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Ausgabe:

1919 Nr. 2

Spalte:

308-310

Kategorie:

Kirchenfragen der Gegenwart

Autor/Hrsg.:

Zimmermann, Otto

Titel/Untertitel:

Trennung von Kirche und Staat 1919

Rezensent:

Schian, Martin

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Theologifche Literaturzeitung 1919 Nr. 25/26.

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fchaften die Rechtsform vor, innerhalb deren fie ihre
eigenen Angelegenheiten felbftändig ordnen und verwalten
dürfen'. Was er fonft zum Religionsunterricht,
zum demokratifchen Aufbau der Kirchenverfaflung auf
der Selbftvervvaltung der Gemeinden und zu anderen
Fragen fagt, das entfpricht i. A. dem, was auch fonft
jetzt im Blick auf Bafel oft unter dem Generalthema
.freie Volkskirche' gefagt worden ift. Im Blick auf das
preußifche Kuriofum der Wahrnehmung des Summepifko-
pats durch drei evangelifche Minifter ift die energifche
Verwahrung (S. 65) bemerkenswert: ,Was fich in einem
fich als proteftantifch fühlenden republikanifchen Gemein-
wefen als erträglich erwies, ift doch in einer modernen
grundfätzlich religiös neutralen und praktifch vielleicht
antireligiöfen Demokratie einfach unmöglich'. — Engelhardt
behandelt die Frage nach dem Verhältnis von
Staat und Kirche in zwei kleinen Schriften: das eine Mal
fo, daß er grundfätzlich vom deutfchen Gedanken des
Kulturftaates und vom evangelifchen Kirchengedanken
aus beftimmte Forderungen auffielet und den bisherigen
Stand der Dinge darnach beurteilt4; das andere Mal
in der Weife, daß er die möglichen und tatfächlichen
Formen des Verhältniffes von Kirche und Staat darftellt
und daran Vorfchläge knüpft5. Beide Hefte find ganz
knapp gehalten und bringen eine Reihe beachtenswerter
Gefichtspunkte, wenn fie auch natürlich mit einem fonft
fchon reichlich behandelten Material arbeiten, fo fehlt doch
die befondere, eigene Note keineswegs. Dem Verfaffer
ift die Befeitigung beftimmter konkreter Mil.lftände, die
durch die Abhängigkeit der Kirche vom Staat verur-
facht wurden, das Wichtigfte; er fieht darin recht fcharf.
Im Übrigen wünlcht er organifche Entwicklung, nicht
.reftlofe' Trennung. — Sehr praktifch ift Schneiders6
ganz volkstümliches Heftchen. Es zeigt, teils, aber nicht
etwa bloß mit Zahlen, was in Deutfchland bisher der
Staat der Kirche gab, und was die Kirche dem Staat
geleiftet hat und leiftet (Liebeswerke, Jugendpflege ufw ).
Ein dritter Abfchnitt fleht in die Zukunft. In diefem
letzten Stück, das im Frühjahr 1919 gefchrieben ift, ift
manches überholt; aber die beiden erften Stücke find fo
wertvoll und fo wichtig, daß allein um ihretwillen das
Heft weiter verbreitet werden follte. Vielleicht kann auch
der dritte Abfchnitt bei einer Neuausgabe den jetzigen
Umfländen angepaßt werden. — Nur kurz erwähne ich
mein7 kleines Schriftchen, das die hefftfehen Verhält-
niffe erläutert und für eine gerechte Behandlung der
Landeskirche eintritt. Die Entwicklung fcheint fich etwa
in den Bahnen zu vollziehen, die ich dort als die geeigneten
zu fkizzieren fuchte.

2. Kirche und Staat vom katholifchen Standpunkt
aus. Wenn man einige Dutzend Schriften über
Staat und Kirche gelefen hat, nimmt man die nächfte,
die das gleiche Thema erörtert, mit der ruhigen Erwartung
in die Hand, daß fie vielfach Ähnliches bringen
werde. Aber diefe Erwartung kann täufchen. Der Standpunkt
der katholifchen Kirche ift eben fehr eigenartig;
es bietet einen befonderen Reiz, fich ihn zu vergegenwärtigen
. Das kann man an der Hand des Büch/eins
von Schrörs8 fehr gut. Er will nicht perfönliche Mei-

4) Engelhardt, Paftor Dr K.: Das gegenwärtige Verhältnis von
Staat und Kirche vom Standpunkt des modernen deutfchen Staatsgedankens
u. des evangcl. Kirchenbegriffs aus kritifch unterfucht. (16 S.)
8«. Effen, Ev. Preßverband für Rheinland 1919. M. —So

5) — Staat und Kirche. Die verfchiedenen Formen in Gefchichte
u. Gegenwari, Beurteilg. derfclben u. Vorfchläge. (16 S.) kl. 8". Heidelberg
, Evang. Verlag 1919. M. 1 —

6) Schneider, Pi'r. D. J.: Staat, Kirche und Volk, was fie einander
leiden u. fchuldcn — trotz aller Trennung. Ein Wort der Auf-
klärg. f. d. komm. Kirchenwalüen. (16 S.) 8°. Gütersloh, C. Bertelsmann
1919. M. —30

7) Schi an, Prof. Dr. Martin: Die Trennung von Staat und Kirche
in. befond. Rückficht auf HelTen. (Aufklärungsschriften der Deut. Volkspartei
in Heffen, Heft IV.) (20 S.) 8". Darmltadt (Wilhelminenftr. 5),
Deut. Volkspaitei 1919. M.

8) Schrörs, Prof. Dr. Heinrich: Katholifche Staatsauffaffung,
Kirche und Staat. Nach den prinzipiellen Grundlagen dargetlelit. (V,
101 S.) 8°. Freiburg i. Br., Herder 1919. M. 3.20

| nungen vortragen, fondern die Lehre der Kirche, die
I Auffaffung, ,die fich aus dem katholifchen Dogma in
Verbindung mit einer gefunden Moralphilofophie ergibt
und von der Theologie vertreten wird'. So läßt er fich
denn auf ziemlich gründliche Auseinanderfetzungen über
Umfang und Quelle der Staatsgewalt, Urfprung und Zweck
des Staates ein. Er kommt hinaus auf eine Nebenordnung
von Staat und Kirche, wobei beiden Gewalten volle
Souveränität zukommt, die Kirche aber ausdrücklich die
fog. indirekte Gewalt im Weltlichen in Anfpruch nimmt.
Von hier aus plädiert Schrörs für eine ,organifche Verbindung
von Kirche und Staat' uhd gegen die Trennung.
Man findet in diefen Darlegungen manches reichlich
Prinzipielle und kann das Gefühl nicht los werden, daß
die Formulierung abfichtlich fo abftrakt grundfätzlich gehalten
ift, um gewiffe notwendige, unferem Zeitempfinden
| anftößige Formulierungen beffer vermeiden zu können,
j Andererfeits wird Schrörs aber ganz deutlich, wo er fich
gegen das neue (nachrevolutionäre) Programm der Zentrumspartei
, ,die doch die politifche Vertretung vorzüglich
des katholifchen Volkes fein will' (S. 6gff.), wendet. Die
in diefem Programm zutage tretende Auffaffung fchließt
nach feiner Anficht ,mindeftens eine Ignorierung der unveräußerlichen
katholifchen Grundfätze und ein ftill-
fchweigendes Geltenlaffen der entgegenftehenden Grundfätze
des modernen Staatsrechts in fich'. An einer
anderen Stelle (S. 71) fpricht er von einer Umgehung
des katholifchen Prinzips. Äußerft intereffant! Das Zentrum
im Konflikt mit katholifchen Auftäffungenl Man
hat den Eindruck — und der Schluß verftärkt ihn —,
daß Schrörs feine Schrift hauptfächlich gefchrieben habe,
um gerade diefen Punkt klarzuftellen. Ünter diefem Ge-
fichtspunkt verfteht man die Einfügung eines Abfchnitts
,Katholifche Politik'. Die Zentrumspolitik freilich beachtet
den Warner wenig. — Ein populäres Seitenftück zu
Schrörs, in manchem auch eine Ergänzung, bietet der
Jefuit Zimmermann6. Ein Seitenftück: denn auch er
erörtert die Prinzipienfrage, gleichfalls die Trennung (im
eigentlichen Sinn) verwerfend; eine Ergänzung: denn er
i bringt mehr Tatfachenmaterial über die Trennungs-
] zuftände in anderen Ländern. Die Schrift ift klar und
leichtverftändlich gefchrieben (.Flugfchriff).

3. Schriften zum Neubau der evangelifchen
Kirchen. Was Th. Kaftan10 unter dem Titel ,Was
nun?' fich vom Herzen fchreibt, gehört nur zum klein den
Teile hierher; zum größeren ift es eine politifch orientierte
Rückfchau auf den Krieg und Vorfchau in die Zukunft
. Aber S. 44—57 geben doch ein kirchliches Zukunftsprogramm
in nuce. Die alte Kirche neu bauen I
Volkskirche als reine Kirche, ohne jede Verquickung
von Religion und Politik! Zu diefen Grundfätzen treten
eine ganze Zahl von einzelnen Anregungen, die freilich
nur in großen Linien gegeben find; z. B. daß die Geift-
lichen in Zukunft ,mehr mit und in ihren Gemeinden
leben' müffen (S. 48), was in der Durchführung nicht
leicht fein dürfte. — Die Laienwünfche, die Oberregierungsrat
Jeremias11 äußert, betreffen die foziale Haltung
der Kirche: fie foll erftens alle Winkel ihres Haufes nach
fozialen Schäden (z. B. Differenzierung der Amtshandlungen
nach Gebühren) durchfuchen, und fie foll zweitens
inneren Anteil an der Arbeiterbewegung nehmen, letzteres
auch durch Eintreten für die chriftlichen Gewerkfchaften.
Die erfte Forderung ift zweifellos richtig; die zweite
müßte heut vielleicht fchon etwas anders motiviert werden
, als Jeremias das tut; und ob das Eintreten für die

9) Zimmermann, Otto, S. J.; Trennung von Kirche und Staat.
(Flugfchriften der .Stimmen der Zeit' 4. Heft.) (32 S.) 8". Freiburg
i. Br., Herder 1919. M. —75

10) Kaftan, Wirkt. Geh. Ob.-Konf.-R. Gen. Superint. a. D. D.:
Was nun? Eine chriftlich-deut. Zeitbetrachtg. (94 S.) gr. 8". Leipzig,
DürfTling & Franke 1919. M. 3.50

11) Jeremias, Oberreg-R. Edmund: Laienwünfche zum fozialen
Ausbau der Kirche. (Anfprache auf der 4. I'agg. des .Freien Arbeits-
ausfehuffes der fächf. ev.-luth. Landeskirebe' [am 12. Mai 1919 in
Bautzen].) (41 S.) kl. 8". Hamburg, G. Scbloeßmann 1919. M. 1.5c