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Ausgabe:

1920 Nr. 1

Spalte:

172

Autor/Hrsg.:

Beer, Georg

Titel/Untertitel:

Die soziale und religiöse Stellung der Frau im israelitischen Altertum 1920

Rezensent:

Nowack, Wilhelm

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung 1920 Nr. 15/16.

172

Die Lage hat fich, feit Delitzfchs alter Profeffor feine
Angft ausfprach, auch feit Delitzfchs Buch über Babel
und Bibel gründlich geändert. Konnte man von diefem
fchon fagen, daß das Neue meift unrichtig, das Richtige
meift nicht neu sei, fo liegt es mit diefer feiner neueften
leidenfchaftlichen Kampffchrift, die alles andere als ,sina
ira et studio' (S. 6) gefchrieben ift, noch viel ungünftigeTT
Man könnte fie verftehen als Proteft gegen ein Judentum
, das fich noch immer verfteift, die alten, nach unfe-
rem Gefühl wenig ehrenvollen Taten und Reden der Patriarchen
, Helden, Propheten zu billigen und nach der
ehrenvollen Seite umzudeuten — fo etwas gibt es genug —
oder gegen eine zurückgebliebene Theologie, die trotz
wiffenfchaftlichen Aufputzes im Grunde an der alten jü-
difchen Auffaffung fefthält. Darüber ift aber die .liberale
altteftamentliche Theologie' (S. 95) und zum großen Teil
die chriftliche Gemeinde, länglt hinaus. Ja, wenn Delitzfch
wie jene darauf hinwiefe, daß in dem Prieftertum der
katholifchen Kirche, in ihren Opfer- und Meßgedanken,
in der Eschatologie der Evangelien, in der paulinifchen
Verföhnungslehre noch viel jüdifcher Sauerteig liege, der
auszukehren wäre — dann ließe fich mit ihm reden. Aber
davon keine Spur! Er ift eifrig darauf bedacht, für unfer
Gefühl abflößende Taten und Worte aufzufpüren, für das
Große, Bleibende, auch uns noch Erbauende namentlich
in Pfalmen und Propheten hat er keinen Sinn. So kommt
natürlich eine Verzeichnung heraus. Nirgends auch nur
der Verfuch, fich in die Zeit zu verfetzen, in der die betreffenden
Männer gelebt, die Sagen, Gefchichten, Reden
entftanden find. In echt rationaliftifcher Weife wird immer
nur das Werturteil des 19., beffer des 18. Jahrhunderts
gegeben! Natürlich unfer Gottesbegriff ift ein anderer
als der des Mofes! Sein Jahwe, — für den Delitzfch immer
irrig Jaho' fchreibt, — enthält nur die Keime zu unferem
Gottesbild. Aber er enthielt doch die Keime, aus denen
fich der Gottesgedanke über Jefaja, Jeremias, Deutero-
jefaja zu Jefus hin entwickelt hat. Es ift vergebliche
Mühe, Jefus von dem jüdifchen Boden zu löfen. Hier
kommt es nicht fowohl auf das Blut an — obwohl die
Behauptung, Jefus fei ein Arier gewefen (fiehe S. 94),
doch in der Luft hängt — als vielmehr auf die geiftige
Abkunft. Da find die Propheten und Pfalmenfänger, die
.heilige Schrift', die für Jefus trotz Delitzfch das Alte
Teftament war, feine eigentlichen Väter. Gewiß, er ging
darüber hinaus; das Judentum, das den univerfalen Gedanken
von feiner nationalen Hülle nicht löste, auch bis
heute nicht gelöft hat, fließ ihn von fich zu feinem eigenen
Nachteil — damit ift aber nicht die Tatfache aus
der Welt gefchafft, daß Islam wie Chriftentum fich aus
der jüdifchen Religion herausgelöft hat. Das von Delitzfch
über Gebühr gelobte Sumerertum hat eben eine folche
Entwicklung nicht vorzuweifen, die es nach Delitzfch
hätte haben können (S.84). Man fage nicht, weil das
Semitentum feine Art und Kultur zerftört hätte, kam es
nicht dazu. Ifrael erlitt gleiche Kataftrophen! Ift es
denn Zufall, daß die ganze fumerifch-babylonifche Kultur
nichts hat, was sich dem Deboralied, dem Klagelied Davids
(2. Sam. 1.) u. a., was die Poefie; der Erzählung
2. Sam. 9—20, was die Gefchichtsliteratur; Gen. 16, 22,
24, 37—48, was die Sagenbildung betrifft, auch nur entfernt
an die Seite ftellen ließe? Und gibt es in den Buß-
und Klagegebeten der Sumerer nicht auch .bedauernswerte
Zeichen grenzenlofen Aberglaubens' (S. 56)? Es
wäre töricht, auf die Sumerer darum loszufchlagen. — Es
gilt auch hier zu verftehen und zu würdigen. Aber
was den Sumerern recht, ift den Ifraeliten billig. — Nach
alledem erübrigt es fich, darauf hinzuweifen, daß Delitzfch
die Efther-Novelle als bare Gefchichte vorführt, die
Propheten wieder hauptfächlich als Politiker faßt, die es
verftanden, das Volk und die Könige ihrem Willen gefügig
zu machen (man denke an Jeremia! !), behauptet,
daß es zu Sauls Zeit noch keine Schmiede in Ifrael gab,
während die von ihm zitierte Stelle (1. Sam. 13,19fr.) nur

berichtet, daß die Philifter eigenes Schmieden in Ifrael verhinderten
, um das Volk wehrlos zu erhalten und nach
Gen. 4 die Israeliten felbft die Schmiedekunft in den
Anfängen des Menfchengeschlechts entftanden wähnten.
— Doch genug davon! Delitzfch fleht immer noch unter
den Affyriologen an erfter Stelle. Er hat fich als Meifter
der Sprachwiffenfchaft auch auf dem Gebiete des Sume-
rifchen und Chittitifchen erwiefen. Aber Philolog und
Hiftoriker find zu fehr verfchiedene Dinge, wie hier geradezu
an einem Mufterbeifpiel klar wird. Die chriftl.
Gemeinde hat recht, wenn fie trotz alledem ihre Erbauung
auch noch weiter im Alten Teftament fucht und
findet. Aber die Aufforderung darf fie und die hifto-
rifche Theologie aus folchen Schriften entnehmen: das
Überholte, das Jüdifche muß dabei klar erkannt und fei
es abgeftoßen, fei es ins Chriftliche überfetzt werden.
Bonn. J. Meinhold.

Beer, Prof. D. Dr. Georg: Die foziale und religiöfe Stellung
der Frau im israelitilchen Altertum. (Sammlung ge-
meinverft. Vorträge u. Schriften ufw. 88.) (47 S.) gr. 8°.
Tübingen, J. C. B. Mohr 1919. M. 2 —

An Monographien über die Stellung der Frau in
Israel hat es zwar in den beiden letzten Jahrzehnten nicht
gefehlt — ich erinnere nur an F. Wilke, Das Frauenideal
und die Schätzung des Weibes im A. T. 1907 und an
M. Lohr, Die Stellung des Weibes zu Jahwe-Religion
und -Kult 1908 — dennoch ift diefe Arbeit Beers keine
überflüffige, denn in umfallend erem Maße, als das von
feinen Vorgängern gefchehen ift, hat Beer das gefamte
in Betracht kommende Material herangezogen und auf
die Wandlungen hingewiefen, die fich im Laufe der Zeit
in der Stellung der Frau geltend gemacht haben. Der
bei weitem urnfangreichfte Teil der Arbeit befchäftigt
fich mit der fozialen Stellung der Frau, gerade hier kam
es darauf an, die unter beftimmten gefchichtlichen Ein-
flüffen fich vollziehende Verfchiebung der fozialen Stellung
der Frau aufzuzeigen, denn mit dem Hinweis auf
die durch das Gefetz beftimmte Stellung der Frau ift
wenig getan, da die gefetzliche Stellung und die faktifche
Stellung fich fehr wefentlich von einander unterfche.iden.
Mit Recht hatB. fich nicht mit der Verwertung deralttefta-
mentl. Literatur begnügt, fondern auch die nachkanonifche
Literatur der Apokryphen und der Mifchna herangezogen,
denn gerade hier tritt uns noch fchärfer als in der alttefta-
mentlichen Literatur die hohe Wertung der Frau entgegen.
Wohl find erft durch das Chriftentum, zuerft durch Paulus
Gal. 3,28, die letzten Schranken zwifchen Mann und
Weib gefallen, aber diefe nachkanonifche Zeit bereitet
mit ihrer Erweichung der älteren Sitte die chriftliche An-
fchauung vor.

In der religiöfen Stellung der Frau fcheint mit der
zunehmenden Ausgeftaltung der israelitifchen Religion
zur Priefterreligion fich eine entgegengefetzte Entwicklung
vollzogen zu haben, infofern die Frau vom öffentlichen
Kultus immer mehr abgedrängt wird, tatfächlich hat fich
aber auch hier im Laufe der Zeit ein Fortfehritt zu Gun-
ften der Frau geltend gemacht, und B. hat es verftanden,
in trefflicher Weife diefe Entwicklung zu zeichnen. Sie
war eigentlich im Prinzip gegeben durch die Stellung,
welche Frauen als Seherinnen und Prophetinnen fchon
im alten Israel eingenommen haben. Beers Arbeit kann
aufs wärmfte befonders denen, die fich mit der Gefchichte
der Frauenfrage befchäftigen, empfohlen werden,
gerade über diefe Zeit laufen die verkehrteften und un-
billigften Urteile um.

Leipzig. W. Nowack.