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Ausgabe:

1918 Nr. 1

Spalte:

195-197

Autor/Hrsg.:

Torczyner, Harry

Titel/Untertitel:

Die Entstehung des semitischen Sprachtypus. Ein Beitrag zum Problem der Entstehung der Sprache. 1. Bd 1918

Rezensent:

Schwally, Friedrich

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195

Theologifche Literaturzeitung 1918 Nr. 15,16.

196

Zeit (vgl. die 7000 in 1 K 19,18). Aber die Hauptfache
ift, daß F. einige beliebige Namen aus der Summe derer
herausgreift, die zu Jahwe in befonderer Beziehung {landen
, und in den wenigen von ihm felbft herausgegriffenen
Namen den Jahwefaktor' 13 findet. Deshalb kann mein
Schlußurteil in knapper Formulierung nur diefes fein:
Wollte F. beweifen, daß erftens die Namengebung durch
die Rückficht auf den Ziffernwert der Buchftaben beeinflußt
worden fei, fo müßte er zeigen können, daß a) die
Namen von Verwandten nach der oder jener Regel gebildet
worden feien, oder b) die Namen von feindlichen
Familien wieder anders geftaltet worden feien usw. Meint
er zweitens, daß der Sprachgeift durch den Gedanken an
den Ziffernwert der Buchftaben bei der Schöpfung des
Sprachfchatzes gelenkt worden fei, fo müßten wenigftens
die finnverwandten Wörter ebendenfelben Ziffernwert,
oder die Ausdrücke für entgegengefetzte Begriffe wieder
einen andern Ziffernwert haben. Nun nehme man z. B.
die Wörter für, lehren': Tab =74; aber miü= 216; hören
yaiO = 410; 'pTKn = 63; Tl»'pn=4l7. Weil die Sache fo
liegt, kann ich nach wie vor den Aufftellungen von F.
keinen Wert beimeffen.

Bonn. Ed. König.

Torczyner, Priv.-Doz. Dr. Harry: Die Entftehung des femi-
tifchen Sprachtypus. Ein Beitrag zum Problem der Ent-
ftehg. der Sprache. 1. Bd. (XXIII, 300S.) gr. 8°. Wien,
R. Löwit 1916. M. 12.50

Unter den Verfluchen über die Gefchichte der Sprachformen
fowie die Entftehung der Flexion am Nomen und
Verb flehen flieh hauptfächlich zwei Richtungen gegenüber
. Die von Franz Bopp begründete Zufammenfetzungs-
oder Agglutinationstheorie fieht in den Flexionsendungen
felbftändige formale Beftimmungswörtchen, die zu dem
abfoluten Sachbegriff oder der Wurzel hinzutreten. Nach
der Adaptationstheorie A. Ludwig's hatten jene Endungen
urfprünglich keine Eigenbedeutungen, fondern verdankten
diefelben erft allmählicher Differenzierung der zahl-
reichenFormalelemente,mit denen im Urzuftand der Sprache
die Wurzeln finn- und planlos verfehen waren. Torczyner
hält die letzte Theorie wenigftens negativ für wertvoll,
da fie feftftelle, daß es unmöglich fei, die Bedeutung
eines Formativs am Worte ftets aus einer urfprünglichen
Bedeutung des felbftändigen Formativs zu erklären (S. XIII).
Aber pofitiv fei diefe Theorie nicht im Stande, die Entftehung
diefer Bedeutungen begreiflich zu machen. So
folle nach Ludwig z. B. die Beziehungsbedeutung der Ka-
fus dadurch entftanden fein, daß die Sprache das an den
verfchiedenen Urformen des Nomens disponible Lautmaterial
verwandte, diefe, die Verftändlichkeit der Rede außerordentlich
fördernde, Unterfcheidung anzubahnen. Indeffen
zeige fich aus der weiteren Entwicklung der Sprache,
daß der Beziehungsausdruck durch Kafusendungen eine
keineswegs fördernde, fondern fehr undeutliche Ausdrucksweife
war. Aber diefes Argument trifft gar nicht den
Kern der Sache. Andere Forderungen, welche Torczyner
an fprachliche Urformen ftellt, wie die, daß es gramma-
tifch formlofe, amorphe Gebilde feien, die als grammatifche
Formen verfchiedener Art empfunden werden könnten,
werden durch die Adaptationstheorie durchaus erfüllt.
Auch die Agglutinationstheorie wird nicht prinzipiell abgelehnt
werden dürfen. Die beiden Theorien find zwar Ge-
genfätze, aber nicht folche, die fich ausfchließen, fondern
folche, die fich ergänzen. Angefichts der ungeheuren
Verfchiedenheit der Sprachtypen des Erdkreifes fowie der
bunten Mannigfaltigkeit der Formbildungen innerhalb jedes
einzelnen Sprachftammes muß es von vornherein für
unwahrscheinlich gelten, daß die Entwickelung überall
und immer nach einem einzigen Schema vor fich gegangen
ift. Die Entfcheidung für die eine oder andere Theorie
hängt in letzter Linie von ihrer Brauchbarkeit bei der
Erklärung der verfchiedenen Sprachformen ab. Wenn
ich auch nicht leugnen will, daß noch andere Theorien

: denkbar find, fo dürfte es doch fchwer fein, folche zu er-
finnen, die fich nicht als Abarten der beiden genannten
Theorien betrachten laffen. Was Torczyner denfelben
entgegenfetzt, ift weder logifch erdacht noch methodifch
erfchloffen, fondern befteht in der willkürlichen, rein aus
der Luft gegriffenen Behauptung, daß am Anfang der
Entwicklung dasftarre Adverb auf,am' geftanden habe,
durch das nur ein Merkmal an und für fich, ohne Rückficht
auf Zahl und Gefchlecht bezeichnet würde. Diefe
urfemitifche Endung am, die in den hiftorifchen femiti-
fchen Sprachen noch erhalten fei — vergleiche z. B. he-
bräifch hinnäm reqäm — habe nun unter der Einwirkung
von Differenzierung, Analogiebildung und anderen Kräften
lautliche — konfonantifche wie vokalifche — Änderungen
erlitten und im Zufammenhang damit zahlreiche neue
Bedeutungen aus fich heraus entwickelt, nämlich: 1. in
temporalen, lokalen oder modalen Adverbien eine Beziehungsbedeutung
, fodaß die Endung als Erfatz einer Präpo-
fition erfcheine; 2. an anderen Adverbien eine verallgemeinernde
und diftributive Bedeutung; 3. demonftrative
Adverbien fchafften eine eigene Form der Determiniertheit
; 4. eine Gruppe lokaler Adverbien, die urfprünglich
die Gegend am menfehlichen Körper bezeichne, erfcheine
wegen der Symmetrie der menfehlichen Glieder als Ausdruck
einer Zweizahl, und ihre Form würde die eines Dual;
5. eine andere Gruppe von Richtungsadverbien entwickele
eine Reihe extremer Begriffe, die eine willkommene Form
für Elativ- oder Superlativbezeichnungen abgebe; 6. eine
andere Gruppe von Richtungsadverbien fchaffe einen eigenen
Ausdruck für Formen der Ordinalzahl; 7. Wörter für wenig
, gering ließen die Form als Diminutivendung empfunden
werden; 8. eine deutlich ausgeprägte Eigenbedeutung
der Form könne zur Lostrennung der Endung vom
Worte führen und daraus eigene poftpofitive, enklitifche
Partikeln entfliehen laffen; 9. verfchiedene Lautentwickelung
in verfchiedener formaler Bedeutungsrichtung an dem
nämlichen Adverb, wie arab. tamma ,dort', t umma ,dann'
ließe den Ablaut als eigenes Mittel zur Modifizierung der
Bedeutungsrichtung erfcheinen und bilde fo die erften
Anfätze zu einer Flexion, zuerft Akkufativ, flpäter Nominativ
und Genitiv (S. 252—254).

Der größte Teil des Werkes (S. 1—251) verfucht, an
der Hand eines reichen, aus allen femitifchen Sprachen
bis herab zu den modernen Dialekten zufammengetrage-
nen, wenn auch nicht immer einwandfreien, Materiales
diefe Entwickelung zu illuftrieren. Hierauf näher einzugehen
ift im Rahmen diefer Zeitung leider nicht möglich.
Ich kann nur das Ergebnis meiner Nachprüfung mitteilen,
welches dahin lautet, daß keine einzige der vom Verfaffer
gezogenen Entwickelungslinien einleuchtend genug ift, um
anderen, in der Fachliteratur bis jetzt vorgetragenen oder
fonft denkbaren, Deutungsverfuchen vorgezogen zu werden
. Nimmt man hierzu noch die oben feftgeftellte Tatfache
, daß der Ausgangspunkt der Unterfuchung ganz
willkürlich gewählt ift, fo drängt fich unausweichlich das
Urteil auf, daß das von Torczyner mit foviel Gelehrfam-
keit, Scharffinn und Geift errichtete Gebäude ein Kartenhaus
ift. Das kann bei der Schwierigkeit, in die inner-
ften Geheimniffe der Sprachentwicklung einzudringen, an
fich nicht weiter verwunderlich erfcheinen. Auch in Zukunft
werden derartige Verfuche, obwohl fie beffer fun-
damentiert und fefter aufgebaut fein mögen, nur allzuleicht
fcheitern. Weniger begreiflich ift unter diefen Um-
Händen die naive Zuverficht des Verfaffers zu der unbedingten
Richtigkeit und unzweifelhaften Tragweite feiner
Refultate. Denn diefelben follen nicht nur zu einer Neuorientierung
in der femitifchen Sprachvergleichung, fondern
zu neuen Gefetzen der pfychologifchen Grundlagen
der Sprachentwicklung überhaupt führen und die gefamte
Sprachwiffenfchaft vor einen radikal veränderten Tatbe-
ftand ftellen (S. VII). Die Anwendbarkeit feiner Prinzipien
auf das Indogermanifchezu zeigen, d. h. die oben aufgezählten
nominalen Kategorien wie im Semitifchen auf eine.