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Ausgabe:

1919

Spalte:

41-43

Autor/Hrsg.:

Baumgarten, Arthur

Titel/Untertitel:

Moral, Recht und Gerechtigkeit 1919

Rezensent:

Wendland, Johannes

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Theologifche Literaturzeitung 1919 Nr. 3/4.

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ftituiert. Auch ift über die kantifche Ethik infofern i erfülltes, ja unerfüllbares Ideal. Franz will dagegen in den
hinausgegangen, als der Verf. nicht bloß die Form des 1 Spannungen einen irrationalen tragifchen Reff, fehen, den
Willens, fondern auch kulturelle Inhalte als derart gefollt • die ethifche Theorie nicht löfen kann. Die Tragik liege
und konftituiert anerkennt, wobei dann das Ruhen der in der menfchlich Endlichkeit, d. h. dem Mangel feiner
Perfon im erreichten Zweck doch fchwer auszufchließen ift. i Erkenntnis; bei den verwickelten Lagen des Lebens kann
Allein er fordert die unperfönliche Pflichtgeiinnung auch j der Politiker nicht klar erkennen, was die fittliche Pflicht
hier als etwas vom fittlichen Bewußtfein aus zwingend j verlangt; andererfeits wird jeder Politiker fleh in fittliche
Vorgehaltenes, das keine Logik begründen kann, deffen j Schuld verwickeln. Von diefen Grenzfällen aber dürfe
Leugnung aber die Verftändnislofigkeit für alles Sittliche j die ethifche Theorie nicht ausgehen, fondern ,es gibt
bekundet. Dem läßt fleh als einer perlönlichen Über- i eine prinzipielle völlig klare und befriedigende Löfung
zeugung natürlich nicht widerfprechen. Wer das ,Sitt- des Problems'. Diefe Löfung findet Franz von dem idea-
liche'anders einfehätzt, verfteht es eben nicht, der,Religiöfe' , liftifchen Staatsbegriff von Kant und Fichte aus. Baum-
am allerwenigften. Damit ift eine Diskuffion allerdings j garten hatte zwar auch dem Staat fittliche Aufgaben ge-
ausgefchloflen über eine Frage, die in diefer Form recht j ftellt, aber doch der Selbftbehauptung und Entfaltung
als quereile allemande erfcheint. des Staates eine folche Bedeutung zugefchrieben, daß

Berlin _Troeltfch. : diefe allen idealen Zielen der inneren Kultur notgedrun-

Sternib^rTTbr. KurtrDt7r"K.mpf zwirchenTragmatismus und Idealis- ^ ^/f^l^l^ F?QZ bet°nt K7-nt

mus in Ph'ilo^ und Flchte- daß die Macht des Staates nur Form für

chard 1917. M. 1 — einen wertvollen fittlichen Inhalt fein kann; eine egoiftifche

Ein typifches Beifpiel der Zurechtlegung des Krieges und der Staatspolitik wirkt ftets auf die Moral des ganzen Volkes
Stellung Deutfchlands in ihm, wie fie in den Kreifen feiner ,In- : zurück unfj verdirbt fie. Oft hat man die Liebesethik
tellektuellen' üblich ift, welche in der Philofophie den Spiegel deg Chriftentums und die in der Bergpredigt geforderte
der Kultur' und in dem Kampf der Kulturen, d. h. dann auch , , , . 10 n. Tr sf/ T s t,cl"lucILC

der entfprechenden Philofophien den,Sinn' diefes Krieges fehen; j heroifche Entfagung als außerften Kontraft zu der Kämpfte
beteiligen fich dann auf diefe Weife an der Apologetik Deutfch- fesethik hingeftellt, zu der die Staaten gezwungen wer-
lands und werden für Kriegszwecke dementfprechend herange- 1 den. Franz fucht die Einheit des Sittlichen dadurch zu
gezogen, leider ohne die leifefte Wirkung auf Gegner und Neu- gewinnen, daß er zeigt, daß Selbftopfer und Verzicht
trale. Der biologifch-pfychologifche Empirismus und der apnonfehe ! P-, PrtVoAr.nrol ift rLfr WrW a,,"h

Rationalismus find dem VerfafTer die beiden Grundtypen der Philo- ; £!cUt dle F"va™oral ™' .Dl«e fordert auch

Tophie überhaupt. Sie verteilen fich merkwürdigerweife auch j Kampf und Selbftbehauptung; ebenfo find Treue, Dankauf
die heute ringenden Gruppen. Untere Gegner find Pragma- J barkeit, Rückfichtnahme auf berechtigte Anfprüche der
tiften und bedienen fich nur aus Heuchelei und Selbftbetrug einer Nachbarn, ja Billigkeit dem Feinde gegenüber politifche

^fl^TX^T^X^^wi^L^ I l^Ztn DHie SBTaT!t- ^^r^nä nicht
politiK fo unentbehrlichen Gewaltfamkeit und Scho- i prinzipiell andersartig als die Konflikte, in welche auch

nungslofigkeit finden; von den Öfterreichern, Türken und Bul- j die Privatmoral gerät. — Franz hat darin Recht, daß
garen ift nicht weiter die Rede; fie ftehen jawohl auch als Hilfs- j alle Spannungen verfchiedener Lebensgebiete uns zwingen,
truppen des Neukantianismus im Felde. Auch unfer .Militarismus' 1 eine Löfung zu fuchen. Viel fchwieriger als die Löfunp;
hat lediglich den Sinn der Kantifchen Autonomie: der Sieg wird | durcv1 eine platte Theorie ift Hie T ftfnno- Hnrrh Hie TTt-
dem Idealismus zuteil werden, doch wird er fich dann mit dem °urcn eine glatte iapone lt die Loiting durch die lat
Pragmatismus ergänzen müffen. ! des Staatsmannes; hier ftehen wir ficher noch nicht am

. Berlin. Troeltfch. Ziele der Möglichkeiten. Die Politik Bismarcks, an der

r---„ . ,—_ -TWi 1 fTT ,. <,__^„ ; Treitfchke und Baumgarten ihre Theorie orientieren, wird

Franz, Erich: Politik und Moral Uber dxe toundbgen ^ dje äußerfte Mö|lichkeit jn der Verfittlichung der
poht Ethik. (IV 76 S.) gr. 80. Gottingen, Variden- j Politik fein_ Abef ^ dürfen wif politiker erwarten.

hoeck & Ruprecht 1917. M. 1.50

Sawicki, Prof. Dr. Franz: Politik und Moral. (81 S.) 8°.

Paderborn, F. Schöningh 1917. M. 1.60

Baumgarten, Prof. Dr. Arthur: Moral, Recht und Gerechtigkeit
. (III, 158 S.) gr. 8°. Bern, Stämpfli & Cie. 1917.

M. 4.50

Franz und Sawicki gehen von dem Grundgedanken
aus, daß die fittliche Forderung einheitlich ift und das
ganze Leben beherrfcht. Infolge deffen kann kein Lebensgebiet
fich der fittlichen Norm entziehen. Sie wenden
fich gegen die Lofung einer doppelten Moral, einer Moral
für das Privatleben und einer anderen Moral für den
Staat. Franz wendet fich gegen die Schriften von H.
Scholz und befonders von Otto Baumgarten, die zwar
die Politik nicht der ethifchen Beurteilung entziehen, aber
doch eine Staatsmoral vertreten, die unter Umftänden
fittliche Ideale den harten Staatsnotwendigkeiten opfert
und in der Wahl der Mittel dem Staatsmann einen viel
weiteren Spielraum gewährt als die Privatmoral. O. Baumgartens
Schrift zeichnet fich durch große Ehrlichkeit in
der Erkenntnis der tatfächlichen Schwierigkeiten der
ethifchen Politik aus. Franz gibt diefe Schwierigkeiten
ebenfo zu. Auch nach ihm wird ,eine gewiffe Spannung
zwifchen den national-politifchen und den ethifch-chrift-
lichen Intereffen nie völlig verfchwinden'. Umgekehrt
hatte auch O. Baumgarten im Chriftentum Maßftäbe und
Antriebe für eine Politik gefunden, die zur Verfittlichung
und Reinigung des politifchen Wefens von den Schlacken
eines brutalen Machftrebens führen. Aber bei Baumgarten
ift dies ein Prozeß, der eine ewige Zukunftsaufgabe enthüllt
. Daher bleibt eine verfittlichte Politik ein ftets un-

die auch der Theorie neue Zukunftsmöglichkeiten erfchlie-
ßenf Die Theorie einer doppelten Moral hat ihre Gefahren
darin, daß fie der Verfittlichung der Politik gar
zu fchnell Grenzen fetzt. Dagegen hat fie ihre Vorzüge
darin, daß fie ehrlich die Schwierigkeiten aufdeckt. Sie
liegen in der Natur des Staates felbft, der einen idealen
Inhalt durch eine machtvolle Organifation fchützen muß.
Die Spannung im Staatsbegriff felbft führt zu den be-
kannteften Spannungen der politifchen Moral.

Inzwifchen hat die theol. Fakultät In Groningen eine ausführliche
Rezension des Buches von Franz (unter Zurückgreifen auf O. Baumgarten
) in der Chriftl. Welt 1918 Sp. 177 ff. erfcheinen laffen und in
corpore unterfchrieben, zu dem Zweck, um einen noch entfehiedeneren
Einfluß der Moral auf die Politik durchzufetzen. Sie weift einige ihr
bedenklich erfcheinende Reftriktionen von Franz zurück.

Die Schrift des Katholiken Sawicki ift in ihrem
letzten Ziele mit Franz darin einig, daß es nur eine
Moral geben kann. Die Staatsmoral ift nur eine finngemäße
Anwendung der allgemeinen fittlichen Grundfätze
auf das Wefen des Staates. Aber der Zweck des Staates
wird von S. wie von der heutigen katholifchen Moral-
philofophie (die darin von der mittelalterlichen verfchie-
den ift) utilitarifch in der Förderung des Gemeinwohles
gefehen. Daher wird das fittliche ,Naturgefetz' von vorn
herein als ein die ftaatlichen Notwendigkeiten von außen
einfehränkendes Gefetz betrachtet. Wie die fittliche Forderung
den an und für fich berechtigten Erwerbstrieb
des einzelnen einfehränkt, fo fteht auch die fittliche Ordnung
über dem Staatswohl und fchränkt dasfelbe ein.
S. empfindet weniger die tragifchen Spannungen, da feinem
Staatsbegriff das ethifche Pathos fehlt. Daher ift
feine Schrift mit leidenfchaftslofer Kühle gefchrieben.