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Ausgabe:

1918 Nr. 1

Spalte:

253

Autor/Hrsg.:

Lorenz, Ludwig

Titel/Untertitel:

Luther im Urteil deutscher Dichter und Denker 1918

Rezensent:

Köhler, Walther

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253

Theologifche Literaturzeitung 1918 Nr. 19/20.

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fchen gefühlt; darum hat er auch auf die Menlchheit wirken
können. Ift K. Heims ,tiefgrabende religiöfe Erkenntnistheorie
in ihrer Unerbittlichkeit nur auf deutfchem Boden
möglich und deutfchem Geifte voll verftändlich'? (S. 12) Und
dann der Satz am Anfang: ,Eines würde Luther auch
heute gewißlich nicht fein: neutrall' Das klingt fehr
hübfch, ift aber nicht fo einfach. Es ift eine Frage, die
ebenfowenig geftellt werden darf wie Bolligers pointiertes
Problem: Jefus am Mafchinengewehr, da es fich um unvergleichbare
Kulturunterfchiede handelt. Luthers Stellung
zum Türkenkrieg, die in etwas zum Vergleich herangezogen
werden kann, zeigt aber doch, wenn auch nicht
die politifche, fo doch die religiöfe Neutralität.

Der nicht auf den erften Blick verftändliche Titel
der Schrift von Laible6 ift fo gemeint: der Krieg hat
Forderungen Luthers, die vor dem Kriege ftark in Ver-
geffenheit geraten waren, neu gerechtfertigt; fo befteht
Luther vor dem Tribunal des Krieges und erweift fich,
fofern die Erfüllung jener Forderungen für Deutfchland
notwendig ift, als Deutfchlands Prophet. Es handelt fich
um die Forderung des Haufes, das ein chriftliches mit
chriftlicher Kindererziehung fein muß.

M e h 1 h 0 r ns religionsgelchichtliches Volksbuch7 handelt
von den Frauen Luthers, Melanchthons, Zwingiis und Calvins
, frifch und anfprechend auf Grund der (in den Anmerkungen
mitgeteilten) alten und neuen Literatur. Daß
Luthers Käte am eingehendften und wärmften behandelt
wird, verfteht fich von felbft. Gegenüber Doumergue
hält M. mit guten Gründen daran feft, daß Calvin drei
Kinder von idelette v. Büren hatte, die fämtlich früh ftar-
ben. Zu S. 19: von ,Umtrieben des feindlich gefinnten
Kanzlers Brück' gegen Käte wird man nicht fprechen
können; vgl. meine Unterfuchung in Z.K.G. 21. Zu S. 22:
der ,ungedruckte' Brief an Ambr. Blarer ift jetzt bei Tr.
Schieß: Briefwechfel der Gebrüder Th. und A. Blaurer gedruckt
; ebenda S.30T. findet fich auch eine hübfche Schilderung
des Eindrucks, den Katharina Melanchthon auf den
jungen Studenten Thom. Blaurer machte. Zu S. 27: das
,befonders anftößige Gerücht' konnte Zwingli leider
nicht ,als unwahr entfchieden zurückweifen'; feine Apologie
im Briefe an Heinr. Utinger vom 5. Dez. 1518 ift fehr
fchwach und muß das Wichtigfte zugeben. Ein Bildnis
von Zwingiis Gattin exiftiert nicht (gegen S. 28), und
,etliche Töchter, die frühe ftarben', find den beiden Söhnen
Zwingiis nicht gefolgt (zu S. 30), vielmehr nur eine Tochter
Anna.

Die Schrift von Lorenz8 gehört in eine Linie mit der
bekannten von Rud. Eckart, die der Vf. erft bei Ausarbeitung
feines Buches kennen lernte. Wenn er es doch
vollendete, fo liegt der Grund darin, daß ihn andere Ge-
fichtspiinkte leiteten: er berückfichtigt die Literarhifioriker
ftärker, ohne natürlich die Theologen zu vergeffen. Wer
an derartigen Anthologien Freude hat, wird hier mancherlei
finden; eine nicht fehr tiefe Einleitung orientiert
über die geiftesgefchichtliche Stellung der Autoren, die
zumeift auch im (freilich nicht immer guten) Bilde vorgeführt
werden. Die Auswahl geht von Melanchthon bis
Ad.Bartels; Th.Brieger wird S. 149 als nochlebend bezeichnet.

Beffer und wertvoller als die Lektüre über Luther
ift die des Reformators felbft, und da hat Rade in Pfannmüllers
.Religion der Klaffiker' eine ganz vorzügliche
Auswahl geboten«, die man mit wahrer Freude und rei-

• Laible, Wilhelm: Luther als Prophet des deutfchen Haufes vor.
dem Tribunal des Krieges. (Reformationsfchriften Heft 12.) (22 S.)
8». Leipzig, A. Deichen 1917. M. —35

' Mehlhorn, Pfr. D. Dr. Paul: Die Frauen unterer Reformatoren.
(Reiigionsgefchichtliche Volksbücher. IV. Reihe: K.-G., 27. Heft.)
(46 S.) 8°. Tübingen, J. C. B. Mohr 1917. M. —50; geb. M. —80

8 Lorenz, Dr. Ludwig: Luther im Urteil deutfcher Dichter und
Denker. (167 S. m. 75 BildnilTen.) kl. 8». Altenburg, St. Geibel 1917.

Geb. M. 2.70

9 Rade, Prof. D. Martin: Luther in Worten aus feinen Werken
(Die Klaffiker der Religion. 10. u. 11. Bd.) (XL, '402 S.) 8°. Berlin,
Hutten-Verlag 1917. Pappbd. M. 5 — ; Lwbd. M. 6 —

eher Belehrung lieft — man möchte fie faft in einem
Zuge lefen, fo packend und mitreißend find die Stücke
I gewählt. R. hat chronologifche und Sach-Ordnung mit-
■ einander aufs glücklichfte verbunden. Der beherrfchende
Gefichtspunkt ift: Luther der Theologe des Glaubens,
| wobei ,der Theologe' fo verftanden ift, daß die fyftema-
tifchen Gelichtspunkte nur Auswirkungen des Glaubens
i bedeuten. In einer ausgezeichneten .Einführung in Lu-
! thers Werk' hat R. das näher klargelegt, und es wird
! niemand überrafchen, daß R. hier gewiffe Lieblingsge-
j danken, wie die Bedeutung der Rechtfertigung für unfere
j Zeit oder die Idee der Glaubensgemeinfchaft befonders
; unterftreicht (vgl. auch S. XXXIII die Polemik gegen den
| ,Myftiker' Luther). Es ift unmöglich, hier die ein-
| zelnen Quellenftücke zu verzeichnen, es genüge der Hin-
j weis, daß über die wichtigften Fragen der Dogmatik und
Ethik — ein ausreichendes Regifter verzeichnet die wichtigften
Stichworte — fich Lutherworte, längere wie kürzere
Stellen, finden, jeder Abfchnitt wieder durch eine
Sondereinleitung ausgezeichnet. Der Lutherforfcher wird
an verfchiedenen, in die Anmerkung verwiefenen textkriti-
fchen Bemerkungen nicht vorübergehen wollen. Für die
Mitteilungen aus der Auslegung der .Bergpredigt' und
des .Römerbriefs' find Vorarbeiten von PI. v. Lüpke und
dem Unterzeichneten benutzt. Ein entftellender Druckfehler
ift S. 53 Anm. .Erdchrift'. Den Satz: ,Es ift nichts
j in den 95 Thefen, was nicht ein guter katholifcher Chrift
! hätte annehmen, was das Haupt der Kirche nicht hätte
beftätigen können' (S. XXVI) könnte ich mir nur mit
| ftarkem Vorbehalt aneignen; er ftimmt auch nicht mit
| S. 24: ,an zwei wichtige Stücke des damaligen Kirchengebäudes
rührte Luther damit'. Und diefe Stücke find doch
I gewiß nicht nur .felbftfüchtige Anfprüche des Papfttums'
| (S. XXVII) gewefen, fondern griffen tiefer.

Sehr anfprechend ift die Schrift von Gottfried Rade10
I gehalten; eine einfache, fchlichte Erzählung, warm, ohne
! Pathos und rednerifchen Schmuck, feffelnd gerade durch
j die ruhige Sicherheit der Linienführung. Dabei eine
j felbftändige Leiftung, ruhend auf Verarbeitung Luthers
I und der wichtigften Lutherliteratur. Gruppiert ift in den
Abfchnitten: Luthers Jugend (hier ift natürlich Scheel,
| aber nicht ohne Kritik, ftark benutzt), Luther im Klofter
J (für die Erklärung des Eintrittes Luthers ins Klofter
j kombiniert R. die Anficht Scheels und die meinige; der
zweite Band von Scheel konnte noch nicht benutzt werden
daher denn die Einwirkung von Staupitz auf Luther zu
früh angefetzt wird), der Kampf gegen den Ablaß (hier
wird noch irrig der 1. Nov. als Kirchweihfeft der Wittenberger
Schloßkirche bezeichnet; vgl. dagegen P. Kalkoff:
Ablaß und Reliquienverehrung S. 9), der Bruch mit dem
Papfttum, Worms — Wartburg — Wittenberg (daß ,die
deutfchen Bibeln vor Luther nicht gelefen werden durften'
[S. 53], ift ein Irrtum), Ausbau und Erfüllung.

DieSchrift von Schaeffer11 beruht auf guter Literaturkenntnis
und felbftändiger Verarbeitung des Stoffes; in
den Vordergrund ift ,der miffionarifche Gefichtspunkt' ge-
| rückt. Der Kreislauf, den Luthers Stellung zu den Juden
! darftellt, erft ablehnend, dann freundlich (doch ift hier
das Motiv nicht ganz klar), dann bis zur fchärfften Schroffheit
ablehnend, war bekannt. Richtig wird betont, daß
Luther nicht durch praktifchen Umgang und unmittelbaren
Verkehr mit Juden an die Judenfrage feiner Zeit
herangeführt wurde, vielmehr durch die Bibellektüre;
nach der flehen ihm die Juden unter dem Gerichte Gottes!
Dankenswert find die literarifchen Nachwirkungen der
Lutherfchriften befprochen, ebenfo die .Umftände', die (nach
1523) zu einer veränderten Stellungnahme Luthers führten'
(Verfchlechtung der allgemeinen Lage der Juden, Verdacht

»° Rade, Pfr. Gottfried: Martin Luther. Sein Leben u. Wirken
(64 S. m. 1 Bildnis.) 8°. Berlin, Hutten-Verlag- (1917). M. — 80'

11 Schaeffer. Palt. E.: Luther und die Juden. (Chriftentum u.
Judentum. Serie V: Geich, der Judenmiffion, Hett 1.) (63 S.) 8°!
Gütersloh, C. Bertelsmann 1917. M. 1_■