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Ausgabe:

1919

Spalte:

39-40

Autor/Hrsg.:

Knoke, Karl

Titel/Untertitel:

Niederdeutsches Schulwesen zur Zeit der französisch-westfälischen Herrschaft 1803 - 1813 1919

Rezensent:

Cohrs, Ferdinand

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Theologifche Literaturzeitung 1919 Nr. 3/4.

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Eine P ortfetzung der forgfältigen Arbeit wäre zuwünfchen.
2. die in Wittenberg ordinierten Geiftlichen 1542—60,
S. 40—45 auch die Studenten aus den Niederlanden.
Zu empfehlen wäre eine Erweiterung der Studie, welche
Amtsgenoflen, Freunde, Gegner der Wittenberger und die
ev. Flugfchriften aus N. S. fchilderte. Berte behandelt
die Jubelfeier der Reformation in Braunfchweig 1717 und
beleuchtet eingehend die Gründe des Übertritts des
Herzogs Anton Ulrich zum Papfttum und die Schuld
des Calixtinismus. Beachtenswert ift der Satz S. 58 von
der alten Erfahrung. Wolters gibt die Protokolle der
Vibration im Erzbistum Bremen im Jahr 1588 nebft
Überficht über die früheften Vifitationen und läßt einen
Blick in die verwickelten Verhältniffe des Erzbistums
und die Gefährdung des kirchlichen Gutes tun. Lehrreich
ift das Licht über Schulwefen, Armenhäufer, Orgel-
fpiel, Accidentalia. ,Die meiften Exzeffe kommen von
den Kriegen.' Regula befchreibt die kirchlichen Selb-
ftändigkeitsbeftrebungen der Städte Göttingen, Northeim,
Hannover, Hameln 1584—1601, die fich wohl erklären
aus dem Gegenfatz zu den katholifchen Herzogen Erich I.
und II, aber gegenüber den evangelifchen Herzogen
Julius und Heinrich Julius zu weit gingen, als wären die
Städte Reichsftädte. Die Kirchengemeinde Mulfum im
Reformationszeitalter fchildert Wolters, wobei manche
beachtenswerten Seiten zutage treten, z. B. der Modus
der Inveftitur durch Auffetzen des Birets S. 156, der
Kampf zweier Bewerber auf der Kanzel, das Schulwefen.
Der Küfter lehrt Lefen, Schreiben, Katechismus, Plinmal-
eins, aber nicht im Sommer. Im lateinifchen Text finden
fich viele Fehler. Günther gibt einen Beitrag zur Kirchen-
gefchichte der Bergftadt Altenau von 1582—1669 auf
Grund von Akten und Rechnungen. Die Annahme, daß
die Bergftädte des Oberharzes erft nach der Reformation
oder gleichzeitig mit ihr entftanden feien, was aus eCCe
fLorent VaLLes CVM eVangeLIo fich ergeben foll, ftimmt
nicht; denn die Zahlzeichen ergeben das Jahr 1516.
Vielleicht fehlt Xr[iftl]. Aber wenn die Kirche dem heil.
Nikolaus geweiht war (S. 170), muß fie noch aus katho-
lifcher Zeit Hammen. Erfreulich ift die große Opferwilligkeit
im 30j. Krieg. Im Schlußheft erfchließt Strecker
den manigfach lehrreichen Inhalt des alterten Kirchenbuches
in Grone z. B. über Namengebung, Konfirmation
durch den Generalfuperintendenten, die Braut-
meffe am Tag nach der Hochzeit, und zeigt ein erfreuliches
Bild des Gemeindelebens. Zelle fchildert das
Schickfal der Kirchenbibliothek in Ulzen, deren Inkunabeln
aus dem Klofter Oldenftadt flammten, und die nicht ohne
■Schuld der Geiftlichkeit zeitweilig zur Leidensgefchichte
wurde.

Stuttgart. G. Boffert.

Knoke, Geh. Konf.-R. Prof. D. Karl: Niederdeutlches Schulwefen
zur Zeit der franzöfifch-weltfälifchen Herrfchaft
1803—1813. (Monumenta Germaniae paedag. 54. Bd.)
(XVI, 431 S.) Lex. 8°. Berlin, Weidmann 1915. M. n —
Über das niederdeutfche Schulwefen zur Zeit der
IVemdherrfchaft hatten wir bisher die belle Zulammen-
faffung in Fr. Thimme: Die inneren Zuftände des Kur-
fürftentums Hannover unter der franzöfifch-weftfälifchen
Herrfchaft II, S. 248—278, 279—325. Manches hat er jedoch
nur ftreifen können; fo find die Univerfitäten Halle, Marburg
, Rinteln und Helmftedt ganz zu kurz gekommen;
fie werden in dem Kapitel: ,Die Univerfität Göttingen'
(II, S. 279 fr.) nur gelegentlich erwähnt und zur Verglei-
chung herangezogen. Knoke teilt fein Buch ein: I. Zur
Gefchichte der weftfälifchen Univerfitäten mit befonderer
BerückfichtigungderGeorg-Auguft-UniverfitätinGöttingen;
II. Zur Gefchichte der übrigen Schulen in Weftfalen. Auch
er bevorzugt alfo die Georgia Augufta, (landen ihm doch
hier Akten in feltener Vollftändigkeit zu Gebote (f. d.
Über ficht S. XI); aber die anderen Univerfitäten erhalten

doch auch jede ihr befonderes Kapitel. Was Thimme
nur angedeutet, finden wir bei Knoke lebensvoll ausgeführt:
Jeromes befondere Sorge um Göttingen, fein ,enfant cheri',
die aber doch die Aufhebung des Steuerprivilegs ihrer
Mitglieder und die Befchränkung der akademifchen Gerichtsbarkeit
nicht verhinderte; die Disziplinierungen, der
Kampf gegen verbotene Studentenverbindungen, gegen
das Duellwefen u. dgl. Ich muß mir verfagen, näher darauf
einzugehen, da ich den geringen, zur Verfügung
flehenden Raum benutzen möchte, hinfichtlich der übrigen
Schulen wenigftens noch einige Einzelheiten zu erwähnen.

Knoke unterfcheidet: militärifche Lehranftalten, öffentliche und pri-
j vate höhere Knabenfchulen, höhere Miidchenfchulen, Volksfchulen, In-
duftrie- und Fortbildungsfchulen. Erftere tragen den Charakter militä-
rifcher Fachfchulen; über die höheren Knabenfchulen unterrichtet hinfichtlich
der Schulen in den franzöfifch gewordenen Teilen Norddeutfch-
lands ein Bericht der Univerfitätsräte der kaiferlichen Unterrichtsver-
| waltung Cuvier und Noel v.J. 1812; hinfichtlich der weftfälifchen Schulen
find wir auf Erhebungen über die Schulen des Leinedepartements an-
, gewiefen, aus denen Knoke den Bericht über das Göttinger Gymnafiuni
I als befonders charakteriftifch hervorhebt; die höheren Mädchenfchulen
! zeugen von der immer mehr erwachenden Sorge für die Ausbildung der
I weiblichen Jugend.

Bei den Volksfchulen kommt vor allem zum Ausdruck
, was Knoke S. VI fagt, daß manche heutige Einrichtungen
ihre Vorbilder in entfprechenden Inftitutionen
| der franzöfifch-weftfälifchen Zeit gehabt haben. Fort-
1 bildungsfchulen waren fchon vor der franzöfifchen Zeit
! begründet, fanden aber gerade unter der Fremdherrfchaft
j günftigen Boden, fich recht zu entwickeln; das Seminar-
I wefen erhebt fich zur Blüte; Bildungsvereine — wie wir
heute fagen würden: Konferenzen— und Fachbibliotheken
zur Portbildung der Lehrer entliehen. Dabei find vor
allem Geiftliche die treibenden Kräfte. Dennoch ift auch
! darin diefe Zeit zukunftskräftig, daß die Beftrebungen zur
I Befeitigung der geiftlichen Schulaufficht — doch wohl
zuerft? — in ihr hervortreten.

Das höhere Schulwefen hatte die weftfälifche Regierung der geift-
j liehen Aufficht entzogen und hatte es den Präfekten unterftellt; in der
j erden Verfügung war dabei das gefamte TJnterrichtswefen, alfo auch
j die Volksfchulen mit, genannt, dennoch blieb es nachher hinfichtlich
der letzteren beim Alten, wohl weil das Neue hier auf zu große Schwierigkeiten
dieß. Der Gedanke war aber wachgerufen und kam in lite*
rarifchen Fehden zum Ausdruck. Über die Zwilchen dem Lehrer Hauer
j in Bühne, dem Paßor Lickefett in Sehlde und dem Superintendenten
j Brackebulch in Peine gewechselten Schriften hat Knoke genauer berichtet;
! fie find auch heute noch lehrreich.

Das muß genug fein. Der Bedeutung der wertvollen
Publikation Knokes kann diefe Anzeige nicht gerecht
werden; fie will nur auf fie hinweifen; daß das bei den
: mannigfachen Anfprüchen der Kriegszeit und bei eigen-
| (lern Kriegsleid erft fo verfpätet gefchieht, bitte ich zu
I verzeihen.

Ilfeld a. Harz. Ferdinand Cohrs.

Kerl er, Dr. Dietrich Heinrich: Max Scheler und feine
imperfonaliftifche Lebensanfchauung. (39 S.) 8°. Ulm,
H. Kerler 1917. M. 1.50

Randgloffen zu Schelers Bemerkungen über die reli-
giöfen Tugenden der Demut und der Ehrfurcht, die dem
Verf. Gelegenheit geben, das allgemeine Problem des
radikalen Gegenfatzes zwifchen abfoluter, autonomer Sittlichkeit
oder rationaler Selbftbejahung und Selbftfetzung
giltiger Imperative einerfeits und der religiöfen Entfaltung
der Lebensbewegung aus der Hingabe an Gnade und
! göttliche Seinserfchlteßung andererfeits mit pfycholo-
! gifchem Scharf blik und dialektifcher Prinzipienfeftigkeit zu
befprechen. Goethe gehört darnach zu den für das Sitt-
i liehe Verftändnislofeften, Schiller zu den religions-freieften
Menfchen. Der Religiöfe kann im Grunde überhaupt kein
Verftändnis für das ,abfolut' und ,radikal' verftandene Sitt-
! liehe haben. Freilich zeigt diefe genauere Beftimmung
i des Sittlichen als ,radikal', daß damit doch ein Merkmal
des Sittlichen ins Radikale und Abfolute erhoben
ift, die Wertung des fachlich oder imperfonal Geforder-
! ten als durch eigenen Willen und eigene Kritik kon-