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Ausgabe:

1919 Nr. 2

Spalte:

254-255

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Stutz, Ulrich

Titel/Untertitel:

Der Geist des Codex iuris canonici 1919

Rezensent:

Sehling, Emil

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Theologifche Literaturzeitung 1919 Nr. 21/22.

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nicht ganz von einer gewiffen Gewaltfamkeit und einem |
Zuvieldeutenwollen (befonders im 1. Abfchnitt) freifprechen. I
Trotzdem gibt Oehlkes Buch eine fichere Grundlage für
denjenigen, der fich in die einfchlägigen Fragen einarbeiten
will; dazu trägt fein Anhang nicht wenig bei,
der außer der notwendigen Literatur reiche eigene Auszüge
aus den Quellen und wertvolle Exkurfe bietet. Daß
u. a. Oehlkes felbftändige Darftellung des Göze-Streites
auch dem Kenner der Geiftesgefchichte des 18. Jahrhunderts
viel Neues bietet, fei noch nebenher erwähnt.
Die Darftellung ift dem Gegenftande angemeffen und
lieft fich anfprechend. Die Ausstattung des Buches ist
mustergiltig.

z. Z. Heidelberg. Robert Petfch.

Zum Codex juris canonici.

Knechts Schrift1, der Abdruck eines Vortrages, gibt
ein überfichtliches Bild von der Entftehungsgefchichte
des Codex juris canonici. Der Verf. geht dabei auf die
erften Anfänge einer kirchlichen Rechtsbildung zurück,
verweilt mit befonderer Gründlichkeit bei dem Corpus
juris canonici und den fpäteren Kodifikationsverfuchen
und erörtert dabei auch die Frage, warum die Kirche
ohne Störungen den bisherigen Zuftand mit feiner vielfach
unklaren Rechtslage habe ertragen können. Er erklärt
diefe Tatfache aus der zentraliftifchen Entwicklung
der kirchlichen Verfaffung und aus der Aufrechterhaltung
der Verbindung zwifchen Rechtsfetzung und Rechtsanwendung
im Gegenfatze zu der im Staatsleben geltenden
Unterfcheidung der gefetzgebenden, ausführenden
und richterlichen Tätigkeit. — Es folgt eine eingehende
Darfteilung der Entftehung des Kodex felbft,
wobei befonders die privaten Entwürfe eines Kodex inter-
effieren. Hieran reiht fich eine kurze Charakterifierung
des Kodex. — Einige Aktenftücke find anhangsweife abgedruckt
, fo dasjenige über das vorzeitige Inkrafttreten
einiger Beftimmungen vor dem Gefammtkodex. S. 2—5
wird die Frage des Nachdrucks des Kodex behandelt.
Der Ausdruck ,Vatikanifches Kirchenrecht' wird abgelehnt
. So bietet denn der vornehme und gediegene Vortrag
neben der ausgezeichneten Orientierung über die
Entftehungsgefchichte des Kodex auch eine reiche Fülle
von Anregungen.

Unter den Einführungen in das neue Recht des
Codex juris canonici nimmt die von Scharnagl2 einen
hervorragenden Platz ein. Ihr Hauptvorzug ift eine ganz
vortreffliche Überficht über den Inhalt des Gefetzbuchs
unter Hervorhebung der Neuerungen (S. 25 — 129). Ein
eingehendes Studium des Gefetzbuchs wird dadurch
freilich nicht überflüffig gemacht, aber wer lediglich einen
gewiffen Überblick über die zahlreichen Neuerungen erhalten
will, der wird die Schrift von Scharnagl mit ganz
befonderem Nutzen gebrauchen können. Er wird fich
dann auch davon überzeugen können, wie irrig und gefährlich
die fehr verbreitete Annahme ift, daß fich eigentlich
wenig gegenüber dem früheren Rechte geändert habe.
Daß der Verfi fich eng an den Gedankengang des Gefetzbuchs
anfchließt, war für feine Zwecke nur praktifch und
wird auch durch den Charakter des Gefetzbuchs, das
vielfach wie ein Lehrbuch gehalten ift, erleichtert. Wer
den Stoff fyftematifch verarbeiten will, muß fich fein
Material aus den verfchiedenen Teilen des Gefetzbuchs
zufammenfuchen, denn die Syftematik ift nicht die ftärkfte
Seite des Gefetzbuchs. Sehr gefchickt und inftruktiv ift
die Gegenüberftellung des alten und neuen Rechts durchgeführt
.

1) Knecht, Auguft: Das neue kirchliche Gefetzbuch — Codex
Juris Canonici —, feine Gefchichte u. Eigenart. Mit e. Anh.: Sammlung
einfehlägiger Aktenftücke. (Schriften der Wiff. Gefellfchaft in
Straßburg 35. Heft.) (III, 71 S.) Lex. 8°. Straßburg, K. J. Trübner
1918. M. 3 —

2) Scharnagl, Prof. Dr. A.: Das neue kirchliche Gefetzbuch. Eine
Einiührg. m. befond. Berücklicht. des bayer. Rechtes. (IV, 135 S.) 8".
Regensburg, Verlagsanftalt 1918. M. 2 —

Henrici's Schrift3 gibt mit Zufätzen und Erweiterungen
einen Vortrag wieder, den der Verf. im Basler Juriftenverein
gehalten hat. Flott und frifch gefchrieben orientiert fie über
den Inhalt der drei erften Bücher des Kodex,kann aber natürlich
nur auf diefen oder jenen Punkt näher eingehen.
Durch gefchickt zugefpitzte Randbemerkungen hat der
Redner feine Zuhörer zu feffeln und über eine gewiffe,
bei folchen Vorträgen unvermeidbare ftatiftifche Monotonie
hinwegzuführen verftanden. Die gelegentlichen
Hinweife auf die fchweizerifchen Verhältniffe find dankenswert
.

Ob der Wunfeh des Verf., daß das Kirchenrecht infolge
diefer großen Kodifikation aufhöre, bei Anderen als
katholifchen Theologen ,als eine brodlofe Kunft von geringer
praktifcher Bedeutung zu gelten, die man wohl
mehr oder weniger ehrfurchtsvoll beftaunt, aber lieber
abfeits läßt' in Erfüllung gehen wird, möchte ich bezweifeln
. Es bleibt fogar abzuwarten, ob die Teilnahme
der Juriftenwelt über die Befriedigung der erften Wißbegierde
hinausgehen wird.

Stutz4 faßt eine Reihe von Einzelauffätzen zum
Codex juris canonici zufammen.

Der erfte Auffatz orientiert über den Kodex, feine
Entftehung, feinen Inhalt und feine Bedeutung im Allgemeinen
, der zweite Auffatz ift überfchrieben ,Neues im
Codex'. Hier hebt der Verf. die wichtigften Neuerungen
hervor, foweit er fie nicht in fpäteren Auffätzen befonders
eingehend behandelt. Diefer Auffatz wird denjenigen am
meiften intereffieren, der fich rafch über die Änderungen
gegenüber dem bisherigen Recht orientieren will — ich
denke hier nicht bloß an den vom Verf. S. 66 fo wahr
gefchilderten .Examinator' —, er wird daraus erfehen,
daß es viel Neues gibt, viel mehr als man gemeiniglich
glaubt. Der dritte und vierte Auffatz befprechen zwei
fpezielle Fragen: der Kodex und die Andersgläubigen,
fowie das Verhältnis von Staat und Kirche. Der fünfte
fkizziert die Berückfichtigung der im Vatikanifchen Konzil
geäußerten Wünfche; der fechfte bringt Wiinfche und
Ausblicke für die künftigen Schickfale der kirchlichen
Rechtsgefchichte in Wiffenfchaft und Lehre, wobei der
hohe Idealismus des Verf. warme Anerkennung verdient,
wenn ich auch feine Hoffnungen nicht völlig zu teilen
vermag.

Die drei letzten Auffätze lauten: Bürgerlichrechtliche
Einfchläge, Primat und Episkopat, der Generalvikar.

Die einzelnen Auffätze, namentlich die drei letzten,
zeugen von einer geradezu bewunderungswerten Vertrautheit
mit dem neuen Gefetzbuch und feinen nicht immer
einfachen Zufammenhängen. Ganz befonders ift der
Auffatz ,Der Generalvikar' nicht nur, wie Verf. befcheiden
meint, eine .Stichprobe', fondern ein wirkliches Mufterbei-
fpiel für die künftige dogmatifche Verarbeitung des Kirchenrechts
und erweckt die froheften Hoffnungen für die vom
Verf. in Ausficht geftellte Darftellung des gefamten
Rechtsftoffes. Hier hat ein wahrer Kenner und ein wirklicher
Jurift den fchwierigen Stoff gemeiftert.

Die Conftitution Provida von 18. I. 1906 gilt nicht
mehr. Das ift jetzt von der zur Interpretation des Codex
juris canonici Benedikts XV. eingefetzten Kardinals-Kom-
miffion am 9. Dezember 1917 entfehieden worden. Ich
hatte ihre Aufhebung durch den Kodex ohne weiteres
angenommen. Jedoch war auch die gegenfeitige Anficht
in Deutfchland vertreten, weil es fich um ein Privileir
handele, das nach can. 4 aufrecht erhalten fei. Aber
ein folches ift die Konftitution im formal-juriftifchen
Sinne nie gewefen. Es gilt alfo jetzt auch für Deutfch-

3) Henrici, Priv.-Doz. Dr. Hermann: Das Gefetzbuch der katholifchen
Kirche. (Der neue Codex iuris canonici). Vortrag. (83 S.) 8°.
Bafel, Helbing & Lichtenhahn 1918. M. 3 —

4) Stutz, Prof. Geh. Juft.-R. D. Dr. Ulrich: Der Geift des Codex
iuris canonici. Eine Einführg. in das auf Gebeiß I'apft Pius X. verf.
u. v. Papft Benedikt XV. erlaffene Gefetzbuch der kathol Kirche. (Kirchen-
rechtliche Abhandlungen. 92. u. 93. Heft.) (XIII, 366 S.) gr. 8°.
Stuttgart, P. Enke 1918. M. 18 —