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Ausgabe:

1919 Nr. 1

Spalte:

179-180

Autor/Hrsg.:

Kawerau, Gustav

Titel/Untertitel:

Jahrbuch für Brandenburgische Kirchengeschichte. 15. u. 16. Jahrg 1919

Rezensent:

Clemen, Otto

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179

Theologifche Literaturzeitung 1919 Nr. 15/16.

180

Annahme der neuen Lehre durch eine Stadtobrigkeit noch
um die Löfung mancher, insbefondere fozialer und wirt-
fchaftlicher Schwierigkeiten handelte. In Northeim waren
diefe Schwierigkeiten fchon deswegen frühzeitig und ftark
hervorgetreten, weil dem Rate eine unter feinem Patro-
nate flehende oder von ihm ftärker beeinflußte Pfarrkirche
nicht zur Verfügung ftand, weil das St. Blafliklofter die
kirchliche Verforgung der Stadt und ihrer Einwohner
völlig in der Hand hatte. Brachte fo die verfuchte Einführung
der neuen Lehre der ftädtifchen Verwaltung
mancherlei Unzuträglichkeiten, fo fand fie doch keine
Stütze an der Landesverwaltung, deren Stellungnahme
im ganzen fchwankend und vorwiegend durch finanzielle
Forderungen im Voraus ungünftig beeinflußt war. Bartels
Hellt diefe fchwierigen Verhältniffe aus den Akten
anfchaulich dar und bietet durch zweckmäßiges Hervorheben
des Wefentlichen auf engem Räume einen dankenswerten
Beitrag zur niederfächfifchen Kirchengefchichte.
Geftalten wie Jakob Corvinus, die Herzöge Erich I. und
Erich II., Heinrich von Wolfenbüttel und die Herzogin
Elifabeth in ihren mannigfachen Beziehungen zur Einführung
der neuen Lehre, werden zwar nur kurz aber doch
treffend gekennzeichnet. Die Kirchenordnungen des
16. Jahrhunderts follte man nicht mehr nach der alten
Ausgabe von Richter, fondern nach der neuen Bearbeitung
von Sehling benutzen.

Hannover. Otto Lerche.

Jahrbuch für Brandenburgifche Kirchengelchichte. Hrsg. im
Auftrage des Vereins f. Brandenburg. Kirchengefchichte
v. Geh. Oberkonf.-Rat Prof. D. Dr. Guftav
Kawerau u. Priv.-Doz. Prof. D. Leopold Zfcharnack.
15. u. 16. Jahrg. (IV, 176 u. VIII, 112 S.) gr. 8». Berlin
, M. Warneck 1917/18.
Der 15. Jahrg. bringt zuerft den Schluß der Arbeit
von G. Arndt über die kirchliche Baulaft in der Mark
Brandenburg. Der Verf. hat in der Tat klargelegt, ,was
heute auf Grund der gefchichtlichen Entwicklung und
Erforfchung betreffs der kirchlichen Baulaft Rechtens
ift': ,Wenn wir auch nicht leugnen werden, daß an einzelnen
Orten diefe Laft durch Obfervanz oder auf Grund
eines befonderen Rechtstitels oder durch Vertrag und
Übereinkommen zu einer Laft der Kommune geworden
fein kann oder daß diefe Laft durch mannigfache Übung
aus einer urfprünglichen Perfonallaft zu einer Reallaft
geworden ift . . ., fo glauben wir doch den Nachweis
erbracht zu haben, daß nach Vorgang der Entwicklung
des gemeinen Kirchenrechts bis zur Reformation, nach
welchem im Notfalle die Parochianen beitragspflichtig
waren, unter den Verpflichteten nächft der Kirchenkaffe
und den Patronen nicht die Kommunal-, fondern die
Kirchengemeinde, d. h. die Eingepfarrten zu verftehen
find'. Damit ift die im 17. und 18. bis zum Beginn des
19. Jhrh.'s faft allgemein herrfchend gewefene Anficht
gegen Scholtz, den Bearbeiter des Kurmärkifchen Pro-
vinzialrechts, Goetze, den Herausgeber des Provinzialrechts
der Altmark, und neuerdings Niedener (,Die Entwicklung
des ftädtifchen Patronats in der Mark Brandenburg' 1911),
die die kirchliche Baulaft zu einer Kommunallaft ftempeln,
wieder inthronifiert worden. — Weiter veröffentlicht
Kawerau unter dem Titel ,Eine Kirchenvifitation von
1558' einen Bericht, den vermutlich der Pfarrer von
Rathenow über die Verhandlungen der kurfürftlichen
Vifitatoren mit der dortigen Geiftlichkeit niedergefchrieben
hat. Es ergibt fleh daraus, daß die katholifierenden Tendenzen
Joachims II., die in der Kirchenordnung von 1540
und erneut im Interim hervorgetreten waren, mit dem
Paffauer Vertrag und dem Augsburger Religionsfrieden
nicht verfchwanden, fondern eben 1558 energifch wieder
einfetzten. — Unter der Überfchrift ,Analecta zur mär-
kifchen Kirchengefchichte im 17. Jhrh.' publiziert fodann
Theodor Wotfchke mehrere Aktenftücke, aus denen
erhellt, daß die Wittenberger theolog. Fakultät während
des ganzen 17. Jahrh.s für die märkifche lutherifche Geiftlichkeit
höchfte Lehrautorität war (Exorzismus). — In
dem folgenden Auffatz ,Zur Gefchichte der öffentlichen
Kirchenbuße in Brandenburg im 18.Jhrh.' zeigt Walter
Wendland, daß, nachdem während des I7jahrh.'s wiederholt
von Patronen und Geiftlichen die Einführung der
Kirchenzucht und des Bannes vergeblich beantragt worden
war, unter Friedrich Wilhelm I. unter dem Einfluffe des
Spenerfchen Pietismus die öffentliche Kirchenbuße wieder
eingeführt, kurze Zeit ftreng gehandhabt, dann aber bald
gemildert und endlich ganz abgefchafft worden ift. Wie
Spener, fo wollte auch der König die öffentliche Kirchenbuße
nicht in erfter Linie als ,eine Art von Strafe und
Befchimpfung des Gefallenen', fondern als ,ein Mittel,
die Sünder zur Erkenntnis der Sünde und zur Buße zu
bringen', aufgefaßt haben. In praxi war fie aber doch
Beftrafung und Bloßftellung des Sünders. — Noch wertvoller
ift der 2. Beitrag von Wendland über ,die Reformationsjubelfeiern
in Berlin und Umgebung'. Wie Loofs
in feiner Arbeit über ,die Jahrhundertfeier der Reformation
an den Univerfitäten Wittenberg und Halle' (Ztfchr.
d. Ver. f. KG. der Prov. Sachfen), fo begnügt fleh auch
W. nicht etwa damit, den äußeren Verlauf der Jubiläumsfeiern
zu fchildern, fondern er charakterifiert auch die
allgemeine Stimmung, die die Feier erzeugte und trug,
und die kirchenpolitifchen, theologifchen und Gefchmacks-
richtungen, die dabei hervortraten. Gleich zuerft betont
er, daß 1617 (nach dem Übertritt Johann Sigismunds zur
reformierten Kirche) in Berlin und Brandenburg überhaupt
keine öffentliche Jubelfeier ftattfand und daß auch 1717
der (unterdeffen beträchtlich gewachfene) reformierte Teil
der Bevölkerung fleh fern hielt, daß aber die Jubelfeier
von 1817 nach Überwindung der konfeffionellen Differenzen
und mit dem Hintergrunde der Freiheitskriege
fleh zu einer allgemeinen, großartigen und begeifterten
Kundgebung geftaltete. So handelt fich's in den folgenden
Abfchnitten (die amtlichen Vorbereitungen, die kirchlichen
Feiern, die Schulfeiern, die Feier der Univerfität

i Berlin) faft nur um das Reformationsjubiläum von 1817.

I — In den Miszellen ediert H. Lehmann zwei für deffen
kirchenpolitifche Stellung wichtige Briefe von Spener
(Hannover 7. Nov. 1685 und Dresden 14. Dezember 1687)
und O. Clemen einen Brief von Propft Spalding (Berlin
5. Dezember 1789) an einen kurländifchen Paftor Karl
Dietrich Wehrt, der fleh als Parteigänger Elifa von der
Recke's gegen den ehemaligen Mitauer Philofophiepro-
feffor und nunmehrigen Darmftädter Oberhofprediger
Joh. Auguft Starck eine Blöße gegeben hatte.

Den 19. Jahrg. eröffnet ein Nachruf von Zfcharnack
auf den am 2. Dezember 1918 verftorbenen unvergeßlichen
Kawerau, wobei er nicht unterläßt zu bemerken,
daß der ausgezeichnete Reformationshiftoriker, ,der bei
all feiner intenfiven und intimen Spezialforfchung doch
niemals Spezialift im begrenzenden, einengenden Sinne
des Wortes gewefen ift', an der Umformung des Jahrbuchs
feit 1913 ,durch bewußt fyftematifche Berück-
flehtigung der neueften Kirchengefchichte des 18. und
19. Jhrh.s' hervorragend beteiligt gewefen ift. —■ Als
1. Beitrag finden wir dann den Schluß der Arbeit von
Fritz Funcke ,Das Bistum Lebus bis zum Anfange
der Hohenzollernherrfchaft in der Mark Brandenburg-
(Domkapitel, Bifchöfe). — Weiter erhalten wir eine neue
Arbeit von G. Arndt über ,die kirchliche Baulaft in der
Niederlaufitz'. Die Rechtsverhältniffe find hier ziemlich
kompliziert. — W. Wendland fchildert Schwierigkeiten
in der Durchführung der Union von 1817. — In einer Mis-
zelle endlich berichtet Otto Tfchirch über eine von ihm
infzenierte Lutherausftellung in Brandenburg a. d. Havel.
Zwickau i. Sa. O. Clemen.

Wotfchke, D.: Was haben die Evangelifchen unter polnifcher
Herrrchaft zu erwarten? (12 S.) 8°. Berlin-Steglitz,
Evang. Preßverband 1916.
Um Neujahr 1919 ließ der .Verband der evangelifchen

Provinzial-Organifationen der Provinz Pofen' einen Not-