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Ausgabe:

1918

Spalte:

46

Kategorie:

Religiöse Kriegsliteratur, Kriegspredigten, Kriegspädagogik

Autor/Hrsg.:

Pappritz, Anna (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Die Bedeutung der Sittlichkeitsfrage für die deutsche Zukunft. Vorträge 1918

Rezensent:

Schuster, Hermann

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Seite 1

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ift, fo fpricht er lieh, gewiß nicht mit dem gleichen Rechte, den. Wer 50 Jahre hindurch den Wandel preußifcher
au'ch gegen einen Zwang zur Chriftenlehre aus und meint, Kirchenpolitik zu beobachten in fich den Beruf gefpürthat,
die damit gemachtenErfahrungen follten billig abfehrecken fühlt fich nichts weniger als durch eine folche vermutete
S. 162. Er überfieht dabei offenbar, daß die Erfahrungen .Neuorientierung' in der Wahrnehmung überrafcht, als
zweifellos anders ausfallen werden, wenn man fich ent- widerführe ihm etwas Seltfames.

fchließt, das Recht eines Vollbürgers in der Gemeinde rjer Verfaffer der dritten Schrift, die fich ebenfalls

nur denen zuzuerkennen, welche ihre Ephebenprüfung be- mit Zöllners Verfaffungsgedanken für eine Neuorientie-
ftanden haben, die den Befuch der Chriftenlehre zur not- rung jn der evangelifchen Landeskirche Preußens befchäf-
wendigenVorausfetzung haben müßte. Für eine planmäßige t,gt) hat flch zu jnrer Herausgabe in einem Sonderdruck
Evangelifation der Gemeinden, für die er warm emtntt, entfchloffen, weil fie in der Allgem. evang.-luth. Kirchen-
fchlägt er eine verbeflerte Form der in der evangelifchen zeitung ,unter Streichung vieler Partien', die von der ReKirche
der älteren preußifchen Provinzen beftehenden daktion ohne fein Vorwiffen vorgenommen worden, zum
Generalvifitationen vor: ,der Generalfuperintendent follte Abdruck gelangt war. Schneider ift beftrebt, ein volles
fich mit einem Stabe tüchtiger, evangehfeh begabter 1 a- Verftändnis für den Standpunkt, den Zöllner einnimmt,
ftoren und Katecheten rüften. Er follte dann nicht in wejj er fich zu ihm durch dje kirchliche Not der Gegen-
fortgefetztem Zuge durch ein Gebietsteil ziehen;, fondern wart gedrängt fühlt, zu gewinnen und ihm und der Lauterfür
jede Gemeinde 14 Tage anfetzen' ufw. S. 196. i-ejt fejner Auffaffung volle Gerechtigkeit widerfahren
Man fragt billig, wie vielen Gemeinden feines Sprengeis zu laffen, kann aber "nicht umhin, vom Standpunkte der
während der kurzen Zeit feiner Amtsdauer dann fein lo Gefchichte und des Rechtes das Unzulängliche, Utopifche
organifierter Befuch zugute kommen würde. Sehr be- und Unausführbare der Zöllnerfchen Vorfchläge in ruhi-
achtenswert find Zöllners Vorfchläge über eine zweck- ger, fachgemäßer und, wie mir Rheinen will, durchaus
mäßigere Orgamfation der Diakoniffenmutterhaufer, bei wel- zutreffender Weife darzuleo-en und nachzuweifen Es ge-
chen die Zahl der Schweftern wie bei Sarepta in Bethel ^ fchieht dies in einer fo kTaren foteerichtio-en und dabei
auf 1400, in Kaiferswerth auf faft 1500 angewachfen ift, fo daß ; f0 knappen Form, daß man ziemlich den"ranzen Inhalt
ihr Zufammenhalt mit der Oberin oder dem leitenden Pa- der Schrift wiedergeben müßte, um ihren vollen Wert zu
ftor namentlich bei der ausgedehnten Zahl entfernter verdeutlichen. Da dies an diefer Stelle felbftverftändlich
Außenftationen ungemein erfchwert, ja faft unmöglich ge- ■ ausgefchloffen ift, kann ich nur dringend anheimgeben,
macht wird. Bei neu entftehenden Mutterhäufern fchlägt j flch mjt diefetn Inhalte durch eigenes Studium bekannt
er die Abzweigung von Filialmutterhäufern vor, wenn die zu machen. Wie immer man zu der Frage .Bekenntnis-
Zahl ihrer Schweftern 300 bis 400 erreicht hat. Bei den kirche oder Zweckverband ?' Stellung nehmen mag, die
altern übermäßig angewachfenen Mutterhäufern hält er die durch den Zöllnerfchen Vortrag und eine Reihe damit
Einteilung der Außenftationen in etwa drei Bezirke mit j jm Zufammenhange flehender weiterer Publikationen neuereinem
Paftor und einer Schweiler an der Spitze für zweck- j dings wieder ftark in Fluß gekommen ift: die Schnei-
mäßig. Diefe Spitzen vergleicht er mit den Dezernen- ! derfche Brofchüre verdient es, gerade in diefem Zufam-
ten in einer Behörde; fie follen ihre eigene Schreibftube ( menhange der Bewegung vor andern Arbeiten beachtet
ufw. erhalten, aber die eigentliche Exekutive foll in den Hän- und gewertet zu werden. In diefem Sinne wird hier auf
den des Vorftehers und der Vorfteherin verbleiben, S. 120 ff. fie mit befonderm Nachdruck und mit wefentlicher Zu-
Man fieht, Anregungen und Vorfchläge zu beachtenswerten, ftimmUng zu ihrem Inhalte aufmerkfani gemacht,
auch neuen .Wegen und Zielen'für die jetzige und künftige Göttinnen K Knol-

Organifation der Inneren Miffion find hier in reichem 1 & • Ke-

Maße gegeben. Sie verdinen in den beteiligten Kreifen I----_

eingehende Erwägung und Beachtung, find aber auch Diß BepeutunB der Sittlichkeitsfrage für die deutrohe Zukunft. Veralten
zum Studium zu empfehlen, die der zeitgemäßen träge) gehalten auf der Frauenkonferenz zum Studium der
Fortbildung der Inneren Miffion Intereffe entgegenbrin- Sittlichkeitsfrage. (Hrsg. v. Anna Pappritz.) (99 S.) 8«.
gen. — Die Ausftattung des Buches durch Druck und . Berlin-Lichterfelde, E. Runge (1917). M. jgß

Papier ift vortrefflich. Als Druckverfehen ift mir nur '■ Diefes von Anna Pappritz herausgegebene Buch enthält Vor-
S. 160 Z. 2 v. u. ,Verbandskoften' für .Verbandskaften' j träge, die am 24. und 25. Nov. 1916 (und wegen des großen An-
entgegengetreten. j drangs noch mal am 2. und 3. Febr. 1917) in Berlin auf der

Schwarz berichtet über den Ausfpruch Zöllners auf1 Frauenkonferenz zum Studium der Sittlichkeitsfrage gehalten
der Berliner Auguftkonferenz 1916: ,Wir muffen den Be- Und. Leider fehlen die Vorträge von Dr. Gertrud Bäumer
kenntnLscharakter der Landeskirche als abfolut geltenden i über:,Die Krankenverficherung als Trägerin der fozialen Hygiene',
Grundfatz aufheben', der im Kreife jener Konferenz und I von Dr- Marie Elifabeth Luders über: ,Die Maßnahmen zur Be-
aus dem Munde diefes Mannes gerechtes Auffehen verur- kamPf"»g der Gerchlechtskrankheiten im beretzten Gebiet', und
facht hat. Er fieht in dem Ausbruche ein Symptom der i von Oberlehrerin Margarete Jreuge über: Die Wirkungen der

neuen Richtung, die fich im preußifchen Kirchenregimente l^X^L^ % A^edr"ckt find^,e V?Ttra& v°n

iitut.uiviv.iii. ig, r ,. . , r a Anna Pappritz: ,Die Pflichten der Frau im Kampf gegen die

durchzufetzen begonnen hat und die e ne abermalige An- , Unfimich^.; Katharina Scheven: ,Staat und Proftitufion', eine

Wendung des bekannten preußilcüen lrrlenregeietzes als | vernichtende Kritik der ftaatlichen Konzeffionierung und Kafer-

unmöglich erfcheinen läßt. Er fuhrt die damit vollzogene ' nierung; Paula Müller: ,Die foziale Urfache der Proftitution',

kirchenregimentliche .Neuorientierung' auf entfprechende bezeichnet (genau wie kürzlich in einem hannoverfchen Vortrage'

Grundfätze zurück, denen der Kaifer in feiner Anfprache der hochverdiente Prof. Dr. med. von Düring) als foziale Wur-

an die an der Weftfront im gegenwärtigen Kriege wir- j zeln der Proftitution: Wohnungsnot, fchlechte Löhne und Alko-

kenden Feldgeiftlichen markanten Ausdruck in den bei- j Lolismus; Gräfin Selma v. d. Gröben und Margarete Dittmer:

den Merkworten gegeben hat: .Perfönlichkeit des Herrn' ! ,Die Aufgaben der Jugendfürforge im Kampfe gegen die Unfitt-

und ■ .Nur keine Dogmatik meine Herren!' Er vermißt Hchkeit', fordert vor allem Polizeipflegerinnen, helfende Frauen

bei den liberalen Theologen in der preußifchen Landes- I ""d Mädchenfchutzhäufer; Marianne Weber: ,Die fittlichen

... . ,. .0 , C... ta j a. — ~ ___] (iPPenppwicnfp npr Fmmrnfmn * vnrKiUlioV s«. m : (v.l.......____

ktrehe ein notwendiges Verftändnis für Bedeutung und
Tragweite diefer Kaiferworte und fürchtet, daß die von
D. Zöllner in feinem Vortrage ebenfalls ausgegebene Lo-
fung: .Vorwärts im alten Glauben' zu einer Organifation
der Konfeffionellen führen möge, die ihnen die begehrte

Gegengewichte der Proftitution,' vorbildlich in der Mifchung von
lebenskundigem Realismus und ethifchem Idealismus; über Ehepraxis
und Eheideal, erzieherirche Aufgaben der Schule und der
Gerellfchaft hören wir goldene Worte. Aber auch die andern
Vorträge zeigen, wenn auch bisweilen der Kampf gegen die
.doppelte Moral' zur Verkennung des Unterfchieds der Gefehlechter
Macht verfc.haffen folle, das Volk mit Gewalt, entgegen , führt, ein hohes Maß von Sachkenntnis und Urteil. Das Buch
dem Kaiferwort, dem Dogma zu unterwerfen. Ob der Vf. j verdient weite Verbreitung.

«lamit das Rechte gefehen hat, wage ich nicht zu entfehei- I Hannover-Kleefeld. Schufter.