftatt
(pdbvov, cpovov, egiöog glauben, nur weil G fich ver-
fchrieben hat (oporcov für cporov), und 1, 30 klingt ecpev-
gexag xevcbv beffer als e. xaxcbv.

Ob nicht doch neben dem glühenden Pneumatismus
eines Barth und dem kalten Philologismus eines Pallis der
Hiftoriker unentbehrlich bleibt, wenn das Erbe der Alten
nicht verloren gehen foll?
Marburg. Ad. Jülicher.

Behm, Prof. Lic. Jobs.: Der gegenwärtige Stand der Frage nach dem
Verfaffer des Hebräerbriefes. Kin krit. Überblick. Mit Vorwort
verf. Sonderdr. aus der Feftfchrift zum 35ojähr. Jubiläum des
Friedrich-Franz-Gymnafiums zu Parchim. (III u. S. 77—97.) 8°.
Parchim, H. Wehdemann 1919.
Der Verf. gibt nach einer Überficht über die verfchiedenen Verfaffer
-Hypothefen deren kritifche Mufterung mit dem m. E. richtigen
Ergebnis, daß die Quellen nicht geftatten, den Hebräerbrief einer der
uns mehr oder weniger bekannten Perfonen des TJrchriftentums als Verfaffer
zuzufchreiben. Alles was fich fagen laffe, fei dies: der Verfaffer
fei ein Judencbriftlicher Lehrer von alexandrinifcher Bildung, ein
fchriftgelehrter Rhetor, ein Mann, der an Geiftesfchärfe den Größten
unter den Apofteln nicht nachfteht, ein Chrift von heiligem Glaubenseifer
und tiefem, ja zuweilen dufterem fittlichen Ernft, glühend für die
erhabene Größe des Chriftentums'. Diefe Charakteriftik wird im allgemeinen
richtig fein, wenn man auch der Formulierung nicht in jedem
Prädikat zuftimmen mag. Jedenfalls dürfte förderlicher als die Suche
nach dem Verfaffer die Arbeit fein, die den Ort des .Briefes' innerhalb
der fachlichen Probleme des Urchriftentums (Gefchichte der Schriftauslegung
, Predigt, Paränefe, Literatur und Theologie) zu beftimmen
fucht.

Gießen. Bultmann.

Höh, Pfr. Dr. J.: Die Lehre des hl. Irenaus über das Neue
Teftament. (Gekrönte Preisfchrift.) Neuteftamentliche
Abhandlgn. VII. Bd., 4J5. Heft.) (XIII, 208 S.) gr. 8°.
Münfter i. W., Afchendorff 1919. M. 11.20

Das Verdienft diefes der neuteft. Kanonswiffenfchaft
wie der Patriftik dienenden Buches liegt hauptfächlich in
der überfichtlichen und vollftändigen Zufammenftellung
des Materials, daneben auch in der Behandlung und Ent-
fcheidung der ftrittigen Fragen. Im erften Teil behandelt
der Verf. was fich in den Schriften des Irenaus an Überlieferung
und Theorien über die neuteft. Schriften findet.
Gegen Chapman verteidigt er mit Glück den chronolo-
gifchen Charakter der berühmten Ausführung über die
Evangelien III, 1 1; daß Ir. hier jedoch andere Überlieferungen
als Papias gehabt habe, hat auch er nicht wahr-
fcheinlich gemacht. Wichtig find die Unterfuchungen

über die katholifchen Briefe. Bekanntfchaft mit Jac. ift
wahrfcheinlich (mir auch), mit II. Petr. dagegen unficher
(hier würde ich jetzt etwas weniger zurückhaltend urteilen
), ebenfo mit Judas; über das Verhältnis des Ir. zu
I. Petr., I u. II Joh. kann kein Zweifel herrfchen. Über Hermas
äußert fich der Katholik alfo: wenn es auf Ir. ankäme
, hätten wir den Paftor im Kanon 1

Uber die Wertung des N. T. bei Ir. handelt der
zweite Teil. Für Evang., Paulusbriefe, Apg. und Offb.
Joh. ift der Titelygaep^ ausdrücklich bezeugt; auch die Apg.
hat ihren feften Platz im Kanon, und Ir. hat nicht die Aufgabe
gefühlt, ihren Platz erft noch zu verteidigen (gegen
Harnack). ,Paulus' oder ,der Apoftel' ift eine feftumriffene
Schriftengruppe im N. T. des Ir.; doch läßt fich der Titel
dxoöxoXog für fie bei ihm nicht nachweifen. Es folgen
Stellenfammlungen über Offenbarungs- und Infpirations-
theorie bei Ir.: Die Kirche hat die Schrift und die Männer,
die die richtige Auslegung verbürgen; gegen Kunze beweift
der Verf., daß die regula veritatis für Ir. keineswegs
in der Schrift aufgeht. Für die Kanonifierung
werden weiter zwei Grundfätze feftgeftellt: eine Schrift
muß erftens apoftolifch fein und zweitens durch die kirchliche
Überlieferung überkommen fein. Gegen eine verbreitete
Anfchauung verkündigt der Vf. die Thefe, daß die
dem Kanon zugrunde liegenden Ideen durch den
Kampf mit den Gnoftikern nicht erft gefchaffen, fondern
nur klarer herausgearbeitet feien; man dürfe nicht caufa
und condicio verwechfeln.

Zum Schluß kommt noch eine bunte Reihe von Fragen zur Behandlung
, die mit der Glaubwürdigkeit des Ir. zufammenhängen, fo der
Chiliasmus des Ir., die Anfchauung vom Lebensalter Chrifti, die der Vf.
aus der Vorftellung ableitet, daß Chriftus als ,vollkommener Lehrer'
die 40 überfchritten haben mußte, vor allem die Zuverlafligkeit der
Überlieferungskette Papias-Polykarp-Johannes apostolus: er behandelt
die Frage, ohne auf das Joh.-Iiv. felbft einzugehen, und in der Tat könnte
man vielleicht den Behauptungen und Überlieferungen des Ir. Glauben
fchenken, wenn (Papias und vor allem) das Joh.-ev. nicht wäre: Dellen
Beftand und Art fordert den Zweifel an der ganzen Johannestradition heraus
. Auf den letzten Seiten, die den fpeziellen Studien des Kanonspro-
zefies gewidmet find, fetzt fich der Verf. auch kurz mit meiner Thefe
,Der Apokalyptiker — als Begründer des neuteft. Kanons' (Zeitfchr. f.
neuteft, Wiffenfchaft 1909) auseinander; aber den von ihm geltend gemachten
Bedenken meine ich felbft fchon Rechnung getragen zu haben;
die Thefe hat nur eine befchränkte Tragweite.

Ein ausführliches Regifter der ausdrücklichen ntl.
Zitate bei Ir. befchließt das Buch, aus dem übrigens auch
dies zu lernen ift, daß man bei der Verwendung der latein.
Überfetzung des Ir. große Vorficht walten laffen muß, namentlich
da, wo es fich um Formeln und um ftrittige
Stellen handelt.

Leiden. H. Windifch.

Achelis, Prof. H.: Der Entwicklungsgang der altchriftlichen
Kunft. Mit 5 Tafeln. (47 S.) 8». Leipzig, Quelle &
Meyer 1919. M. 2 —

Der Titel führt irre. Achelis fkizziert in diefer Schrift,
die feine Leipziger Antrittsvorlefung vom 17. Mai 1919
wiedergibt, nicht den Entwicklungsgang der altchriftlichen
Kunft, fondern den Entwicklungsgang desaltchriftlichen
Bild er kr eif es. Daß man auch zu einem Thema wie
diefem in einem Vortrag nicht alles fagt, was man weiß,
verlieht fich von felbft. Hier ift es die Aufgabe, großzügig
zufammenzufaffen, dieHauptlinien undHauptgefichts-
punkte aufzuzeigen und mit ihnen ein Gefamtbild vor
den Hörer hinzuftellen. Diefe Aufgabe ift Achelis ausgezeichnet
gelungen. Er kennt den Stoff aufs gründlichfte
aus vieljähriger eingehender Befchäftigung mit ihm nicht
bloß von der archäologifchen, fondern auch von der
kirchenhiftorifchen Seite; feine feit 1911 in der Zeitfchrift
für neuteftamentliche Wiffenfchaft erfchienenen Auffätze
über ,altchriftliche Kunft' find des noch befonderer Zeuge,
wie diefe denn auch dem Verfaffer die Grundlegung für
feine zufammenfaffende Darftellung waren.

Ob der Gefamtaufbau wie die Einzelauffaffung des
Verfaffers hiftorifch objektiv durchaus zurecht befteht,
ift nun allerdings die Frage. Achelis unterfcheidet in