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Ausgabe:

1919 Nr. 1

Spalte:

235-236

Autor/Hrsg.:

Steiner, Rudolf

Titel/Untertitel:

Die Schwelle der geistigen Welt. Aphoristische Ausführungen. 2. - 5. Aufl 1919

Rezensent:

Hoffmann, Richard Adolf

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235

Theologifche Literaturzeitung 1919 Nr. 19/20.

236

phantaftifch-verftiegenen dichterifchen Erzeugniffe eines
Alfred Mombert, befonders deffen Aeon-Mythos, als
,höchfte künftlerifche Tat' dithyrambifch preift, weil darin
,das religiöfe Grunderlebnis des Evangeliften Johannes,
der Gnofis, der deutlchen Myftik und befonders Luthers
feine letzte metaphyfifche Erhellung erfahren' habe, ift
nach der Probe, die er aus diefer Dichtung mitteilt, nicht
zu rechtfertigen. Es mag ja fein, daß auch mein ,Ohr
und Auge' derart ,depotenziert' ift, daß ich die ,Äther-
welt der Mombertfchen Mythosdichtung' nicht kongenial
wie der Verfaffer zu begreifen vermag, da ich eben eine
unverftändlich-willkürliche Zufammenfetzung von geift-
reich ausfehenden Worten noch für keine Dichtung halte.
Oder follte gerade der neue Mythos fich durch möglichfte
Unverftändlichkeit legitimieren wollen?! Aber vielleicht
gehöre ich fchon zu denen, die für Dadaismus und Kubismus
in der Dichtung kein Organ mehr befitzen.
Guftenfelden. R.F.Merkel.

Steiner, Dr. Rudolf: Ein Weg zur Selbfterkenntnis des
Menfchen. In acht Meditationen. 2—5. Aufl. Durch
ein ,Nachwort' ergänzt. (VIII, 140 S.) kl. 8°. Berlin,
Philofophifch-anthropofoph. Verlag 1918. M. 2.50
— Die Schwelle der geiftigen Welt. Aphoriftifche Ausführungen
. 2.—5. Aufl. Erweitert durch ein Nachwort.
(VII, 156S.) kl. 8°. Ebd. 1918. M. 2.50

Leefe, Pfr. Die. Kurt: Moderne Theofophie. (103 S.) kl. 8°.
Berlin, Furche-Verlag 1918. M. 2.25

Zur Einführung in die Gedankenwelt der fog. Geiftes-
wiffenfehaft liegen zwei kleinere Schriften Steiners in Neuauflage
vor, von denen die erftere 1912, die zweite 1913
erftmalig erfchienen waren. Ihr Verftändnis ift nicht leicht,
weil hier der Berliner Theofoph kraft feines Hellfehertums
Dinge befchreibt, die zunächft jenfeits menfehlicher Vor-
ftellungskraft liegen. Doch befleißigt erfich, von gelegentlich
gezierten Wortftellungen abgefehen, eines fchlichten,
würdigen Stils, der auch nach einer gut deutfehen Ausdrucksweife
ringt. Sehr zu beachten ift, daß er keine
Spekulationen über die überfinnliche Welt bieten will,
fondern Erfahrungswiffenfchaft. Was er befchreibt,
ift ihm durchaus erlebte Wirklichkeit, die fich einem
jeden mehr oder minder öffnen kann, der durch aus-
fchließliches myftifches fich Verfenken in gewiffe erhebende
Vorftellungen die nötige Seelenverftärkung fich erwirbt.

Beim Eintritt in die überfinnliche Welt lernt die Seele ihren ele-
mentarifchen (ätherifchen) Körper kennen, in welchem der phy-
fifche wie ein Kern in einer Wolke fleckt. Durch diefen zweiten Körper
tritt fie nach den Gefetzen von Sympathie und Antipathie in engften
Zufammenfchluß mit allerlei Wesenheiten, in die fie fich fozufagen
hineinverwandeln muß, denn in der elementarifchen Welt herrfchen die
Ifoliertheiten der Sinneswelt nicht mehr. Diefe Wefenheiten find z. T.
folche, die auch die Sinneswelt beherrfchen und geftalten. Was die
Seele zunächft erfchaut, find Bilder gewiffer Wefenheiten und Vorgänge
der höheren Welt. Doch darf fie diefe Bilder für nichts Wirkliches
nehmen, fondern muß durch fie hindurch zu den Wefenheiten felbft, die
durch jene nur abgefpiegelt find, in ihrer Erkenntnis vorzudringen
fuchen.

Über der elementarifchen fteht noch die rein geiftige Welt. Auch
mit ihr hängt die Seele durch einen Leib, den aftralifchen, zufammen.
In ihm fühlt fie fich freilich fchon ganz außerhalb ihres finnlichen Däferns
. In diefe geiftige Überwelt bringt fie zunächft die Erinnerungen
aus ihrem elementarifchen und ihrem finnlich irdifchen Leben mit.
Doch muß fie diefelben kraft eines Willensentfchluffes ganz aus fich
austilgen, wenn anders fie ihr ,wahres Ich' erkennen foll, das innerhalb
des finnlichen Daleins nur ganz unbewußt in ihr fteckt.

Was fo der Hellfichtige fchon in diefem Leben durch Erkraftung
feiner Seele erfchauen kann, lernt jede Seele nach ihrem Tode kennen.
Indem fie da mit gewiffen Gedankenwefen der elementarifchen Welt zu-
fammenfließt, gewinnt fie gewiffe Richtlinien für ihre Charakter- und
Schickfalsgeftaltung in einer neuen Inkarnation, durch die Einfeitig-
keiten und Verkehrtheiten ihrer bisherigen geiftigen Entwickelung ausgeglichen
werden follen. Entfprechend nimmt St. auch fchon frühere
Inkarnationen für jede Menfchenfeele an, aber zwifchen Tod und neuer
Geburt jedesmal ein längeres Verweilen in der übersinnlichen Welt.

Daß die Seele in diefer Zeit ihr künftiges Schickfal
in weitgehendem Maße vorherbeftimmen foll, fcheint mir
ein etwas irreligiöfer Gedanke. Sehr beachtenswert ift
aber für uns Theologen St.'s energifche Betonung des
Dafeins einer Überwelt, ihres zeitlichen Prius vor der

I Sinnenwelt und fein Glaube an unmittelbare Zufammen-
hänge zwifchen beiden Welten. Daß er freilich fchon
fichere Richtlinien für die auch nach ihm recht fchwierige
Unterfcheidung zwifchen wirklichen und vermeintlichen
üherfinnlichen Erlebniffen gewonnen haben follte, bezweifle
ich. Sein an fich wohl nicht zu leugnendes Hell-
fehertum dürfte doch einen mehr oder minder poetifch-
phantaftifchen Einfchlag haben. Zur Frage nach der
Reinkarnation wären noch die wichtigen Experimente
des Oberften de Rochas zu vergleichen, auf die ich durch
Maeterlincks Schrift: Vom Tode, Jena 1914 S. 75 ff. auf-
merkfam geworden bin.

KurtLeefe will in feiner aus Vorträgen entftandenen
Arbeit ein Dreifaches geben: eine Einführung in die Gedankenwelt
der Theofophen S. 1—49, einen Vergleich
derfelben mit ähnlichen Strömungen der Vergangenheit
S. 49—75, und gewiffe Richtlinien zur Beurteilung der
Bewegung S. 75—101. Er hat mit Recht vor allem
Steiners Gedanken vor Augen, obwohl eine Berück-
fichtigung etwa auch der Schriften Rudolphs nicht ohne
Intereffe gewefen wäre. Von den Steinerfchen Veröffentlichungen
zieht er in etwas einfeitiger Weife vor allem
die eine, jetzt in achter Auflage vorliegende heran: Wie
erlangt man Erkenntniffe der höheren Welten?
Auch fonft macht er fich die Darfteilung etwas leicht,
indem er nur Bruchftücke aus St's reicher Ideenwelt
feinen Lefern übermittelt, anderfeits die nicht übermäßig
wichtige finnlich-überfinnliche Farbenfchau des Hell-
fichtigen recht breit behandelt. Unerwähnt bleibt z. B. die
Steinerfche Unterfcheidung zwifchen elementarifcher und
rein geiftiger Welt, fowie feine Annahme mehrerer ver-
fchiedener Leiber des Menfchen. Gut ift im zweiten Teil
die Gegenüberftellung der Geifteswiffenfchaft und der alt-
indifch-buddhiftifchen Gedankenwelt. Die Ähnlichkeit
zwifchen dem Yoga und der Steinerfchen Meditation ift
aber doch wohl größer, als der Verf. S. 58 anzunehmen
fcheint. Mit Recht wird hervorgehoben, in wie fruchtbarer
Weife gewiffe buddhiftifche Gedankengänge bei
St. durch Aufnahme der neueren Entwickelungslehre um-
geftaltet find. Dann zieht L. noch den Gnoftizismus und
die altdeutfche Myftik heran. Vielleicht wäre auch ein
Vergleich mit Fechnerfchen Gedanken lehrreich gewefen
. Bei den Gnoftikern wäre wichtig, feftzuftellen,
was alles fie von dem, was fie über die überfinnliche
Welt ausfagen, wirklich gefchaut haben wollen.

Das Urteil des Verf.'s über die theofophifche Richtung
lautet im wefentlichen ablehnend. Auf manche
ihrer Schwächen, wie ihren anfechtbaren Wiffenfchafts-
begriff, weift er treffend hin. Die Frage nach dem Verhältnis
der Bewegung zu Religion und Chriftentum hätte
wohl genauer behandelt fein können.

Die wörtliche Überreizung von Theofophie ift nicht: Göttliche
Weisheit, wie es S. 11 heißt, fondern: Gott betreffende Sachkunde.
Verdienftvoll ift S. 83 Anm. L.'s Eintreten für Schrenck-Notzings viel
angefochtene ,Materialifationsphänomene'.

Wien. R. A. Hoffmann.

Werdermann, Lic.Dr.Herrn.: Katechetifches Pflichtbewußt-
fein. Ein Wort zur Gegenwarts- und Zukunftsaufgabe
des evangel. Religionsunterrichts. (107 S.) 8°. Gütersloh
, C. Bertelsmann 1918. M. 3—; geb. M. 4 —
Der Verfaffer behandelt: die katechetifche Aufgabe
im Rahmen des geiftlichen Berufs, das katechetifche
Pflichtbewußtfein, die Selbftkritik, die Vorbereitung, die
Stellung zur katechetifchen Literatur, den Unterricht, die
Nacharbeit und Erweiterung, den Wert der Methodik,
die wiffenfehaftliche Fortbildung. Das Ganze ift eine
eindringliche Mahnung an den ganzen evangelifchen Pfarr-
ftand, es mit der Aufgabe des kirchlichen Unterrichts
ernfter und gewiffenhafter zu nehmen als bisher. Die
Autoritäten Werdermanns find befonders Vorwerk und
Thrändorf.

Die Darlegungen find nicht ohne Wiederholungen und wollen
nicht eigentlich Neues bieten. Aber fie find frifch gefchrieben, aus dem
Vollen gefchöpft, vielfeitig und von gefunden! Urteil getragen. Es