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Ausgabe:

1919

Spalte:

86-88

Autor/Hrsg.:

Ecke, Gustav

Titel/Untertitel:

Zum 70. Geburtstag D. Theodor Härings 1919

Rezensent:

Lobstein, Paul

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diefer Hauptteile aus zu begründen oder von hier aus
feine Problematik aufzurollen. Der Gedanke, die Antinomienlehre
als Begründung des transzendentalen Idealismus
zu deuten und die kantifchen Antinomien einer eingehenden
Kritik zu unterwerfen, um ihre Beweisführung
dahin zu prüfen, ob fie zur Begründung des transzendentalen
Idealismus hinreichend fei, ift an fich originell und
beachtenswert. Freilich, ob diefer Verfuch geglückt fei,
ift eine zweite Frage, deren Beantwortung in diefem Falle
eine eingehende Auseinanderfetzung mit den Grundgedanken
der Friesfchen Schule, der derVerfaffer angehört,
bedeuten würde.

Dabei kann die ,anthropologifche Wendung' faft ganz außer Betracht
bleiben, entfcheidend ift vielmehr die eigentümliche Deutung des
transzendentalen Idealismus: ,Die Welt oder der Inbegriff (!) aller an
(ich, das heißt unabhängig von unterer Erkenntnis exiftierenden Dinge
fteht nicht unter den Bedingungen der reinen Anfchauungsformen.
Raum und Zeit haben keine transzendentale (!) Realität. Mit andern
Worten: die räum-zeitlichen Befchaffenheiten gehören nicht zu den
wirklichen Beftimmungen eines Dinges an (ich'.

Antinomie deutet der Vertaner als Widerftreit der Beftimmthcit
im idealen und naturwiffenfchaftlichen Sinne. Er will zeigen, daß die
an fich z.T. unzureichenden Thefis- und Antithefisbeweile unnötig find,
,der Natur die transzendentale Realität abzufprechen'.

Er befpricht zunächft die Antinomie der raumzeitlichen Unendlichkeit
und behauptet, daß die Annahme eines zeitlichen Anfangs der
Welt die Schwierigkeiten, die zur Thefis führen, nicht befeitige.

Ebenfo hält er den Beweis der räumlichen Begrenztheit der Welt
für unzulänglich, insbefondere weil Zahl und Zeit in Wirklichkeit von
einander unabhängig feien. Dann wendet fich K. der Antinomie der
unendlichen Teilbarkeit zu, die er als vollftändig begründet anficht:
die Thefis gilt, wenn die Natur ein Ding an fich ift, die Behauptung
der Antithelis folgt unmittelbar aus der Stetigkeit des Raumes. Ebenfo
ift die 3. und die allein ausführlich befprochene 4. Antinomie völlig
begründet. Im 2. Abfchnitt unterwirft K. die fpäteren Beweife des
transzendentalen Idealismus einer eingehenden Kritik.

1. Der Beweis aus der Unvollendbarkeit der reinen Anfchauungsformen
ift unvollftändig wegen des (neuen) Begriffs der aktuellen Unendlichkeit
. Dagegen wird der Grundfatz der Vollendung (Unmöglichkeit
des unendlichen Regreffus) durch die Lehre vom Aktual-Unendlichen
nicht erfchiittert.

2. Aus der Relativität der reinen Anfchauungsformen kann der
erforderliche Beweis lückenlos erbracht werden.

Sodann werden zwei Beweife der Idealität der Zeit befprochen. Die
Beweife ftützen fich darauf, daß die fukzeffiv-liickenlofc Beftimmung der
Elemente einer nicht wohlgeordneten Menge unmöglich ift. Der erfte
Beweis verfucht zu zeigen, daß die kinematifche Bedingtheit einer Lage
durch die anderen im Widerftreit ift mit der Forderung der vollftändigen
Beftimmtheit. Der zweite Beweis weift darauf hin, daß die Annahme
der transzendentalen Realität der Zeit einen unendlichen Regreffus
einfchließt.

Zum Schluß berührt der Verfaffer die wichtigften Konfe(|uenzen
des transzendentalen Idealismus. Die Natur ift ihrer Form nach reftlos
begreiflich, der Inhalt diefer Form bleibt zufällig. In einem Anhang
weift fodann der Verfaficr andere Verfuche, die Antinomien vom Standpunkt
des transzendentalen Realismus aufzulöfen (Zeno; Du Bois-
Reymond; Evellin; Renouvier; Bergfon), mitEntfchiedcnheit zurück.

Charakteriftifch für die fcharffinnigen Unterfuchungen
ift einmal die ,Wendung auf die Wirklichkeit' hin, d. h.
die Überzeugung, daß in der Zufälligkeit des empirifch
Gegebenen die Behauptung der Exiftenz liege und die
.unzweifelhafte Andeutung auf die Exiftenz der unabhängig
von unferer Erkenntnis beftehenden Dinge', und
fodann der Verfuch, die Fortfehritte der Mathematik für
den Kritizismus fruchtbar zu machen. Obfchon derVerfaffer
fich deutlich bewußt ift, daß die Antinomien nur
als indirekter Beweis gelten können, und obwohl er ener-
fgifch den transzentendalen Idealismus auch für die ma-
thematifchen Gebilde verficht, fo verfchiebt er m. E. doch
die Bafis der Beweisführung völlig, wenn er feine Gedankengänge
ausfchließlich auf dem Widerftreit der naturwiffenfchaftlichen
und der rein metaphyfifchen Erkenntnis
aufbaut, zumal er den transzentendalen Idealismus als
das tieffte Fundament der mathematifch-phyfikalifchen
Naturerkenntnis betrachtet. M. a. W. die Antinomienlehre,
die bei Kant den Dogmatismus der alten Metaphyfik
zerftören aber auch begreiflich machen foll und dadurch
freilich zu einem notwendigen Beftandteil der Erkenntniskritik
wird, erfcheint bei K. nur mehr als ein immanentes

Glied der kritiziftifchen Beweisführung von pofitiver
Argumentationskraft. Auf diefem Wege kann ich dem
Verfaffer nicht folgen. Dagegen halte ich feinen Verfuch,
die Ergebniffe der neueren Forfchung in der Mathematik
für den transzendentalen Idealismus fruchtbar zu machen,
für fehr glücklich und dankenswert. Wie weit freilich
! im einzelnen diefer Verfuch Ausficht auf Erfolg hat, kann,
I wie gefagt, hier nicht weiter erörtert werden.

Bremen. Bruno Jordan.

Kraus, Dr. Emil: Der Syttemgedanke bei Kant und Fichte. (Kant-
ftudien No. 37.) (64 S.) gr. 8°. Berlin, Reuther & Reichard
1916. M. 2.50

Da man in letzter Zeit vielfach die nachkantifche Spekulation
über den Kritizismus Mellen zu müffen meint, als ob diefer in
fyftematifcher Hinftcht unvollkommen fei, darf eine vergleichende
Strukturanalyfe Kants und Fichtes ganz beronderes Intereffe bean-
fpruchen. K. zeigt, daß der Königsberger Philofoph mit der transzendentalen
Methode eine fyftematifche Kraft eingeführt hat, die
alle grundlegenden Lehren ümfpannt und beherrfcht. Beachtung
verdient vor allem die Auswertung der transzendentalen Ideenlehre
und ihrer unendlichen Aufgaben. Eben diele Lehre möchte
K. — über Kant hinausgehend, der nur an die theoretifche Philo-
fophie dabei dachte — für alle philofophifchen Disziplinen fruchtbar
machen. Bei Fichte vermag er nur einen unkritifchen pfycho-
logiftifchen Ausgangspunkt und eine metaphyhTch-dogmatirche
Überfpannung des Syftemgedankens zu konftatieren. Diefes un-
günftige Urteil über die Leiftungsfähigkeit des Fichtefchen Syftems
' hat übrigens inzwifchen durch das große Buch von Dietr. Heinr.
Kerler (die Fichte-Schelling'fche Wiffenfchaftslehre. Erläuterung
und Kritik. Ulm 1917) eine fehr detaillierte Beftätigung erfahren.
Königsberg i. Pr. A. Kowalewski.

Studien zur fyftematifchen Theologie. Theodor v. Maring
zum 70. Geburtstag (22. April 1918) von Fachgenoffen
dargebracht. Hrsg. v. Prof. D. Friedrich Traub. (VII,
273 S.) gr. 8°. Tübingen, J. C. B. Mohr 1918. M. 8 —

Ecke, Geh. Konf.-Rat Prof. D. Guftav: Zum 70. Geburtstag
D. Theodor Härings. (S.-A. aus ,Reichsboten' u. ,Kirche
u. Schule*.) (15 S.) 8°. Bonn, A. Falkenroth 1918.

M. -45

Sechzehn lhmfefforen und Dozenten als Vertreter der
fyftematifchen Theologie an zwölf deutfehen Fakultäten

! haben fich in diefer, einen mannigfaltigen und reichen

I Inhalt darbietenden Schrift zu gemeinfamer Arbeit vereinigt
, um dem fiebzigjährigen Kollegen ,zu bezeugen,
daß feine Arbeit nicht vergeblich gewefen ift, und den
Wunfeh zum Ausdruck zu bringen, es möge ihm nach
den Stürmen des Weltkriegs noch eine Periode gefeg-
neter Friedensarbeit befchieden fein'. Die knappe Zeilenzahl
, die dem Ref. zur Anzeige zugewiefen ift, nötigt ihn,
fich auf eine fummarifche Inhaltsangabe der fechzehn
nach alphabetifcher Folge der Verfaffernamen geordneten
Auffätze zu befchränken.

Heim beleuchtet (l —16) Herkunft und Gefchichte
des Satzes von der doppelten Wahrheit, den Luther in

| den Thefen vom 11. Januar 1539 vertrat und der, nach
mancherlei Abwandlungen im Laufe der Jahrhunderte,
bei ihm zu einer Ausdrucksform für den Gegenfatz von

I Gefetz und Evangelium wurde. — Die gedrängten Seiten
(17—19), auf denen Herrmann feftftellt, daß Härings
apologetifche Leiftung ,noch vielen Gefchlechtern evan-
gelifcher Theologen helfen wird', werfen auch wertvolle
Streiflichter auf die Beftrebungen zahlreicher Theologen

! der Gegenwart. — In einem Auffatz ,Zur Frage nach der

I Auferftehung Jefu, Grundfätzliches und Methodologifches'
(20—35) bemüht fich Ihmels um den Nachweis, daß das
Problem des Wie der Auferftehung Jefu Chrifti keineswegs

j irrelevant ift, daß vielmehr gerade bei der Frage der
leiblichen Auferftehung das Intereffe der gefchichtlichen
Offenbarung auf dem Spiele fteht, indem es fich um die
Alternative handelt, ob die Offenbarung den Glauben
hervorruft, oder der Glaube über die göttliche Offenbarung
zu entfeheiden vermag. — Kaftan's Abhandlung über
Glaubensgewißheit und Denknotwendigkeit (35—49) ver-