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Ausgabe:

1919 Nr. 1

Spalte:

147-148

Autor/Hrsg.:

Jirku, Anton

Titel/Untertitel:

Die älteste Geschichte Israels im Rahmen lehrhafter Darstellungen 1919

Rezensent:

Gressmann, Hugo

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147

Theologifche Literaturzeitung 1919 Nr. 13/14.

148

babylonifchen Orte zu einander klarzulegen, wäre eine
dankbare Aufgabe.
Jena. A. Ungnad.

Jirku, Privatdoz. Lic. D. Anton: Die ältefte Gefchichte

Ifraels im Rahmen lehrhafter Darftellungen. (VI,
173 S.) 8°. Leipzig, A. Deichert 1917. M. 4.50

Durch die Trugfchlüffe veranlaßt, mit denen man
einen ,Katechismus der Urchriftenheit' zu rekonftruieren
verrucht hat, glaubt J. einen Gefchichts-Katechismus im
A. T. entdeckt zu haben: ,die lehrhaften Darftellungen
der älteften Gefchichte Ifraels'. Da man fich unter .lehrhaft
' alles, alfo nichts vorflellen kann, wäre .zufammen-
faffend' wohl beffer gewefen. Einleitend wird zunächft
,der Gedanke der Tradition im AT.' erörtert und aus
verfchiedenen Nachrichten feflgeftellt, daß es eine mündliche
Überlieferung gab; ob es daneben auch eine fchrift-
liche Tradition gab und wie fich beide zueinander verhalten
, wird nicht unterfucht. Da nun auch die Möglichkeit
nicht erwogen wird, daß man die fchriftlichen Quellen ab-
fichtlich aus ftiliftifchen oder anderen Gründen verfchweigt,
fo find die Ausfuhrungen nicht beweiskräftig, von Einzelheiten
ganz abgefehen, wie dem unmöglichen Texte von
Jdc. 5,11 oder der unmöglichen Erklärung des Mazkir,
der zum Märchenerzähler und Königlichen Minifter gemacht
wird.

Die zufammenfaffenden Gefchichtsdarftellungen finden
fich in breiterer oder kürzerer Form, in Bruchftücken
oder Einzelheiten bei den Pfalmiften (wie Pf. 78, 105, 106),
bei den Propheten (wie Hef. 20), in den hiftorifchen
Schriften (wie Jof. 24), und außerhalb des ATs., in den
Pfeudepigraphen, bei Jofephus, im NT. und fogar in der
Patriftik (wie Apoft. Konft., Tertullian, Bafilius). Die in
deutfcher Überfetzung vorgelegten Texte genügen nicht
immer den Anfprüchen ftrenger Wiffenfchaft, da fie trotz
vereinzelter Kritik zu unkritifch bearbeitet find und da
die Gefetze des Rhythmus nicht beachtet werden.

Um nur ein Beifpiel zu nennen: in Pf. 78 fcheint J. den ganzen
überlieferten Text zu fchlucken, während v. 15. 20. 21. 48. 49 doch
ichon von anderen Forfchem beanftandet und z. T. ficher verbeffert
worden find. Wenn er dann wirklich einmal ändert (wie in Pf. 106,
9 S. 101), führt ihn die Unkenntnis der Metrik zu unmöglichen Konjekturen
. Das Fundament, auf das er fein Gebäude türmt, wankt bisweilen
bedenklich; der Text von Pf. 78, 48—51 oder 106, 15 ift von
entfcheidender Bedeutung für feine Thefe oder vielmehr gegen fie. Es
rächt fich, wenn man die wiffenfchaftliche Literatur nicht genügend
kennt oder berückfichtigt; hätte J. doch wenigftens Kittels AT. zu
Grunde gelegt!

Er vergleicht dann die zufammenfaffende Gefchichts-
darftellung außerhalb der hiftorifchen Bücher mit der
innerhalb und kommt zu dem Refultat, daß beide nicht
übereinftimmen und daß jene nicht von diefer abhängig
fein kann, vielmehr als felbftändige Quelle angefehen
werden muß. Bisweilen findet fich eine Übereinftimmung,
aber nicht mit dem gegenwärtigen Pentateuch, fondern
mit einer feiner Quellenfchriften; ,fo tritt uns die geradezu
verblüffende Tatfache entgegen, daß in unferem Pf. 78,
42—51 der Stoff von Q 1 0) vorliegt' (S. 110). Folglich
müffen ,unfere lehrhaften Darftellungen der älteften Gefchichte
Ifraels eine frühere Stufe der Entwicklung darfteilen
' (S. 159f.). Sie mögen etwa in den Tagen Sauls
und Davids erftmalig entftanden fein (S. 154).

Da fie noch von Bafilus d. Gr. .angewendet' wurden (S. 76), fo
möchte man gern wiffen, ob auch er fie (als Jude?) aus der mündlichen
Tradition übernommen hat; J. fchweigt darüber, obwohl gerade hier
eine klare Antwort notwendig wäre. Gegen die ganze Thefe fpricht,
daß entfcheidende Tatfachen nicht berückfichtigt oder genügend gewürdigt
werden. Die Vergleichung der Gefchichtsdarftellung außerhalb und
innerhalb des Pentateuchs hätte forgfältiger fein müffen, weil jeder kleine
Zug für die Frage nach Abhängigkeit oder Selbftändigkeit bedeutfam
werden kann. Man vermißt zu fehr die liebevolle Verfenkung in Einzelheiten
. So hat J. überfehen (vgl. auch S. 126 f.), daß in Pf. 105 der
Durchzug durchs Schilfmeer fehlt; wie ift das zu erklären? Hätte J.
ferner einen befonderen Abfchnitt über Dathan und Abiram refp. Korah
eingefügt, dann würde er wohl gemerkt haben, daß Pf. 106 vom Priefter-

kodex abhängig ift, alfo, nach der gewöhnlichen Anficht wenigftens,
nicht exilifch fein kann. Von der größten Wichtigkeit find die Ab-
weichungen in Pf. 78, die ich bei J. vergebens geflieht habe: Woher
flammt der Name Zoan (v. 12), woher die nur noch bei Deuterojelaja
vorhandene Tradition von der Verwandlung der Wüfte in einen Frucht-
garten (v. 16 1 'arabä), woher das .Götterbrot' (v. 25; warum überfetzt
J. .Engelbrot' mit LXX?), woher die Wachteln aus SO. (v. 26), woher
der .Nager' (v. 46), woher die ,Pe(V unter den Menfchen (v. 501? Die
Antwort auf diele Fragen wird natürlich die Unterfuchung beeinfluffen
i ob Pf. 78 in der Darfteilung der Plagen wirklich vom Jahviften ab-
j hängig ift, wie J. behauptet, oder von dem gegenwärtigen Exodustext
! (JEP), wie ich glaube. Bei genauerer Vergleichung ergibt fich, daß die
zufammentaffenden Darftellungen der älteften Gefchichle außerhalb des
Pentateuchs noch fehr viel öfter von der innerhalb deffelben abweichen
als J. annimmt. Und trotzdem kann von felbftändigen ,Quellen', weder
mündlichen noch fchriftlichen, nicht die Rede fein.

Das neben dem uns überlieferten Pentateuch einzelne
mündliche .Überlieferungen' umliefen, die nicht in ihm
enthalten find, ift felbftverftändlich, aber alle diefe .Überlieferungen
' find fekundär und an Wert nicht zu vergleichen
mit den im Pentateuch verarbeiteten Quellen.

Man braucht nur die Probe auf das Exempel zu machen: wären
die .lehrhaften' Gefchichtsdarftellungen wirklich .felbftändige Quellen für
die mofaifche Zeit' (S. 195), dann müßten wir aus ihnen doch gewiß
auch Andres erfahren als aus den Büchern Exodus und Numeri. Und
nun lefe man den .Gefchichts-Katechismus', den J. (S. 3) rekonftruiert
hat, und man wird erkennen, daß er nichts andres ift als das Gerippe
der Sagenüberlieferung in Ex. und Num. Auch nicht eine einzige Abweichung
! Dies negative Ergebnis ift wertvoll, auch wenn J. kein Gewicht
darauf legt; er hat auch pofitiv nichts angeführt, was irgendwie
als Ergänzung zu den Stücken Ex. und Num. aufgefaßt werden könnte.
Aus diefem Grunde wird man freilich feine ganze Hypothefe über die
.lehrhaften' Gefchichtsdarftellungen als unhaltbar ablehnen müffen.

Aber trotz aller Bedenken, die man hegen mag, ift
fein Buch dankenswert, nicht nur, weil jetzt als erwiefen
gelten darf, daß die Gefchichtsdarftellungen der Pfalmiften
und Propheten als felbftändige Quelle neben dem Pentateuch
nicht in Betracht kommen können, fondern auch,
weil er zum erften Mal ein bisher nicht beachtetes Problem
herauszugreifen und zu löfen verfucht hat. Schon
die merkwürdige Übereinftimmung der drei Pfalmen 78,
105, 106 ift gewiß kein Zufall und bedarf der Erklärung.
Zu diefem Zwecke muß die von J. gar nicht aufgeworfene
Frage unterfucht werden: Wie kommt die zufammenfaffende
Gefchichtsdarftellung in die wefensfremde reli-
giöfe Lyrik? Eine Antwort darauf kann man nur geben,
wenn man zuvor die Entwicklung und Eigenart der Pfalmen
ftudiert hat und weiß, wann und wo die Pfalmiften
von der Vorgefchichte Ifraels zu fingen pflegen; dafür
gibt es beftimrnte Gefetze, auch wenn die meiften Forfcher
fie nicht zu kennen fcheinen. Dann muß das Alter der
genannten Pfalmen richtiger beftimmt werden, als es J.
getan hat, um die weitere Frage beantworten zu können:
Auf welcher Höhe ftand damals, etwa in der fpäteren
Königszeit (Pf. 78), die Gefchichtsdarftellung in Ifrael?
Da wird es notwendig fein, auch die Gefchichtsbetrach-
tung der Propheten, die J. viel zu fehr vernachläffigt hat,
mit in den Kreis der Unterfuchung hineinzuziehen; reiche
Anregung bietet das belcheidene Büchlein von Hans
Schmidt: Die Gefchichtfchreibung im AT., das J. nicht
zitiert hat. Wahrfcheinlich wird fich dann herausftellen,
daß die .lehrhaften' Gefchichtsdarftellungen im Sinne J.s
famtlich deuteronomiftifchen Urfprungs find oder wenigftens
vom Deuteronomium abhängen. Die formelhaften
Wendungen, auf die J. (S. 96«".) aufmerkfam macht, und
die von ihm durchgeführte Unterfcheidung zwifchen Pentateuch
und Tetrateuch legen diefe Vermutung von vornherein
nahe. Aber auch fonft enthalten feine Unter-
fuchungen mancherlei Beobachtungen, die beachtet zu
werden verdienen und als wertvoll gelten müffen, fowohl
zu den Pfalmen (vgl. z. B. S. 151 Anm. 3 zu den ,Toten-
opfern' von Pf. 106, 28) wie zu den Mofefagen (z. R
S. 148 über die Bileamfage).

Schlachtenfee b. Berlin. Hugo Greßmann.