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Ausgabe:

1918 Nr. 2

Spalte:

284-285

Autor/Hrsg.:

Rohden, G. v. (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Zwei Brüder. Feldpostbriefe und Tagebuchblätter. 2 Bdchn 1918

Rezensent:

Niebergall, Friedrich

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Theologifche Literaturzeitung 1918 Nr. 21/22.

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von der Stellung zur Sozialdemokratie, von den großen j (Religion, Staat, Kunft, Wiffenfchaft) treten in harmonifches

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praktifchen Schwierigkeiten des wirtfchaftlichen Lebens,
den Formen praktifcher Erholung, der tatsächlichen phyfi-
fchen oder pfychifchen Behinderung, am kirchlichen Leben
teilzunehmen. Darin fcheint mir fogar der befondere
Wert der Moeringfchen Schrift zu liegen, daß er nicht
bei der Darlegung der geiftigen Schwierigkeiten ftehen
bleibt, fondern daß er die einfachen praktifchen Hemmungen
klar und nüchtern hervorhebt, die fo mancher
Paftor vergißt, der über die unkirchliche Männerwelt
klagt oder fchilt. Darnach richten fich dann auch die
von ihm vorgefchlagenen Mittel der Überwindung im
Gottesdienft und Unterricht, in der Heranziehung der
Laien zur tatkräftigen Mitwirkung im Gemeindeleben
(fehr fragwürdig ift mir allerdings die vorgefchlagene

Gleichgewicht, in ein fein abgetöntes Verhältnis, in geordnetes
Zufammenwirken. Eine ,wohlgegliederte Gefamt-
überzeugung' bahnt fich an. Deutfchland zeigt fich im
Weltkrieg als reifftes Volk, in den kommenden Jahren
wird es um die Palme der Meifterfchaft ringen, bis es
fchließlich dem unvermeidlichen Schickfal erliegt, das die
Worte Erftarrung; Rückbildung, Niedergang bezeichnen.

Man lieft diefe Darlegungen, die ein wenig reichlich mit
Abftraktionen arbeiten, mit Intereffe und bemerkt nicht
ohne Verwunderung, daß das Prinzip des Maßhaltens,
Ausgleichens und Abwägens, das auf den erften Blick
etwas fpießbürgerlich anmuten könnte, fich mit Idealismus
und ftarkem Zukunftsglauben verbinden kann. Wertvoller
als die grundlegenden allgemeinen Betrachtungen fcheinen

Mitwirkung bei kirchlichen Amtshandlungen) und bei der I mir jedoch die programmatifchen Einzelausführungen zu

Gewinnung durch Befuche und Verfammlungen. Ich muß : fein, in denen der Verfaffer fich dem deutfchen Volk als

auch dabei verzichten, über Einzelheiten zu diskutieren, i Wegweifer in die Zukunft anbietet. Hier ift alles, was

Jedenfalls darf niemand, der theoretifch oder praktifch ! gefagt wird, warmherzig und befonnen, umfallend und doch

fich mit der kirchlichen Männerfrage befchäftigt, an der j in jedes befondere Gebiet eindringend. Über Volksgefund-

Moeringfchen Schrift vorbei gehen. heit, Bodenreform, Frauenfrage, Jugenderziehung, die Volks-

Stärker vielleicht, als es in beiden Schriften gefchieht, wirtfchaft und ihre verfchiedenen Zweige, kurz über alle

wird die wertvolle pofitive Arbeit, welche die Kirche be- j Intereffen, Anliegen und Nöte unferer Tage weiß K. An-

reits getan hat, gewürdigt werden können und fchärfer
noch können die Urfachen betont werden, die in den ver-
fchuldeten Schwächen der .Modernen' und der .Männer

regendes und Sachkundiges zu Tagen, und man möchte
wohl wünfchen, daß fein Wort die verdiente Beachtung
fände. Am meiften intereffiert hier das Kapitel über

liegen. Es ift aber wohl verftändlich, daß folche Schriften, j Religion, und ich möchte aus ihm einige Sätze hervorweiche
der kirchlichen Praxis neue Wege öffnen wollen, I heben, denen ich zwar nicht vorbehaltlos zuftimme, die mir
von der berechtigten Kritik an den alten Wegen ausgehen. : jedoch teils eigenartig, teils des Nachdenkens wert zu fein

Icheinen. ,Religion ift unfer Schmerzenskind auf geiftigem
Gebiete, wie die Landwirtfchaft auf wirtfchaftlichem.' ,Die
Reifezeit Deutfchlands bedingt eine ftarke Landwirtfchaft
und ein kraftvolles kirchlich religiöfes Leben.' ,1m feinen

Zum Schluß fei noch kurz hingewiefen auf F. Nie-
bergalls fchönes Schriftchen ,Die lebendige Gemeinde'
(Religionsgefchichtliche Volksbücher IV, 24). Es bringt
den Hinweis auf drei gefchichtliche Mufterbeifpiele lebendigen
Gemeindelebens (Siebenbürgen, Niederrhein, Schott- | Ausgleich von Gott und menfchlicher fireiheit liegt das
land), befpricht das Wefen der lebendigen Gemeinde (Sit- ; Ziel der Religion in der Reifezeit; im Gegenfatz zu der
ten, Organifation und Geift der Gemein!chaft) und erörtert I Jugendzeit, wo mit Recht die unbedingte Gottesmacht
zuletzt Aufgaben und Wege. Sehr ergänzungsbedürftig | betont wird, und im Gegenfatz zu den Braufejahrzehnten,
erfcheinen mir die Schlußausführungen über Innere Mif- j wo mit Recht die unbedingte Unabhängigkeit der einzelnen

fion und Landeskirche. Die Schrift ift zu weiter Verbreitung
geeignet.

Greifswald. Ed. von der Goltz.

Individuen in den Vordergrund geftellt wurde.' Das ift
,religiöfer Konftitutionalismus'. .Wahrheit zu fuchen, ift nicht
Aufgabe der Religion; diefe ftrebt nach Seligkeit, nach
inniger Gemeinfchaft mit Gott'. Der Streit zwilchen den
Kindermann, Prof. Dr. Carl: Des deutlchen Volkes Meifter- Konfeffionen in Deutfchland .dreht fich fehr wenig mehr
jähre. Der letzte Wille der Gefallenen. 5. Aufl. (VIII, | um den Kernpunkt des Glaubens, wie zu Luthers Zeiten,
299 S.) 8°. Stuttgart, Greiner & Pfeiffer (1917). i fondern um äußere Machtfragen. Die Erbitterung fchafft

M. 3—; geb. 3.50 der Streit um die innerften Fragen. Diefer ift erledigt
und findet auch wenig Intereffe'. ,Die Kirchen follten
mehr Volkskirchen werden und die Geiftlichen auf Grund
breiterer Vorbildung mehr als Kulturträger in ihren Gemeinden
wirken.' .Statt der Konfiftorialkirche follte die
evangelifche Kirche mehr die Synodalkirche in den Vordergrund
ftellen'. ,In den Gemeinden muß die Schwerkraft
des religiöfen Lebens ruhen.' ,Die Religion ift keine
Wiffenfchaft fondern eine Tatenfchaft.' ,Das Chriftentum
ift die erfte Religion unter gleichen.'

Iburg. W. Thimme.

Den Ausführungen diefes Buches liegt eine eigen
tümlich formulierte, an Hegel'sche Gefchichtsphilofophie
erinnernde Entwicklungslehre zu Grunde. Die Entwicklung
vollzieht fich in Abfätzen. Niedere Gleichgewichtslagen
werden durch Schwankungen abgelöft, aus denen ein erhöhter
Gleichgewichtszuftand erwächft, und fo fort. Entwicklungsziel
ift immer vollkommeneres .Sammeln und
Sparen der Kräfte' und gefteigerte .Seltenheit'. Naturvorgänge
haben in der Gefchichte ihre genauen Analogien.
Überblickt man den Gefchichtsverlauf von hoher Warte,
fo bemerkt man in gewiffen Zeitaltern das Vorhergehen
beftimmter Richtungen. Im Mittelalter dominiert die
.ftrenge Richtung', verkörpert durch die Autorität von
Kirche und Staat, und die fefte Bindung des gefamten
geiftigen und Erwerbslebens; in der Neuzeit kommt die
.freiheitliche Richtung' zum Durchbruch. Kunft und
Wiffenfchaft drängen Religion und Staat in den Hintergrund
, das Wirtfchaftsleben fprengt feine Feffeln. Ift jene
Periode als Zeit der Kindheit, diefe als gährendes Jünglingsalter
anzufprechen ■— jene noch heute (NB. vor der Revolution
!) von Rußland, diefe von England repräfentiert

Zwei Brüder. Feldpoftbriefe u. Tagebuchblätter. Hrsg.
v. Dr. G. v. Rohden. 2 Bdchn. 8°. Tübingen, J.C. B. Mohr
1916. M. 3—; geb. M. 4.50; in 1 Bd. geb. M. 4 —

1. Bdchn. Leutnant Gotthold v. Rohden. Mit 2 Bildern. (VIII, 100 S.)
M. I — ; geb. M. 1.50. — 2. Bdchn. Leutnant d. R. Hein/, v. Rohden.
Mit 2 Bildern. (VIII, 212 S.) M. 2 — ; geb. M. 3 —

Dem Studentenleutnant, genauer dem Kriegstheologen,
ift in diefen Bändchen mit Briefen und Tagebuchblättern
ein unvergängliches Denkmal gefetzt. Und der Geift des
deutfeh-evangelifchen Pfarrhaufes hat fich wenig beglücken-
fiVmuß'älVM des reifen Mannesalters die .abwägende I dere und erhebendere Zeugniffe gefchaffen, als fie in diefen

Richtuno-' gelten, wie fie in Deutfchland feit den fiebriger ! unmittelbaren Ausdrücken innerften feelifchen Lebens im
Jahren allmählich Boden gewinnt. Hier wird das relative 1 Weltkrieg zu finden find. Endlich gibt es nicht viel Stoff
Recht fowohl der ftrengen als auch der freiheitlichen j zum Studium für das, was in den beften unferer Studenten
Richtunganerkannt; Naturund Kultur, Bindung und Freiheit, j an fchaffendem und quellendem Leben liegt wie in diefen
Allgemein- und Einzelintereffen, die ,vier leitenden Stände' | im Augenblick geborenen und auch nur für ihn beftimm-