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Ausgabe:

1920 Nr. 2

Spalte:

246-247

Autor/Hrsg.:

Pallis, Alex.

Titel/Untertitel:

To the Romans. A Commentary 1920

Rezensent:

Jülicher, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung 1920 Nr. 21/22.

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tiv, zumal aus den Worten Jefu über den Täufer, erhoben
werden muß. Bei B. tritt Johannes — ganz anders geartet
, aber in felbftändiger und einfamer Größe — neben
Jefus; B. redet von .genialer Gemination'. Aber bereits
bei der pfychologifchen Konftruktion ihrer Beziehungen
zueinander wird nicht klar genug unterfchieden zwifchen
dem, was die Quellen andeuten, und dem, was der Verf.
ohne weiteren Beweis für wahrfcheinlich erklärt. Jefus
habe, fo konftruiert B., vor dem Auftreten des Täufers
einem .verklärten Rabbinismus und Pharifäismus' gelebt...
,und dabei unbewußt eine ungeheure religiöfe Wunfchwelt
reif gebrütet', nämlich all die religiöfen Werte empfangen,
die ihn fpäter vom Täufer trennten. Was ihn aber zu-
nächft zu ihm hinriß, das war— und das fagen nun wieder
die Quellen — die eschatologifche Predigt. Aber über die
polemifche Verkündigung des Johannes und über den
von ihm ,mit der Bekehrung gefchaffenen dumpfen Ge-
mütszwajig' (und darum über die Taufpraxis) hebt fich
Jefus hinaus in eine von der ,Dunkelerwartung' des Täufers
abftechende helle Sphäre, deren Wefen — wie mir
fcheint, nicht eben glücklich — von B. als ,Heiligung' be-
fchrieben wird. Aber auf die weltgefchichtliche Wirkung
gefehen, verbleibt es trotzdem bei dem Zwillingsverhältnis
Jefu zu Johannes: denn gerade ,der von Jefus abgelehnte
Teil des Johanneswerks hat fich als das Bleibende
im Johannes-Nachlaß erwiefen'.

Neben diefer einen Hauptthefe des Buches von dem
felbftändigen Weiterleben des Täufergeiftes im Urchri-
ftentum fteht die andere von der Originalität des Petrus
und der Pfingfttäufer. Die .Sezeffionstaufe' des Johannes
lebt in der Pfingfttaufe wieder auf, nur nicht mehr an
die Perlon des Täufers und an feinen Bekehrungsgedanken
gebunden; der Name Jefu ift das wefentlich Neue,
was fie auszeichnet; die Maffe verhält fich nicht mehr
rezeptiv, fondern produktiv, und ihre Gloffolalie entflammt
dem Boden der in jüdifchen Laienkreifen gepflegten ,eli-
anifchen' Parufieerwartung; dem Petrus gibt fein Ofter-
glaube die Überlegenheit, die verfchiedenen Ströme
zu einen, und fo tritt er ,als dritte weltbewegende Perfön-
lichkeit dem Täufer und Jefus zur Seite'. Um diefe drei
herum fchart fich die pneumatifche Gemeinfchaft der
paläftinifchen Urgemeinde. Der Schilderung ihrer Pneu-
matologie ift das letzte Drittel des Buches gewidmet.
Paulus aber — hiftorifcher Kronzeuge, aber nicht klaffifcher
Religionstypus! — ift nur der .Transformator' jenes ur-
chriftlichen Geiftes ,zum Zwecke einer zu erwirkenden
Weltfähigkeit'.

Zweifellos ift die jerufalemifche Urgemeinde uns nicht
fo bekannt, daß wir bei ihrer Darftellung der Konftruktion
völlig entraten dürften. Aber das Sichere — in diefem
Fall die Originalität des Paulus, die jeder oberflächlichen
Einreihung in Kategorien wie Pharifäismus und Hellenismus
fo offenbar widerftrebt, darf nicht durch das Unfichere
entwurzelt werden. Unficher aber ift in diefem Fall die
Konftruktion einer .Tatfachenmyftik' innerhalb der Urgemeinde
famt all ihren geiftreichen religionsgefchichtlichen
Folgerungen, fowie die Behauptung, die Gottesfohnfchaft
Jefu fei das ,Vereinsgeheimnis' der Chriften von Jerufalem
gewefen und die Überordnung diefer Entdeckung über
das Kyrios-Problem (im Sinne Bouffets), ,denn das Myfte-
rium hat den Vorrang vor dem Kultus'. Aber vom Kultus
wiffen wir immerhin etwas, dagegen muß die .Tatfache
einer Arkaneffenz in der Urgemeinde vor Paulus als ein
fpätjüdifches Plus im femitifch-prophetifchen Religions-
fundus' von B. erft konftruiert werden.

An diefem Beifpiel möge zugleich auch ein fchwerer Mangel des
geiftreichen und anregenden Buches klar werden. Seine Aufteilungen
kommen dem Leier darum fo fchwer zu Bewußtfein und Verftändnis,
weil fie unter einem geradezu unheimlichen Redefchwall verfteckt find.
Ein wahres Feuerwerk von Wortraketen überfchüttet uns: die Sieben
der Apg. find eine .improvifiert ekftatifch impreffioniftifche Körperfchaft';
das Zuftändliche der vorwiegend kontemplativ und wunfchhaft untätig
fich darbietenden Entftehungsperiode', ,die Luftautomatismen der gloffo-
lalcn Enthufiaften', ,geile Bedürfnisbefriedigung', die ,auf den unendlichen
Entfaltungen des Logostriebes fchmarotzt' — all diefe ftiliftifchen Verrenkungen
tragen nicht gerade zur Klarheit und Fruchtbarkeit der Dis-
kuffion bei. Ich erkenne es übrigens — von diefem beträchtlichen
Mangel abgefehen — durchaus als einen Vorzug des Buches an, daß
es fich fo wenig fachtheologifch gibt; die Dinge erhalten durch diefe
unzünftige Art ein neues Geficht, und die kulturpfychologifchenZufammen-
hänge werden eher fichtbar, weil der Lefer zu einer neuen Einftellung
genötigt wird. Auf diefelbe Linie gehört auch die vom Verf. beliebte
und betonte Benutzung von Worten Nietzfchcs über das Chriftentum.
Ich habe in der Einleitung meines jetzt erfcheinenden Jakobus-Kommen-
tars einen ähnlichen Gebrauch von Nietzfche-Zitaten gemacht und
glaube, daß beide Vcrfuche zeigen werden, wieviel auch der Iliftoriker
von Nietzfche als Kritiker des Urchriftentums zu lernen hat.

So hinterläßt die Lektüre des Buches einen zwiefpäl-
tigen Eindruck. Die Fülle der Ideen regt an, aber es
ift verdrießlich, wenn fich eine ganze Anzahl diefer —
hier nicht regiftrierbaren — Ideen als Einfälle herausftellt.
Die pfychologifche Betrachtung und Wertung der Eschato-
logie und der vifionären Zuftände ift zweifellos durch B.
gefördert worden; aber die Freude an diefem Fortfehritt
wird getrübt, wenn man fieht, wie der Verf. in Kraft
feiner pfychologifchen Methode oft genug einer ftrengen
Diskuffion der Quellen überhoben zu fein glaubt.
Heidelberg. Martin Dibelius.

Pallis, Alex.: To the Romans. A Commentary. (190 S.)
8°. Liverpool, The L. Booksellers Co. 1920.

Diefer neuefte Kommentar zum Römerbrief fteht
hinter dem vorletzten, dem von Karl Barth (f. Sp. 200f.
diefer Ztg.) an Originalität, an Verachtung aller Traditionen
nicht zurück; ja er übertrifft ihn noch erheblich. In allem
Anderen ift er dem Barthfchen fo entgegengefetzt wie nur
möglich. Hier auch das Werk eines gefcheiten Mannes,
auch eins, aus dem man allerlei lernen kann, leider kaum
etwas dem Verftändnis des Römerbriefs Zuträgliches.

Aus Theol. Tijdfchr. 1918, 348—350 (vgl. dort S. 328Q
wußte ich, daß ein Schriftchen The epistle of Paul the
apostle to the Romans. A Paraphrase by Alex. Pallis
(22 S.) 1917 in Liverpool erfchienen fei, der Verf. ein
in feinem Vaterland durch Überfetzungen des Homer und
der Evangelien hochangefehener Grieche, der jetzt in
England naturalifiert ift. Er hielt den Römerbrief des
Paulus für fchlecht überliefert, half dem auf durch eine
Fülle von Konjekturen, vor allem aber ftrich er die Interpolationen
, die z. B. cp 7, 8 und 10 ganz umfaffen, auch
fchon in cp. 1 und 2 große Abfchnitte. Seit 3 Jahren hat
fich Herr Pallis weiter entwickelt, an unferm Brief ift
heut nichts mehr echt. Ein Unbekannter hat ihn als katholischen
Brief zwifchen 70 und 100, wahrfcheinlich in Alexandrien
verfaßt; zu einer Zeit, wo die Gemeinden noch
judenchriftliche Minoritäten enthielten. Der Zweck war,
folchen Mifchgemeinden Harmonie und gegenfeitige Verträglichkeit
, wohl auch Kollekten, zu empfehlen. Den
Namen des Paulus nahm er an, um feine Autorität zu
vergrößern, den Stil des Apoftels wagte er klüglich nicht
nachzuahmen, ein paar fachliche Anleihen bei I und II Kor.
und bei den echten Beftandteilen von Gal. bildete er
romanhaft aus. Nachher hat ein Theologe (oder mehrere)
mit Intereffen der Schule die Epiftel erweitert; eine Reihe
von Gloffen, bisweilen ganz törichter Art, find noch um
200 hinzugekommen. Zur Rechtfertigung diefer feiner
Konftruktion druckt P. zuerft den griechifchen Text des
Briefs aus FG, die er für die bellen Zeugen hält, ab
(S. n—32), bietet S. 33—164 Gloffen exegetifchen wie
kritifchen Inhalts; den Schluß S. 165—190 bildet eine
Paraphrafe in englifcher Sprache — durch Klarheit ausgezeichnet
; nie bleibt ein Zweifel über das, was der Verf.
meint —, wobei verfchiedener Druck die Interpolationen
von der Urfchrift deutlich abhebt. Die Zufätze der dritten
Schicht werden in Anmerkungen unter den Text verwiefen.
Eine Vorrede S. 5—10 rechtfertigt die kritifchen Ergeb-
niffe des Forfchers: auch ihre Kürze ift grundehrlich;
denn P. bedarf nicht vieler Gründe um fich zu entfeheiden.
Wieder einmal genügt es, daß die Apoftelgefchichte des
Lucas von den religiöfen Verhältniffen in Rom — vermeintlich
! — ein Bild entwirft, das zum Römerbrief nicht

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