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Ausgabe: | 1919 |
Spalte: | 185-186 |
Kategorie: | Kirchenfragen der Gegenwart |
Autor/Hrsg.: | Mayer, Otto |
Titel/Untertitel: | Die Trennung von Kirche und Staat, was sie bedeutet und was sie zur Folge hat 1919 |
Rezensent: | Schian, Martin |
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Theologifcbe Literaturzeitung 1919 Nr. 15/16.
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Sache befprechende und doch durchaus praktifch-volks- I er einfach nahm, was fich ihm gefchichtlich bot, um es
tümliche Erörterung bietet Tilemanns1 Vortrag. Er
ift in Oldenburg gehalten, aber keineswegs auf befondere
Oldenburger Verhältniffe zugefchnitten. — Ganz ausgezeichnet
hat es Otto Mayer2 verftanden, klarzulegen,
was die Trennung bedeutet. Er gliedert fcharf in viele
kleine Abfätze mit befonderen Überfchriften, läßt alles
Überflüffige fort, widmet jedes Wort der Gegenwart, urteilt
beftimmt und treffend. Daß auch diefe befonders
empfehlenswerte Schrift in einigem, z. B. in dem zum
Religionsunterricht Gefagten, durch die rafche Entwicklung
fchon überholt ift (wenigftens wenn Gefetz wird,
was bisher die Weimarer Nationalverfammlung befchloß),
ift als unvermeidlich hinzunehmen. — Dibelius3 läßt
alles Einzelne beifeite; feine Schrift ift ein lebendig ge-
fchriebener allgemeiner Weckruf, der die Trennung als
unvermeidbar bezeichnet und die Lage, mit der zurechnen
ift, in großen Strichen fchildert.
4. Schriften zur kirchlichen Neugeftaltung.
Der Vortrag, den Theodor Kaftan4 1917 bei der Reformationsjubelfeier
der Allg. ev.-luth. Konferenz gehalten,
ift in der 2. Aufl. durch ein Nachwort vom Dez. 1918
ergänzt. Er bekämpft das Staatskirchentum in fcharfer
Form vom kirchlichen Gefichtspunkt aus: diefe Teile der
Schrift find jetzt natürlich nicht mehr von aktueller Bedeutung
. Wichtig aber bleibt, was K. über die Kirchenordnung
der Zukunft fagt. Er will nicht die Freikirche,
londern, und zwar mit Entfchiedenheit, die Volkskirche.
Nicht der Staat nur, fondern auch die Kirche Jefu Chrifti
brauche die Volkskirche (S. 17). Die .ftaatsfreie Volkskirche
' foll ihr Bekenntnis behalten; bei der Neuordnung
ift .tunlichft kontinuierlich, möglichft wenig brüchig' zu
verfahren (S. 24); dem geiftlichen Amt ift ,eine gewiffe
Selbftändigkeit' zu wahren; in den Synoden follen die
weltlichen Mitglieder überwiegen, u. U. fogar erheblich.
Das Nachwort tritt u. a. für .Bifchöfe nicht hierarchifcher
Art', aber mit „Bewegungsfreiheit in verantwortlicher Selbftändigkeit
"' ein.— Hunzinger5 befpricht in 12 kurzen,
fcharf formulierten Abfätzen wichtige Fragen der kirchlichen
Neugeftaltung, ohne auf die Verfaffungsfragen im
engeren Sinne irgend einzugehen. Er handelt von Staatskirche
, Klaflenkirche, Paftorentum, Bureaukratismus, Wortkirche
und Tatgemeinfchaft (für Tatgemeinfchaftl), vom
.neuen Bekenntnis' (ein folches wird lür notwendig erklärt
), von Wiffenfchaft, Predigt ufw. Alles ift anregend
und gewiffenfchärfend; freilich drängt fich oft Wider-
fpruch auf. Eine Einzelheit: Daß die preußifche Landeskirche
von allen deutfchen Kirchen am engften mit dem
Staat verbunden gewefen fei (S. 3), ift eine unrichtige,
und zwar in jeder Hinficht fehr unrichtige Behauptung.
_ Fleifch6 holt ziemlich weit aus; er fpricht vom
lutherifchen Kirchenbegriff und feiner Stellung zu den
wefchichtlichen Erfcheinungsformen der Kirche, von dem
dem äußeren Kirchentum notwendigen Bekenntnis, von
Luther, der weder für Gemeindebewegung noch für Ge-
meinfchaftsbewegung in Anfpruch zu nehmen fei, weil
1) Tilemann, Oberkirchen-R. Lic. Dr.: Staat und Kirche.
Öffentlicher Vortrag, geh. am 6. Dezbr. 1918 im Saale der .Union' zu
Oldenburg. S.-A. aus dem Oldenburger Sonntagsblatt. (16 S.) gr. 8».
Oldenburg, Oldenburger Sonntagsblatt 1918. M. — 55
2) Maver, Geh. Rat D. Dr. Otto: Die Trennung von Kirche
und Staat,'was fie bedeutet und was fie zurFolgehat. (26 S.)
8». Leipzig, B. G. Teubner 1919. M- — 80
3) Dibelius, Pfr. Lic. Dr. Otto: Die Trennung von Kirche
und Staat. Eine Darftellung u. e. Aufruf. (Die neue Zeit. Schriften
zum chriftl.-fittl. Wiederaufbau des deut. Vaterlandes Heft 1.) (30 S.)
8». Berlin, Schriflenvertriebsanftalt 1919. M- _ 60
4) Kaftan, Gcn.-Superint. a. D. Wirkl. Geh. Oberkonf.-Rat D.
Theodor: Die ftaatsfreie Volkskirche. 2. verm. Aufl. Mit e.
Nachwort aus der Mitte des Dezember. (Sonderdruck aus der Allg.
Ev.-Luth. Kirchenzeitg. 1918.) (37 S.) 8». Leipzig, Dörfling & Franke
1918. M. 1.20
5) Hunzinger, Auguft Wilhelm: Die Volkskirche. (28 S.)
8». Berlin, Hutten-Verlag (1919). M. 1.20
61 Fleifch, Studiendir. P.: Gedanken zur Kirchenfrage im
lutherifchen Sinne erwogen. (40 S.) 8°. Hannover, H. Feefche 1919.
M. I —
fo auszubauen, wie es die Not der Zeit erforderte (hierzu
mache ich ein Fragezeichen), vom Landeskirchentum und
feiner Entwicklung, von den Forderungen der Kirche an
den Staat und von der Art, wie die Kirche, insbefondere
die hannoverfche, ihr Haus umbauen folle. Fleifch wünfcht
Erhaltung des Beftehenden, Umbau nur, foweit nötig.
Volkskirche ift ihm — auch in Luthers Sinn — durchaus
wünfchenswert; mit der Sicherung der Minoritäten empfiehlt
er abzuwarten; die Sammlung einer .engeren Schar'
in der Kirchenverfaffung vorzufehen, empfiehlt er nicht.
Wie er fich weiter die künftige Verfaffung ausmalt, das
kann hier nicht dargelegt werden; er bringt in mehreren
Stücken eigene, erwägenswerte Vorfchläge, die wohl befonders
auf Hannover bezogen find, aber doch auch fonft
anwendbar fein könnten. Auch dabei verleugnet er nicht
eine recht konfervative Haltung. Beachtenswert ift fein
nachdrückliches Eintreten für ftaatliche Fakultäten. _
Walther7 fordert in großer Kürze, daß .unfere Kirche'
fich fchleunigft neu organifiere, bei der Trennung bleibe
,was fie war', womöglich auch Volkskirche bleibe, aber
ein neues Kirchenregiment fchaffe. Mecklenburo-er Verhältniffe
(keine Synode) find beim letzten Punkt ftark
berückfichtigt. — In etwas fchwerfälligem Stil tritt Leonhard8
(was kaum noch nötig war) dafür ein, daß die
Trennung zu einer .reinlichen Scheidung ohne Animofi-
tät' werde, und daß Volkskirche bleibe, und daß der
Religionsunterricht faft ganz von der Kirche übernommen
wird (fo fcheinen S. 24 ff. gemeint zu fein).
5. Anderes. Der Schweizer Pfarrer Keller9 will,
daß die evangelifchen Kirchen der Welt fich der Einheit
des Erbes und der Ziele bewußt werden und endlich
die Einheit des Proteftantismus herftellen follen, denn
der Völkerbund ift ja ,im Werden'. So kann nur ein in
Utopien geborener neutraler Pazifift reden; aber auch er
würde im Sommer 1919 wohl fchon nicht mehr fo reden.
Gießen^ M. Schian.
7) Walther, Prof. D. Dr. Wilh.: Auf zum kirchlichen Umbau
. (8 S.) 8». Roftock i. M., H. Warkentien 1919. M. — 45
8) Leonhard, Archidiak. Superint. a. D. Dr. jur. W.: Die Lage
der Landeskirche und ihre künftige Geftalt. (32 S.) 8°. Dresden,
Holze & Pähl 1919. M. 1 —
9) Keller, Pfarrer Adolf: Der Völkerbund und die Kirchen.
Vortrag an der Bezirksfeier in Zürich. 8". (16 S.) Zürich, Art. In-
ftilut Orell Füßü 1919. M. 1.20
Erwiderung.
In der Nr. 11/12 diefcr Zeitfchrift unterzieht P. Jenfen meine Schrift
,Die Sprache der Hethiter' einer erftaunlichen Kritik, die ich nicht unerwidert
laden kann. Wenn er auch — fichtlich mit großem Widerwillen
— in zwei kurzen Sätzen anerkennen muß, daß meine .verdienft-
volle Arbeit' ,auf feftem Boden fteht', fo ift er doch leidenfchaftlichft
bemüht, meine Arbeit in fehr langen Ausführungen möglichft herabzufetzen
. Der mit größeren Typen gedruckte Hauptteil feiner Kritik ift
faft ausfchließlich dem Nachweife gewidmet, daß die Entzifferung .verhältnismäßig
leicht' war. Dies ift aber vollkommen unrichtig. Jenfen
weiß fehr gut, daß eine Reihe von verdienftvollen Forfchern (Winckler
Weidner, Delitzfch, Figulla, Böhl) vor oder neben mir an den BoghazköR
Texten gearbeitet hat, ohne daß fie zu den in meinem Buche niedergelegten
Ergebniffen gekommen wären. Jetzt — den Nachentzifferern
— ift es freilich ein — Kolumbus-Ei! Unrichtig ift die Behauptung
Jenfens, daß er ,flch unabhängig von Hrozny im Laufe von zwei Mo-
naten in die ihm zugänglichen Texte hineingearbeitet hat', da er, als
er an diefe Texte ging, bereits meinen Entzifferungsverfuch kannte
Daß übrigens die Entzifferung des Hethitifchen, die Feftftellung des
Baues und der Verwandtfchaften diefer Sprache nicht fo einfach war
und ift, beweift Jenfen felbft, der auch jetzt noch glaubt, meine Entzifferung
annehmen, meine Thefe aber, daß das Hethitifche eine indo-
germanifche Sprache ift, ablehnen zu dürfen. Und doch ift meine
Thefe nur eine Konfequenz meines Entzifferangsverfuch.es. Ift diefer
richtig, fo ift das Hethitifche eine indogermanische Sprache Ich ver-
weife nur z. B. auf das Urteil eines fo maßgebenden Indogermaniften wie
es G. Herbig ift (DLZ 1916, 427): .Wenn Hroznys Gleichungen
S. 23—29 auch nur in der Hauptfache berechtigt find, kann an dem
indogermanifchen Charakter des Hethitifchen nicht mehr gezweifelt
werden'. Sie lind aber richtig, wie auch Jenfen jetzt wohl felber zugeben
muß!
Völlig unrichtig ift auch der Satz, daß ich .Knudtzons Thefe mit
etwas geräufchvoller Emphafe aufgenommen habe'. Als ich an die
Entzifferung der hethitifchen Keilfchrifttexte ging, war die ganze Wiffen-