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Ausgabe:

1918

Spalte:

70

Autor/Hrsg.:

Kämpfe, Emil

Titel/Untertitel:

Der Streit um die Schulaufsicht 1918

Rezensent:

Knoke, Karl

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vertrauteften. Neben ihnen können nur noch die Briefe an
Nietzfches Schwerter und Richard Wagner als gleichwertige
autobiographifche Dokumente beftehen. Sie umfpannen
einen Zeitraum von fünfzehn Jahren und find wirkliche
Freundesbriefc. Nietzfches ruhelofes Wanderleben liegt

als eben fein Bafeler Freund. Die Lektüre diefes Buches
ift auch rein fachlich fehr ertragreich. Viele Details ergänzen
die Krankheitsgefchichte Nietzfches, klären Verschiedenes
über feine Freundfchaft zu Erwin Rothe auf,
hier und da fallen Streiflichter auf die wiffenfchaftlichen

in diefen Blättern. Mit Genuß lieft man Overbecks ge- : Beziehungen der beiden Brieffchreiber (die aber faft un-
mütliche und beruhigende Mitteilungen, feine oft humor- i merkliche find; vgl. z. B. S. 386), wertvoll und ganz bevollen
Ratfehläge, die er dem immer wunfehreichen Freunde fonders intereffant find auch die Bemerkungen Nietzfches
bereitwilligft und mit mütterlicher Geduld in die weite über Perfönlichkeiten und geiftiges Leben jener Tage
Ferne fchickt. Gerade aus diefem herzlichen Briefwechfel (z. B. über Adolf von Harnack u. a.). Sprachlich find die
erfieht man, welchen hohen Anteil Overbeck am Lebens- Briefe faft bis zum Ende ihres Schreibers wundervoll klar
gange Nietzfches hat und wie fein Name es verdient, und plaftifch, reich an Stilfeinheiten, gefchrieben wie le-
dauernd mit dem feines unglücklichen Freundes zufam- bendiger Dialog, der trotz manches nüchtern klingenden
men genannt zu werden. Was hier Nietzfche fehreibt, 1 Stichwortes (der Brief lebt ja von hingeworfenen Stich-
ift das Hauptkapitel aus der Gefchichte feines Leidens Worten) ergreifende Lebensweisheit austaufcht, die im Lefer
und Zufammenbruchs. Eine Autobiographie in Briefen, j die feinften menfehlichen Saiten zum Schwingen bringt.
Man kann in chronologifcher Folge mit ihnen die Jahre j Wien. F. Strunz.

und die Stationen der fluchtartigen Wanderfchaft durch- I —-—-----—--—

eilen aber immer und überall kann man beftätigt finden, Kampfe, Dr. Emil: Der Streit um die Schulaufficht. Beiträge zur
was Nietzfche feibft in einer fonnigen Stunde in die Fe- ! Gefchichte der Schulaufficht vor 100 Jahren. (Pädagogifche

der kam: .Mitten im Leben war ich vom guten Overbeck
umgeben' .... In diefe Briefe kam viel Gefeufze, viele
Nöte, Kümmerniffe, Mutlofigkeiten, Schrei der Verzweiflung
und immer wieder Elend und Siechtum. Es ift der
echte Nietzfche: der kränkliche, immer unpäßliche und
hilfeverlangende Mann mit den ruinierten Augen, nirgends
zu Haufe, das Unpraktifche feiner Natur verbergend,
fchwer tragend an böfen Migräneanfällen, hin- nnd her-
geriffen von Enthufiasmus und Mutlofigkeit, gefchwächt
von den Höllenqualen dauernder Schlaflofigkeit, gereizt
und überempfindlich und fo einfam, daß feine furchtbare
Einfamkeit feine Tragik und fein Wahnfinn wird. An
feiner Seele war alles wund. In der einfiedlerifchen Verborgenheit
erlöft fich ,närrifch' fein Wille, da er jahrelang
keinen Tropfen Menschlichkeit fchmeckte, keinen Hauch

von Liebe verfpurte.Friedrich Nietzfche war wie ,ein- , handelt flch namentlich um Publikationen von v. Dachenröden,
gefchneit in feiner Einfamkeit und lebte hin, allzu ver- J Greiling und Zöllner. Der dritte Teil endlich S. 43 -48 macht
laffen und allzu tot gefchatzt feibft von feinen Freunden ! mit einer Abhandlung von Funk bekannt, welche als ein Vermitt-
und Nächften. So ftarb er an der Einfamkeit. Nur einer lungsverfuch zwifchen den «reitenden Parteien anzufeilen ift.
rief ihm Mut zu und ging mit ihm durch die fchwerften | Eine kurze Einleitung ift S. 1—3 vorangeftellt, zu den in der AbJahre
der Stürme und Heimfuchungen, ihm hatNietzfche fein | handlung genannten pädagogifchen Schriftftellern find knappe

biographifche Notizen beigefügt, den Schluß bilden zufammen-
faffende Uberfichten der von den erwähnten Schriftftellern angeführten
Gegengründe und Gründe in der Frage der Schulauffich-
mit einem entfprechenden Hinweis auf die Erörterung derfelben
auch in der Gegenwart, fowie alphabetifche Sach- und Namen-
regifter zu dem Buche. Das Ganze kann als eine fleißige Monographie
bezeichnet werden.
Göttingen. K. Knoke.

Forfchgn. u. Fragen, 5. Heft.) (X, 54 S.) 8°. Paderborn,
F. Schöningh 1916. M. 2 —

Der Verfaffer konnte an die Schrift von W. Kahl, Zur Gefchichte
der Schulaufficht. Gefammelte Auffätze. Leipzig 1913
anknüpfen, um eine eingehendere Überficht über die um die
Wende des 18. und 19. Jahrhunderts erfchienenen Schriften,
welche flch mit der Schulauffichtsfrage befchäftigen, zu geben.
In drei Abfchnitten befpricht er die einfehlägliche Literatur. Im
erften Teile S. 4—25 kommen als Gegner der geiftlichen Schul-
anftcht zu Worte: Steinbart, Schuderoff und Seidenftücker, wobei
zugleich zeitgenöffifche Urteile über deren Anflehten angefügt
werden. Zu diefen zählte u. a. auch die Meinung Seidenftückers,
die Prediger feien der Infpektion der Lehrer (an höheren Schulen)
zu unterftellen, die er in feiner Schrift ,Über Schulinfpektion,
Helmftedt 1797' zur Entrüftung vieler Geiftlichen vertrat. Im
zweiten Teile S. 26—42 wird über die Schriften referiert, welche
von Verteidigern der geiftlichen Schulaufficht verfaßt find. Es

Herz, das fchwer und wund war von Gram, oft gezeigt,
das war Franz Overbeck. Man vergißt gewiffe unerquickliche
Streitigkeiten, die fich an diefe Freundfchaft und
Korrefpondenz knüpfen, wenn diefes fchwere Leben in
feiner ganzen erfchütternden Tragik an uns vorüberhetzt,
diefes Leben, das doch fchon in diefen fünfzehn Jahren
des Overbeckfchen Briefwechfels leife gebrochen war.
Die Briefe fchließen mit Nietzfches geiftigem Tode. Als
Briefe eines Leidenden und Trauerbeladenen wird fie
jeder empfinden, der gründlicher lieft und Nietzfches Leben
kennt. Dann wird er auch das feine Wort darin verMitteilungen
.

1. Über den handfchriftlichen Nachlaß des der Witfenfchaft
fo jäh entriffenen Profeffors D. C. R. Gregory in Leipzig teile ich

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flehen, ein echtes Nietzlche-Wort, das mehi fagt als lange im Einverftändnis mit den Herren Kollegen Prof. D. H. Guthe
Erörterungen: ,Der Leidende ift eine wohlfeile Beute für
jedermann, in Bezug auf einen Leidenden ift jeder weife'...
Man könnte ,aus diefer wertvollen Brieffammlung eine
Fülle fchöner neuer Gedanken heben, die uns den Denker
in vieler Hinficht deutlicher machen, wo wir fonft nur
durch Trübungen fahen. Wie hat doch das Zarafhuftra-
buch feinen Schöpfer innerlich aufgewühlt und losgetrennt
von feinen letzten Menfchen, die er noch hatte, und doch
fehreibt er an Overbeck: ,Es ift fehr fchön, daß wir einander
in den letzten Jahren nicht fremd geworden find,
auch durch den Zarathuslra nicht'. So vieles, was in diefem
ergreifenden Buche fleht, klingt wie ein unbeabfichtigtes
Wort der Huldigung für den edeln Mann und Freund,
der ja immer Overbeck gewefen ift, es klingt wie Dank
für unwandelbare Treue, die er — wie Nietzfche feibft
fagte — ,in den ftärkften und unverftändlichften Zeiten
feines Lebens' ihm erwiefen hat, und wenn man feine
Schwerter und Richard Wagner ausnimmt, fo ift ihm
niemand mit dem Taufendftel von Leidenfchaft und Leiden
entgegengekommen, um fich mit ihm zu verliehen,

in Leipzig und Prof. D. H. Windifch in Leiden (vorübergehend
in Leipzig) folgendes mit.

Den fchon lange gehegten Plan, eine griechifche Paläographie
mit befondrer Berückfichtigung der Bibelhandfchriften zu fchreiben,
hat der Verewigte nur infoweit auszuführen begonnen, daß er
mehr oder weniger große Abfchnitte gewiffer Kapitel ausgearbeitet
hat. Für die in Auslieht genommene Ausgabe des Neuen Tefta-
ments mit eigner Herftellung des Textes und ausgewähltem
Apparat lind nicht einmal direkte Vorarbeiten vorhanden.

Dagegen fanden lieh reichhaltige Sammlungen von Notizen
in Heften und auf einzelnen Blättern und Zetteln bis herab zum
kleinften Format, die der Weiterarbeit an der Paläographie fowie
an der Textkritik des Neuen Teftaments zu dienen beftimmt
waren. Den erften Platz unter ihnen nehmen die zahlreichen
Aufzeichnungen ein, die bei der Berichtigung der Handfchriften
des Neuen Teftaments in den verfchiedenften Erdteilen aus den
Originalen feibft gefchöpft, und der Photographien, die von ihnen
genommen worden lind. Zwar ift der weitaus größte Teil in der
1909 abgefchlolfenen .Textkritik' des VerfaiTers fchon ausgenutzt;
genauem Auffchluß können fie aber dem Sachkenner immer noch
bieten. Beifpielsweire liegt eine Abrchrift eines Papyrusftücks
aus dem Berliner ägyptifchen Mufeum mit dem Vermerk vor,
im Jahr 1905 fei die Erlaubnis zur Veröffentlichung erteilt worden;
der Schlußband der /Textkritik' enthält aber nur eine Befchrei-