Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1919 Nr. 1

Spalte:

220

Autor/Hrsg.:

Frövig, A.

Titel/Untertitel:

Das Selbstbewußtsein Jesu als Lehrer und Wundertäter nach Markus und der sogenannten Redequelle untersucht 1919

Rezensent:

Dibelius, Martin

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

219

Theologifche Literaturzeitung 1919 Nr. 19/20.

220

Jeremias, Chriftliebe: Die Vergöttlichung der babylonifch-
allyrilchen Könige. Mit 6 Abbildgn. im Text u. auf
Tafeln. (Der alte Orient, 19. Jahrg. Heft 3/4.) (26 S.)
gr. 8°. Leipzig, J. C. Hinrichs 1919. M. 1.50

Frl. Jeremias hat fich für ihre Studie das intereffante
Thema der Vergöttlichung der babylonifchen Könige gewählt
und es, um das gleich hier hervorzuheben, in fehr anerkennenswerter
Weife durchgeführt. Sie befpricht zuerft
die Stellung des Königs im allgemeinen. Er ift ein Abbild
der Gottheit; ja befonders hervorragende Herrfcher wie Gil-
games find ,zwei Drittel Gott und ein Drittel Menfch'.
Von hier aus war es nur noch ein Schritt zur Vergöttlichung
der Könige, den gerade die Herrfcher des babylonifchen
Altertums des öfteren getan haben. Bei manchen
von ihnen ift nur eine Verehrung ihrer im Tempel
aufgeftellten Statue nach ihrem Tode erweisbar, aber
mehrere Könige der Dynaftien von Akkad, Ur, lfm und
Larfa haben fich fchon bei Lebzeiten vergöttlicht. Diefe
Sitte fcheint dann von dem großen Hammurapi wieder
abgefchafft zu fein. Er nennt fich zwar auch ,den
Sonnengott von Babylon', ,den Gott der Könige'
und ,den Bruder des Gottes Zamama', lange nach
feinem Tode noch zur Zeit des Ammi-zaduga wurde fein
Bild noch verehrt und bei ihm Leberfchauorakel vorgenommen
, aber das Gottesdeterminativ fetzt er feinem
Namen nicht mehr voran. Auch nach ihm haben wir
keine direkten Zeugniffe mehr für die Vergöttlichung
der Könige. Zum Schluffe gibt die Verf. Ausblicke
auf die Weiterbildung des Gottkönigstums im Altertum.
Breslau. Bruno Meißner.

Uckeley, Prof. D. Alfred, u. Konf.-Rat Wilhelm Richter:
Die Bibel und der moderne Menfch. Eine Einführg. in
das Verftändnis der Heiligen Schrift. (79 S.) gr. 8°.
Potsdam, Stiftungsverlag 1919. M. 3 —

Immer mehr wird man fich deffen bewußt, was man
verfäumt hat, wenn man in allzugroßer Ängftlichkeit die
Gemeinde über den Stand der Wiffenfchaft von der
Bibel in Kenntnis zu fetzen unterließ; immer mehr
macht fich darum das Bedürfnis geltend, fie in das heutige
Verftändnis der Heiligen Schrift einzuführen. Ein
Mufter für die ficher zu erwartenden zahlreichen Ver-
fuche, dies nachzuholen, bietet die Schrift der beiden
Königsberger Theologen, die den Kern von Vorträgen
enthalt, die fie vor gebildeten Zuhörern gehalten haben.
Man kann fich nur freuen, in welcher Weife es ihnen
gelungen ift, mit dem frommen Ton, der dem Gegenftand
gebührt, den fo nötigen andern einer frei-offenen Darlegung
der kritifchen Ergebniffe zu verbinden. Richtig
beginnen fie mit der an die Stelle der alten naiven Haltung
getretenen reflexiven unfrer gebildeten Welt, die
aber der Weg zu neuem Verftändnis werden foll. Dann
wird wieder fehr gefchickt die Bibel in ihrer Schönheit
und als Gefchichts- und als Kulturquelle gewürdigt.
Darauf folgt eine Zufammenfaffung der Ergebniffe der
kritifchen Bearbeitung beider Teftamente in einem der
heutigen Durchschnittsmeinung fehr nahekommenden Sinn.
Den Schluß bilden Abfchnitte, die auf den praktifchen
Gebrauch hinzielen: mit Recht wird der üblichen Verwendung
der Bibel als Spruchbuch gegenüber die Einführung
in den Gefamtgeift der Schrift gefordert. Ihre
Bedeutung als charakterbildende Macht tritt an einigen
Beilpielen ins Licht; ihre Infpiration wird fehr anfprechend
als ,Gott aushauchend' verftanden, ohne daß fich diefe Erkenntnis
des Glaubens analytifch faffen ließe. Mit einigen
Winken für den Schriftgebrauch schließt das anfprechende
Buch. — Vielleicht hätte mancher Hörer und Lefer gern
etwas mehr über einzelne Stücke der Schrift, etwa die
Kindheitsgefchichten u. a. erfahren. Aber zur erften Einführung
in einen kritifch pofitiven Gebrauch der Bibel
genügt das Dargebotene, zumal da durch reichlich ein-
geftreute Zitate jedem Gebildeten klar werden muß, daß
die Verfaffer mit ihm auf demfelben Kulturboden ftehn.
Heidelberg. Niebergall.

Frövig, D. A.: Das Selbltbewußtlein Jehl als Lehrer und
Wundertäter nach Markus u. der fog. Redequelle unter-
fucht. Ein Beitrag zur Frage nach der Meffianität
Jefu. (VII, 263 S.) gr. 8°. Leipzig, A. Deichert 1918.

M. 6 —

Der Verf., ein norwegifcher Pfarrer, verflicht der
Wertung nahezukommen, die Jefus felbft von feiner Per-
fon und feinem Werke hatte, indem er Jefu Worte und
Taten nach dem .Selbftbewußtfein' ihres Schöpfers befragt
. War es das Bewußtfein eines Rabbi oder eines
jüdifchen Wundertäters, war es prophetifch, .überprophe-
tifch', meffianifch? Bei dem die ganze Beweisführung als
Unterbau tragenden Vergleich zwifchen Jefus und den
Rabbinen wird mancherlei Richtiges gefunden und manche
alte Beobachtung in ein neues Licht gerückt. Auch ich
würde als das, was Jefus von den Rabbinen unterfcheidet,
vor allem feine Selbftändigkeit nennen (S. 29), das Fehlen
des Formalprinzips, wie wir fagen würden. Auch ich
glaube wie F. (S. 55. 58), daß wir die Doppelheft der
Forderungen Jefu — bald innere Wandlung, bald völliger
Bruch mit allen Lebensverhältniffen — nicht durch Kritik
aus der Überlieferung befeitigen können. Auch mir fcheint
die Gefchichte vom Gelähmten nur als Amhaarez-Gefchichte
ihre Erklärung zu finden; gerade darum möchte ich aber
von der Erdichtung eines Reue und Furcht verratenden
Blicks in den Augen des Kranken (S. 119) endgültig
abfehen.

Was wir — fo folgert der Verf. — aus der Überlieferung
über Jefu Selbftbewußtfein entnehmen, fprengt
den Rahmen des Prophetifchen, erweift fich als über-
prophetifch, als meffianifch. Mir fcheint es zu diefeni
Ziel des langen Weges nicht zu bedürfen. Es wäre die
Tradition zu befragen, ob fie über Jefu Stellung zum
Meffiastitel und zur Meffiasfrage Glaubwürdiges enthält.
Auch mir fcheint das der Fall zu fein, aber ohne daß
für mich das Problem von Jefu ,Selbftbewußtfein' damit
fchon reftlos erledigt ift. Dem Verf. aber bedeutet .Meffianität
' Jefu nicht die Defignierung zum kommenden Meffias,
fondern die während feiner Wirkfamkeit fchon vorhandene
Eigenfchaft Jefu als gegenwärtiger Meffias im bereits
gegenwärtigen Gottesreich. In feltfamer Weife wird mit
diefer Thefe dann die Darftellung des ,Geiftesbefitzes' Jefu
verbunden. Wenn diefer Geilt freilich als der Bürge Jefu
für eine Erhöhung erwiefen werden foll, fo fcheint mir
fchon die Frage, die eine folche Antwort erheifcht, über
den Rahmen kritifcher Wiffenfchaft hinauszugehen.

Überhaupt find mir die kritifchen Maßftäbe des Verf. bisweilen
bedenklich. Wellhaufens .radikaler Standpunkt' — die ganze Eschato-
logie ein Produkt der Gemeinde — ift ,wohl der Beachtung wert', denn
F. entnimmt diefer Kritik die Mittel, den Glauben an die unmittelbare
Nähe des Endes aus Jefu Gedanken auszufcheiden, Jefus alfo vom Verdacht
eines Irrtums zu entladen I (S. 185 f.) Auch die Bitte um das
Reich im Vaterunfer ift fchwer begreiflich, ,wenn ficher war, dal! es
unmittelbar nahe feil' Die Worte Jefu, die Gottes Herrfchaft als gegenwärtig
erfcheinen laffen, find darum nicht auf das Konto der Gemeinde
zu fetzen, weil fie zu deren eschatologifcher Stimmung im Gegenlatz
liehen (S. i&yf.). Als ob in der Gemeinde nicht gerade die gegenteilige
Stimmung fich fehr bald verbreitet hätte! Völlig unzulänglich
ift auch die Behandlung der Heilungsgefchichten. Ihre Entftehung kann
nach F nicht aus jüdifchem oder chriftlichem Meffiasglauben verftanden
noch können fie mit jüdilchen oder chrilllichen Exorzismen verglichen
werden, denn bei Jefus fpielen Formeln keine Rolle (S. 64—95). Beides
ift doch nur zur Hälfte richtig und eine Scheidung unter den ftiliftilch
völlig verfchiedenen Heilungsgefchichten wäre darum die Vorbedingung
zu jeder weiteren Erörterung. Ich darf dafür vielleicht auf meine inzwischen
erfchienene Schrift ,Die Formgefchichle des Evangeliums' verweilen
. Aus ihr ergibt fich auch, warum ich der Behandlung von
Mt. 11,27(1. durch den Verf. nicht zuftimmen kann.

Die angeführten Beifpiele, befonders die erften drei
Fälle werden es begreiflich erfcheinen laffen, daß ich bei
der Lektüre den Eindruck einer kritifch verkleideten Apologetik
nicht los geworden bin. Was ich vermiffe, ift
die Fähigkeit zu ruhiger und fachlicher Interpretation,
jenes Vermögen zur Philologie im bellen Sinne, deffen
Fehlen Nietzfche unter die typifchen Theologenfünden
zählt.

Heidelberg. Martin Dibelius.