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Ausgabe:

1920

Spalte:

232-233

Autor/Hrsg.:

Vorländer, Karl

Titel/Untertitel:

Kants Weltanschauung aus seinen Werken 1920

Rezensent:

Buchenau, Artur

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für Mitteilung des vollen Wortlautes eintritt, kann nur
Billigung finden; es ift fo: ,bloßes Regiftrieren und Exzerpieren
drücken fich um fchwierige Lesarten und verwickelte
Gedankengänge zum Schaden der Zuverläffigkeit
herum'. Eine fehr eingehende Einleitung orientiert über
die Quellen (Vatikan. Archiv, Nunziatura di Germania 112,
Hof- und Staatsarchiv Wien, Reichsarchiv und Haus- und
Staatsarchiv München u. a.), den Lebenslauf der Nuntien
(Alfonfo Visconte, Camillo Caetano) und ihre Aufgaben,
endlich über die Streitigkeiten um den Profan- und Reli-
gionsfrieden famt dem geiftlichen Vorbehalt am Kaiferhof
i. d. J. 1587—91. Aus der Reihe der hier auftauchenden
Fragen fei herausgehoben die Okkupation fefter Plätze
im Kölnifchen durch die Spanier, der Straßburger Kapitel-
ftreit, die jülich-clevifche Regiments- und Nachfolgefrage,
der badifche Vormundfchaftsftreit nach dem Tode des
konvertierten Markgrafen Jakob III von Baden-Hochberg,
ein hartnäckiger Kampf gegen den proteftantifch gefilmten
Bruder des Verftorbenen Ernft Iftiedrich von Baden-
Durlach, der den nachgeborenen Erben Ernft Jakob proteftantifch
taufen ließ, die polnische PVage. Die kirchen-
politifchen Probleme ftehen durchaus im Vordergrunde,
kulturelles Material ift nicht allzu zahlreich vertreten, doch
vgl. etwa die verfchiedenen Nachrichten über eine
(Schwenkfeldifche?) Sekte in Schlefien oder die Reformation
in Steiermark oder die Weigerung Kölns, die
Calviniften aufzunehmen. Die Güte der Edition mit ihren
vortrefflichen Erläuterungen fei dankbarft hervorgehoben.
Zürich. • W. Köhler.

Schubert, Prof. Hans v.: Unfere religiös-kirchliche Lage in
ihrem gelchichtlichen Zufammenhange. Eine Vorlefg.
während Weltkrieg und Revolution. (VII, 208 S.)
gr. 8°. Tübingen, J. C. B. Mohr 1920. M. 8 —

Dies liebenswürdige und anregende Buch kommt
gerade zur rechten Zeit. Die Frage, wie es eigentlich
gekommen und was überhaupt noch werden kann, fängt
an ruhiger und nachdenklicher als noch vor Jahresfrift
geftellt zu werden. Da ift es vom größten Wert, daß
auch ein Kirchenhiftoriker, der viele einzelne Züge der
jüngften Vergangenheit gefammelt hat und dabei über
ein Verftändnis des Einzelnen und des Allgemeinen in
der Gefchichte der Kirche verfügt, zu diefer Frage das
Wort nimmt. Vieler Gedanken unter uns ftreifen ja
heute in die Zukunft, da bereitet es eine befondere
Freude, wenn fie fich im reinen Äther unerfchütterten
Glaubens mit den Urteilen eines fo sachkundigen Führers,
wie Schubert es ift, berühren. Aber nicht nur eine Stärkung
in der religiöfen Gefchichtsbetrachtung bietet der
Verf, fondern auch eine ausgezeichnete hiftorifche Orientierung
zum Verftändnis von Gegenwart und Zukunft.
Er zieht uns hinein in das geiftige Ringen um das letzte
Kapitel der Kirchengefchichte. — Eine Einleitung gedenkt
der religiöfen und fittlichen Anregungen des Krieges, der
Erfchütterung und und dann der Zerfetzung. Ich würde
bei letzteren die Bedeutung des Materialismus des letzten
Menfchenalters ftärker als Sch. betonen. Ein Appell
an den chriftlichen Idealismus, Hoffnung auf die Wiederbelebung
der Bruderliebe und auf den inneren Sieg im
Bewußtfein der fittlichen Überlegenheit über die Feinde
folgen. ■— Der erfte Abfchnitt (,Das Chriftentum im
Kampfe der Religionen') handelt überaus sachkundig und
lehrreich von der Gefamtlage der großen Religionen und
der Bedeutung des Krieges für diefe Lage^ Das Re-
fultat ift, daß dem Chriftentum feine weltgefchichtüche Aufgabe
bleibt und daß die allgemeine Religionswiffenfchaft
wie die Miffion fich auf die neuen Aufgaben, die ihnen geftellt
find, befinnen muffen. — Der zweite Abfchnitt
(.Das evangelifche Chriftentum imKreife der Konfeffionen')
bietet hiftorifche Betrachtungen über Gefchichte und
Gegenwart der chriftlichen Kirchen. Das Rätfei der
griechifchen Kirche fei nicht gelöft. Das ift richtig, zumal
wenn man bedenkt daß je erfchütternder Revolutionen

j auftreten, defto ftärker das Streben der Gemeinfchaften,
; in ihre frühere Lage zurückzukehren, zu fein pflegt. Frei-
j lieh ift dabei zu beachten, daß auch die Reaktion das
j Alte niemals fo, wie es war, wieder erflehen läßt. So wird
auch aus der griechifchen Kirche Rußlands etwas anderes
| werden als fie gewefen ift, aber unfere Kenntniffe der
; Lage reichen nicht hin, um irgend etwas Gewifies zu
i fagen. Der römifche Katholizismus wird in das Schema
Recht und Autorität geftellt. Ich meinerfeits würde dem
nachdrücklich die Myftik des Sakramentismus hinzufügen,
die von dem Katholizismus unabtrennbar ift und in
der fich immer wieder Elemente des urchriftlichen Pneu-
matismus regen. Dann aber fcheint mir Verf. auch das
Wachstum der geiftigen Kräfte des Katholizismus während
des letzten Menfchenalters zu gering einzufchätzen.
Ich würde es nicht wagen, in dem Thomismus der Gegenwart
nur ,stumpf gewordene Waffen' zu erblicken. —
Sodann wendet der Verf. fich den beiden Proteftantismen
zu, die durch den Krieg fo fchroff von einander getrennt
find. ,Die beiden Proteftantismen verliehen fich nicht
mehr, weil der Krieg gerade das herausgetrieben hat,
was uns trennt' (S. 137). Das ift alles zutreffend, aber
man läfe doch gern in dem Buch nicht nur einzelne
Züge, fondern eine in fich zufammenhängende hiftorifche
Charakteriftik der großen Gefamterfcheinung des Anglo-
calvinismus. — Im Schlußabfchnitt (,Der innere Lebenskreis
des deutfehen Proteftantismus') ift von Verfaffung
fozialer Frage, Weltanfchauung, Theologie und Parteien
innerhalb der gefchichtlichen Beziehungen der Kirche die
Rede. ,Die Arbeitermaffe freilich von der materialiftifchen
Grundbetrachtung loszureißen, genügten alle diefe Inftan-
zen nicht,' fagt der Verf. von den Regungen des Idealismus
in der jüngften Vergangenheit. Aber im Hinblick
hierauf wie auf das kirchliche Parteiwefen befitzt er den
Glauben, daß die Theologie auf dem Marfche fei (S. 197).
Aber ift fie es wirklich fchon? Ich weiß nicht recht, woran
der Verf. bei diefer Wendung denkt. An den Verfuch, der
allgemeinen .Sozialifierung' zu liebe auch die Theologie zu
fozialifieren, doch ficher nicht. Aber wo erblickt er dann
die Anfätze, die uns aus dem Bann des Hiftorismus und
den erkenntnistheoretifchen Nöten famt der unfruchtbaren
Dialektik hinausführen? Hierum handelt es fich
aber doch im wefentlichen, wenn die Theologie wieder
kräftigere Wirkungen gewinnen foll, wie die Zeit ihrer
bedarf. Selbft daß die drückenden Parteigegenfätze ver-
fchwinden, ift mir weniger ficher als Sch., das ,ewig Ge-
ftrige' ift noch immer eine ftarke Macht.

Es ift felbftverftändlich, das jeder, der die Dinge
durchdacht hat, einem folchen Buch gegenüber Fragen
und Bedenken behält. Das mindert den Dank für mancherlei
Anregung nicht. Noch einen Wunfeh möchte ich
für eine neue Auflage ausfprechen. Einige Literaturangaben
würden den Wert des Büchleins erhöhen Zumal
I für manche Gefchichten oder Ausfprüche der jüngften
Vergangenheit würde man gern die Quelle kennen, aus
i der der Verf. fchöpft. Im übrigen fei das Buch befon-
I ders dem jungen Theologengefchlecht bellens empfohlen.
I Berlin-IIalenfee. R. Seeberg.

I Vorländer, Karl: Kants Weltanfchauung aus feinen Werken.

(327 S.) 8°. Darmftadt, O. Reichl 1919. M. 15.—
Der Herausgeber, einer unferer bellen Kant-Kenner
in Deutfchland, ift der Anficht, daß Kant nicht länger
mehr, wie es bisher der Fall gewefen ift, bloßes Eigentum
der Gelehrten und Fachleute bleiben darf, fondern
dem Verftändnis des gefamten Volkes nahegebracht werden
muß. Seine Auswahl fetzt fich das Ziel, auf ein iblches
Verftändnis hinzuarbeiten und verflacht es deshalb, voll-
ftändig und fyftematifch alle Seiten feiner Perfönlichkeit
und feiner Philofophie zu berückfichtigen. Vorländer
bringt den reichen Stoff folgendermaßen unter: Die Perfönlichkeit
— Philofophie überhaupt — Theoretifche Philofophie
— Philofophie, Mathematik und Natunviffen-