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Ausgabe:

1919 Nr. 1

Spalte:

138

Autor/Hrsg.:

Lauterburg, Moritz

Titel/Untertitel:

Recht und Sittlichkeit 1919

Rezensent:

Mulert, Hermann

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Seite 1

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137

Theologifche Literaturzeitung 1919 Nr. 11/12.

138

gifche Aufgabe .ifoliere' und eine ,wiffenfchaftliche Grundlegung
der Theologie' ausfchiieße (S. 121 ff), ift ein Miß-
verftändnis, das rein fachlich kaum zu erklären ift. Denn
es handelt fich in dem betreffenden Fragenkomplex lediglich
um eine terminologifche Differenz. Da ich die Ge-
famtaufgabe der Theologie grundfätzlich vom allgemein-
religionswiffenfchaftlichen Gefichtspunkt aus beftimme,
faffe ich auch den Begriff der .fyftematifchen Theologie'
(in diefer Hinficht in voller Analogie zu Schleiermachers
.philofophifcher Theologie') fo weit, daß er die religions-
philofophifche Arbeit ihrem ganzen Umfange nach
einfchließt. D.'s Annahme aber, die rehgionspfychologifche
Methode fordere die Behandlung der Religionsphilofophie
als eines erften Teils der Glaubenslehre' (im dogmatifchen
Sinne) ift' reine Phantafie.

Heidelberg. G. Wobbermin.

Görland, Prof. Dr. Albert: Neubegründung der Ethik aus

ihrem Verhältnis zu den befonderen Gemeinfchafts-
wiffenfehaften. (Philofophifche Vorträge [der Kant-
Gefellfch.] Nr. 19.) (59 S.) 8°. Berlin, Reuther &
Reichard 1918. M. 2 —

Eine fcharffinnige ,wiffenfchaftskritifche' Unterfuchung.
Die Einleitung ftellt ihre befondere Aufgabe in den Ge-
famtzufammenhang mit der Gefchichte der Philofophie
überhaupt, nämlich deren ,klaffifcher Problembeftimmung'
im Sinne der Cohenfchen Auffaffung und Weiterführung
Kants (1—12). Dann, anknüpfend an Cohens Kritik der
Kantkhen Begründung der Ethik, zeigt fie in eindringender
kritifcher Auseinanderfetzung mit Cohen und Natorp,
daß der Grundfatz ,alle Ethik ift nur als Kritik an einem
Wiffenfchaftsfaktum zu verftehen' erft durchgeführt werden
muß (bis 14). So erhebt fich zunächft die Frage,
,welchen Wiffenfchaftsbereich wir heute einer Ethik als
Problemgebiet ihrer Kritik vorauszufetzen haben'. Der
Sammelbegriff ^eifteswiffenfehaften' fei hierfür unzureichend
, richtiger der der ,Gemeinfchaftswiffenfchaften'. Als
.befondere' Gemeinfchaftswiffenfchaften laffen fich aufweifen
die .Staatsrechtswiffenfchaften', die .Wirtfchaftswiffen-
fchaften' (,die Kirche ift keine Gemeinfchaftsform'??) und,
das ift für den Verf. das Entfcheidende, ,die Gemeinfchafts-
geftaltungen aus dem Vorfatz des Willens, dem andern
mich darzubringen als Seinfelbft, den andern zu gewinnen
als Meinfelbft', d.h. die Gemeinfchaftsgeftaltung der .Erziehung
', das Wort im tielften Sinn, nicht nur vom Verhältnis
der Mündigen zu den Unmündigen, verftanden,
oder der .Sittlichkeit' (bis 25). Diefe Gleichfetzung von
Erziehung und Sittlichkeit muß näher benimmt und gerechtfertigt
werden. Dies gefchieht durch Entwicklung
des Gedankens der .Bruderfchaft'; nicht ,die Bildung des
Menfchen zum Menfchen', fondern die Gewinnung des
Geiftes im Menfchen ift die Eigenart jener .Methodik des
Willens' (bis 33). Nun gilt es, ,die Einheit in der Mannigfaltigkeit
diefesWiffenfchaftsfaktums' (Wirtfchafts-, Rechts-,
Erziehun^swiffenfchaften f. o.) zu erkennen. Dabei ergeben
fich auch Ausblicke auf wichtige Gegenwartsfragen
(43> 55)- Über ,den Parteien aber bedarf es einer Stelle
von richterlich kritifcher Warte'. Diefe Inftanz ift der
Philofophie zuzuweifen. Wie das gemeint, wird in forg-
faltioer Unterfcheidung der Philofophie als .erkenntnis-
kritilehern Idealismus und Wiffenfchaftskntik' dargelegt
(bis 53). Endlich wird gezeigt, wie durch alles bisherige
der traditionelle Charakter der Ethik geändert wird: fie
ift nicht mehr .Gefetzeswiffenfchaft vom Willen'. Philofophie
ift auf das Faktum von Wiffenfchaften ange-
wiefen' (f. o.), alfo ,darf fie für diefe nicht gefetzgebende
Urwiffenfchaft' fein; fonft kann fie nicht jene richterlich
kritifche Warte lein, nicht dem Feldherrn gleichen, dem
,aus den lebendigen Linien des Kampfes die Einficht in
die Machtverhältniffe kommt und der nun fie nützt im
Dienft diefes aus folchen innern Bedingungen erft fich

geftaltenden Ringens'. Die bisherige Ethik ift alfo in
jener .Pädagogik' großen Stils aufgegangen,

Im Vorwort verwahrt fich der Verf. gegen oberflächlichen
Gebrauch des Stichworts .Marburger Schule' in
pietätvollem Gedenken an Cohen. .Nicht ein Begriffsgebäude
verbindet die Schule, fondern ein Problemkomplex,
zu dem die Gefchichte der Kultur und die der Philofophie
gereift war'. Innerhalb diefer freilich fehr umftrittenen
Vorausfetzung hat der Verf. feine volle Selbftändigkeit
kraftvoll erwiefen.

Tübingen. Th. Haering.

Lauterburg, Prof. D. Moritz: Recht und Sittlichkeit. Rektoratsrede
, geh. an der 83. Stiftungsfeier der Univ. Bern, am 24. Novbr.
1917. (23 S.) gr. 8". Bern, Akad. Buchh. v. M. Drechfel 1918.

M. 1.20

Den Unterfchied von Recht und Sittlichkeit faßt L. weder
einfach fo, daß erfteres heteronom fei und Zwang zu feinem Wefen
gehöre, letztere autonom und Gefinnungsfache fei, noch auch
fo, daß letztere rein in der Sphäre der Innerlichkeit verbleibe.
Soll auch die Sittlichkeit, wie das Recht, das Leben der Gemein-
fchaft beftimmen, fo fleht man im Recht gewöhnlich ein Mindeft-
maß des Sittlichen. Aber das Recht fchreibt nicht Gerinnungen
vor, und manches, was es vorfchreibt (auf der Straße rechts ausweichen
!), hat nichts mit Geflnnung zu tun. Den pofitiven Zu-
fammenhang beider fleht L. in Folgendem. Die fittliche Forderung
ift, daß man feine Würde wahre und ein tüchtiges Glied der Ge-
meinfehaft werde; den Zufammenhang der Gemeinfchaft aber
fichert das Recht. Konflikte zwifchen ihm und der Sittlichkeit
Und teils vermeidbar, teils unvermeidlich. Der Zug zum richtigen
Recht, zur Rechtsreform beruht auf der fittlichen Anlage der
Menfchheit. Die klare Rede, gleich fern davon, das Recht träge
zu überfchätzen oder fchwärmerifch zu unterschätzen, regt zu
weiterer Befchäftigung mit Stammler und anderen Rechtsphilo-
fophen an.

Kiel. H. Mulert.

Slotemaker de Bruine, Dr. J. R.: Christelijk Sociale Studien
. 3. Bündel. 4. geheel herziene Druk. (VIII u.
S. 585—951 u. XII S.) 8 Utrecht, G. J. A. Ruys 1917.
Der Utrechter Profeffor Slotemaker de Bruine ift einer
der Hauptvertreter der konfervativen chriftlich-fozialen Bewegung
in Holland. In diefem, mir vorliegenden Teil feiner
umfangreichen fozialen Studien handelt er über die Sozialdemokratie
, den chriftlichen Sozialismus, Sozialifierung
und Mehrwert und den hiftorifchen Materialismus und
Klaffenftreit. (Kap. 8—11 des Gefamtwerks.)

Für Theologen, die in der evangelifchen oder chrift'ich-
fozialen Arbeit flehen, find vor allem die zwei erften Ab-
fchnitte von Intereffe. Ich verweife da zunächft auf die
Ausführungen über die Stellung der Sozial-Demokratie
zur Religion (657 fr.). Bezieht fich der Verf. hier auch viel
auf deutfehe Quellen, fo kommen doch auch Äußerungen
niederländifcher Sozialiften zur Sprache. Der holländifche
Sozialismus unterfcheidet fich dadurch vom deutfehen, daß
fich jenem auch überzeugte Chriften, meift freifinniger
Richtung, angefchloffen haben. Es gibt hier in Holland
ähnlich wie in der Schweiz eine chriftlich-fozialiftifche
oder religiös-foziale Bewegung, die freilich auf die Partei
als folche wenig Einfluß hat, übrigens teilweife in ihrem
Radikalismus der kleineren fozial-anarchiftifchen Partei
näher fleht als der großen fozial-demokratifchen Arbeiterpartei
. Über die ganze Bewegung handelt der zweite Abschnitt
(687—800). Neben den verwandten Strömungen
in Amerika, England, Frankreich und der Schweiz fkizziert
der Verf. vor allem den Verlauf der Bewegung in Holland
in der feit dem Krieg der Antimilitarismus eine mächtige'
Triebfeder geworden ift (Hauptvertreter der frühere Pfarrer
de Ligt, der wegen einer antimilitariftifchen Phngftprediot
militärifcherfeits aus feiner Gemeinde ausgewiefen wurde).
Sl. ift hier mit feiner Kritik befonders ausführlich. Er
verflicht den Nachweis, wie weder die Verurteilung des
Mammonismus im Evangelium, noch das Gebot der
Nächftenliebe, noch die Predigt vom Reiche Gottes ein
antikapitaliftifch-fozialiftifchesProgramm enthalten. Haupt-