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Ausgabe:

1918

Spalte:

107-108

Autor/Hrsg.:

Beemelmans, Frdr.

Titel/Untertitel:

Zeit und Ewigkeit nach Thomas v. Aquino 1918

Rezensent:

Scheel, Otto

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io7 Theologifche Literaturzeitung 1918 Nr. 8/9. 108

riftifche Zug dem Gefamtbilde eingefügt. Das päpftliche
Streben der Weltherrfchaft und das kuriale Bewußtfein,
daß der Papft der imperator der Welt fei, ift nicht übergangen
; doch wird darauf hingewiefen, daß die in diefer
Richtung entwickelten Gedankengänge fchon vor Ende
des Mittelalters ihre machtpolitifche Bedeutung verloren
hatten. Das gibt kein richtiges Bild: da doch fo viel
von Imperialismus auch in neuerer Zeit gefprochen wird,
fo hätte gefagt werden müffen, daß die in der Bulle
Unam Sanctam niedergelegten Grundfätze niemals zurückgenommen
worden find.

Sehr fchön wird auf die nationalen Regungen hingewiefen
, aus denen die Gegnerfchaft gegen das Weltimperium
erwächft; auch auf den Begriff ,Nation' wird eingegangen
. (Es wird auch gezeigt, in welchem Sinne das
in den Titel aufgenommene Wort .Weltimperialismus' im
Mittelalter zu verliehen fei, und feine verfchiedenartige
Verwendung in unferer Zeit berührt.) Seit dem 12. Jahrhundert
find Zeichen des ftärkeren nationalen Erwachens
bei verfchiedenen Nationen erfichtlich, bis dann um die
Mitte des 15. Jahrhunderts die Nationalftaaten ausgebildet
uns entgegentreten. Es fetzt aber fofort ihre Ei-
ferfucht unter einander ein und die Neigung, einander
herbe zu kritifieren. Auch dafür werden paffende Bei-
fpiele gegeben.

(Man hat mitunter Schwierigkeiten, hinter den Sinn
des Verfaffers zu kommen: S. 34: Jedenfalls treten um
die Mitte des 15. Jahrhunderts die faft bis in unfere Zeit
wichtigften Nationalftaaten ohne ftärkere literarifche
Vorbereitung ins Leben'. ,Das Emporwachfen der
Nationen zu belaufchen, ift nicht einmal dem modernen
Menfchen immer ermöglicht, gefchweige denn in der
Vergangenheit'. Wohl nur Druckfehler find: S. 42:
Sein Principe fchließt er mit dem Kapitel; S. 41: das
Losgelöftfein .. . ermöglichte die Humaniften .. . vater-
ländifch zu wirken.)

Angenehm berührt der warme vaterländifche Ton,
den der Verfaffer angefchlagen hat. Es ift jedoch nicht
recht einzuleiten, warum er am Schluß für das neue deutfche
Kaifertum (S. 44: Die von uns allen erhoffte Neu-
geftaltung des Imperiums) Richtlinien der Art aufftellt:
ein deutfches Imperium . . . mit dem leitenden Gedanken
des Kirchenfchutzes kann es nicht mehr geben, es kann
auch keinen konfeffionellen Charakter tragen . ..
Kiel. G. Ficker.

Beemelmans, Dr. PYdr.: Zeit und Ewigkeit nach Thomas v.

Aquino. (Beiträge zur Gefchichte der Philofophie des
Mittelalters. XVII. Bd.) (V, 64 S.) gr. 8«. Münfter
i. W., Afchendorff 1914. M. 2.25

Das Plauptgewicht dieler Unterfuchung liegt in der
Feftftellung des Verhältniffes der thomiftifchen Lehre zur
ariftotelifchen. Niemand wird ftaunen, wenn er hört, daß
Thomas fich eng an Ariftoteles anlehne. Von einer felb-
ftändigen und originalen Verarbeitung des Begriffs durch
Thomas kann keine Rede fein. Die ,Selbftändigkeit' der
thomiftilchen Philofophie wie auch eines erheblichen Teils
der nachfolgenden fpätmittelalterlichen Philofophie gegenüber
Ariftoteles erfchöpft fich im Wefentlichen auf dem
Gebiet der Phyfik darin, jene Theoreme abzulehnen, die
dem widersprechen, was die Kirche von der Schöpfung
und den letzten Dingen lehrte. Dem berühmten, im
Mittelalter fehr wohl bekannten, aber ignorierten Versuch
Auguftins, das Problem zu löfen, konnte auch Thomas
fich nicht anfchließen. Diefer Tatbestand hat, worauf
B. nicht aufmerkfam gemacht hat, feinen guten Grund.
Denn die ariftotelifche Naturphilosophie, deren wiffen-
fchaftliches Grundprinzip der Begriff der Bewegung war,
hatte fich durchgefetzt. Mit ihrer Anerkennung war
auch die Löfung des Zeitproblems gegeben. Denn
Ariftoteles hatte die Zeit nicht als eigene Kategorie
behandelt, fondern auf den Bewegungsbegriff bezogen
. Er bestimmte fie als die ,Zahl' — das Maß —

der Bewegung in Bezug auf vorher und nachher. Die
Zeit ift durch die Bewegung bedingt. Als hier unfelb-
ftändig gebliebener Schüler des Ariftoteles denkt auch
Thomas nicht daran, die Fragestellung zu verändern.
Eine erkenntniskritifche Verarbeitung des Begriffs fucht
man bei ihm ebenso vergeblich wie eine pfychologifche.
Die metaphyfifche Fragestellung beherrscht feine Darbietungen
. Die Zeit ift etwas objektiv Wirkliches. Ob
fie überhaupt etwas Reales fei, wird nicht untersucht.
Sie ift ein naturale, und als folches an der Bewegung,
d. h. ein Akzidenz der Bewegung. Beemelmans ift überzeugt
, daß Thomas' Zeitlehre, möge fie auch zeitgefchicht-
lich bedingt fein, doch in ihren Grundgedanken einen
bleibenden Wert befitze. Mir fcheint eine solche Würdigung
bedenklich zu fein. Denn was der thomiftifchen
Zeitlehre charakteriftifch ift, die ariftotelifche metaphyfifch-
naturphilofophifche PYfffung, muß man ganz preisgeben.
Beemelmans felbft weift ja auf einen in der falfchen
Naturphilofophie wurzelnden Fehler der thomiftifchen
Anfchauunghin (S. 60). Von der thomiftifchen Faffung des
Problems mitfamt der Löfung muß man gänzlich abfehen.
Dann bleiben nur einige, nicht einmal originale Nebenbemerkungen
des Thomas zurück. Auch B. findet die
.Originalität' des Aquinaten ,in der Regel' in der .Syftema-
tifierung': .weiter bilden tut er weniger' (S. 59). Wenn
die Dinge aber fo liegen, fo ift es zum minderten irreführend
, feinen Grundgedanken einen bleibenden Wert
zuzufprechen. Gefchichtlich und fachlich zutreffender wäre
es gewefen, der Nötigung zu einer völlig neuen Orientierung
des Problems zu gedenken. Erft die allgemeine
wiffenfchaftliche Überwindung der ariftotelifchen Naturphilofophie
im 17. Jhdt. fchuf die Vorausfetzung einer
neuen wiffenfchaftlichen Erörterung des Zeitbegriffs.
Tübingen. Otto Scheel.

Archiv für Reformationsgefchichte. Texte und Unterfuchgn.
In Verbindg. m. dem Verein f. Reformationsgefchichte
hrsg. v. D. Walter Friedensburg. Nr. 53 und 54. 14.
Jahrg., I. u. 2. Heft. (160 S.) gr. 8°. Leipzig, M. Hein-
fius Nachf. 1917. Je M. 3.70; in der Reihe je M. 2.65
— Nr. 55/56. 14. Jahrg. Heft 3/4. Lutherheft zum Refor-
mationsjubelfeft am 31. Oktober 1917 m. Beiträgen v.
O. Albrecht, G. Boffert, W. Friedensburg, P. Kalkoff,
G. Kawerau, W. Köhler, E. Kroker, O. Reichert, Th.
Wotfchke. (S. 161—316) Ebd. 1917. M. 6.50;

in der Reihe M. 6 —
Das Lutherheft zum Reformationsjubiläum erheifcht
in erster Linie Berückfichtigung und zwar zuerst die Luther
felbft betreffenden Stücke. Wie berechtigt Luthers Auftreten
gegen Tetzel war, zeigt Krokers Beantwortung der
Frage: Hat Tetzel den Ablaß zu feiner Bereicherung
benützt? Er weift Nik. Paulus zurück, der Miltiz Zeugnis
zu schwächen fucht, indem er zeigt, daß es fich auf den Vertreter
der Fugger, den Rechner der Ablaßgelder, den
Leipziger Ratsherrn Matftet stützt. Schon der hohe Gehalt
Tetzeis ift ein Mißbrauch der Gaben der Gläubigen.
Bezog er doch monatlich (I) 80 fl. und fein Diener 10 fl., dazu
hatte er überall Kofi und Zehrung frei und zog auf feinem
Wagen mit drei Pferden und Beireitern, wie ein Kaufherr
zur Meffe, durchs Land. Daneben Poll er auch Geld
durch Betrug fich angeeignet und verfchwendet haben.
Auf die Frage, wozu das gefchah, weift Kroker auf die
zwei Kinder des Bettelmönchs hin, der Armut und Keufch-
heit gelobt hatte.

Kalkoff wendet fich gegen v.Below, der in ,Urfachen
der Reformation' der Bedeutung Friedrichs des Weifen
als Befchützer Luthers und des Reformationswerks
und als Staatsmann nicht ganz gerecht geworden zu fein
fcheine. In feiner geistreicher Weife, mit voller Beherr-
fchung der Lage und der Verhältniffe tritt K. für feine Wertung
des Kurfürsten ein, den Kolde sicher unterfchätzt hat;
aber er kommt in Gefahr, nicht etwa nur Spalatin, fondern
auch Luther gegen den Kurfürsten etwas in Schatten zu