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Ausgabe:

1918 Nr. 2

Spalte:

295-296

Autor/Hrsg.:

Naumann, Friedrich

Titel/Untertitel:

Die Freiheit Luthers 1918

Rezensent:

Eck, Samuel

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Seite 1

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295 Theologifche Literaturzeitung 1918 Nr. 23/24. 296

Charakter. Und feine Beobachtungen darf man nicht 1 Jedesmal greift er weit aus: das Mittelalter zumal bildet
als originale Entdeckungen anfprechen. Ariftoteles und j den breiten Hintergrund für feine Urteile. Ohne au
die Araber waren ihm vorangegangen. Aber Baur ift ftrittige Fragen einzugehen, grenzt er die Ref. fcharf
dennoch berechtigt, der hier erworbenen Verdienfte Groffe- gegen jenes ab. Ihm gehen die beiden proteftantifchen
teftes befonders zu gedenken. Schon daß er Sinn für Teilbildungen, in allem Wichtigften einig, unter leicht-
den Empirismus hatte und einer mächtigen Überlieferung verfchiedener Färbung, auf die Antriebe Luthers zurück;
zum Trotz ihm folgte, zeugt von felbftändigen Neigungen, und wo das Luthertum hinter reformiertem Kirchentum

Und kann man auch keineswegs feinen /Beobachtungen
eine durchgehende Originalität zufprechen, fteht auch feine
Vorftellung vom Aufbau der Welt ganz unter den Vor

zurückbleibt, da ift doch auch in diefem Luther feibft
wirkfam. Die Kultur der Gegenwart freilich ift nicht
proteftantifche Kultur, fondern eine fehr komplizierte

ausfetzungen des ariftotelifch-ptolemäifchen Weltbildes, Größe, aber Wirkungen der Ref. begegnet man in ihr
lehnt fein Empirismus fich an den ariftotelifchen an, fo überall. Wichtiger als alle Einzelheiten erfcheint es Hauck,
bekundet er doch in dem Verfuch, die Mathematik und daß im Troteftantismus die Spannung zwifchen Diesfeits-
>das Experiment zum Fundament der Naturphilofophie zu kultur und asketifcher Myftik gelöft ift. Kulturfeindlich
machen, ein felbftändiges naturwiffenfchaftliches Denken, könne der Froteftantismus niemals fein. Man wird die
Weder die Alten noch die Araber hatten fich, wie fchon Ausführungen des großen Hiftorikers nicht ohne Bewe-
Vogl glaubte annehmen zu dürfen, der Mathematik bedient, gung lefen, wenn man zwifchen den Zeilen feiner ruhig-
um wesentlich mit ihrer Hilfe die phyfikalifchen Fragen | vornehmen Sprache allerhand Streit der Gegenwart zu
zu löfen. Und nicht erft Roger Bacon verfiel auf diefe hören meint.

Idee. Er feibft erkennt Groffetefte als einen Vorläufer Anders, lebhafter, ftürmifcher als der Hiftöfiker

an. Groffetefte hat in der Tat fchon jene Betrachtung . Schreibt der Politiker Fr. Naumann. Merkwürdig, er
gekannt, die zur mathematifchen Phyfik hinführte. Mehr berichtet in feinen kurzen fchlagenden Sätzen mehr Ge-
als einmal wird man an das berühmte Stichwort more , fchichtlicb.es von Luther als Hauck. Aber noch deutlicher
geometrico erinnert. Wie fchon Al-Kindi und fpäter Roger als bei diefem ift alles von unfrer Gegenwart aus gefehen.
Bacon forderte Groffetefte, daß die Naturwiffenfchaft Im Ziel treffen beide doch zufammen. ,Mag in L. feibft
mathematifch betrieben werde, hauptfächlich auf die der ; noch fo viel vom Mittelalter ftecken, von ihm an ändert
Perfpektive zugrunde liegenden geometrifchen Grundfätze j fich die Luft'. ,Die erfte ganz deutfche Geiftesgeftalt,
eingeftellt werde (Baur, S. 92). Erleichtert wurde ihm die fich der Menfchheit im ganzen darbot.' ,Mit ihm
diefe Forderung durch die neuplatonifche Lichtmetaphy- > begann die Achtung vor dem Volk der Denker.' ,Wo
lik, auf deren große Bedeutung Bäumker in feinem Witelo j find denn fonft die Geifter des 16. Jh. für uns hingekom-
hingewiefen hat. Baur bekräftigt diefe Erkenntnis. Groffe- i men? Fall ohne Ausnahme find fie für uns Bibliothek -
tefte hat fich die neuplatonifche Lichtmetaphyfik ange- fchutt, Luther aber fteht noch immer auf feiner Kanzel
eignet und in ihr die Grundlage der Lehre von der Welt- und predigt.' Es freut einen, daß der Sächliche Luthe-
entftehung gefunden. Neuplatonifch-emanatiftifche Ge- raner in mitten der ihn umftürmenden politifchen Sorgen
danken erklären den Weltprozeß. Das phyfikalifche Grund- — nicht: die Zeit fand, aber — den Zwang fpürte, am
wefen alles Naturwirklichen ift darum das Licht. Es wird 31. 10. 1917 einen Brief ,an Doktor Martinus Luther* z.u
zum phyfikalifchen Prinzip der Einheit der Natur. Die j fchreiben (S. 31".). Ich denke, der Zwang kam eben von
Art feines auf gradlinigen Bewegungen beruhenden Wir- i dem Gegenwärtigen her: in diefem großen Krieg ,ge-
kens, welches die Perfpektive darfteilt, gibt den Schlüffel denken wir des unerfchrockenen tapfern Gottvertrauens,
des Naturwirkens insgefamt ab. So werden die Licht- ; von dem Luther voll war'. Nur an einer Stelle S. 29k
bewegungen, die Lichtlinien, zugleich die Grundform des kann ich nicht folgen. Im kl. Katechismus foll ,das eigent-
phyfifchen Wirkens in Kraftlinien. Die ganze phyfika- j lieh Lutherifche' fehlen. Wirklich, Herr Doktor? Ich
lifche Dynamik wird auf der Optik aufgebaut. Befondere denke, es ift alles da, auch die Rechtfertigung aus dem
Beachtung erheifcht Baurs Annahme, daß diefe Gründung Glauben und die Freiheit eines Chriftenmenfchen — nur
der Naturwiffenfchaft auf Mathematik ganz dem Geift der nicht an der Stelle, an der es die Dogmatik fucht, nicht
ariftotelifchen Naturerklärung, wie fie befonders in der ; in fyftematifcher Ordnung, und — danken Sie ihm das
Meteorologie in die Erfcheinung trete, entfpreche. Offen- j nicht? — keins in theologifcher Formulierung,
bar müffe auch diefe Wendung zur mathematifchen Natur- Gießen. S. F.ck.

philofophie innerhalb der lateinifchen Scholaftik von Ari- ------

ftoteles aus verftanden werden (S. 99). Bäumker meint in Jordan, Prof. D. Hermann: Reformation und gelehrte Bildung

feinen Unterfuchungen über Roger Bacons Naturphilofo- i in der Markgraffchaft Ansbach-Bayreuth. Eine Vor-
phie, daß Bacon und Groffetefte unter dem Einfluß des gefchichte der Univerfität Erlangen. 1. Tl. (bis gegen
Piatonismus die Naturwiffenfchaften unter dem mathe- ' 1560). (Quellen u. Forfchungen zur bayer. Kirchen-
tifchen Gefichtspunkte betrachtet hätten und einer be- j gefchichte. Hrsg. v. H. Jordan. 1. Bd., 1. Tl.) (XI,
fonderen Entwicklungsreihe angehörten, die im Zufammen- 371 S.) gr. 8°. Leipzig, A. Deichert 1917. M. 8.40
hang mit der griechifchen und arabifchen mathematifchen, Gewiß ein Wagnis, in der jetzigen Zeit mit einem

naturwiffenfchaftlichen uud medizinifchen Literatur fland. ' neuen wiffenfehaftlichen Unternehmen zu beginnen; aber
Dies Problem wird noch nachzuprüfen fein; zugleich j auch ein beredtes Zeugnis für die auch im Kriege nicht
werden die nach rückwärts und vorwärts führenden j raffende Arbeit deutfeher Gelehrten. Auch in der Mark-
hiftorifchen Linien fcharf zu beleuchten fein. J graffchaft Brandenburg machten fich bald in der Refor-

Tübingen. Scheel. • mationszeit Beftrebungen zur Vertiefung der wiffenfehaftlichen
Bildung durch Gründung einer Hochfchule bemerk -

Hauck, Prof. Albert: Die Reformation in ihrer Wirkung auf

das Leben. Sechs Volkshochfchul-Vorträge. (III, 213 S.)
8°. Leipzig, B. G. Teubner 1918. M. 2.50; geb. M. 3 —
Naumann, Friedrich: Die Freiheit Luthers. (45 S.) 8°. Berlin,

bar. Hans von Schwarzenberg, Georg Vogler waren ihre
tatkräftigften Förderer. In dem eifrigen Gräziften Obfo-
pöus und dem gelehrten Hebraiften Ziegler glaubte man
die rechten Männer hierzu gefunden zu haben. Zwar
G. Reimer 1918. M. 1.20 | war der neuen Pflanzfchule wiffenfehaftlichen Lebens nur

Eine letzte Gabe des am 8. April verfchiedenen Albert ein kurzes Beliehen befchieden; Tod und Berufung be-
Hauck: fechs Volkshochfchul-Vorträge. Dem wefent- j raubten fie ihrer Lehrkräfte; finanzielle Schwierigkeiten
liehen Gehalt und der dauernden Wirkung der Reformation j und die ungeklärte politifche Lage ließen es geraten erwill
er nachgehen. Er behandelt die Bedeutung der Re- fcheinen, von Neuberufungen abzufehen; dafür fuchte
formation für die Frömmigkeit, die fittlichen Anfchauungen, 1 Feuchtwangen das Erbe der Landeshauptftadt anzutreten,
die Kirche, den Staat, den Gottesdienft, das Kulturleben. I keinen geringem als Brenz fuchte man zu gewinnen,