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Ausgabe:

1918

Spalte:

32-33

Autor/Hrsg.:

Mayer, Joh. Georg

Titel/Untertitel:

Geschichte des Bistums Chur 1918

Rezensent:

Heussi, Karl

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dem Frommen ab, es häufig vorgekommen fei, daß die
Bistümer willkürlich von den Königen an weltliche Große
vergeben feien, daß alfo die Könige die Bistümer faft
als Eigenkirchen ihres Haufes behandelt haben. Im oft-
fränkifchen Reich ift dagegen nur gelegentlich einmal die
Rede von einer Vergabung eines Bistums an Laien: auch
hier freilich kommt diefe kirchlich wie rechtlich nicht
zu billigende Vergebung vor; aber fie ift im ganzen
feiten, nicht typifch. Ähnlich wie mit den Bistümern
haben es im Weftfrankenreiche die Könige mit den Klö-
ftern gehalten, jedoch mit dem inneren Unterfchiede, daß
es fich bei den Klöftern im Gegenfatz zu den Bistümern
meift um königliche Eigenkirchen, kurz um Königs-
klöfter handelte. Freilich war die Vergabung königlicher
Klöfter an weltliche Große trotzdem nicht zu rechtfertigen
und die Verhältniffe, die aus diefen Vergabungen erwuchsen
, waren weder rechtlich einwandfrei und geklärt,
noch kirchlich heilfam und erfreulich.

Die Anzahl der königlichen Klöfter in karolingifcher
Zeit ift nicht feftzuftellen. Die Quellen ergeben nicht zu
jeder Zeit den genauen Tatbeftand. Häufig find geiftliche
Stiftungen vorübergehend benimmt als königlichanzufehen:
aber gerade die häufige Vergabung von königlichem Klo-
llergut macht es unmöglich, auch nur für einen beftimmten
Zeitpunkt in einem einigermaßen zutreffenden Querfchnitt
die Menge königlichen Kloftergutes anzugeben. Bei dem
hochentwickelten wirtfchaftlichen Zuftande der Klöfter
bildete, die geiftliche Niederlaffung einen bedeutenden
Wirtfchaftsfaktor, mit dem der Befitzer ftändig rechnen
konnte. Durch die Vergabung geiftlicher Niederlaffungen
an Laien fchwächte alfo das Königtum feine wirtfchaft-
liche und damit auch feine militärifche Kraft. Es war
nun fehr verhängnisvoll, daß die Könige verpflichtet waren
oder fich doch verpflichtet fühlten, die unbequemen und
bedrohlich auffteigenden Großen des Reichs mit Kirchengut
zu belohnen und bei guter Laune zu halten. So
entwickelten fich die ausgegebenen königlichen Klöfter
zu Brutftellen der Oppofition. Vor allen Dingen haben
es die weltlichen Großen verftanden, mehrere reiche
Pfründen in einer Hand zu vereinigen: fo kam zu der
weltlichen Grafen- oder Herzogs-Gewalt der große Befitz
und die wirtfehaftliche Ausbeute reicher Pfründen, Dinge,
die in den Händen der Grafen von Anjou, der Grafen
von Poitiers, der Herzöge von Aquitanien, der Herzöge
der Normandie ufw. zu gefährlichen Waffen gegen das
Königtum werden konnten. Das fchwache Königtum
hat vor allen Dingen nicht verhindern können, daß der
Klofterbefitz erblich in den Händen der weltlichen Großen
wurde.

Zunächft handelt es fich für die kirchliche Verwaltung
darum, feftzuftellen, wie weit der König berechtigt
fei, kirchliche Pfründen — ob auch kirchliche Ämter? —
an Laien auszugeben. Die Notwendigkeit dieler an und
für fich kirchlich unzuläffigen Vergabung wurde von
kirchlicher Seite allgemein anerkannt, und fo entschieden
fich die Konzilien dahin, daß zwar die Kollegiat- und
Chorherrenftifter an Laien vergeben werden dürften, die
eigentlichen Klöfter aber nicht. Diefe kirchlichen Vor-
fchriften find dann aber nicht eingehalten, Ausnahmen aller
Art wurden immerzu gemacht: zunächft ernannte der
König Chorherren zu Äbten, dann wieder Laien: es gab
alfo außer den abbates reguläres auch zahlreiche abbates
canonici. Aber wenn auch immerfort zur Entfchuldigung
diefer königlichen Maßregeln betont wurde: quia id exigit
rei publicae necessitas oder propter imminentem rei
publicae necessitatem, fo war fchießlich der Vorteil des
Reiches mit diefer Politik doch nicht verbunden. Die
weltlichen Großen im Befitze ihrer Macht entzogen die
Klöfter dem königlichen Einfluß, die Königsklöfter hörten
auf, reichsunmittelbar zu fein. Dazu kommt vor allem
der Umftand: handelt es fich bei der Vergabung von
Klöftern um die Einfetzung von Laienäbten oder von
Klofterinhabern? Bei der Einfetzung von Laienäbten

blieb die Reichsunmittelbarkeit wenigftens tatfäcMch
, noch beliehen, wenn auch der Staat und der König aus
diefem Verhältnis kaum noch einen wirtfchaftlichen oder
militärifchen Vorteil ziehen konnte. Bei der Einfetzung
von Klofterinhabern, die ihrerfeits wieder einen Abt ein-
| fetzten, hörte aber jede unmittelbare Beziehung zum König
I auf: Das Klöfter entwickelte fich mehr zur Eigenkirche
: des Inhabers. Ausgeprägt hat fich diefe Entwickelung
vor allem während der Ausbreitung der cluniazenfifchen
Reformen, die von den Klofterinhabern zum teil eifrig
und häufig auch felbftlos eingeführt wurden.

Voigts Buch bietet außerordentlich viel intereffantes
| Material unter zweckmäßiger Hervorhebung der rechtsge-
| fchichtlich wefentlichen Momente und ihrer Entwickehing.
Der kirchengefchichtliche und kulturgefchichtliche hoch-
bedeutfame Gehalt diefes Materials ift noch nicht ausge-
fchöpft: vermutlich wird das die Gefchichte der fränki-
fchen Königsklöfter, die V. erfreulicher Weife in Ausficht
ftellt, bieten.

Leipzig. O. Lerche.

Mayer, Domh. Prof. Dr. Joh. Georg: Gefchichte des Bistums

Chur. 2 Bde. (i. Bd. XI, 567 S. m. Abbildgn., 2 Karten
u. 3 Tafi; 2. Bd. 780 S. m. Abbildgn., 4 Taf. u.
1 Bildnis.) gr. 8°. Stans, H. v. Matt & Co. 1907—14.

M. 21 —

Das weite Feld der Gefchichte der Bistümer ift in
| den letzten Jahrzehnten von den deutfehen Hiftorikern
I mit großem Eifer in Bearbeitung genommen worden. In
engfter Fühlnng mit hiftorifcher Geographie, mit Wirt-
fchafts- und Verfaffungsgefchichte fucht man die einzelnen
Seiten der Lebenseinheit, die ein Bistum bildet,
mit möglichfter ftatiftifcher Vollft.ändigkeit zu ' erfaffen.
Die Gefchichte des Bistums im Überblick, die kritifch
bearbeitete Lifte feiner Bifchöfe, die kirchlichen und die
! politifchen Grenzen und die kirchliche Einteilung der
I Diözefe, die weltlichen Befitzverhältnifle, das Domkapitel,
die Domfchule, die einzelnen Archidiakonate, die Pfarreien,
die Kapellen, die Klöfter ufw., das alles in überfichtlicher
Syftematik angeordnet, das ift es, was wir in einer Bistums-
gefchichte im neueren Sinn dargeftellt erwarten. Mit
diefem Typus der Bistumsgefchichte hat das vorliegende
umfaffende Werk (vgl. ThLZ 1911, Sp. 28), das im Druck-
vollendet vor fich zu fehen dem Verfaffer (geft. 1912)
nicht mehr vergönnt gewefen ift, nichts zu tun. Es vertritt
vielmehr den älteren Typus einfach dem Faden der
Chronologie folgender, Ichlicht erzählender Darftellung.
Es ift wohl als ein Standwerk für das altehrwürdige
Bistum Chur gedacht, das ein folches Gefchichtswerk ,befitzen
muß', gerade fo wie feine Kathedrale fchöne Para-
mente ,befitzen muß'. Ich jage das nicht, um zu tadeln,
fondern um zu charakterifieren, denn an fich ift diefer
Typus von Gefchichtsfchreibung gewiß berechtigt. Wenn
nur das Gebotene hinfichtlich der kritifchen Zuverläffig-
keit feiner Grundlagen und hinfichtlich der Darftellung
im engeren Sinne auf einer höheren Stufe ftändel Was
Mayer bietet, ift keine genetifche, den Stoff kräftig fichtende
, um eine energifch durchgezogene Hauptlinie klar
gruppierende Darftellung, fondern im Grunde nur eine
ziemlich weitfehweifige Chronik, die nach ihrer Methode
ebenfo gut dem ausgehenden 18. Jahrhundert entflammen
könnte. Welche Unmenge von Einzelmaterial M. in jahrzehntelanger
Arbeit zufammengetragen hat, ift ja gewiß
anerkennenswert; aber Gefchichtfchreibung ift das nicht.
Offenbar hat fich der Verfaffer nicht klar gemacht, daß
die Gefchichte eines Bistums etwas anderes ift, als die
Summierung der Einzelgefchichten aller feiner Bifchöfe.
Seitenlang bietet er ziemlich öde Aufzählung von Bifchö-
fen mit oft dürftigen Notizen über das, was fie getan
haben oder getan haben follen. Überhaupt überwiegt
die Perfonalgefchichte; von dem ,Bistum' felbft .hören
wir wenig, der Verfaffer zeigt Bäume, nicht den Wald.
Aber nicht nur die hiftorifche Geftaltungskraft, auch die