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Ausgabe:

1918 Nr. 1

Spalte:

137

Autor/Hrsg.:

Lüdemann, Hermann

Titel/Untertitel:

Das Christentum der kirchlichen Reform 1918

Rezensent:

Wendland, Johannes

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137

Theologifche Literaturzeitung 1918 Nr. 10/11.

Aktenmaterial und Namen bringt. Auch hätte vielleicht
jedem Abfchnitt eine zufammenhängencle, ausführliche
Darfteilung des entfprechenden Miffionsgebietes voran-
geftellt werden müffen. Um für die Bafler Miffion zu
werben, wird — um der größeren Überfichtlichkeit und
Gedrängtheit willen — die Epplerfche Gefchichte der
Bafler Miffion ihren Wert behalten, ebenfo wie ich hoffe,
durch die Betonung des perfönlichen Elementes meine
.Einführung in die Miffionskunde im Anfchluß an die
Bafler Miffion', die auch in diefen beiden Bänden wieder
mit keinem Worte erwähnt werden. — Band II, S. 125,
Z. 16 f. fleht das Gegenteil von dem, was gemeint ift.
Übrigens hat zur Zeit keine andre evangelifche deutfche
Miffionsgefellfchaft eine fo fachliche und gründliche Darftellung
ihres Werkes wie hier die Bafler.

Frankfurt a. M. W. Bornemann.

Lüdemann Prof D. Dr. H.: Das Chriftentum der kiretilichen Riform.

Vortrag 'am 11. März 1917 geh. (20 S.) 8". Bern, A. Francke
1917. M. —60

Der ehrwürdige Vorkämpfer der kirchlichen Reformpartei in
der Schweiz bietet eine Zufammenfaffung ihrer Beftrebungen,
bei der naturgemäß Züge individueller Auffaffung nicht fehlen.
Gemeinfam ift der fchweizerifchen Reformrichtung das Vertrauen
auf das ,mit göttlicher unfehlbarer Sicherheit' in uns waltende
Denkgefetz, das in der Anwendung auf das alte Dogma die Grundwahrheit
des Chriftentums als ,etwas fo Einfaches, dem gereiften
Geifte fo unmittelbar Einleuchtendes' erfaßt, daß man fich wundern
muß, daß diefe Grundwahrheit nur auf dem Wege einer
gottgefandten Erlöfung möglich geworden ift. Das Chriftentum
der Reform wird fcharf dem alten Dogma mit feiner ,antiken
Weltanschauung' entgegengefetzt, aber auch gegen Naturalismus
und Pantheismus abgegrenzt, was früher nicht immer gefchehen
ift. Die chriftliche Grundwahrheit beglaubigt fich durch ihre
eigne, jedem reifen Menfchen innerlich'erlebbare Kraft. Ihr Inhalt
ift, daß der Vienfch durch göttliche Vergebung zu einem in
die Ewigkeit hinführenden fittlichen Streben befähigt wird. Jefus
ift der, welcher diefe Grundwahrheit zuerft verkündigt hat. —
Die Bedenken find oft ausgefprochen, ob die Bedeutung des
rationalen Denkens überfchätzt wird, ob überhaupt das rationale
Denken das letzte Wort in der Erfüllung der Glaubenswahrheit
hat, ob die Bedeutung der Perfon darin aufgeht, der erfte Verkünder
der Jedem einleuchtenden Wahrheit zu fein.
Bafel. Johannes Wendland.

Wach, D. Dr. Adolf: Staatsmoral und Politik. Zwei Reden.
(51 S.) 8°. Leipzig, S. Hirzel 1917. M. 1 —

Der berühmte Zivilift ergreift das Wort zu der großen,
gerade bei unferer heutigen Stellung gegenüber einem
Moralfeldzuge der ganzen Welt fo wichtigen Frage nach
der ethifchen Auffaffung und Würdigung des Krieges.
In der Beantwortung diefer Frage hat ein fittlich höchft
bedenklicher und in feinen Wirkungen unheilvoller Ma-
chiavellismus einen großen Teil der deutfehen Preffe und
Publiziftik erfchreckend in die Irre geführt, während die
gleichen Tendenzen im Auslande, den Lehren Machia-
vellis wenigftens mit größerem politifchen Verftande
folgend, fich mehr oder minder inftinktiv moralifch verkleiden
und ausfehmücken. Wach erkennt in der Frage
nach der Moralität des Krieges mit Recht nur einen
Einzelfall des allgemeineren Problems der Staatsmoral,
die er grundlegend von der auf Humanität und Nächften-
liebe gehenden Privatmoral unterfcheidet und mit der
hohen und unbedingten Notwendigkeit des Staates als
rechtlich organifierter, dem Gemeinwohl dienender Macht
begründet. Er ift eines der wefentlichften Stucke der
fittlichen Weltordnung und zur Exiftenz wie Selbftbe-
hauptung eben durch diefe verpflichtet. Das ift ein Satz
der antiken Moral, den die moderne Welt anerkannt hat,
und den Wach für felbftverftändlich hält. Von dieiem
Satze, der für eine rein chriftliche Moral keineswegs
felbftverftändlich war und ift, gehen alle weiteren Folgerungen
aus. Der Staat ift zur Exiftenz verpflichtet,
darf fich nicht opfern und hingeben für andere Staaten
und fremde Menfchen, muß fleh behaupten, vervollkommnen
und allen Bedrohungen gegenüber um jeden
Preis verteidigen und flehern. Er hat nur irdifche Exiftenz
und keine Unfterblichkeit, während das private

Individuum zugleich eine überirdifche Beftimmung und
unfterbliche Seele hat, daher nicht zur irdifchen Exiftenz
und Selbftbehauptung unbedingt verpflichtet ift, vielmehr
gerade im Opfer die unfterbliche Seele bewährtl Man
fleht, die Privatmoral ift hier einigermaßen als mit der
chriftlichen identifch gedacht. Unter dielen Umftänden
gehen beide Moralprinzipien recht verfchiedene Wege.
,So fcheint die Selbftfucht das dem Staat eingeborene
Lebensprinzip, der Egoismus in höchfter Potenz feine
Moral zu fein. Sicherlich aber nicht im Sinne des sacro
egoismo der Italiener, fondern im Doppelfinne: einmal
der Ablehnung altruiftifcher, außerhalb desStaates liegender
Zwecke und fodann im Sinne der Selbftvervollkommnung;
da ift nichts Unmoralifches, fondern edelfter fittlicher
Wert' (S. 9 f.). ,So faffe ich die Staatsmoral als die
felbftifche Dafeinspflicht des Staates und fein autonomes
aus feinem vernunftmäßigen Wefen abgeleitetes Wefens-
gebot der höchftmöglichen Kraftfteigerung und Vervollkommnung
' (S. 10). Trotzdem bezeichnet Wach diefe
Lehre als weitabliegend vom groben Machiavellismus, da
der Dienft am Gemeinwohl die Aufgabe des Staates fei,
und damit jede dynaftifche Selbftfucht und auch jeder
über das eigene Volk und fein Wohl hinausgreifende
Eroberungsdrang ausgefchloffen fei. ,Es gibt keinen fittlichen
Eroberungs- oder gar Vernichtungskrieg- (S. 13).
Freilich find das alles fehr dehnbare Begriffe, und es
kommt dem Verf. dem Anfchein nach wefentlich darauf
an, praktifch unferen Krieg als einen Verteidigungskrieg
zu bezeichnen. Wenn wir nach dem Siege annektieren
fo haben deshalb ,die Feinde jegliches Recht auf unge-
fchmälerte Integrität verloren. Wenn fie Gebietsverlufte
treffen, fo werden fie nur milde und glimpflich gemeffen
mit dem Maße, mit dem fie uns gemeffen hätten' (S. 16),
was wiederum einer chriftlichen Privatmoral allerdings
nicht entfprechen würde. So fcheint doch der antike
und heidnifche Staatsbegriff bei dem Verf. zu überwiegen,
umfomehr als von dem Wefen des durch den Staat zu
fördernden Gemeinwohles felber gar nicht die Rede ift.
Wird diefes fehr ftark wirtfchaftlich gedacht, fo fchwinden
die Grenzen gegen den Imperialismus doch wieder fehr
und bleibt gegen Machiavelli eigentlich nur der Unter-
fchied, daß nicht Glanz und Ruhm oder Habfucht und
Herrfchgier der Dynaftien den Krieg beftimmen darf,
was ja heute in der Tat kaum in Betracht kommt. Auch
die weitere Frage jeder Staatsmoral die Frage nach der
Geftaltung internationaler Verhältniffe und Menfchheits-
ordnungen, wird kaum geftreift, hierfür wird nur die angebliche
Kantifche Regel aufgeftellt: ,Tut nichts, was fich
nicht zur allgemeinen Norm eignet,' oder wie der Volksmund
fpricht: ,Was du nicht willft, daß man dir tu, das
füg auch keinem andern zu' (S. 13). In der Hauptfache
heißt es: ,Die Menfchheitspflege als folche ift keine
Staatsaufgabe. Sie als Staatszweck zu denken wäre
eine atomiftifche Humanitätsdufelei(!), mit der nichts zu
tun hat die Anerkennung der berechtigten Koexiftenz
der Staaten' (S. 10). Damit ift freilich diefes ernfte
Problem erft recht bei Seite geworfen und den Anklagen
derer Nahrung gegeben, die da fagen, daß die Deutfehen
für diefes größte aus dem Krieg entspringende Problem
kein Verftändnis und vor allem kein Herz hätten.

Somit ftünden wir alfo vor einem fcharfen Konflikte
zwifchen Staatsmoral und Privatmoral, bei welch letzterer
dem Verf. die Chriftlichkeit fo felbftverftändlich ift wie
für die erftere die antike Staatsphilofophie. Er behandelt
die Frage diefes Konfliktes in der Form, daß er die
Seelenlage der verantwortlichen Staatsmänner befpricht,
bei denen der Konflikt naturgemäß vor allem akut wird.
Hier aber beftreitet nun der Verf. jeden wirklichen Konflikt
. Der Konflikt mit der Bergpredigt fei ja in Wahrheit
auf allen Gebieten, auch für den Gefchäftsmann und
im Grunde für jeden einzelnen, vorhanden! Er löft fich
dadurch, daß wir an die fündhafte Unvollkommenheit zu
denken und auf eine fchwärmerifche Verwirklichung des