Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1919 Nr. 1

Spalte:

206

Autor/Hrsg.:

Heiler, Friedrich

Titel/Untertitel:

Luthers religionsgeschichtliche Bedeutung 1919

Rezensent:

Köhler, Walther

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

20S

Theologifche Literaturzeitung 1919 Nr. 17/18.

206

die an dem Theologifchen, und Denifles ,Luther und
Luthertum' als ein foiches für eine 'lheologie, die an dem
Biographifchen achtlos vorübergeht, ficht in Scheels
,Luther', von dem er aber nur den erften Band kennen
konnte, die richtige Verbindung beider Momente und
referiert mit einigen kritil'chen Bemerkungen über ihn.
Der zweite Teil verfucht eine Kritik an Troeltfch, die
aber nicht fehr in die Tiefe geht, wie fchon der ungeheuerliche
Satz befagt, daß Troeltfch und Dilthey
.eigentlich ausgelprochen, daß Luther dem modernen
Menfchen nichts oder doch fehr wenig zu fagen hat'.
Wer Troeltfch wirklich gelefen hat, kann fo nicht urtei.en.

Schweizerilche Literatur.

Ernft Stäheiin von dem wir eine neue Biographie
des Baller Reformators zu erwarten haben, bietet als
weitere Voiftudie zu ihr jetzt eine Bibliographie der
Werke Oekolampads mit einer Einleitung, die ihre
Notwendigkeit ohne weiteres rechtfertigt. Es handelt fich
um ein Verzeichnis des unter Oekolampads Namen Veröffentlichten
, wobei die Ausfchaltung von Unechtem vorbehalten
bleibt und Ungedrucktes nicht aufgenommen
ift Eine erlchöpfende Angabe der Fundorte war infolge
der Kriegszeit unmöglich, doch fcheint Vf., foweit ich
fehe, auch die in den Schweizer Bibliotheken vorhandenen
Drucke nicht vohftändig gebucht zu haben, was doch
wohl möglich gewefen wäre. Nr. 143, 154, 155 find z. B.
in Zürich vorhanden. Die Gefamtzahl der beiprochenen
Drucke betragt 226! Von Nr. 151 ift eine deutfche Über-
fetzung aus der Feder von Wolfgang Weißenburger er-
(chienen; vgl. N. Paulus: die deutfchen Dominikaner im
Kampfe gegen Luther S. 196 Anm. 3.

Paul Burckhardts2 ,Zwingli' ift eine vortreffliche
Leiftung, ein kurzes Charakterbild unter Herausarbeitung
alles Wefentlichen und forgfaltiger Benutzung der Quellen.
Der Stoff ift in drei Kapitel eingeteilt: Zwingiis Entwicklung
und Lebensgang bis zum Sieg der Reformation in
Zürich; Zwingli auf der Höhe feiner Wirkfamkeit, feine
Perfoniichkeit, feine reformatorifche und literarifche Arbeit,
feine Theologie und feine Anschauungen von Kirche,
Staat und Vaterland; die zürcherifche Theokratie, die
fchweizerifche und internationale Politik Zwingiis bis zu
ihrer Kataftrophe. Auf die Darfteilung der Politik
Zwingiis ift befonderer Nachdruck gelegt worden, doch
kommt der Reformator nicht zu kurz. Einige Berichtigungen
habe ich im .Anzeiger für fchweiz. Gefchichte 1918'
gegeben.

Katholilche Literatur.

Grifar3 follte man zu bedenken geben: es gibt
auch eine Ethik des Rezenfierens, und ihre klaffilche
Formel hat kein anderer als Luther geprägt: ,fondern
follen ihn entfchuldigen, Gutes von ihm reden und Alles
zum Beften kehren'. Die Zufammenftellung der Literatur
ift dankenswert und brauchbar, man wird es auch
Grifar nicht allzu fehr verübeln, daß er wieder einmal
die Selbftzerfetzung des Proteftantismus glaubt feftftellen
zu dürfen da der ganze Luther beim Jubiläum als in
Stücke gefprungen fich erwiefen habe; man wird den
Tadel mancher0 Überfchwänglichkeit berechtigt finden,
aber fchärfften Einfpruch erheben gegen die boshafte
und biffige Art, mit der durch Obehsci (nach berühmtem
Mufter) die einzelnen Autoren verletzt und perfonlich
heruntergefetzt werden. Insbelondere ift Grifar ergrimmt
über die, die wiederholt das Wort ergriffen. In deren

1) Stachelin, Priv.-Doz. Lic. Ernft: Oekolampad-Bibliog'aphie.
Verzeichnis der im 16 Jahrh. erfchienenen Oekolampaddrucke. (Sep.-Dr.
aus Bd. XVII, 1 der ,Ba 1er Zeitfchnft f. Ge ch. u. Aitertumskde.')
(119 S.) gr. 8». Bafel, Helbing &c Lichtenhahn 1918. M. 6 —

2) Burckhardt, Dr. Paul: Huldreich Zwingli. Eine Darftellg.
feiner Perfoniichkeit u. feines Lebenswerkes. (Schriften f. Schweizer
Art u. Kunft 74/77.) (136 S.) 8". Zürich, Rafcher & Cie. 1918. M. 3 —

3) Grifar, Prof. Hartmann, S.J.: Die Literatur des Lutherjubiläums
1917, c. Bild des heut. Proteftantismus. S.-A. aus der ,Zcitfchrift f.
kath. Theol.' Bd. 42 (1918). (II u. S. 592—814.) 8». Innsbruck,
F. Rauch 1918. M. 2 —

Namen darf ich wohl ausfprechen: wir, die wir dem
Vaterlande nicht mit der Waffe dienen konnten, haben
es als Ehrenpflicht betrachtet, einzufpringen, wo wir nur
konnten, um zur Hebung idealen Sinnes und einer
würdigen Lutherfeier beizutragen. Und manchem hat
auch bittere Not um den Lebensunterhalt die Feder in
die Hand gedrückt. — Vollen Beifa 1 Grifars hat natürlich
das Werk von Bichler4 gefunden; denn es ift
nichts Anderes als ein popularifierter Grifar, auf den hier
näher einzugehen fich erübrigt. Das befte Kapitel ift das
letzte; es ift B. ohne Weiteres zuzugeben, daß im
Jubiläumsjahre manche Übertreibung, namentlich nach
der nationalen Seite hin, gefallen ift; er hat auch Recht
mit dem Satze: .Luther ift als Einigungspunkt (zwifchen
Katholiken und Proteftanten) unmöglich', nicht minder
mit dem anderen, daß es in proteftantifchen Kreifen oft
an den einfachften Kenntniffen vom Katholizismus fehlt
(doch greift die hier S. 223 gegen Holl angeletzte Polemik
fehl), und zum .friedfamen Wettftreit' find wir gerne
bereit, aber — die Taten dazu loll man nicht nur von
uns fordern, fondern auch felbft leiften! Das Mufter
einer untadeligen Lutherunterfuchung bietet Heiler5,
und es kennzeichnet die Lage, daß feine Probevorlesung
nicht nur ftarken Einwänden katholifcherfeits begegnete
(fie find in den Anmerkungen mitgeteilt), fondern Gegen-
ftand öffentlicher Warnung durch Grupp in den hift.-pol.
Blättern wurde. Dabei hat H. nichts Anderes getan, als
.Luthers Perfoniichkeit und Ideen von der hohen Warte
der allgemeinen Religionsgefchichte aus zu betrachten
und zu würdigen'. Ex faßt ihn als religiöfen Genius, als
Vertreter prophetifch-evangelifcher Religion im Gegenfatz
zur römifchen fynkretiftifchen Myftik. Das wird im
Einzelnen fein und lehrreich durchgeführt. Verfehlt ift
nur der Satz, daß ,dem biblilchen Religionstyp jede
prinzipielle Weltindifferenz und Kulturfeindlichkeit fehlte';
davon kann keine Rede fein.

Zürich. Walther Köhler.

4) Bichler, Franz: Luther in Vergangenheit und Gegenwart.
(240 S.) kl. 8". Regensburg, F. Puftet (19181. M. 3—

5) Heiler, Dr.Friedrich: Luthers religionsgefchichtliche Bedeutung.
Probevorlefung, geh, am 12. 10. 1918 an der Ludwig-Maximilians-Uni-
verfität München. (31 S.) gr. 8". München, E. Reinhardt 1918. M. 1.50

Zwingliana. Mitteilungen zur Gefchichte Zwingiis u. der
Reformation. Hrsg. vom Zwingliverein in Zürich,
Red.: G. Meyer v. Knonau. — W. Köhler. 1918
Nr. 1/2 1919, Nr. 1. (Bd. III, Nr. 11/13.J (S. 325—460
m. Abbildgn. u. i Titelbild.) gr. 8°. Zürich, Buchdruckerei
Berichthaus. Je M. — 75
Weithin beachtenswert ift der mutige, gründliche
Vortrag Farners .Zwingli und fein Werk'. Wie 1915
bricht er mit der Meinung von Zwingiis anfänglicher
Selbftändigkeit gegenüber Luther. Der Humaniften-
pfarrer, dem die Bibel ein Moralbuch ift, kommt erft
durch Luther 1519 zum wahren Verftändnis des Evangeliums
, aber wird kein Nachtreter. Farner fchildert Z.s
Eigenart und fucht die Urfache des Unterfchieds von
Luther zu ergründen. Gegenüber von Luthers fchwerer
Jugend ift Z. ein frohes Glückskind, das in glänzendem
Aufftieg in Zürich .Hauptpfarrer, Schulherr, Stadtfchreiber,
Bürgermeifter, Generalftabschef'(l) wird, die ganze Eid-
genoffenfchaft beeinflußt, ja mit feiner Politik eine euro-
päifche Größe wird. Beherrfcht Luther die ,Heilsfra°-e'
fo Z. die ,Wahrheitsfrage'. Farner fleht in Z. den
konfequenteren, radikaleren Reformator, aber vorfichtiger,
programmäßiger, pädagogifcher als Luther mit feiner
.maßlos kühnen Art'. Dabei vergißt er Luther gegenüber
Karlftadts .Überftürzungen' und fein Vorwort zum
Unterricht der Vifitatoren. Neu ift die Nachricht von
Z.s Studium in Paris (Köhler), die Aufzeichnung über
die nach Form und Inhalt eigenartige Predigt am 5. März
1525 wider die Penfionen (Gagliardi), die zwei vier-
ftimmigen Sätze des Kappeler Lieds (Bernoulli). Meifter-
haft behandelt Ficker die Bildniffe. Eekhof zeigt neben