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Ausgabe:

1919

Spalte:

133

Autor/Hrsg.:

Molwitz, Rudolf

Titel/Untertitel:

Luthers Kirche inmitten der Kirchen und Völker im Jubiläumsjahr 1917 1919

Rezensent:

Schornbaum, Karl

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Seite 1

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133

Theologifche Literaturzeitung 1919^. n/12.

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Paraphrafen, denen man nachfagen kann, daß fie nichts
Falfches enthalten. Das Kantbüchlein verletzt das äfthe-
tifche Gefühl durch feine grellroten Deckblätter und eine
ungewöhnlich gefchmacklofe Umfchlagzeichnung.

Eine achtbare Paraphrafe ift auch die Abhandlung
von Braun. In der Würdigung Sendlings fteckt fogar
ein Anfatz zu höheren Leiftungen. Aber eine Darftellung
der Kriegsphilofophie des deutfehen Idealismus fetzt
Kenntniffe voraus, die der Verfaffer nicht befitzt. Wer
fich in diefe Sphäre begibt, muß willen, daß die Erschließung
des Einzelnen hier mehr als anderswo an eine
Überficht über das Ganze geknüpft ift, die man fich auch
nicht durch gewiffenhafte Einarbeitung von heute auf
morgen erwerben kann. Ein gelegentlicher Vorftoß in die-
fes Gebiet, wie der Verfaffer ihn mit achtbaren Fähigkeiten
unternommen hat, führt nicht über die Orientierungslinie
hinaus.

Da die Darftellung unferer idealiftifchen Kriegsphilofophie
den an eine folche zu {teilenden Forderungen nicht
genügt, fo kann auch die Beurteilung ihrer Lehren nicht
befriedigen. Sie bleibt wie die Darfteilung achtbares
Stückwerk, dem die belebende Idee des Ganzen fehlt. Sie
würde auch fo noch nachdrücklicher wirken, wenn fie
nicht durch den Nebenzweck, vor Überfchätzung der
deutfehen Metaphyfik im Namen des Chriftentums zu
warnen, fowie durch exklamatorifche Ausfälle gegen die
mit uns im Kriege befindlichen Völker am unrechten
Orte belaßtet wäre.

Breslau. Heinrich Scholz.

Molwitz, Palt. Rudolf: Luthers Kirche inmitten der Kirchen und
Völker im Jubiläumsjahr 1917. (Beihefte der Paftoralblätter.
3. Stück.) (38 S.) 8". Dresden-A., C. L. Ungelenk 1917. M. — 80
Molwitz will zeigen, welchen Einfluß der Weltkrieg auf die
verfchiedenen chriftlichen Kirchen gehabt hat. ,Für diegriechifch-
katholifcheKirche hat er eine völligeBankerotterklärunggebracht;
der römifchen Kirche lind in Wirklichkeit ungeahnte Schwierigkeiten
erwachten; nicht nur droht ein Auseinanderfallen in einzelne
Landeskirchen, fie kann auch nur von dem Sieg des luther-
ifchen Deutfchlands gewinnen. Im tiefften Grunde ift der Weltkrieg
aber eine Auseinanderfetzung zwifchen lutherifchem und
kalvinifchem Chriftentum. Hat fich erfteres in feiner Kraft vollkommen
bewährt, fo ift die Hohlheit des letzteren immer deutlicher
zu Tage getreten.' Erfichtlich eine Zufammenfaffung des
mancherlei über diefe Fragen fchon Gefchriebenen. Ob jetzt
fchon ein abfchließendes Urteil möglich ift?
Alfeld bei Hersbruck. Schornbaum.

Deffoir, Max: Vom Jenfeits der Seele. Die Geheimwifien-
fchaften in krit. Betrachtung. (VIII, 344 S.) gr. 8°.
Stuttgart, F. Enke 1917. M. 11 —

Diefes inhaltreiche und befonders auch für den Theologen
wertvolle Buch ift ein Beitrag zur Gefchichte des
Aberglaubens, foweit er fich in dem Namen ,Geheim-
wiffenfehaft' zufammenfaßt. Es wendet fich fowohl mit
dem Rüftzeug der neuen Pfychologie und hiftorifchen
Philofophie, als auch mit perfönlichen Erfahrungen und
Einzelunterfuchungen gegen diefe fogenannten Tatfachen,
lehrhaften Erklärungen und vor allem die ,im Hintergrund
wirkfame Weltanfchauung' des Okkultismus. Unter Ge-
heimwiffenfehaft verfteht der Verf. eine Mifchung aus
falfchen Deutungen, gewifier feelifcher Vorgänge und
falfch o-ewerteten Überbleibfeln einer verfchwundenen
Weltanfchauung. Über das bloße Seelifche hinaus — fo
verkündet die Theofophie — gibt es ein Reich geiftiger
Wefenheiten, mit dem der Menfch in Verbindung treten
kann, wenn ,das unterfchwellige Leben der Seele befreit
und erftarkt ift'. Die Dogmen diefer weitfehichtigen und
modulationsfähigen Lehre find aber fo umfaffend und
biegfam, daß fie keinen Gegenbeweis von Empirie und
Experiment zu fürchten haben. Man glaubt etwas, weil
man es wünfeht. Man will frei fein fowohl moralifch,
als auch phyfikalifch. Zur Erfüllung diefes Wunfehes
werden Kräfte herangezogen, die außerhalb der natürlichen
Kaufalität wirken und mit deren Hilfe fich der
Menfch über Raum und Zeit erhebt. Kaufalität ift ja
Zwang, Geheimwiffenfchaft ift Befreiung von dem Zwang.
Diefes ganze Vorftellungsleben mit feiner verwirrenden
Fülle von ungezügelten Empfindungen und Vorftellungs-
formen fließt aus alten auf dem Wege meift recht unrein
und trüb gewordenen Quellen. Es find aber Refte und
Ruinen alter Wiffenfchaft, und das macht diefe Verirrungen
gefchichtlich bedeutlam.

Ich kann hier anfchließend nur das lagen, was ich befonders in
meiner Gefchichte der Naturwiffenfchaften im Mittelalter (Stuttgart,
Ferdinand Enke 1910) und in meinem Buche: Die Vergangenheit der
Naturforfchung (Jena, Eugen Diederichs 1913) auszuführen verfuchte:
in abergläubilche Vorftellungen ift Ott genug wiffenfchafüiches Denken
eingebettet gewefen, und das wiffenfchaftliche Problem trug die wunderlichen
Gewänder des Irrtums und des Volksglaubens. Nur der Kundige
fieht durch die Hülle und den antiken Faltenwurf hindurch das Neue
fich regen, das hier noch verdeckt, aber bereits am Werke ift. Ich
denke hier an ein Gebiet, das mich in diefem Zutammenhange be-
fchäftigt: die Alchemie, ihr antiker Uifprung, ihr Zufammenhang mit
dem Werden der chemifchen Induftric, die einfligen chemifchen Analogien
zwifchen den Planeten und Metallen, die Kunftgriffe der Gold-
farber und Handwerker, die älteften technifchen Handbücher der Färber
u. a. Das Problem der Alchemie (vgl. meinen Artikel im Lexikon
Religion in Gefch. u. Gegenw.) gehört im gleichen Maße in die Gefchichte
der Naturwiffenfchaften, wie in die der allgemeinen Irrtümer,
denn die Entwicklung des Aberglaubens ift organifch mit dem Reifen
wiffenfehaftlicher Denkarbeit verknüpft. Ohne Piaton und Ariftoteles kein
alchemiftifcb.es Problem 1 Aller Aberglaube ift alte Wiffenfchaft; alle
Wiffenfchaft manchmal neuer Aberglaube und unwiderlegbarer Irrtum.
Das unzulänglich Wahre hat oft gerade das längfte Leben, und es zeugt freilich
mehr Falfches als Aufklärung Schon Goethe hat davon gefagt: ,das
genügt der Welt und fo find Jahrhunderte betört' (Spr. 971). Viele diefer
abergläubifchen Irrtümerentfpringen notwendig aus der Organifation unferes
Wcfens, es find doch immer nur unfere Augen, unfere Vorftellungsarten,
und die Natur weiß ganz allein, was fie will, was fie gewollt hat .. . Und
dann: wie oft fing Aberglaube als verkrüppelte und illegitime Religion
an. Deffoirs Buch zeigt lehr anregend diefe Entwicklungsreihen und
Durchgangspunkte, die man kennen muß, um auch den Aberglauben
der Volksfrömmigkeit zu verliehen Freilich ließ fich hier Manches
Für und Wider fagen. Aberglaube ift die fchlechte Beobachtung und
falfche Auslegung. Was man nicht verftand, fah man in übernatürlichem
Licht. Der Aberglaube hat einft alle Spannungszuftände des wiffen-
fchaftlichen Sinnens und Vermutens mitgemacht, den Enthufiasmus der
Wißbegierde und der Bewunderung, das feltfame Bewegen der dichterifch
geftimmten Seele, die Äußerungen eines Marken Naturgefühls und alle
die unficheren und phantaftifchen Stimmungen, die Verftand und Einbildungskräfte
aus der nüchternen Enge der Alltäglichkeit und trockenen
Lehrhaftigkeit herausführen follten. Befteht diefer Zufammenhang und
Bezug nicht auch bei den Geheimwiffenfchaften? Gefchichtlich betrachtet
gehören beftimmte abergläubilche Elemente der Zeit an, fo wie
gewille Tugenden und Mängel. Walter Pater hat einmal gelägt, daß
jede Zeit ihren eigenen Punkt der Blindheit und alfo ihre befondere
Sünde hat — den Prülftein eines unfehlbaren Gewiffens in den auserwählten
Wenigen. Aus dem volkstümlichen Denken geht das wiffenfchaftliche
Denken hervor — ich kann die Wichtigkeit diefes Satzes
nicht genug betonen — wobei das letztere in feinem Fortfehritt in
einer unausgefetzten Korrektur des vulgären Denkens befteht. Allem
Begreifen der Natur ging die Erfaffung durch die Phantafie voraus.
Sie tchuf den Begriffen anfehaulichen Inhalt. Auch Ernft Mach, der
Wiener Meiller der Naturforfchung und Philofophie, hat auf diefe
Grundlagen Gefchichte der Wi ffenfehaften aufgebaut. Sind nicht das
Naturgefühl und feine myftifche Stimmungswelt im weiteften Sinne des
Wortes die Vorftufe zur Naturphilofophie? Aus dem Gefühl kam die
erfte Naturbelrachtung, nicht aus dem rechnenden Verftand und vergleichenden
Verfuch.

Deffoir, dem die Gabe der klaren Darfteilung eigen ift, bietet das
erfte Mal eine Art Metbodenlehre der Geheimwiffenfchaften. Immer
wieder wird der Gegenfatz zwifchen Wiffenfchaft und Okkultismus fühlbar
gemacht, zwifchen ftrenger Anpaffung der Gedanken an die Tatfachen
und mangelhafter Durchdringung von Erfahrung und Theorie.
Wiffenfchaft ift ökonomifch geordnete Erfahrung, Geheimwiffenfchaft ift
illegitime Erfahrung im Dienfte des Überfinnlichen; Wiffenfchaft müht
fich um konftante Grundformen für die Wirkungsweife von Kräften fie
führt Naturvorgänge auf die einfachften begrifflichen Elemente zurück
j Geheimwiffenfchaft ift Herabfetzung des Wirklichkeitsgefühls.

Das ganze große Gebiet vom Jenfeits der Seele' wird
mit kennerhafter Sicherheit behandelt und oJeichzeitio-
alle angrenzenden Fragen unterfucht: Parapfychologie,
Spiritismus, Geheimwiffenfchaft und magifcher Idealismus!
Alles was Deffoir fagt, ift nicht nur intereftant gefagt,"
fondern klar und beftimmt in den Worten. Auf den