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Ausgabe:

1919

Spalte:

33-35

Autor/Hrsg.:

Schubert, Hans von

Titel/Untertitel:

Geschichte der christlichen Kirche im Frühmittelalter. Ein Handbuch. I. Halbband 1919

Rezensent:

Krüger, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung 1919 Nr. 3/4.

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mit werden die konkurrierenden Translationen nach Bari, Venedig,
Genua, Konftantinopel verftändlich gemacht. Daß Nicolaus ein fpezififch
bvzantinifcher Heiliger ift, von dem die nicht orthodoxen Kirchen des
Orients nichts wiffen, ift fehr bemerkenswert. Auf die Verbreitung des
hl. Nicolaus im Abendland hat A. bewußt verzichtet. Hier fetzen
andere Arbeiten ein.

Welch reicher Ertrag bei einem folchen Werke für
die Gefchichte der fpätgriechifchen Literatur, Kunft,
Kultus- und Kulturgefchichte abfällt, kann hier nur eben
angedeutet werden: man fehe z. B. den Nachweis der
Einwirkung des Gregor von Nazianz auf die Enkomiaften
des 9. Jahrhunderts, die Erörterungen über das Synaxar
und den Metaphraften (2 Ausgaben), über Wirberichte,
über Nikolaus-Ikonen, über den Einfluß der Apokalypfe
auf die Phantafle lykifcher Mönche des 6. Jahrhunderts,
über kunftgefchichtliche Zufammenhänge von Lykien mit
Syrien—Paläftina, über die Wundermotive, Übertragung
von einem Heiligen auf den andern, z. B. das Fint-
rückungsmotiv beim h. Georg und Nicolaus. Der Geographie
und Topographie Lykiens ift ein eignes Kapitel
gewidmet; für die Topographie Konftantinopels kommt
die Zufammenftellung aller Nicolauskirchen und -kapeilen
in Betracht. Für die Sprachforfchung liefert ein Index
reiches Material, u. a. mehr als hundert bisher nicht gebuchte
Wörter.

Alles im allem: man darf auf A. anwenden, was er
felbft von A. Beatillo lagt: ,Und ein fleißigerer Biograph
ward nie gefunden', nur daß dem Fleiß hier auch der
Wert des Dargebotenen entfpricht.

S. 215 Z. 5 v. u. ift wohl 2 und 4T vertaufcht.

Halle a. S. von Dobfchütz.

Schubert. Geh. Rat Prof. Dr. Hans von: Gelchichte der
chriftlichen Kirche im Frühmittelalter. Ein Handbuch,
1. Halbbd. (Bgn. 1—25 u. provifbr. Titelbgn. = XII.
400S.) Lex.8°. Tübingen, J.C.B. Mohr 1917. M. 12 —
Die von Kawerau bearbeitete 2. Auflage des 2. Bandes
von Möllers Kirchengefchichte (1893) ift längft vergriffen.
Wir wußten, daß v. Schubert, der den erften Band neu-
geftaltet hatte, mit einer Umgeftaltung auch des zweiten
befchäftigt war. Was wir nun erhalten haben, ift mehr,
ift ein völlig neues Buch, deffen urfprüngliche Beftimmung
nicht einmal mehr durch einen Untertitel oder feine Einreihung
in die Sammlung theologifcher Lehrbücher angedeutet
wird. Auch hat fleh v. Schubert nicht mehr
die Darfteilung des ganzen Mittelalters zur Aufgabe gefetzt
, fondern behandelt nur die Gefchichte des frühmittelalterlichen
Katholizismus, die grundlegende Periode,
die er in zwei Abfchnitte zerlegt: die Zeit der Neubildungen
, der Ordnung und der Miffion, und die Zeit
der erften Zufammenfaffung aller alten und neuen Kräfte
im fränkifchen Imperium der Karolinger, das er bis zu
feinem Untergang zu verfolgen gedenkt. Der uns vor-
liegende Halbband führt bis zum Höhepunkt unter Karl
d. Gr. Als das .Thema' des Mittelalters bezeichnet v.
Sch. die Vermählung des Chriftentums mit dem Ger-
manentum, worin die Anerkennung befchloffen liegt, daß
,im Werten die Melodie, im Orten nur die Begleitung ge-
fpielt wird. Um Mißverftändniffen vorzubeugen, muß
aber gleich hinzugefügt werden, daß in der Darfteilung
die Begleitung keineswegs zu kurz kommt, im Gegenteil
fogar ftark herausgehoben wird; die byzantinifche Kirchengefchichte
ift mit der gleichen Sorgfalt und Sachkunde
behandelt wie die germanifch-romanifche. Dennoch liegt
in diefer der Schwerpunkt des Buches, was für den, der
v. Sch. s Arbeiten kennt, keiner Begründung bedarf.

Was v. Schuberts Buch feine Bedeutung fichert, ift
feine große Selbftändigkeit. Da ift nichts auf Autorität
übernommen, alles ruht vielmehr auf eigner Forfchung
oder felbftändiger Nachprüfung. Daß eine folche Durch-
und Nachprüfung gerade für die germanifch-romanifche
Entwicklungdringend erwünfeht war,weiß jederMitarbeiter.
Die Vorbedingungen dafür waren in einer großen Reihe

I von Editionen, Monographien und kritifchen Miszellen,
die fleh über das ganze Gebiet verftreuen, gegeben. Aber
es fehlte die ordnende Hand. Und darin fehe ich einen
weiteren, nicht hoch genug zu fchätzenden Vorzug der
i Arbeit v. Schuberts, daß fie diefe ordnende Hand nirgends
vermiffen läßt. Bei der gleichmäßigen Durcharbeitung
aller Abfchnitte laßt fleh Einzelnes schwer herausheben.
Es ist rein fubjektiv, wenn ich auf die Anfänge der
britifchen (keltifchen und angelfächfifchen) Kirche ausdrücklich
hinweife, die befonders lichtvoll herausgearbeitet
zu fehen um fo willkommener ift, als das Handwerkzeug
der Quellen den Benutzern kleinerer Univerfitäts-
bibliotheken gerade hierfür nur in befchränktem Maß zur
Verfügung fteht. Zur Selbftändigkeit der Darfteilung gefeilt
fleh ihre Lesbarkeit. Mit großer Sicherheit find die
leitenden Gefichtspunkte überall herausgehoben, find
Individuum und Allgemeinheit in ihren Wechfelwirkungen
beobachtet, und mancher charakteriftifche Einzelzug ift
zur Belebung des Bildes den Quellen entnommen worden.
Der Blick für das Wefentliche ift v. Schubert in hohem
Maße eigen, und das ift bei diefem Buche um fo wichtiger
, als die Ausführlichkeit der Anlage ftarke Berück-
flehtigung des Details erforderlich machte. Die Gefahr,
darin unterzutauchen oder fleh in kritifche Seitengänge
zu verirren — gelehrte Meinungsverfchiedenheiten find in
die auf ein befcheidenes Maß gefetzten Anmerkungen ver-
wiefen — hat v. Schubert überall glücklich vermieden.
Bis in die Literaturangaben, die bei aller Vollftändigkeit
auf die Anhäufung abgeftandener Materialien verzichten,
macht fleh das Streben, nur Wefentliches zu bieten, bemerkbar
. Füge ich zu alledem die wohltuende Zuverläf-
figkeit in den Einzelangaben, zumal den bibliographifchen
i fo glaube ich, die Vorzüge des Buches zwar nicht er-
fchöpft, aber in der Hauptfache angegeben zu haben.

Man wolle es mir nicht übel deuten, wenn ich es im Interefi'e der
Sache bedauere, daß von meinen Artikeln: ,Zur Frage nach der Ent-
ftehungszeit der konftantinifchen Schenkung', in diefer Zeitung i88y
Nr. 17 und 18 in den neueren F.rörterungen der Frage nirgends, alfo
auch nicht bei v. Schubert, Notiz genommen wird. Ich glaube, zur
Lotung Wertvolles beigetragen zu haben, und bin von v. Schuberts An-
fatz auf ca. 756 noch nicht überzeugt. — Von nennenswerten Druckoder
Schreibfehlern find mir aufgefallen: S. 23, 10 v. u. Battifol ft.
Batiffol; 41, 5 v. u. Avit. poem. V ft. VI; 89, 19 Childerich ft. Chil-
perich; 97, 24 1889 ft. 1884; 174, 17 v. u. 460 ft. 560; 207 Ann». 2 v. u.
660 ft. 666; 213, 9 54t ft. 641; 263, 3 v. u. TRaine ft. JRaine; 313, 15
1914 ft. 1915.

Einer Befonderheit des v. Schubertfchen Buches muß
ich trotz der Befchränktheit des mir zugemeffenen Raums
gedenken. Ich meine die Aufnahme einer Überficht über
Kultur und Religion der Germanen unter die Voraus-
fetzungen der Darftellung. Eine folche Überficht fucht
man in unferen Lehrbüchern entweder vergeblich, oder
fie ift, wo fie fich findet (wie bei Hafe), von ganz überholtem
Gefichtspunkt aus entworfen. Schubert ift fich
der Schwierigkeiten feines Unternehmens wohl bewußt:
fie liegen einmal in dem Mangel an fchriftlichen Quellen
von der Hand der Germanen, fodann in der Gefahr, bei
den Quellen aus der Zeit nach der Berührung mit Römer-
und Chriftentum ftatt germanifchem Gut römifches und
chriftliches zu greifen. Um fo dankenswerter, daß er die
Aufgabe als erfter angegriffen hat. Als Erfter darf ich
fchreiben, weil ihm Boehmers Abhandlung über das
germanifche Chriftentum (1913), die ähnliche Prolegomena
enthält, bei der fchon vor Jahren erfolgten Drucklegung
; der erften Bogen feines Buches noch nicht bekannt fein
! mochte. Sie muß jetzt als wertvolle Ergänzung des von
l v. Schubert Gebotenen herangezogen werden.

Bedauert habe ich, daß v. Schubert auf feine .Vorausfetzungen'
I fofort die Zeit Theoderichs und Chlodwigs folgen läßt. Freilich ent-
! fpricht das dem Einfchnitt zwifchen Altertum und Mittelalter, den er
j als den epochalen anfleht, und der Anfchluß an feine Darftellung der
I alten Kirchengefchichte im Möllerfchen Lehrbuch ift damit gegeben.

Aber eben diefes Anfchluffes hätten wir bei der Selbftändigkeit feines
I Buches entraten können, die gelegentliche Rückbeziehung auf ,M.—Sch.'
! ift fogar läftig, und die an fich willkommenen Eingangsbemerkungen