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Ausgabe:

1920 Nr. 1

Spalte:

199

Autor/Hrsg.:

Ketter, Peter

Titel/Untertitel:

Die Versuchung Jesu nach dem Berichte der Synoptiker 1920

Rezensent:

Bultmann, Rudolf

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199

Theologifche Literaturzeitung 1920 Nr. 17/18.

200

der feine irdifche Exiftenz opferte, um den Brüdern fein
Grunderlebnis ,Der Vater' glaubhaft und nacherlebbar zu
machen. Als .Menfch wie er feinfoll' fühlte er die Menfch-
heit in fich und darum fich als Gottesfohn. Die Über-
fetzung ins Metaphyfifche lehnt B. ab. Die Entwicklung
des Meffiasbewußtfeins wird nach Bouffet gezeichnet;
die Eschatologie foll nicht fchulbegrifflich,, fondern aus
Stimmung heraus (und fpäteren Nachträgen) verftanden
werden. Die Wunder werden auf das W. der geheimnisvollen
Perfönlichkeit Jefu zurückgeführt, deren Wefen die
normale ,attitude myftique', d. i. die ungebrochen-normative
Willensftellung war. — An der Pfychol. Bs. bean-
ftanden wir die Gleichfetzung von libido oder elan vital
mit esprit divin. Genaue Beobachtung zeigt, daß die (auch
normativ geleiteten) Triebe von dem richtenden Willen
unterfchieden find; fo bei J. in den Verfuchungen. Die-
fen Fehler teilt B. mit den Pfychanalytikern. Die pfych-
analytifchen Begriffe fchwächt B. mit Flournoy ab; fie
tragen faft nichts zur Erklärung, wenig zur Vergleichung
bei; dagegen dürfte die Nachwirkung des Unbewußten bei
dem Tempelerlebnis des 12jährigen tiefer gefucht werden.
Die Analogien find oft nur äußerlich, z. T. falfch: nicht
.Introverfion' war die Verfuchung (der Sprung bedeute
Flucht in die Träumerei des Wahnfinns, das tatendurftige
Kompromiß mit der Welt wäre ,diabolifche Myftik'I) Daß
Taube Symbol für noces fpirituelles war, ift für J. und
feine Zeit nicht nachgewiefen. (Matth. 10, 16). Geift-
reiche Hypothefe: die Materialifierung der Auferftehung
ein unbewußter Erfatz für moralifche Neugeburt, wie
Motorifches bei Neurotikern; da überfieht wohl B. das
Motiv, daß wir nur leiblich erfcheinende Seele kennen.
Nach allem: wir haben die Pfychol. der Religion noch
nicht; fie am normativen Charakter darzuftellen, ift wohl
das Schweifte. B. gibt einen beachtenswerten Beitrag
fowohl für das Artgleiche wie das Gradunterfchiedliche
an J. im Vergleich zu uns.

Zäziwil (Bern). Fr. Lienhard.

Ketter, Bifch. Kapi. Geh.-Sekr. Dr. Peter: Die Verdickung Jehl nach
dem Berichte der Synoptiker. (Neuteftamentl. Abhdlg. VI. Bd.,

3. Heft.) (XVII, 140 S.) gr. 8". Münder i. W., Afchendorff 1918.

M. 4 —

Der katholifch-dogmatifche Standpunkt des Verf. beherrfcht feine
Ausführungen in dem Maße, daß fie für die Erkenntnis der gefchicht-
lichen und fpeziell der religionsgefchichtlichen Probleme keine Förderung
bedeuten. Die Fragen nach dem literarifchen Charakter der Ver-
fuchungsgefchichten und nach der Herkunft und Gefchichte des Stoffes
werden im Sinn der kirchlichen Tradition beantwortet, bzw. überhaupt
abgewiefen. Trotzdem enthält die Behandlung der rein exegetifchen
Frage, d. h. der Frage nach dem Sinn der Verfuchungsgefchichte bei
den Evangeliften, manches Gute, /.. B. die treffende Kritik moderner
fpiritualifierender Umdeutung der Verfuchungen als Vifionen oder als
Symbolifierung innerer Erlebniffe Jefu. Der mythologifche Charakter
der Erzählung wird gut gezeigt, — nur daß der Verf. den Mythos eben
für Gefchichte hält. Befriedigend ift freilich auch die Exegefe nicht,
da den Verf. das Problem nicht drückt, wiefo die drei Verfuchungen,
die Mt. und Lk. berichten, vom, Meffias erzählt werden können; ihre
meffianifche Bedeutung, die freilich auch in der traditionellen proteftan-
tifchen Exegefe ziemlich felbftverftändlich angenommen wird, fleht dem
Verf. feft. — Als Orientierungsmittel über die Väterexegefe und über
moderne kritifche und unkritifche Erklärungsverfuche hat das Buch
feinen Wert.

Breslau. R. Bult mann.

Schmidt, Priv.-Doz. Lic. Karl Ludwig: Die Pfingfterzäh-
lung und das Pfingftereignis. (Arbeiten zur Religions-
gefch. d. Urchriftentums 1. Bd., 2. Heft.) (IV, 36 S.)
8°. Leipzig, J. C Hinrichs 1919 M. 3 —

Der Verf. übt Kritik an der fo häufigen Vermifchung
des .exegetifchen, literarifchen und hiftorifchen Gefichts-
punkts' in der Interpretation von act. 2, 1—13. Seine
Exegefe fucht feftzuftellen, daß der Erzähler ein ekfta-
tifches Zungenreden fchildern will, mit dem ein Hörwun-
der verbunden ift. Der Bericht ift einheitlich; jegliche
Quellenfcheidung ift abzulehnen. Auch gegen die Ge-
fchichtlichkeit des Berichtes ift — von Übertreibungen
in der Darftellung abgefehen — nichts einzuwenden. ,Der

i gefchichtliche Kern der Pfingftgefchichte, das Pfingftereignis
, war eine grandiofe Maffenekftafe, in der die Jünger

| Jefu durch Zungenreden auf Juden und Profelyten aus

j anderen Ländern einen nachhaltigen Einfluß ausübten'.
Daß ,die in Zungen redenden Jünger als in anderen Sprachen

I redend von den Hörern verftanden' wurden, ift durchaus
möglich; Analogien der Religionsgefchichte, befonders
der modernen Pfingftbewegung beftätigen es.

Ich muß diefe Interpretation völlig und die metho-
difchen Erwägungen, die der Verf. vorausfehickt, teilweife
ablehnen. Daß man act. 2,4 nach V. 13 zu interpretieren
habe und alfo fchon in V. 4 ein ekftatifcb.es Zungenreden
finden müffe, ift nicht nur eine petitio prineipii, fondern
widerfpricht auch der Tatfache, daß das .Zungenreden,

! ftets yXmöOaiq (bzw. yXmööyj) XaXtlv heißt, wobei yXcöööaiq
undeterminiert ift, bei Paulus wie act. 10,46; 19,6. Wo
yXmöOa determiniert ift, 1. Kor. 14,9, heißt es Zunge nicht
im technifchen, fondern im eigentlichen Sinn; und ai
yXmooai 1. Kor. 14,22 ift == tb yXmOOacq XaXelv. In der
determinierten Wendung irtgaiq (bzw. qftexiQCUc;) yXcboOcuq
XaXtlv act. 2,4 11 kann yX. nur Sprache heißen. Es wird
alfo ein Sprachwunder berichtet. Damit fällt die ganze
Konftruktion des Verf., und act. 2,13 erweift fich als
unorganifch im Zufammenhang und alfo aus einer anderen
Quelle oder Traditionsfchicht flammend. Religionsge-
fchichtliche Analogien, die die Interpretation des Verf.
beftätigten, kenne ich nicht; denn folche Fälle, in denen
das Erlebnis fchon durch die Pfingftgefchichte beeinflußt
worden ift (alfo befonders in der modernen Pfingftbewegung
), können natürlich nicht mitzählen. Die vom
Verf. S. 29 aus E. Lombard, de la glossolalie etc, zitierte
Gefchichte trägt den Stempel erbaulicher Erfindung an
der Stirn. Für die kategorifche Behauptung, daß der
Termin des Pfingfttages hiftorifch fei (S. 27), fehlt jeder
Beweis. Dem Zufatz W. Schanzes, der act. 2, I —13 fchall-
analytifch unterfucht hat, flehe ich mit abfoluter Skepfis
gegenüber.

Breslau. R. Bultmann.

Barth, Pfr. Karl: Der Römerbrief. (IV, 439 S.) gr. 8°. Bern
G. A. Bäfchlin 1919. M. 16.80; geb. 21.60

Dies Buch will feiner Anlage und Form nach ein
Kommentar zum Römerbrief des Paulus fein, wie es denn
auch eine vollftändige Überfetzung in die Auslegung einflicht
. Es fetzt die in den Kommentaren übliche Behandlung
des Textes voraus, will aber vor allem durch das
Hiftorifche hindurch den ewigen Geift ergreifen, der den
Brief durchweht. Diefer ewige Geift ift nun freilich eine
fehr konkrete Manifeftation; es ift der Geift, der den
Verf. treibt. Hin und wieder wächft dies Eigene, was
der Verfaffer mit großer Leidenfchaft verkündet, orga-
nifch aus den Zeugniffen des Paulus heraus, öfter
ift das Verhältnis der Auslegung zum Text wie
etwa bei Philo, die Erklärung ift nämlich vielfach Anwendung
des Textes auf die verfchiedenartigen Erfchei-
nungen unferer Zeit, und in kühner Übertragung identifiziert
der Verf. die Größen, deren ,Ende' Paulus aufweift,
mit den Erfcheinungen unferer Zeit, die nach feiner
Überzeugung überwunden werden müffen, als da find
,Kirche', Pietismus, Individualismus, Joh. Müllers Technik
I des perfönlichen Lebens, die moderne .Erlebnistheologie'
u. a. m. Das Heilszeugnis des Paulus ift die Pulle
des großen, organifchen, fchöpferifchen Lebens, das der
Verf. aus wirklicher Berührung mit Gott in fich wirken
und weben fühlt und das dazu beftimmt ift, alle die genannten
Erfatzmittel hinweg zu fchwemmen. Damit ift
Eigenart und Wert des Buches angedeutet: es ift ein
lebensvolles Zeugnis aus dem Lager der jüngften ,Mal-
contenten' in der Schweiz, die wirklich der Geift treibt,
die aber in allem, was .bisher' da war, von ihrem d. i.
vom wahren Geift nichts fpüren können. Es geht ein echt
prophetifcher Zug durch das Buch; aber wie fchon in
alten Zeiten wirkt fich das Prophetifche vor allem in fchar-