Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1918

Spalte:

44-46

Autor/Hrsg.:

Schwarz, Gottfr.

Titel/Untertitel:

Die neuesten Vorgänge in der preußischen Kirche 1918

Rezensent:

Knoke, Karl

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

43

Theologifche Literaturzeitung 1918 Nr. 2/3.

44

fiich, aber doch gerade auch ruffifch, zumal in der von S. ] Denker. Aber er kennt viele. Nur daß ich fagen
religiös gewerteten Zufpitzung auf den ,durch den Tod } möchte, er fei ,belefen', nicht .gelehrt*. Und ein eigent-
nicht zu zerftörenden Zufammenhang der Generationen*. J lieh fyftematifcher Denker ift er trotz allem nicht. Von
S. fleht in dem Ahnenkult einen .Ewigkeitsgedanken'enthal- j feinen Grundbegriffen hat er am vollftändigften den der

ten. (Man denke an den ruffifchen Gräberkult!) Es wundert
einen nicht, daß S. als eigentliches Ideal dieAskefe feiert.
Nicht als ob er alle Welt zu Mönchen machen möchte. Im
relativen Sinne weiß er das Leben, das nicht von den
natürlichen Empfindungen und Begehrungen getrieben

.Scham' durchgedacht. Was er da fagt, ift originell und
zweifellos wertvoll. Vom .Mitleid', gar dem eigentlicher.
Gedanken der Liebe redet er fchon viel ungenauer. Eine
wirkliche Unterfuchung des Begriffs Hellt er nicht an.
Man kann vielleicht zuletzt erraten, was er meint, aber er

wird, das dem Geifte eine Herrfchaft darüber gewährt, wohl ' müßte es eigens zeigen. Und der Gedanke der .Ehrfurcht'
als wertvoll zu fchätzen. Aber das Ideal ift die Ehelofig- i kommt wiffenfehaftlich vollends zu kurz, da ift alles bloß

keit, oder eine bloße Geiftehe. Jede einmal gefchloflene j Andeutung, Ausftrömung von Stimmung. Doch indem
Ehe foll ftreben .vollkommen' zu werden, d. h. fleh zur j ich das hervorhebe, will ich nur begründen, daß das Buch
Verwirklichung der .inneren Fülle' geftalten, welche die j in erfter Linie als Dokument ruffifchen Denkens zu
.menfehliche Wefenheit' in fich birgt: ihr Ziel ift, daß 1 würdigen ift. Als folches kann es uns warnen, den Gehalt
.phyfifche Kindererzeugung' nicht bloß .unnötig', fondern I des .orthodoxen', fpeziell des .ruffifchen' Chriftentums zu
.unmöglich' wird. Der Sinnentrieb muß aufhören irgend j unterfchätzen.

etwas zu bedeuten. Nach S. ift oder wird die rechte ! Halle. F. Kattenbufch.

Ehe für den Menfchen ein .Martyrium'. Er weiß ja, I
daß nach irgendwelcher Wahrfcheinlichkeit die .rechte' j

Ehe auf Erden nie allgemein wird. Aber entfehlöffe fich die j Zoellner, Wirkl. Geh. Ober-Konfift.-R. Gen.-Superint. D.:
ganze Menfchheit zu ihr, würde fie willig auszufterben Wege und Ziele. Grundfätzliches u. Praktifches aus dem
dem .Fleifche nach', ja fo wäre das der Anbruch der Geiftes- Gebiete der inneren Miffion. (198 S.) gr. 8°. Potsdam,

weit, des Gottesreichs. S. verlangt auch Verzicht auf
Fleifchnahrung, Weingenuß (hier kennt er wenigftens
.Möglichkeiten' eines .vergeiftigten' Genuffes). Der Verzicht
auf Schlaf dünkt ihn etwas Bedeutfames. Selbft

Stiftungsverlag 1917. M. 3.60

Schwarz, Gottfr.: Die neuetten Vorgänge in der preuHilchen
Kirche. (31S.) 8°. Darmftadt, G.Schwarz 1916. M. — 40
Schneider, Pfr. J.: Bekenntniskirche oder Zweckverband.

für die Hefychie des Athosmönchtums, die Beherrfchung | Eine Darftellg. u. Beurteilg. der kirchen- u. verfaffungs
des Atmens zum Zwecke der Ablenkung von der Natur, rechtl. Änderungsvorfchläge D. Zoellners. (38 S.) 8°.
Hinwendung zur Gottheit, hegt er tiefe Sympathie. Er Gütersloh, C. Bertelsmann 1917. M. — 75

fleht in folchen Übungen zwar kein Gebot für alle, aber
doch für folche, denen ,es gegeben ift*.

Der .Zweite Teil', S. 149—217, trägt die Überfchrift
,Das Göttliche Gute', und handelt vom eigentlichen
Inhalt des Lebens, wie es fein foll, vom .vollkommenen',
dem .ewigen Leben', dem Leben, das Gott felbft hat
und das in der Seele des Menfchen .potentiell' veranlagt,
in der Gefchichte in einer Entwicklung auf das Ziel hin

Wenn irgend jemand legitimiert ift, fich über ,Wege
und Ziele der Inneren Miffion' auszufprechen, fo dürfte es
der Generalfuperintendent D. Zöllner fein, der eine Reihe von
Jahren hindurch fich als Vorfteher des Kaiferswerther
Diakoniffenhaufes bewährt hat. So bietet er denn auch
eine Fülle wohlerwogener Gedanken über die vielfachen
Aufgaben der Inneren Miffion und die zweckmäßige Ge-
ftaltung ihrer Löfung, wie fie die gefchichtliche Entwickbegriffen
ift. Für S. find die Begriffe des Lebens, des j lung diefer Lebensäußerung der evangelifchen Kirche in
Heils (der Seligkeit), des Guten innigft verfchwiftert, ja 1 der Gegenwart fordert. Überall fpricht aus ihnen das be-
letztlich in der Sache gleichwertig. Das Gute ift die volle j fonnene Urteil der auf Beobachtung fich gründenden Er-
Herausarbeitung des Geiftesprinzips, der Liebe, der Ge- | fahrung, die keineswegs blind gegen Verirrungen fich

ftaltung des eigentlichen .Menfchentums'. Das Urbild für
das Menfchentum ift Gott. Aber man fleht, daß S.,
ohne das Wort zu gebrauchen, letztlich .Myftiker' ift.

Der .Dritte Teil', bei weitem der ausfuhrlichfte, mannig-
faltigfte, handelt über .DasGute im Laufe der Menfch-
heitsgefchichte', S. 218—522. Leitend für S. ift der Gedanke
, daß es für den Einzelnen, die .Perfönlichkeit' gelte,
fich ebenfo (individuell zu erfaffen, wie als Glied der Menfchheit
als eines Ganzen. Er macht entfchloffenen Gebrauch
von der alten Erkenntnis, daß unus homo nullus homo,
daß der Menfch nie .einzeln' exiftiert hat, fondern in einer
.Gefellfchaft', daß er alfo auch nicht ,für fich' leben foll.
S. fpricht vom .Kollektivmenfchen', den der einzelne in fich
erfaffen und herausbilden müffe. Er kommt auf alle
Themata einer vollen Ethik. Von den .Tugenden' ift bei
ihmebenfo die Rede, als von den Formen der Gemeinfchaft,
von den Sozialpflichten fo gut, als von den Individualpflich-
ten. Und es ift fehr viel Feines, Sinniges, Kluges, Verftän-
diges in feinem Buche zu finden. Auch genug deffen, was gar
nicht orientalifch, orthodox, ruffifch zu nennen wäre. So
feine Ideen über das Eigentum. S. hat keinerlei Anwandlung
von Kommunismus. Seine Gedanken über Nationalismus
und Kosmopolitismus, fowie über den Krieg, find klar
und eindrucksvoll. Man fühlt fich immer wieder angefpro-
von dem reinen Sinn des Mannes, der die Scham fo
hochhält. Sein asketifches Ideal fchließt garnicht aus,
daß er die Welt, die Seelen fcharf beobachtet, nüchtern
beurteilt, mit gefundem Urteil begleitet. Aber es ftört,
daß S. fich gar zu oft wiederholt. Hätte er es vermocht,
fich ftraffer und knapper auszudrücken, fo wäre fein Werk
lesbarer. Er polemifiert feiten gegen einzelne andere

erweift, wie fie bei menfehlichen Unternehmungen nicht
auszubleiben pflegen und auch bei der Entwicklung der
Inneren Miffion hin und wieder nicht ausgeblieben find. Den
ganzen Wert des in diefem Buche Gebotenen wird vielleicht
nur der würdigen können, welcher mit den einfehläglichen
Fragen und Problemen fich bereits vor der Lektüre desfel-
ben vertraut gemacht hat, denn das Ganze, welches ,als Zeichen
des Dankes der Theologifchen Fakultät Greifswald für
die dem Verfaffer verliehene theologifche Doktorwürde zugeeignet
' ift, bewegt fich in einer, man möchte fagen, aka-
demifchen Höhenlage der Gedankenbewegung, die fich
über die herkömmlichen Publikationen über die Innere Miffion
vorteilhaft erhebt. Die frühere Stellung Zöllners an
der Anftalt in Kaiferswerth hat es mit fich gebracht, daß
er in der Hauptfache fich nur über die Tätigkeit der
Diakoniffen äußert; die Brüderhäufer werden nur ganz
gelegentlich nebenher erwähnt z. B. S. 101. In einem ge-
wiffen Gegenfatze dazu fleht der Abfchnitt ,Die öffentliche
Miffion und die Jugendpflege' S. 158—164, welcher
fich nur mit den Aufgaben der Pflege der männlichen Jugend
befchäftigt. Aus der reichen Fülle des Inhaltes,
welcher fich unter den Gefichtspunkten gliedert: Die Dia-
konie der innern Miffion und die öffentliche Miffion der in-
nern Miffion' S. 9 greife ich nur einige wenige Bemerkungen
heraus, die den Standpunkt des Verfaflers kundgeben.
Zöllner fpricht fich gegen Verleihung des kirchlichen Wahlrechtes
an die Frauen aus, befürwortet aber die Einrichtung
von Arbeitskommiffionen des Presbyteriums unter
ftärkfter Heranziehung geeigneter Frauenkräfte aus der
Gemeinde S. 90 ff. Wie er gegen Einführung eines obliga-
torifchen Religionsunterrichtes in der Fortbildungsfchule