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Ausgabe:

1918 Nr. 2

Spalte:

272

Autor/Hrsg.:

Walther, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Das Erbe der Reformation. 4. Heft 1918

Rezensent:

Clemen, Otto

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271

Theologifche Literaturzeitung 1918 Nr. 21/22.

272

Ziehungen der Gedankenbildung des Duns Scotus* zu
feinen Vorgängern und Zeitgenoffen fo gut wie nichts
gefagt wird, dagegen mannigfache Beziehungen zwifchen
ihm und modernen Denkern, wie Lotze, Hufferl und Lafk,
bemerkt werden. Man kann fraglos auch auf diefem
Wege den Gedanken eines großen Denkers der Vergangenheit
nahe kommen, und der Weg empfiehlt fich
befonders für folche, die erft für Studien über die mittelalterliche
Geifteswelt gewonnen werden follen. Der Verf.
hat fich in Duns Scotus eingelefen und gibt feine Ideen
im ganzen gefchickt wieder. Genauer betrachtet, handelt
es fich ihm um zwei Aufgaben, nämlich das All des Denkbaren
nach Duns zu umfchreiben und fodann das Wefen
der Bedeutungen als intentiones inductae per animam
feftzuftellen. Erfteres gefchieht durch Unterfuchung der
beiden hier in Betracht kommenden Letztbegriffe oder
Tranfzendentien Unum und Verum, letzteres durch
Darlegung der Sprachphilofophie und der ,apriorifchen
Grammatik', mit Hufferl zu reden, welche Duns in
feiner merkwürdigen Grammatica speculativa entwickelt
hat. Der erfte Teil handelt von der Wirklichkeit im
mathematifchen, phyfifchen und metaphyfifchen Sinn, fo-
wie von der logifchen und pfychifchen Wirklichkeit. Der
zweite Teil ift den Prinzipien der Bedeutungslehre und
der Formenlehre der Bedeutungen gewidmet. Ich darf
mich auf Einzelheiten nicht einlaffen. Aber das ganze
Werk zeigt in anregender Weife, wie verkehrt die landläufige
, dürftige und problemarme Auffaffung der mittelalterlichen
Logik fowie die nörgelnde Kritik, die Prantl
ihr gewidmet hat, find.

Berlin. R. Seeberg.

Rade, Prof. D. Martin: Luthers Rechtfertigungsglaube, feine
Bedeutung f. die 95 Thefen u. f. uns. (Sammlung
gemeinverftändl. Vorträge u. Schriften aus d. Gebiet
d. Theol. u. Religionsgefch. 82). (32 S.) gr. 8°. Tübingen
, J. C. B. Mohr 1917. M. — 80
Radehatauf derGießener theologifchenKonferenz über
fein Lieblingsthema, Luthers Rechtfertigungsglauben, ge-
fprochen und ihm dadurch neue Seiten abgewonnen, daß
er die 95 Thefen in die gebührende lebendige Beziehung
zu diefem Herzpunkte Lutherfcher Frömmigkeit fetzt.
Das, was Luther bei dem Worte .Rechtfertigung' empfand
— es ift einfach ,die Freude am Evangelium felbft, die
Freude am Befitz der Wahrheit, am Belitz des lebendigen
Gottes' — wird nach feinem negativ-polemifchen Wert
(endgültige Befeitigung des Verdienftgedankens) und po-
fitiven Eigenwert fein herausgearbeitet. Bei letzterem wird
das ethifche Moment als .zugehöriges Wefenselement ohne
Anhebung eines neuen Aktes' befonders betont und die
.Freiheit eines Chriftenmenfchen' als reichfter und feinfter
Ausdruck des Rechtfertigungsglaubens gewürdigt. R.
nennt die .chriftliche Freiheit' im Sinne Luthers ,die fitt-
liche Hoheit des Chriftenftandes'; wäre nicht beffer: die
fittliche Höhenlage? R. wird wiffen, was ich mit diefer
Nuance meine, ganz gleichgültig ift fie nicht. Der 2.
Teil zeigt, wie in den 95 Thefen und den voraufgehenden
Aeußerungen über den Ablaß der rechtfertigende Glaube,
,kein Ablaßbrief, aber ein Adelsbrief', die Vorausfetzung
ift, auch hier vom mitgefetzten ethifchen Momente aus.
Endlich der Schluß behandelt die Frage, was uns heute
die Rechtfertigung ift. Hier gewinnt der Syftematiker
treffend die rechten Werte. Möchten nur auch die Laien
fie erfaffen! Es geht nicht nur um die Formel, auf
deren Lebendigmachung R. felbft keinen Wert legt (S. 31),
nein, wenn in dem die Empfindung weitefter Kreife wiedergebenden
Leitartikel der .Frankf. Zeitung' (Nr. 300)
zum Reformationsfeft die Rechtfertigungslehre ausdrücklich
abgelehnt, hingegen der Durchfloß durch die
Hierarchie als das bleibende Moment von Bedeutung
gefaßt, das Eine als Vorausfetzung des Anderen alfo gar
nicht begriffen wurde, fo darf man — leider — nicht allzuviel
Hoffnung auf Verftändnis des Inhaltes von

Luthers Glauben fetzen. Er ift zu fein und zu tief für
die Menge.

Zürich. w. Köhler.

Vesper, Will: Martin Luthers Jugendjahre. Bilder u. Legenden.
(V, 152 S.) kl. 8". München, C. H. Beck 1918. M. 4 —

Der erfte Teil einer größeren Lutherlegende. Der zweite
(die Heldenjahre) foll noch dies Jahr folgen. Das Unhiftorilche
verfteht fleh von felbft. Nur hie und da nimmt ein Satz mit
dem Gewefenen. Auch Luthers Art ift nicht recht getroffen.
Aber überaus anmutig ift das Ganze. Es hat die zarte Innigkeit,
die V. immer eigen ift. — Die Frömmigkeit, die V. in Luther
erwachfen läßt, ift eine ftille vertrauensvoll lächelnde Fröhlichkeit
, die Gottes Liebe überall, in der eigenen Seele wie in den
Kreaturen, ausgegoffen findet wie einen alles Dunkle vergoldenden
Sonnenglanz. Das ift nicht völlig unlutherifch. Ein Saum von
Luthers Gewand hat auch V. geftreift, wenn ihm gleich die herbe
Tiefe des Lutherglaubens verfchloffen blieb.
Bonn. E. Hirfch.

Walther, Geh. Konf.-Rat Prof. D. Wilh.: Das Erbe der Reformation.
4. Heft. Luthers Kirche. (VI, 170 S.) 8". Leipzig, A. Deichert
1917. M. 4.50

Es hat fich bisher noch niemand in dem Maße wie Walther
bemüht, unter Heranziehung aller einfchlägigen Äußerungen des
Reformators in Luthers Gedankengänge über die ,wahre Kirche'
und die äußerliche organifierte Kirchengemeinfchaft und über
feine Kirchenideale einzudringen. Die Darftellung ift klar und
einheitlich, foweit Luthers Gedanken darüber klar und wider-
fpruchslos find. Mit der Literatur ift W. vollkommen vertraut.
Er läßt aber überall Luther reden und erwähnt nur nebenbei,
wenn es ihm geboten erfcheint, die Beurteilungen, die Luthers
Standpunkt erfahren hat. Zum Schluß werden kirchliche Fragen
der Gegenwart im Lichte der vorher wiedergegebenen Gedanken
Luthers betrachtet. Befonders beachtenswert ift es, zu welchem
Ergebnis hier W. über die Lehrfreiheit der Geiftlichen kommt.
Widerfprechen dürfen fie dem kirchlichen Bekenntnis nicht, wohl
aber zeitweilig, folange fie ihnen ungewiß find, über biblifche
Wahrheiten fchweigen.
Mitau. O. C lernen.

Luther noch immer! Die evangelifch-luth. Geiftlichen Dresdens
im Reformationsjubeljahr 1917. Hrsg. v. der Superintenden-
tur Dresden I. (VI, 180 S.; 8». Dresden, L. Ungelenk (1917).

M. 1.50; geb. M. 2 —
Mit etlicher Befangenheit ging ich an das Lefen diefes Buches.
Derartige Zufammenftellungen erfüllen ihren Zweck ja nicht
immer; viele meinen in ihren Beiträgen etwas befonderes leiften
zu muffen und verdunkeln dadurch ihre Perfönlichkeit. Mein
Befangenfein legte fich bald. Die Geftalten der vielen ev.-luth.
Geiftlichen Dresdens wurden lebendig, ja oft greifbar, daß das
Intereffe wach blieb bis zum Ende. Allerdings mit dem flüchtigen
Durchlefen ifts nicht getan, es gilt ein tiefes Nachdenken und
Nachfinnen. Bei fpäteren Jubiläen wird man gerne diefes Buch
in die Hand nehmen und fich freuen, wie trotz aller Mannigfaltigkeit
und Verfchiedenheit alle einfügen Lehrer der Gemeinde
der Geift der Einheit verband, weil in ihnen allen etwas lebte
vom Geilte ihres größten Lehrers, Luther.
Alfeld. Schornbaum.

Halecki, Oskar: Zgoda Sandomierska 1570 r. (Die'Sen-
domirer Union 1570.) (IX, 422 S.) gr. 8°. Warfchau,
Gebethner & Wolff 1915. Rbl. 1.50

Die polnifche Reformationsgefchichtsfchreibung hat
vor ungefähr einem Jahrzehnt einen verheißungsvollen
Auffchwung genommen. Unter den polnifchen Literar-
hiftoriftern fchien es eine Zeitlang gewiffermaßen Modefache
geworden zu fein, einen Beitrag hierzu zu liefern.
Der vierhundertjährige Geburtstag Nikolaus Rejs, des
Begründers der polnifchen Nationalliteratur und heißblütigen
Verfechters der neuen Lehre, hatte ebenfo wie
das gleiche Jubiläum des jefuitifchen Ketzerhammers
Peter Skargas eine literarifche Hochflut hervorgerufen.
In Warfchau war eine Kommiffion zur Veröffentlichung
wichtiger Archivalien aus der evangelifchen Vergangenheit
Polens ins Leben getreten. Rez. hat im Jahrbuch
der Gefellfchaft für die Gefchichte des Proteftantismus in
Öfterreich' alle diefe Erfcheinungen regelmäßig angezeigt.
Durch den Krieg ift ein Stillftand in diefer Forfchung eingetreten
. Mit um fo lebhafterer Freude ift das vorliegende
Buch Haleckis, der vorher bereits durch eine Reihe
kleinerer Unterfuchungen die Aufmerkfamkeit auf fich