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Ausgabe:

1919

Spalte:

79-80

Autor/Hrsg.:

Ehrle, Franz

Titel/Untertitel:

Grundsätzliches zur Charakteristik der neueren und neuesten Scholastik 1919

Rezensent:

Hoensbroech, Paul

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Seite 1

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79 Theologische Literaturzeitung 1919 Nr. 7/8. 8c

fich wertvolles hiftorifches Material bieten, wie fie auch
in ihrer Gefamtheit einen Überblick über die hiftorio-
graphifchen Leiftungen, den literarifchen Gefchmack und
weiterhin über den politifchen, vorzüglich kirchenpolitifchen
Standpunkt des behandelten Gebiets und feiner maßgebenden
Perfönlichkeiten gewähren. So beginnt L. mit
dem Abdruck der Totenbücher, dem er die Reihen der
Bifchöfe folgen läßt: beides Gefchichtsquellen fekundärer
Art, die zunächft praktischen Zwecken dienend nur dem
gefchulten Forfcher brauchbares Gefchichtsmaterial bieten.
Aus diefen primitiven Quellen find dann die Chroniken
entstanden, zunächft die des incerti autoris, in dem L.
mit gutem Fug und Recht den Hermann v. Lerbeck
fieht. Mit den Chroniken Hermanns und feines Nachfolgers
, des höchft gebildeten und intereffanten Heinrich
Tribbe, der ein ganz Schauderhaftes Latein Schreibt, ift
die Mindener Bifchofschronik auf der Höhe angelangt;
der Sorgfältige Abdruck diefer Quellen ift durchaus zu
begrüßen, fie find bei aller Einschränkung doch recht
hoch zu werten Sowohl als hiftoriographifche Leiftungen
wie auch hinfichtlich der Fülle des vorfichtig gefammelten
und gefichteten Materials — das ift auch von L. gegen
Ottokar Lorenz betont. Eine baldige Fortsetzung der
Veröffentlichung wäre Sehr zu begrüßen.

Hannover. Otto Lerche.

Ehrle, Franz, S. J.: GrundSatzlich.es zur Charakteriitik der
neueren und neueiten Scholastik. (Ergänzungshefte zu
den Stimmen der Zeit. I.Reihe: Kulturfragen. 6. Heft.)
(32 S.) gr.8° Freiburg i. B., Herder 1918. M. 1 —
Den Standpunkt des Verfaffers kennzeichnen die
Sätze: ,Die Scholastik ift als Wiffenfchaft für jeden gläubigen
Denker die Philofophie und die Theologie [vom
Verfaffer gefperrt]. Fragen wir nach dem VVefen der
Scholaftik, So können wir als ihr eigentliches Merkmal
und ihren innigften Bestandteil ihr korrektes Verhältnis
zu den beiden uns erfchloSSenen Erkenntnisquellen bezeichnen
: zu der christlichen Offenbarung und zu der
ariftoteliSchen Philofophie als der höchsten Leistung und
vollsten Zufammenfaffung des durch die Naturkraft der
rein menfchlichen Vernunft Erreichten. Diefe beiden
Momente enthalten den vollen und einzig möglichen Erweis
ihres [der Scholaftik] Wahrheitsgehaltes und ihrer
Alleinberechtigung' (S. 1.2). Von Aristoteles wird
gefagt: ,Es [Seine Leistung] war das Höchfte, was die

reine natürliche Denkkraft erreichte..... Nachdem diefe

Höhe erklommen, diefe Arbeit geleistet, war es vernunftwidrig
, ja wahnwitzig, höher zu Streben, ohne diefe Höhe

zum Ausgangspunkt zu nehmen.....Jede gefunde und

vernunftgemäße Philofophie wird und muß daher in ge-
wiffem Sinne ariftotelifch und christlich, alfo fcholaftifch
fein' (S.3.4). Von Thomas von Aquino endlich heißt
es: er fei ,einer jener Geiftesriefen, wie Jahrhunderte fie
nicht wiederfehen' (S. 5). Die Sätze find um fo beachtenswerter
, als der Jefuit Ehrle innerhalb feines Ordens höchstes
wiffenfchaftliches Anfehen genießt.

Im allgemeinen bietet die Schrift zwar eine brauchbare Überficht
über Scholaftik, allein in nicht wenigen Punkten enttäufcht fie fehr.
Vor allem im Hauptpunkt. Sie will, ihrer Auffchrift nach, die ,neuere'
und .neuefte' Scholaftik charakterifieren. Von diefer Charakteriftik
findet fich in ihr aber blutwenig; fie geht völlig auf in Charakteriftik.
d. h. I.obpreifung der alten Scholaftik. Allerdings ift das nicht er-
ftaunlich, da ,neuere' und ,neue(te' Scholaftik im Grunde alte, arifto-
telifch-thomiftifche Scholaftik find und fich nur in Form und Methode
etwas von Hochfcholaftik unterfcheiden. Aber der Verfaffer hätte die
Wefensgleichheit nicht nur gleichfam verfteckt erwähnen (S. 15), er
hätte fie klar hervorheben muffen, freilich hätte dann feine Schrift nicht
die Auffchrift tragen können, die fie jetzt trägt. Nach einer Kennzeichnung
der .neueften' Scholaftik fucht man überhaupt vergebens. Ja
der Verfaffer fchließt fich für fie höchft eigenhändig die Türe, indem
er von der .neueren' Scholaftik des 16. und 17. Jahrhunderts lagt, fie
habe ,in den Schulen des Dominikaner- und Jefuitenordens eine feit-
dem nicht wiedergewonnene Höhe erreicht' (S. 17). Sehr richtig
vom Standpunkte der Wirklichkeit, fehr falfch vom Standpunkte des

I Verfaffers, welcher .neuere' und ,neuefte' Scholaftik, der Auffchrift feiner

j Arbeit entfprechend, als etwas Unterfchiedliches kennzeichnen will.
Denn, wenn die .neuere' Scholaftik im 16. und 17. Jahrhundert auf
einer .Höhe' ftand, die fie bis heute (,1'eitdem') nicht wiedergewonnen
hat, fo lebt fie fraglos auch heute noch, wenn auch nicht auf früherer
.Höhe'. Wo ift aber dann Platz für .neuelte' Scholaftik? Oder leben
.neuere' und .neuelte' Scholaftik neben einander? Nach gewöhnlichen,
nicht ,1'cholaftifchen' Begriffen ift das doch wohl ebenfo unmöglich wie
ein Nebeieinanderleben von Geftem und Heute, Überhaupt fehlt es
nicht an Übeln Denkfehlern. Ein bezeichnendes Beifpiel. Auf ein und
derfelben Seite (8) fetzt fich der Verfaffer in handgreiflichen Wider-
fpruch mit fich felbft. Im Text fagt er: die Summa (Verfaffer fchreibt
ftets gegen den Sprachgebrauch: Summe) des Thomas v. Aquino .zielt
in erlter Linie auf den Schulbetrieb ab': in der Anmerkung heißt
es: ,die noch jetzt in den Schulen übliche [fcholaftifche] Methodik...
das moderne Schema ift mehr auf den Schulbetrieb, das ältere auf die
Forfchungsarbeit eingeftellt'. Zum .älteren Schema', das mehr auf

| .Forfchungsarbeit' eingeftellt ift, gehört aber ohne Zweifel die
Summa des Thomas, ,die in erfter Linie auf Schul betrieb abzielt'.
Dankenswert ift die Erläuterung über das Gebundenfein der Scholaftik

j (der ,aiten'?, der .neueren'?, der meueiten'?) an die im Auftrage Leos XIII.

j von der römifchen ,Studienkommiffion' aufgeftellten 24 Thefcn aus der

i Summa des Thomas v. Aquino (S. 28). Dabei fällt eine Bemerkung,
die ein höchft bezeichnendes Licht wirft auf die Gewiffenhaltigkeit.

I mit der Rom feine theologifchen Zcnfuren austeilt. Es gibt wie be-

1 kannt eine Menge folcher Zeniürcn. Alle find für die Bücher d. h.

I für ihre Verfaffer fehr folgenfehwer. Nun belehrt uns Ehrle S. J.

■ feelenruhig (a. a, O.), ,die theologifchen Qualifikationen, ihre Stufenleiter
, ihre Terminologie, ihre Bedeutung [II] feien noch wenig
geklärt'! Alfo Rom wirft feit Jahrhunderten taufenden von Verläffem
Zenlüren an den Kopf, deren ,Bedeutung' nicht einmal .geklärt' ift!
Echt römifch-.wiffenfchaftlich', d. h. echt päpftlich! Rom fchleuder:

j rechts und links ,Zenfuren' um fich; was lie im einzelnen .bedeuten',
brauchen die Getroffenen nicht zu wilfen. Es genügt die eine ,Be-

1 deutung', die alle enthalten: Gehorchel Diefe .Bedeutung' ift klar, weshalb
alfo weitere .Klärung'? Daß es auch bei Ehrle S.J. ohne fpracb-

! liehe Entgleifungen und fchlechten Stil nicht abgeht, ift bei einem
deutfeh fehreibenden Jelüiten faft felbftverftändlich. Es wäre ein ver-

i dienftvolles Werk, das oft wirklich greuliche Deutfeh der ichriftiiellern-

i den .deutfehen' Jeluiten in ausführlicher Unterfuchung nachzuweilen.
Das fchlechte Latein, das im Jclüitenordcn gefprochen, in dem ge-

'■ lehrt und die langen Studienjahre hindurch und darüber hinaus auch
gedacht wird, wird, wenn es zum fchreiben kommt, fklavifch in's
.Deutfche' überfetzt.

Berlin. Graf Hoensbroech.

I Archiv für Reformationsgefchichte. Texte u. Unterfuchgn.
In Verbindg. in. dem Verein f. Reformationsgefchichte
hrsg. v.D. WalterFriedensburg. Nr. 57/60. XV Jahrg.
(252 S.) gr. 8°. Leipzig, M. Heinfius Nachf. 1918.

M. 12—; in der Reihe M. 10 —
Ein Tafelbüchlein aus der Reformationszeit, das über
den Erftdruck des lutherifchen Katechismus Licht geben
könnte, glaubt A. Nutzhorn in dem Pergamentfüllfel
fehen zu dürfen, das er im Einband einer Lüneburger
Kirchenordnung von 1564 fand. Es flammt aus einer
von Mönchshand gefchriebenen vorgutenbergifchen Vul-
gatabibel und gibt den Abklatfch des letzten Blattes vom
Kampf mit dem Drachen. Darauf ift ein Stück eines
Abecedariums und Teile des Lutherkatechismus mit

1 Silbentrennung gedruckt zum Zweck der Lcfeübung der
Jugend. Vgl. die lehrreiche Abbildung zu S. 96. Nutzhorn
nimmt an, daß die verfchollenen hochdeutfehen Tafeldrucke
ähnlich einfeitig bedruckte, in Einzelblätter zu-
fammenlegbare Hefte waren, die man zu Lern- und Lehrzwecken
in Kirche und Haus auseinanderbreiten und an
die Wand heften konnte. O. Albrecht aber zeigt, daß
es fich um einen Probedruckbogen eines in Oktav gedruckten
Schulbuches zur Gewinnung der richtigen Abgrenzung
des Pormats handelt. Die Annahme zufammen-
legbarer Hefte, die fich ausbreiten ließen, beftreitet er
mit Recht. Ref. gibt das Lebensbild des von Luther
warm an Schnepf empfohlenen Theobald Diedelhuber

; (Enders 10, 150 ff. 264.), der in einem Nachtrag noch
weitere Aufklärung finden wird. P. Kalkoff gibt aus
dem reichen Schatz feiner genauen Kenntnis der Anfänge
der Reformation zu Hillings Arbeit ,Die römifche Rota
und das Bistum Hildesheim am Ausgang des Mittelalters
1464—1513' (Ref.gefch. Studien und Texte, VI) wertvolle