Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1919

Spalte:

62-64

Autor/Hrsg.:

Wilcocks, R. W.

Titel/Untertitel:

Zur Erkenntnistheorie Hegels in der Phänomenologie des Geistes 1919

Rezensent:

Troeltsch, Ernst

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

6i

Theologifche Literaturzeitung 1919 Nr. 5/6.

62

des Jesuites. (IX, 238 S.) gr. 8°. Bonn, A. Falkenroth
1918. M. 12 —
Der Verfaffer hat fchon manche Arbeit über den
Jefuitenorden veröffentlicht; er gehört zu den Sonder-
forfchern auf diefem (wegen Zulaffung des Ordens in
Deutfchland) immer wichtiger werdenden Gebiete. Vorliegende
Schrift über das Noviziat der S. J. (ein zweiter
Teil foll folgen) befteht aus dem Abdruck einer in
der Parifer Bücherei Mazarine befindlichen Handfchrift:
Instructions pour le Noviciat des Jesuites und aus umfangreichen
Erläuterungen dazu, die durch Hinweife auf
verwandte Stoffe und durch Wiedergabe von Quellen-
ftellen vielfach wertvoll find. Die Instructions, zweifellos
für ein parifer Jefuitenhaus mit angegliedertem Noviziat
beftimmt, bilden einen neuen Beweis für die Tatfache,
daß der' Orden mit planmäßiger Umftändlichkeit und
Gründlichkeit darauf ausgeht, feine Mitglieder, vor allem
die jugendlichen Novizen, gleich von Anfang an im
Innern wie im Äußern recht eigentlich zu bearbeiten, zu
behobeln, abzufchleifen, ihnen jede individuelle Kante
und Ecke zu nehmen. Stoeckius beleuchtet diefe cha-
rakteriftifch-jefuitifche Schulung mit manchen treffenden
Bemerkungen unter Heranziehung bezeichnender Stellen
aus Briefen, Verordnungen ufw. von Ordensgeneralen und
anderen führenden jefuitifchen Perfönlichkeiten.

Dem Intereffe, das die Schrift weckt, follen die folgenden Aus-
ftellungen Ausdruck geben. Das Literaturverzeichnis' müßte alpha-
betifch geordnet fein. Von der Abfaffungszeit der Handfchrift fagt
Verfaffer (IV): ,fie muß nach 1628 gefchrieben fein'; genauer muß es
heißen: nach 1649; denn auf S. 187 (S. 127 der Handfchrift) wird der
6. Ordensgeneral Caraffa als .Beifpiel' angeführt. Caraffa flarb aber 1649;
zu Lebzeiten wäre er nicht als Beifpiel aufgeführt. Aufgefallen find
mir mehrere nicht unerhebliche Überfetzungsfehler der franzöfifchen
Urfchriß: Caprice (S.S. 2 und 140) bedeutet nicht .Freiheit', fondern
Laune, an und für fich und im Zufammenhang; se decouvrir (S.S. 18
und 155) bedeutet nicht: das Haupt bedecken, fondern es entblößen.
Vertus heroiques auf S. 163 iß teclmifcher Ausdruck für die in einem
Seligfprechungsprozeß nötigen .heroifchen Tugenden'; .tugendhafter Held'
(S. 29) gibt den feftftehenden Sinn nicht wieder. S. 172 iß nicht davon
die Rede, daß man den ,Napfl (ecueile) fich ,vor beide Ohren halten' (das
wäre allerdings .komifch' und unmöglich), fondern ihn an beiden Henkeln
anfaffen foll: la tenant par les deux oreilles. S. 174 fpricht der fran-
zöfifche Wortlaut nicht von einem ,Sich-gegenfeitig-Ärgern' (S. 40), fon-
dern davon, daß man fich nicht ärgern foll über das, was einem bei
Tifch vorgefetzt wird: sans se chicanner de ce qu'on nous presente.
Cuisinier ift nicht der ,Speifemeißer' (verfchiedentlich), fondern der (Bruder-)
Koch, Lire dans ses heures bedeutet nicht: im ,Gebetbuche' lefen (S. 15
u. 144), fondern in den .Tagzeiten' (wahrfcheinlich der Jungfrau Maria).
Ein .Gebetbuch' hat der jefuit nicht. Fautes de sensualite find nicht Ver-
ßöße wider die Sinnlichkeit (S. 42u. 175), fondern im Gegenteil: Sinnlichkeitsfehler
, d. h. Fehler der Sinnlichkeit entfprechcnd. Non plus se plaindie
de ce qu'on n'est pas asses ä son gre, heißt nicht: nicht darüber murren,
daß fie zu wenig Speife bekommen hätten (S. 42 u. 176), fondern daß ihrem
Gefchmack, Behagen nicht entfprochen fei. Ein fehr erheblicher Fehler
findet fich auf S.46, Anmerk. 103. Verfaffer fpricht dort, unter Berufung auf
die 60. Regel des Novizienmeiflers, von der .höchßens einjährigen Noviziats
zeit' der Laienbrüder, während an der angeführten Stelle klar und
deutlich die Rede iß vom einjährigen Aufenthalt des Laienbruders im
Noviziats häufe: domus probationis. Das tempus probationis iß auch
für die Laienbrüder, wie für alle anderen Novizen immer ein zweijähriges
. Litanies des Saints iß ßets zu überfetzen: Allerheiligen-Litanei,
nicht: .Litanei der Heiligen' (S. 77). ,Den Engel beten' (S. 77) iß völlig
unverßändlich; es muß heißen: Den Engel des Herrn: angelus Domini.
.Engel des Herrn' iß flehender Ausdruck für ein beßimmtes zur Morgens-,
Mittags- und Abendzeit zu fprechendes Gebet. Von einer .Anbetung' der
hl. Jungfrau' (S. 99) darf in einem wiffenfchaftlichen Werke nicht mehr die
Rede fein. Der Katholik und [auch der Jefuit kennt fie nicht. Maria
wird .verehrt' mit dem .Kult der Hyperdoulie', um technifch-dogmatifch zu
fpreechen, aber nie mit dem ,Kult der Anbetung'. Es iß gut, fich auch
in folchen Dingen genau auszudrücken, um katholifche Klagen über .Verleumdung
' ufw. m verhindern. Die Anmerkung über Goethe (S. 101)
macht den Eindruck aufdringlicher Belefenheit. Denn die felbßverßänd-
liche Tatfache, daß die Jefuiten den Wert der Zeit fchätzen, braucht
wirklich nicht durch einen Vergleich mit Goethe, unter genauer Angabe
, wo das bei Bielfchowsky zu finden iß, erhärtet zu werden. Im
allgemeinen läuß, wie mir fcheint, Verfaffer überhaupt Gefahr, durch
ein Zuviel an Anmerkungen und Beiwerk (fo intereffant manches auch
iß), den Eindruck der Hauptfache abzufchwächen. Vor lauter Hinweifen
auf 3äume' kommt man um den Genuß des .Waldes'.

Berlin-Lichterfelde. Graf Hoensbroech.

Sebaftian, Domkapit. K. Geiftl. Rat L.: Fürft Alexander
von Hohenlohe-Schillingsfürrt 1794 bis 1849 u. feine
Gebets-Heilungen. (XIX, 176 S.) 8°. Kempten, J. Köfel
1918. M. 3.60

Hohenlohe war Geiftlicher Rat beim Generalvikariat
Bamberg und fpäter Domherr zu Großwardein in Ungarn,
ein Oheim des Reichskanzlers Fürften Chlodwig von
Hohenlohe. Er hat fich durch eine Reihe geiftlicher
Schriften, vor allem aber durch zahlreiche Wunderheilungen
, z. T. auch Fernheilungen, bekannt gemacht.
Verf. fucht nun in feiner fehr forgfältigen Schrift, mehr
bietend, als der Titel erwarten läßt, ein vollftändiges
Lebens- und Charakterbild des Mannes zu geben, auf
Grund aller ihm nur irgend zugänglichen gedruckten und
ungedruckten Quellen, die er in überfichtlichen Tabellen
S. IX—XIX zufammenftellt. Er fteht ihm mit kühler
Kritik gegenüber, fucht feinen guten Eigenfchaften Gerechtigkeit
widerfahren zu laffen, hebt aber auch das
Unruhige, Ehrgeizige, Unzuverläffige, ja bisweilen Hyfte-
rifche in feinem Wefen fcharf hervor. An den Berichten
über die Wunderheilungen macht er mit Recht manche
kritifche Abzüge. Manch einer hat z. B. wohl aus Furcht,
als ein Ungläubiger zu gelten, das Mißlingen einer an
ihm verruchten Gebetsheilung zu vertufchen geflieht.
Hohenlohe freilich fah in feinen Heilungen eben folche
göttliche Wunder wie in der Transfubftantiation beim
Abendmahl und in der priefterlichen Abfolution. Ein
klares Bild über das, was er nun wirklich an den Kranken
geleiftet hat, vermag aber auch S. leider nicht mehr zu
geben. Auf die m. E. nicht unwichtige Frage, ob nicht
vielleicht aus H.s Körper direkt heilende Kräfte ausge-
ftrömt feien, wie das fo manche Heiler für fich in An-
fpruch genommen haben, ift Verf. nicht eingegangen.
Wien. R. A. Hoffmann.

Wilcocks, R. W.: Zur Erkennistheorie Hegels in der Phänomenologie
des Geiftes. (Abhandlungen zur Philofo-
phie u. ihrer Gefchichte. 51. Heft.) (VIII, 84 S.) gr. 8°.
Halle, M. Niemeyer 1917. M. 3 —

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Die Vernunft in der Ge-
Ichichte. Einleitung in die Philofophie der Weltge-
fchichte. Auf Grund des aufbehaltenen handfchriftl.
Materials neu hrsg. v. Paft. Geo. Laffon (Vorlefungen
üb. die Philofophie der Weltgefch. 1. Bd.: Einleitung.)
(Philofophifche Bibliothek Bd. 171a.) (X, 264 S.) 8«.
Leipzig, F. Meiner 1917. M. 5.50; geb. M. 7 —

Es ift nicht ganz klar, welche Aufgabe fich Wilcocks
ftellt. Denn, wie er felbft angibt, zu zeigen, daß
die Hegelfche Metaphyfik kein vorkantifcher Dogmatismus
ift, fondern aus der Erkenntnistheorie herauswächft
ja mit diefer identifch ift, dazu bedurfte es keines Buches
über die Phänomenologie', wenn auch in diefer der genannte
Sachverhalt am handgreiflichften erkennbar ift. In
Wahrheit ift das Buch, das aus B. Erdmann's Schule die
nüchterne Sachlichkeit und kluge Auffaffung mitbringt,
eine Analyfe der Phänomenologie, eine Herausarbeitung
ihres Zweckes und Sinnes, wobei dann nur die nötige
Schärfe in der Hervorhebung ihrer eigentümlichen Positionen
und die Einfügung in einen allgemeinen philofophi-
fchen Zufammenhang fehlt. Die Analyfe felbft ift ausgezeichnet
. Darnach hat die Ph. die doppelte Aufgabe, erftens
den Phänomenalismus oder den Standpunkt der reinen Be-
wußtfeinsimmanenz aus fich felbft heraus zu überwinden
was nur durch die Lehre von der Identität des Bewußt-
feins mit feinen Gegenftänden in einem beiden übergeordneten
und feinerfeits mit beiden identifchen abfoluten
Bewußtfein möglich ift; zweitens aus der Phänomenologie
der Denkhandlungen und der Herauslöfung des in ihnen
j enthaltenen apriorifchen Elementsftufenweife zur Erfaffung
j des Apriori als des Begriffs der fich felbft, durch die Gegen-
fätze hindurch logilch explizierenden Indentität des Welt-