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Ausgabe:

1918

Spalte:

208

Autor/Hrsg.:

Schindler, Franz M.

Titel/Untertitel:

Die Gaben des Hl. Geistes nach Thomas von Aquino 1918

Rezensent:

Scheel, Otto

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Seite 1

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zoj Theologifche Literaturzeitung 1918 Nr. 15/16. 2Ö8-

foph. Unterfuchg. (Beiträge Z. Gefch. d. Philofophie d. I und geboten ift. Dazu gehört i. daß der Fürft und nicht ein • Prfvjt-

M.-A., 19. Bd., 1. Heft.) (XI, 99 S.) gr. 8». Münfter
i. W., Afchendorff 1916.

Eine fehr klare und tüchtige Arbeit. Sie will — daher
der Titel — die thomiftifche Staätstheörie und die meta-
phyfifch-rationalen Ideen des chriftlichen Naturrechts deutlich
machen, ftatt fich auf die modernen politifchen, juri-
ftifchen und foziologifchen Gefichtspunkte in der Behandlung
des Staates einzulaffen, welche letzteren in den Anmerkungen
fehr reichlich herangezogen werden.

Damit (teilt er (ich auf den Standpunkt des Thomiftifch-Ariftote-
lifchen Denkens felbft, wie er denn auch die für das Verftändnis unentbehrliche
Politik des Ariftoteles überall zitiert. Freilich ift er der Mei-
nnng, daß er damit nicht bloß die befondere chriftliche und thomiftifche
Einftellung auf den Staat fchildert, fondern diefe mit den modernen Fort-
Ichritten der Staatslehre vereinigen könne, indem ihnen durch die thomiftifche
die eigentliche ethifche Unterlage und damit die zentralften Begriffe
dargeboten werden. In diefem Sinne verlieht er feine Unterfuchung
nicht als eine hiftorilch-referierende, fondern als eine fyftematifche normative
. Infofern ift der Titel nicht nur hiflorifch, fondern auch fyftema-
tifch gemeint. Beides fällt für dem Verfaffer als Thomiften begreiflicherweife
zu l ammen.

Uns intereffiert hier nur das hiftorifche. Hier ift «rundlegend die
Abwefenheit aller näheren empirifch-genetifchen Unterfuchungen über
den Urfprung des Staates fowie genauerer iuriftifcher Konftruktionen feines
Wefens. Thomas fucht nur den metaphylifchen Urfprung, der in
der Vernunft oder beffer im littlichenNaturgefetz der Vernunft liegt, aus diefem
heraus das vereinigte Leben des Staates hervortreibt und damit die
Wefensattribute desStaates: die Autarkie, dieihnvon Familieund Dorf un-
terfcheidet, die Notwendigkeit einer herrfchenden Gewalt oder Obrigkeit
und die ethifch-vernünftige Zielfetzung äußerer und innerer Wohlfahrt
und Tüchtigkeit. Auch im fündlolen Urftand wäre der Staat ent(landen
und hätte er eine Obrigkeit gehabt, nur ohne Zwang und äußere Gewalt
und ohne Straf recht: die von mir fo oft hervorgehobene Unterfchei-
dung eines abloluten und relativen Naturrechtes. Die hifiorilche Ent-
ltehung ifl für Th. auf vielerlei Weife möglich, patriarchalifch, patri-
nionial, durch Eroberung und durch Vertrag. Wie immer entflanden,
ift die Gewalt der Staatsleitung, als von Tier Vorlehung zugelaffen, von
1 iott, von Gottes Gnaden, ein Ausdruck, der nur indirekt auf dem Umweg
über Gefchichte und Vorlehung zu verliehen ifl. Im Sünden-
tlande gibt es natürlich auch Tyrannen und l'rlupatoren, die legitim zu bekämpfen
find, die aber im Falle der Durchfetzung und Dauer als legitime
Mächte zu betrachten lind. Aus dielem Naturrecht des Staates'geht das
pofitive Recht hervor, wie aus den allgemeinen Prinzipien die Einzel-
beftimmungen, d. h. unter wechfelnder und nie genau vernunftnotwendig
zu konftruierender Rückficht auf das Kontingente.

Auch der Zweck des Staates ergibt fielt für Th. aus dem littlichen
Vernunftgefelz, die Ermöglichung des guten Handelns und durch diefes
hindurch die Erreichung der ewigen Seligkeit. Freilich ift das direkt
Zweck lediglich der Kirche, aber indirekt auch des Staates, wodurch die
th. Lehre, wie der Verf. richtig hervorhebt, wieder Piaton lieh nähert.
Aber diefer indirekte Seligkeitszweck fchließt daneben die rein weltlichen
Zwecke, Rechtsfchutz und Wohlfahrt nicht aus, er leugnet nur die heid-
nifche" Selbftzwecklichkeil des Staates, die Arift. vertritt. Im übrigen
folgt die Darfteilung diefer innerweltlichen Zwecke faft wörtlich dem
Ar. mit nur leifen Andeutungen der bebänderen mittelalterlichen Lage:
Rechtsfchutz durch Gefetzgcbung und Rechtfprechung, Kulturförderung
durch Erhaltung der Einigkeit und durch Erziehung (welch letzterer
Punkt bei Ar. fehlt, wohl aber bei Piaton zu finden ift), durch eine das
ftandesgemäße Auskommen fchützende und garantierende Wirtfchaftspo-
litik, durch Förderung der öffentlichen Sittlichkeit im Rahmen und mit
den Mitteln des Rechtes, durch Eigentumsfchutz, durch Luxusgefetze.
Der Staat foll wefentlich Agrarftaat fein, weil das allein der Ariftoteli-
fchen Forderung der Autarkie entfpricht, daneben aber wird ein ergänzender
Taufchhandel trotz feiner fittlichen Gefahren geduldet, wenn er
lieh mit dem pretium juftum (Koftenerfatz und Unterhaltsvergütung)
begnügt. Auch die Leiftungen für die Religion lind fchon im Naturrecht
begründet und daher fchon vom Heiden Ar. anerkannt. Nur hat
hier der Chrift die Identifikation von Staat und Kirche zu meiden,
die Ar. lehrt, um den Staat forgfältig auf den Dienft für die Religions

mann ihn erklärt und führt. 2. daß ein gerechter Grund, d. h: eilte • VeY-
fchuldung der Feinde vorliegt. 3. daß die ,rechte Ablicht', das Güte'zu
fördern und das Böfe zu meiden, beftehc. Die Kriegsmoral muff de¥;<,les
Friedens fo nahe wie möglich bleiben und verfallt im Einzelnen de'f KÜ-
fuiftik. Zur Begründung und Erhaltung kommt fchließlich die Aufgäbe
der Vervollkommnung oder des Fortfchrittes im Sinne der ariftotelifchen
Entelechie. Das Eigentlich Staatsrechtlicheifthierbei vom Politifchen,diefes
vom Moralifch-Rationalen nirgends gefchieden, wie in der griechifchen
Staatsphilofophie auch. Ein Einfluß römifch-rechtlichen Denkens verrät
fielt nirgends. Wir belinden uns überall im griechifchen Rationalismus.
Das zeigt auch die Betrachtung über den Träger der Staatsgewalt, der
alle Tugenden haben foll, ein Abbild der göttlichen Weltregierung im
Verhältnis zur Welt fein foll und daher im gewiffen Sinne als göttlich
bezeichnet werden kann, auch das an Ar. und befonders die Stoa erinnernd
. Er ift Gott verantwortlich und der vis directiva des (Natur-)
Gefetzes unterworfen. Sein Lohn aber befteht nicht wie für die Antike
im Ruhm, fondern wie für Auguftin in der Seligkeit, und zwar in einem
befonders hohen Grade der Seligkeit, weil für die Leitung. eines
Staates größere Tugend erfordert ift als für die privaten Intereffen. Dem
Idealbild des guten Königs fleht in antiker Weife das Schreckbild des Tyrannen
gegenüber, der feine Strafe imJenfeits findet. Der Herrfcher ift nicht
abfolut, fondera an fittliches Naturgefetz, Naturrecht und göttlich-kirchliches
Gefetz gebunden. Die Familie, der Einzelbürger, ja auch der Sklave
haben natürliche Menfchenrechte, die der Herrfcher refpektieren muß.
Die Geletze find nur rechtskräftig, wenn fie dem Gemeinwohl , dienen,
und können fich nur auf äußere Akte beziehen. Freilich die,Einhaltung
diefer Schranken kontrolliert nur allenfalls die Kirche, das Widerftands-
recht der Bürger ift ftark verklaufuliert. Bemerkenswert, aber Von dem
Verfaffer leider nicht beachtet, ift das Schwanken zwifchen Civitäs und
Regnum; wo Th. dem Ar. folgt, herrfcht der kleine Stadtftaat vor; wo
er der Stoa oder den wirklichen Verhältniffen nachgibt, ftelit fich der
Monarch größerer Staaten ein. /Von den konkreten Staatsverhältnilfen des
Mittelaltters ift in diefer rein ideologifch-theologifchen, ihren Buchautoritäten
folgenden Staatslehre kaum die Rede. Sie ift ein Erzeugnis
der reinen Idee, darum vom Verf. auch heute noch allem, politi-
tilch-foziologifchem Empirismus jeder Art entgegengefetzt.

Den Schluß bildet ein Kapitel über den fittlichen oder vernunftgemäßen
Wert der Staatsformen. Hier befchäftigt fich auch' Th. mit den
drei guten und drei fchlechten Typen der Staatsverfaffung, die feit Piaton und
Ar. das Grundgerüfte der empirifcheil Staatsphilofophie bilden. Er mißt
fie an dem Ideal des Vernunftftaates und dem Zweck des Naturge-
fetzes und kommt hier — anders als Ar. und mit Begründungen, die
an die Stoa erinnern — auf die Vernunftgemäßheit der Monarchie, die
der Einheit der Weltvcmunft und des Vernunftziels allein wahrhaft entfpricht
, aber eben deshalb mit Garantien gegen die Tvrannis verfehen fein
muß. Sie liegen im wefentlichen in der Gebundenheit des Herrfchers an
die Idee oder das Naturgefetz.

Alles in Allem: der chriftliche oder Glaubensftaat ift
nicht aus dem Chriftentum abgeleitet, fondern aus dem
Naturgefetz des antiken Rationalismus und Idealismus;
chriftlich ift er nur durch Unterordnung unter Glaube und
Kirche und mittelbar durch die Deckung von Vernunft
und Chriftentum, Naturgefetz und Dekalog; zugleich ift
diefe Staatsidee ein rein konftruiertes, beinahe utopifches
Ideal, das fich um die zeitgenöffifche Wirklichkeit und
ihren empirifchen Staat wenig kümmert, ihn nicht chriftia-
nifiert, ja nicht einmal kritifiert. Darin ift es Plato und
der Stoa ähnlicher als Ariftoteles. Die Unterftellung unter
den Seligkeitszweck, die Kontrolle durch die Kirche und
die Identifikation von Naturgefetz und chriftlichem Sitten-
gefetz breitet vollends darüber den Geift chriftlicher
Weltfremdheit aus.

Berlin. Troeltfch.

Schindler, Dr. Franz M.: Die Gaben des Hj. Geiftes nach Thomas
von Aquino. (32 S.) Lex.-8X Wien, Buchh. ,Reichspoft' 1915.

M. - 50

UIC -TAI, JCIirt, Ulli UCU DldiU IUI IL l diu 11 aui VAV-11 E/iouii 1111 uio ivv-n^io"" . ... _ c _ „ 1 .

pflege der Kirche hin einzurichten: Rechtsbefchränkung, aber keine ge- Die rcholaftifche Frage nach den heben Gaben des heiligen

gewaltfameBekehrung gegenüber den Nichtchriften, gewaltfame Anhaltung Geiftes beantwortet Schindler im AnlchlulS an 1 homas von Aquino.

.ler getauften und dadurch verpflichteten Chriften zum Glauben. Häre- Er tritt darum der in der mittelalterlichen Scholaftik, auch von

fie und Apoftafie find Hochverrat und daher im Fall der Hartnäckigkeit Duns Skotus verfochtenen Annahme entgegen daß die Gaben

mit dem Tode zu beftrafen. Die bürgerliche Toleranz ift noch unbekannt, | des heiligen Geiftes von den eingegollenen Tugenden nicht

wie auch der Antike. Religiöfe Gebräuche der Juden können geduldet
werden, folche anderer Ungläubigen nicht. Damit kommt der Verf. zum
Verhältnis von Kirche und Staat, das Th. nicht immer gleich beftimmt,
bald als eine Stufenordnung von den zeitlich-natürlichen zu den geift-
lich-übernatürlichen Zwecken, wo natürlich die Abgrenzung in der Hand
der Kirche liegt, bald als eine grundfätzliche und unmittelbare Herrfchaft
der Kirche auch über alle weltlichen Zwecke und Rechte, die nur in den
meiden Fällen nicht direkt ausgeübt wird. Der erftere Gedanke überwiegt.
Mit alledem ift die Leiftung des Staates für das Guthandeln prinzipiell be-

wefentlich verfchieden, fondern nur als deren Vervollkomnung
anziehen feien. Thomas hatte darauf erwidert, es bleibe dann
unverftändlich, warum einige Tugenden zugleich als Gaben bezeichnet
würden und andere nicht, und warum Gabe genannt
werde, was wie die Furcht keine Tugend fei. Die Gaben des
Geiftes müßten darum wefensverfchieden von den eingegolfenen
Tugenden fein. Sie find .übernatürliche bleibende Befähigungen
[d. h. habitus] der Seelenkräfte, die Gott zugleich mit der heiligmachenden
Gnade dem Menfchen verleiht, daß er in feinem

gründet. Es handelt fich aber auch um die Erhaltung diefer Leiftung. Dem ; Handeln zur Gewinnung des ewigen Lebens den Einfprechungen
dient vor allem das Beamtentum, das Th. nach Ar. auf Wahl beruhen | des heiligen Geiftes leicht ZU folgen vermöge,
läßt. Dazu dient aber auch der Krieg, der als .gerechter Krieg' erlaubt ; Tübingen. Scheel.