Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1919

Spalte:

306-310

Kategorie:

Kirchenfragen der Gegenwart

Autor/Hrsg.:

Kaftan, Theodor

Titel/Untertitel:

Staat und Kirche. Zur Frage ihrer Trennung 1919

Rezensent:

Schian, Martin

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

30S Theologifche Literaturzeitung 191g Nr. 25/26. 306

Schröder, Archidiak. Dr. Arthur: Zwilchen Gott und Welt. Ein

Wegweifer f. fuch. u. denk. Menfchen. (72 S.) 8U. Leipzig,
A. Deichen 1918. M. 2—; geb. M. 2.80

Das für fliehende und denkende moderne Menfchen gefchrie-
bene Buch, das nach Form und Inhalt der 1917 erfchienenen
Schrift desfelben Verfaffers ,Kannft du noch glauben?' nahe verwandt
ift, enthält Betrachtungen über folgende vier Fragen: Kann
es auf religiöfem Gebiete eine wirkliche Gewißheit geben? War
lefus mehr als ein bloßer Menfch? Hat die Weltgefchichte einen
Sinn? Kann uns die Natur das Rätfei des Lebens löfen? Der
Verfaffer ift in mancherlei Wiffensgebieten zu Haufe und fchreibt
gewandt, doch wünrehte man ein febärferes Herausarbeiten der
Probleme und ftrafferen Gedankenfortfehritt. Worauf es ihm ankommt
, mag eine kurze Skizze des grundlegenden erbten Auflatzes
verdeutlichen: Religion ift nicht Stimmung, fondern Ge-
meinfehaft mit Gott. Diefe kommt jedoch nach chriftlicher Überzeugung
nur in Chrifto, dem Erlöfer, zur Verwirklichung. Während
l'onft nur relatives Erkennen möglich ift, gewinnt auf religiöfem
Gebiete, dank der Offenbarung in Chrifto, der Glaube, der aus
einer feelifch unmittelbaren inneren ,praktifchen Nötigung' er-
wächft — ,man hat und will ihn, oder man hat und will ihn eben
nicht', S. 16 — unbedingt zweifelsfreie Gewißheit. Der Verfaffer
überredet doch mehr, als daß er überzeugt. Dem Einwand gegenüber
, daß die religiöfe Gewißheit bloßes Produkt fubjektiven Wün-
fchens und Begehrens fein könnte, bleiben feine Ausführungen
wehrlos.

Iburg. W. T himme.

Walther, Andreas: Neue Wege deutfehen Geiltes. (Tat-Flugfchrif-
ten 31.) (31 S.) gr. 8". Jena, E. Diederichs 1919. M. 1.50
Der Verfaffer geht aus von der Tatfache, daß Deutfchland im
Weltkrieg nicht der phyfifchen Über macht erlag, fondern weil es dem
Anfturm der Maffenideen, zu denen fich in den feindlichen Ländern
, zumal in Amerika, das Volksempfinden verdichtete, nichts
Gleichartiges entgegenzuwerfen hatte. Das deutfehe Volk, von
der Regierung bevormundet, parteipolitifch und Tozial zerklüftet
und großenteils von Materialismus überflutet, konnte fleh trotz
Vorhandenreins befter geiftiger Kräfte und Werte noch kein das
allgemeine Bewußtfein durchdringendes nationales Ideal bilden.
Daß dies nun endlich gel'chehe, ift die deutfehe Schickfals- und
Lebensfrage. Zumal den Univerfitäten, die in Deutfchland folch
bedeutfame Führerrolle fpielen, fällt damit eine wichtige Aufgabe
zu. Die Gefahren, die freilich mit der ,Ideenvermaffung' drohen
— Flachheit, Unehrlichkeit, Fanatismus — und die die Volksl'eele
in den Weftftaaten arg verwüfteten, liegen für uns einftweilen
noch in weitem Felde. Dies in großen Zügen (manche nicht unwichtige
Gefichtspunkte und intereffante Einzelheiten mußten un-
berückfichtigt bleiben) die Gedanken des Verfaffers, der von hoher
Warte die treibenden Kräfte im Völkerleben überblickt und zu
denen gehört, die den Glauben an Deutfchlands Zukunft und
Weltmiffion nicht verloren haben.
Iburg. W. Thimme.

Brieger, Lothar: Die Neugeburt des religiöfen Gefühls. Auch eine
Zeitbetrachtg. (44 S.) 8". Eisleben, Il'o Verlag 1919. M. 2 50
Wir lebten zuletzt im Zeitalter des Kapitalismus. Kapitali-
Itifch, mechaniftifeh war nicht nur die Wirtfchaftsweife, Rindern
auch die bisherige Kultur. Sie raubte dem Menfchen die Seele
und ließ ihn aufgehen in äußerlichem Erleben. Der Krieg trieb
diefe jämmerliche Entwicklungsperiode zum Extrem und führte
den Zufammenbruch herbei. Nun kommt nach Übergangser-
fcheinungen, für die das Lofungswort Demokratie kennzeichnend
fein wird, ein neues Zeitalter, das der Innerlichkeit, der Religion.
In diefen paar Sätzen läßt fleh der Inhalt des Büchleins zufam-
menfaffen, ohne daß etwas Wefentliches übergangen wäre. Aber
die Art, wie es diefe einfachen und befonders im pofltiven, aufbauenden
Teil viel zu allgemein gehaltenen Gedanken ausdrückt,
ift geiltvoll und wuchtig, und zwar wird man ftark an W. Rathenaus
Geilt und Fichtes Wucht erinnert. Man foll es lefen und auf
(ich wirken laffen.
Iburg. W. Thimme.

Schriften zur Kirchenfrage. II.

(vgl. 1919 Nr. 15/16).
Die Kirchenfrage ift über das Stadium bloßer theo-
retifcher Erörterung, in dem fie fich in den erften Monaten
nach der Revolution befand, hinaus. Die Beftim-
mungen der neuen Reichsverfaffung haben einigermaßen
feften Boden gefchaffen (fofern diefe Verfaffung felbft
feftfteht). Andererleits haben die Befchlüffe des Dresdener
Kirchentags und mehrerer Landesfynoden auch
dem Neubau der Kirchen fchon teilweis die Linien vorgezeichnet
. Dadurch find manche Schriften zur Kirchenfrage
, die aus dem Anfang oder der Mitte des Jahres 1919
flammen, wenigftens in einzelnen Ausführungen, fchon
überholt. Dennoch bedarf es nicht des Hinweifes darauf,

daß möglicherweife durch eine zweite Revolution die
ganze Frage neu aufgerollt werden kann, um eine Anzeige
folcher Schriften zu rechtfertigen. Vielmehr bieten
fie alle Gedanken, die auch bei Beibehaltung des gegenwärtigen
Kurfes für die Urteilsbildung wertvoll find.

1. Kirche und Staat, vom evangelifchen Standpunkt
aus. Sehr intereffant ift ein Vergleich der beiden
kleinen Schriften von W. Kahl1 und Th. Kaftan2, die
beide im Frühjahr 1919 die gefchichtliche Entwicklung
des Verhältniffes von Staat und Kirche in Deutfchland
oder doch (fo Kaftan) vor alle m in Deutlchland zu
fkizzieren, das Ergebnis zu buchen und von da aus
Linien für die künftige Entwicklung zu zeichnen unternahmen
. Man weiß, daß beide Verfaffer keineswegs
gleicher Meinung find; Kaftan trat fchon vor der Revolution
im Gegemätz zu Kahl immer fchärfer für eine
ftaatsfreie Kirche ein. Auch in diefen Schriften find
nicht alle Gegenfätze in Harmonie aufgelöft. Aber das
Urteil zeigt doch eine viel weitergehende Ubereinftimmung,
als mancher erwartet haben mag. Auch Kahl ftellt feit,
daß die — von ihm in prächtiger, knappfter Überficht-
lichkeit gefchildeite — gefchichtliche Entwicklung wenn
nicht entfehieden, fo doch feit langem wahrfcheinüch gemacht
habe, daß die Trennung kommen werde; nur der
Zeitpunkt fei fraglich gewelem Ja, felbft die Urteile über
Luthers Stellung zu dem in der Reformationszeit gewordenen
Verhältnis von Staat und Kirche ftimmen in
wichtigen Stücken überein, wenn fchon Kaftan fich viel
fchärfer und temperamentvoller ausfpricht. Auch in den
Wegen, die beide den Kirchen unter den neuen Verhält-
niffen weifen wollen, gehen fie in wichtigen Punkten zu-
fammen. Kaftan verneint die Frage, ob die neuen Staats-
verhältnifle eine ,normale' Ordnung der Beziehungen von
Staat und Kirche ausfchließen. Und Kahl ftellt im Blick
auf die Befchlüffe des Verfiffungsausfehuffes der Natio-
nalverfammlung (die Verfaffung felbft war damals noch
nicht angenommen) feft, daß die Vertretung der Sozialdemokratie
in der Nationalverfammlung vei ftändnisvoll
dem Bedürfnis organifcher Entwicklung Rechnung getragen
habe (S. 14). Er nennt das, was Gefetz geworden
ift, keine .eigentliche Trennung'. Daß hundert gefchichtliche
Zufammenhänge zwifchen Staat und Kirche be-
ftehen, die fich nicht willkürlich zerreißen laffen, ohne
den Staat felbft im tiefften zu erlchüttern (S. 14), darauf
müffen wir auch heut noch und für alle Zukunft größtes
Gewicht legen. Kaftan rechnete damals noch mit der
Möglichkeit einer radikalen Trennung, und feine Stimmung
ihr gegenüber ift anders als die Kahls; die Signatur, die
die Kirche damit empfangen würde, nennt er die .Signatur
ihrer Jugend' (S. 39). Aber kann 'man im Alter fo
einfach zur Jugend zurückkehren? Übrigens ift Zu verficht
die Grundftimmung bei ihm fo gut wie bei Kahl.
,Die Kirche wird nicht untergehen — das fteht unter
allen Umftänden Eft' (Kaftan S. 38). — Geyer3 wollte
ein .Wort der Aufklärung und Beruhigung' fchreiben.
Er orientiert zu diefem Zweck über die Gefchichte des
Trennungsgedankens, über Frankreich, Genf und Bafel.
;Nicht Amerika mit feiner Neutralität und nicht Frankreich
mit feiner Animofität, fondern das kleine Bafel mit
feiner ftaatsklugen Liberalität gegen die Kirche ift unfer
Lehrmeifter und Vorbild geworden* (S. 45). Diefem Vorbild
entfpricht es, wenn er die Volkskirche in Gegen-
fatz zur .Bekenntniskirche' ftellt, aber auch, wenn er
(S. 65) fordert: ,der Staat fchreibt allen Religionsgefell-

1) Kahl, D. Dr. Wilhelm: Die deutfehe Kirche im deutfehen
Staat. Ollerlonntag, den 20. April 1919. (16 S.) 8°. Berlin, Weidmann
1919. M. 1 —

2) Kaftan, Wirkl. Geh. Oberkonfift.-Bat, Generalfup, a. D. D.
Theodor; Staat und Kirche. Zur Frage ihrer Trennung. (Im neuen
Deutfchland. 7. Heft.) (39 S.) Su. Berlin, VoTifche Buchh. 1919.
M. 2 —

3) Geyer, Hauptpred. D. Dr. Chtiftian: Die Trennung von Staat
und "Kirche vom Standpunkt des Proteflantismus gefeiten. Ein Wort
der Aufklärg. u. Beruhigg. (76 S.) 8U. Nürnberg, Verl. d. Buchh. d.
Ver. f. Inncrc Million 1919. M. 2 —