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Ausgabe:

1919 Nr. 1

Spalte:

130-131

Autor/Hrsg.:

Lenz, Max

Titel/Untertitel:

Luther und der deutsche Geist. Rede 1919

Rezensent:

Köhler, Walther

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129 Theologifche Literaturzeitung 1919 Nr. 11/12. 130

fich das Verfagen gegenüber der Literatur. Man könne j ein Deutfcher.' Danelbe Thema wie Brandenburg hat
hier nur von einer äußerlichen Wirkung fprechen; ,der j (ich Max Lenz4) geftellt und führt es in packender
Geift aller diefer Lieder, Dialoge und Stücke war noch ; Sprache durch. Dabei fallen, anders als der erfte Anfatz
Geift aus alter Zeit, war im Grunde noch mittelalterlich, j vermuten läßt, die Akzente mehr auf die Verbindungs-

nur der Stoff hatte fich gewandelt unter dem Einfluß der
neuen reformatorifchen Ideen'; in der Literatur aber gebe
den Ausfchlag ,nicht der Stoff, fondern die Art der Darfteilung
, die innere und äußere Form.' Um derartige
Sätze zu tragen, hätte M. fich wohl um den Beweis bemühen
können; jetzt fchweben fie in der Luft und bleiben
höchft anfechtbar, m. E. find fie falfch. Es ftimmt
auch nicht mit ihnen, daß nun zum Schluß Luthers Lobpreis
in feiner Kirchenliederdichtung und vorab in der
Bibelüberfetzung in den höchften Tönen gelungen wird

linien zwifchen Vergangenheit und Gegenwart; L. redet
gleichfam ,hiftorifcher' als B. und vermeidet damit die
Gefahr der Konftruktion a posteriori. Mit Recht wird
als das Entfcheidende an Luthers Tat, aus dem alle Fernwirkung
in Negation wie Pofition herausquillt, der neue
Kirchenbegriff erfaßt. Lutherworte und Worte Rankes
nebeneinander erzielen einen guten Klang.

Nicht fehr glücklich fcheint mir der Vortrag von
F. Philippi5) zu fein; man merkt, daß der um die mittelalterliche
Verfaffungsgefchichte hoch verdiente Vf. fich

(S. 26T. find die Ausführungen über den Erfurter Huma- auf einem ihm ferner liegenden Gebiete bewegt. Das
niftenkreis nach Scheel zu ftreichen). Wenn diefe .gerade- j verrät fchon der im Vorwort felbft vermerkte wefentliche
zu epochemachend auch für die literarifche Kultur des j Anfchluß an H. Böhmer und Th. Kolde, noch mehr
deutfchen Volkes' (S. 32) war, wenn ,der Geift des Pro-
teftantismus von der neueren deutfchen Literatur nicht
zu trennen' (S. 45) ift, dann find die Eingangsthefen M.'s
durch ihn felbft aufs befte widerlegt.

Die Schrift von Fr. Arnold2 ift eine Sammlung von
Feuilletonartikeln des Prenzlauer .Uckermärkifchen Kurier'
und als folche anerkennenswert; das Wichtigfte aus
Luthers Leben und dem Gange der Reformation ift
vorgeführt. Formell lieft fich m. E. am beften der
Abfchnitt ,die römifche Kirche vor der Reformation',
weniger gut gelungen ift die Gefchichte des Papfttums
bis zur Reformation. Laut Vorwort folgt Vf. ,den beften
Werken über Luther', aber darunter fehlen die Arbeiten
z. B. von Kalkoff und Scheel, daher dann einige Unrichtigkeiten
begegnen, deren Namhaftmachung aber hier fich

erübrigt.

Die Rede von Erich Brandenburg3) beginnt mit dem
prächtigen Auftakt: .gerade deshalb, weil um die Erhaltung
deutfcher Art heute der Entfcheidungskampf gekämpft
wird, dürfen und follen wir der großen geiftigen Bewegung
gedenken die vor vierhundert Jahren die Welt erschütterte
. Denn fie war deutfch im Kern ihres Wefens,'
und führt dann das Deutfche in Luthers Leben, Wirken
und den Wirkungen der Reformation in kraftvoller Sprache,
vor. Den Grundgedanken wird man freudig zuftimmen
aber nicht verkennen dürfen, daß das Ganze eine Konftruktion
a posteriori ift, bei der manche Behauptung zwar
nicht widerlegt, aber ebenfowenig bewiefen werden kann.
Z. B. ,diefe Bewegung konnte nur auf deutfchem Boden
entftehen' (S. 94). Meinerfeits bin ich als Deutfcher dankbar
, daß fie dort entftand, und verehre ihr deutfches
Gepräge, aber daß fie nur dort entftehen konnte, wer
will das fagen? Rom. 11,34 gilt auch hier. Oder: ,auch
diefe Löfung (des Rechtfertigungsproblems) war deutfch'
(S. 14); Luther jedenfalls hat fich in feinem Ringen nicht
als Deutfcher gefühlt, fondern nur als armer Sünder.
Sehr hübfch ift andrerfeits der Hinweis B's darauf, daß
wir in Luther ,den erften Deutfchen, der in vollem Lichte
der Gefchichte vor uns fleht', vor uns haben, oder daß
Einheit von Denken und Handeln ein Grundmotiv für
Luthers Leben war und blieb. Das Deutfche feines Auftretens
in Worms wird gefchickt daran veranfchaulicht,
daß die Weifchen, Aleander und Karl V, im Gegenfatz
zu den Deutfchen, Friedrich dem Weifen und Philipp von
Heften, nur auf Äußerlichkeiten, nicht auf die geiftige
Bedeutung Luthers achten. Von ungebührlicher Verherrlichung
Luthers ift B. dabei weit entfernt — ,im Großen
wie im Kleinen, im Guten wie im Schlimmen war M. Luther

2) Arnold, Friedrich: Die deutfche Ref ormation in ihren
Beziehungen zu den Kulturverhältniffen des Mittelalters.
(IV, 116 S.) 8°. Prenzlau, C. Vincent 1917. M. I.80.

3) Brandenburg, Erich: Martin Luther als Vorkämpfer
deutfchen Geiftes. Eine Rede zur 4oojähr. Jubelfeier der Reformation
. (40 S.) 8°. Leipzig, Quelle Sc Meyer 1917. M. I —

denn jenes wäre an fich kein Schade — der Mangel
einer energifchen Linienführung. Es wird unfere Spannung
nach der Ankündigung, daß es fich bei Luther
.nicht um einen vollftändigen Bruch mit der Vergangenheit
und der Überlieferung der alten Kirche handelt, fondern
nur um eine ftarke Betonnung und felbftändige Weiterbildung
von in der Chriftenheit feit lange wirkfamen
Strömungen und Bewegungen, fodaß eine Verftändigung
der Bekenntniffe auf Grundlage der allen gemeinfamen
Anfchauungen und gemeinfamen Beftrebungen fehr wohl
angängig erfcheint,' nicht befriedigt. Denn die Mitteilung,
daß Luther fich bei feinem Gegenfatze gegen die alte
Kirche ,mehr gegen das Wie als gegen das Was' wandte,
genügt um fo weniger, als eine Änderung des Wie doch
eine folche des Was bedingte. Und die Myftik als Brücke
zwifchen Luther und dem Mittelalter, die Ph. ftark wertet,
will in Wirklichkeit nicht recht tragen, da fie für Luther
nicht fo bedeutungsvoll war, wie Ph. meint. Umgekehrt
kann der Prädeftinationsgott nicht als romanifche Auf-
faffung auf Calvin abgeladen werden.

Viel treffender beftimmt der außerordentlich lebendig
geftaltete, formell fein gefügte Vortrag von E. Mareks0)
das künftige Verhältnis der beiden Konfeffionen. Nicht
gemeinfame religiöfe Bafis, vielmehr muß die Lofung heißen:
.gegen- und neben- und miteinander zugleich'! .Proteftan-
tismus und Katholizismus: das ift das dauernde Nebeneinander
und Gegeneinander zweier Geiftesrichtungen;
aber fie leben innerhalb eines Ganzen, das fie heute ge-
bieterifch und großartig zufammenfchließt: Volk und
Vaterland.' Und fehr treffend hebt M. heraus, fo die ge-
fchichtliche Folie für feine Thefe gewinnend, daß der
durch die Reformation gefchaffene Riß durch Nord und
Süd ging, die Proteftanten durch ganz Deutfchland, die
Katholiken durch ganz Deutfchland zufammenfchloß'und
fo doch eine einigende Gewalt war. ,Es war in aller, alten
und neuen, Trennung ein neuer Zusammenhalt. Und es
war eine Kraft der Lebendigkeit. Die Gegenfatze rieben
fich — fchmerzhaft, aber Reibung erzeugt Wärme.' Das
ift in der Tat die einzige Mögligkeit eines erfprießlichen
Nebeneinanders von Katholizismus und Proteftantismus:
Verzicht auf eine gemeinfame religiöfe Bafis, Intereffen-
reibung und Intereffengemeinfchaft auf national-kulturellem
Boden; daß der Katholizismus immer ein Stück
darüber hinausragt, berührt M. nicht befonders, es kann
aber auch feine Kreife nicht allzu ftark ftören; wir haben
im gegenwärtigen Kriege die katholifche Nationalkraft

4) Lenz, Max: Luther und der deutfche Geift Rede zur
Reformationsfeier 1917 in Hamburg. (31 S.) 8». Hamburg, Brolchek
& Co. 1917. M. — 75.

5) Philippi, Geh. Archivr. Dr. F.; Luther und die alte
Kirche. Ein Vortrag. (23 S.) 8». Münfter i. W., F. Coppenrath
1917. M. — 60.

«) Mareks, Erich: Luther und Deutfchland. Eine Reformationsrede
im Kriegsjahr 1917. (III, 45 S.) 8". Leipzig, Quelle &
Meyer 1917. M. 1 —

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