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Ausgabe:

1918 Nr. 1

Spalte:

162-163

Autor/Hrsg.:

Einhorn, David

Titel/Untertitel:

Der Kampf um einen Gegenstand der Philosophie 1918

Rezensent:

Troeltsch, Ernst

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Theologifche Literaturzeitung 1918 Nr. 12/13.

162

Wurlter, Prof. D. Paul: Hundert Jahre Predigeranftalt in Tübingen.

Feltfchrift der evangelifch-theolog. Fakultät Tübingen. (III,
58 S.) gr. 8«. Tübingen, J. C. B. Mohr 1917. M. 1 —

Die Wurlterfche Feltfchrift geht in ihrer Bedeutung ent-
fchieden über das hinaus, was man fonft in folchen Gelegenheits-
iubelfchriften findet. Sie gibt einen wichtigen Beitrag zur Ge-
fchichte der praktifchen Ausbildung unterer Theologen, weil fie
uns auch in die Unterrichtsmethoden und Einrichtungen des
Tübinger Predigerinftituts im Laufe des 19. Jahrhunderts hineinblicken
läßt — fie ift zugleich ein Denkmal für die praktiteh-
theologifcheWirkfamkeit von Bahnmeier, Chr.Fr. Schmid, Palmer,
Herrn. Weiß und Gottfchick. Sie- fei der wifrenfchaftlichen Beachtung
der Fachgenoffen warm empfohlen.
Greifswald. Ed. von der Goltz.

Untere religföTen Erzieher. Eine Gefchichte des Chnltentums in
Lebensbildern. Hrsg. v. Bernhard Beß. 2. Aufl. 2 Bde. (Mit
BildnilTen.) gr. 8». Leipzig, Quelle & Meyer(19I7). Geb. M. 14—
1. Von Mofes bis Hus. (XI, 335 S.) — 2. Von Luther bis
Bismarck. (III, 344 S.j o .00

Die erfte Auflage von 1903 ift in diefer Zeitung 1908, Sp. 388
angezeigt. Die vorliegende neue Auflage ift ftärker verändert,
als" der Titel erwarten läßt. Neu hinzugefügt find im 1. Bd.
Chryfoftomos (von Preufchen) und Dante (von Wiegand), im 2. Bd.
Wichern von Mahling; neu gerchrieben, meift wegen Tod der
bisherigen Verfaffer, find Paulus (früher C. Clemen, jetzt Kögel), J
Bernhard v. Clairvaux (Deutfch — v. Walther), Wiclif und Hus l
(Buddenfieg — Walther E. Schmidt in Herrnhut), Zwingli (A. Baur
— W. Köhler), Spener, jetzt vermehrt um Francke und Zinzendorf j
(Grünberg — Uttendörfer), Goethe und Schiller, jetzt ergänzt
durch Lerfing und Herder, daher: Unfere Klaffiker (Seil —
Zfcharnack). Beß hat Koldes Lutherauffatz durch Verzeichnis !
der Bibliographie und Andeutung der Hauptprobleme und neuen !
Ergebniffe ergänzt. Mulert hat Kirns Schleiermacher-Auffatz mit i
Pietät und Gefchick umgearbeitet. Aber auch von den andern
Beiträgen ift keiner ganz unverändert geblieben. Aus manchen
Auffätzen ift für die WifTenfchaft Neues zu lernen, befonders aus
W. Köhlers Behandlung des Marburger Religionsgefprächs. Einige
find für weitere Kreife etwas fchwierig. Für eine neue Auflage
dürfte man zur Ergänzung des Kreifes den Dichter P. Gerhardt
und einen Vertreter der äußeren Miffion wünfchen.
Hannover-Kleefeld. Schufter.

Achad-Haam: Am Scheidewege. Aus dem Hebräifchen.
2 Bde. gr. 8°. Berlin, Jüd. Verlag. Geb. je M. 4 — ;

zufammengeb. M. 7.50

1. 2. verb. u. verm. Aufl. v. Ifracl Friedländer. (VIII, 271 S.) 1917.—

2. Von Dr. Harry Torczyner. (VIII, 271 S.) 1916.

,Achad ha-äm' (Einer aus dem Volke), fo nennt fich
befcheiden der ,Zionsfreund' Ufcher (d. h. Afcher) Ginz-
berg, aus deffen unter dem Titel ,A1 paraschath derachim'
vereinigten hebräifchen Zeitfchriftenauffätzen die vorliegenden
zwei Bände eine ins Deutfche überfetzte Auswahl
bieten. Als Sohn einer vornehmen und wohlhabenden
Familie 1856 im Gouvernement Kiew geboren, 1882—84
durch gründliche Studien im Auslande mit der ruffifchen,
deutfchen, franzöfifchen und englichen Literatur, zumal
der philofophifchen, vertraut geworden, gab er von 1896
bis 1902 die hebräifche Monatsfchrift .Siloah' heraus und
lebt jetzt als Kaufmann in London. Ginzberg befitzt
tiefes pfychologifches Verftändnis für die religiöfen Er-
fcheinungen im Judentum und betont ftark das Gefühlsmäßige
in der Religion, das jüdifche Herz'. Gegenüber
dem weichlichen Kosmopolitismus des modernen Reformjudentums
wie gegenüber der Sterilität der altgefetz-
lichen Richtung, aber auch gegenüber dem nur politifch-
wirtfchaftlichen Zionismus ift feine ,Zionsliebe' gerichtet
auf eine national-religiöfe allmähliche Regeneration des
Judentums, das heißt des inneren jüdifchen Wefenskernes;
dies bedeutet für ihn zugleich eine höfliche, aber beftimm-
te Ablehnung aller judenchriftlichen Tendenzen (vgl. den
Schlußauffatz des EL Bandes). Wer fich im Miffions- oder
religionsphilofophifchen Intereffe mit der Pfyche des Oftjudentums
zu befchäftigen hat, darf an diefen program-
matifchen Äußerungen fpiritueller .Zionsliebe', eines ganz
eigenartigen pfychologifch-ethifch-evolutioniftifchen Zionismus
der am höchften gebildeten Kreife des jüdifchen
Oftens, nicht vorübergehen. Der Lefeftoff, den G. bietet,
ift allerdings nicht leicht für einen an abendländifches

Denken gewöhnten Lefer zu bewältigen, teils weil G. kein
Berufsfchriftfteller ift und oft mit der ihm überreich zu-
ftrömenden Fülle der Gedanken zu ringen hat, um fie in
klare Form zu bringen, teils, weil er diefe etwas breite
und fozufagen horizontal orientierte Darftellungsweife
wählen mußte, um feinen oftjüdifchen Lefern verftändlich
zu werden, deren ganzer Denkprozeß, wie ich in meinen
beiden Schriften über die Kabbalah (Berlin 1913 f. und
Leipzig 1917) betont habe, nach ganz anderen Regeln
verläuft, als unfer durch ariftotelifche Logik gefchultes
okzidentales Denkverfahren. Auch in diefer Hinficht ift
das Buch intereffant.

Leipzig. Erich Bifchoff.

Einhorn, Dr. David: Der Kampf um einen Gegenftand der
Philofophie. Eine noolog. Unterfuchg. (IV, 75 S.) 8°.
Wien, W. Braumüller 1916. M. 2 —

Der Verf. ift von einer fehr wohl verftändlichen Verzweiflung
über das Chaos der gegenwärtigen Philofophie
befallen. Als Grund davon enthüllt fich ihm die Tatfache,
daß die Philofophie bisher überhaupt keinen .eindeutig
und allgemeingiltig beftimmten', fowie allgemein anerkannten
Gegenftand gehabt hat. So gibt es keine Gefchichte
der Philofophie, weil fie kein Objekt hat, deffen
Gefchichte gefchrieben werden könnte oder deffen Be-
wältigungsverfuche als Arbeit an einem einheitlichen Objekt
dargeftellt werden könnten. Und fo gibt es andrer-
feits für die Gegenwartsarbeit kein Objekt, deffen Wefen
aus der Gefchichte der Philofophie eindringlich erläutert
werden könnte. Dem vielgepriefenen Kritizismus, Pfy-
chologismus und Biologismus tritt damit wieder der
Dogmatismus mit feinen inneren Motiven und Bedürf-
niffen gegenüber. Er macht fich ,a priori die Befreiung
von allem Subjektiv-Individuellen zur Aufgabe'. Dabei
fchwebt ihm eine grundlegende Analogie mit den empi-
rifchen Wiffenfchaften vor. Wie diefe einen eindeutigen
Gegenftand haben, fo muß auch die Philofophie einen
.Gegenftand' aufweifen. Nur ift er bei jenen bekannt,
bei der Philofophie bis jetzt unbekannt. Aus diefer Grund-
feftftellung fließt alles weitere; denn daraus folgt, daß
wenn der letzteren Gegenftand unbekannt ift, er von den
bekannten Gegenftänden der empirifchen Wiffenfchaften
jedenfalls grundfätzlich verfchieden fein muß. Er wird
dasjenige fein, was übrig bleibt, wenn man die anerkannten
empirifchen Wiffenfchaften in Bezug auf ihren
Gegenftand beftimmt hat. Der Verf. verfährt alfo per
exclusionem. Da werden zuerft die eigentlich empirifchen
Wiffenfchaften Mathematik, Naturwiffenfchaften und Ge-
fchichtswiffenfchaften, dann zweitens die uneigentlich empirifchen
Wiflenfchaften Logik, Pfychologie, Erkenntnistheorie
, Rechtsphilofophie, Ethik, Religionsphilofophie u. a.
als wefentlich empirifch ausgefchieden, womit Pofitivismus
und Kritizismus aus der Philofophie ganz von felbft ver-
fchwinden. Auch die metaphyfifchen Interpretationen
des Pfychifchen find wegen ihrer Feftlegung auf einen
empirifchen und darum nicht philofophifchen Gegenftand
aus der Philofophie und daher Ariftoteles, Leibniz und
Bergfon aus der Zahl der Philofophen zu ftreichen. An
dritter Stelle fteht die Theologie, die fchon grundfätz-
licher in das Reich des empirifch nicht Feftgelegten eindringt
, die aber bei der Beziehung des Metempirifchen
auf Menfch und Welt doch immer am Empirifchen haften
bleibt und eben deshalb einen klaren, dauernden und
wefentlich fixierbaren Gegenftand behält, alfo zum Empirifchen
und nicht zur Philofophie gehört. Damit fcheiden
alle die Religion in die Philofophie aufnehmenden Denker
und vor allem das ganze Mittelalter aus der Philofophie
aus. Das, was noch allein dann übrig bleibt, muß Philofophie
fein, wenn es überhaupt eine folche gibt. Was
übrig bleibt, ift ,das metempirifche Reich, fofern es als
rein "metempirifches Reich gefetzt wird'. Die pfycholo-
| gifchen und erkenntnistheoretifchen Bedingungen feiner