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Ausgabe:

1918 Nr. 1

Spalte:

186-187

Autor/Hrsg.:

Mayer, Emil Walter

Titel/Untertitel:

Ueber Religion und Moral 1918

Rezensent:

Thimme, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung 1918 Nr. 14,

186

zufammen, die fich in der rein moralifchen Faffuüg
Gottes als des Gewiffensgottes mit ftrenger Ausfcheidung
alles Naturhaften kund gibt. — Von der Offenbarung
Gottes im Gewiffen findet der Menfch den Weg zur

Ch. Secretan fo viel wertvolles Material geliefert haben, die
aber in ihrer großartigen Einfeitigkeit fich bewußt los-
löft von der ftrengen Kontrolle der Kritik und der
Gefchichte und auf einem durch den Reveil errichteten

mungen der Gegenwart verloren hat.

Straßburg i. E. P. Lobftein.

Offenbarung Gottes in Chriftus, fobald er des in ihm vor- j Ifolierfchemel den Zufammenhang mit den geiftigen Strö-
handenen Gegenfatzes zwifchen Sein und Sollen inne geworden
ift. Die Aufhebung des Zwiefpaltes fchaut der
Sünder in dem ungebrochenen und reinen Bewußtfein des
Erlöfers, welches übertragbar, transmissible, auf die fich j Mayer, Prof. D. Dr. E. W.: lieber Religion und Moral,
ihm hingebenden Gemüter in den Vorgängen zum Leben (Rektorats-) Rede, geh. am 1. Mai 1917. (27 S.) gr. 8°.

und zur Herrfchaft belangt, die die chriftliche Sprache
mit den Worten Bekehrung, Heiligung, Wiedergeburt bezeichnet
. In der Befchreibung diefer religiöfen Erlebniffe,
welche feine eigene Erfahrung zum Ausdruck bringen,
entfaltet der Verf. eine Virtuofität, die eine ergreifende
Svnthefe pfychologifchen Scharffinnes und religiöfer
Tiefe darfteilt, und die Schlußkapitel feines zweiten Bandes
zum crelungenften Teil feiner Apologie macht.

Dao-ecen dürfte es fich kaum lohnen, bei dem dritten
Band, dem fchwächften des Werkes, fich länger aufzuhalten
. Er handelt von den Problemen, welche die
chriftliche Erfahrung dem Denken {teilt, und die, nach
den Vorausfetzungen des Verf., fchließlich auf zwei
Grundfragen zurückgeführt werden können, das Problem
des Übels (1—269) und das Problem des Übernatürlichen
(270—332). Die energifche Konzentration auf diefe zwei
Hauptpunkte ergibt fich mit innerer Notwendigkeit aus
der einfeitig moraliftifchen Faffung des Gottesgedankens:
weil Gott ausfchließlich von der Tatfache unferer fitt-
lichen Verpflichtungen zu erfaffen und zu erfahren ift,
läßt fich die gegenwärtige unter dem Fluch der Sünde
und der Herrfchaft des Todes feufzende Welt nur aus
dem Einwirken einer böfen Geiftesmacht erklären, und fie
kann auch lediglich durch ein übernatürliches Eingreifen
Gottes wiederhergeftellt werden. Das Rätfei des Böfen
in der Welt findet feine Löfung in der Annahme eines
vorweltlichen Sündenfalls des in den Stammeltern be-
fchloffenen Menfchengefchlechts oder beffer noch, einer
fatanifchen Apoftafie, aus welcher nicht nur alles Weltleid
außerhalb der Menfchheit, fondern auch der Anftcß
zur Sünde der Stammeltern abzuleiten fei. Daß diefes
Mythologumenon erft recht ein Heer von Unmöglichkeiten
hervorruft, daß damit nur eine Verfchiebung, keineswegs
aber eine Löfung der Frage gegeben ift, ftört den in der
Befolgung feines Zieles begriffenen Verf. nicht, der fo-
wohl durch das von ihm nur einfeitig befragte biblifche
Zeugnis als auch durch die völlig ignorierte Tradition
der Kirche auf religiös und wiffenfchaftlich ficherere
Spuren hätte geführt werden müffen (Genefis 50, 20;
Römerbrief ir, 3r. 36. Confess. gallic. Art. VIII: Habet
autem ipse admirabiles potius quam explicabiles rationes,
ex quibus sie utitur Diabolis omnibus et peccantibus ho-
minibus, tanquam instrumentis, ut quiequid illi male agunt,
id ipse sicut iuste ordinavit, sie etiam in bonum con-
vertit). Wie die teleologifche Orientierung des Problems
vom Übel den Verf. vor den mythologifchen Abenteuern
bewahrt hätte, auf welche feine ganze Darfteilung hinausläuft
, fo würde diefelbe Anwendung teleologifcher
Kategorien auf die Wunderfrage ihn aus dem verhängnisvollen
Dualismus gerettet haben, welcher feiner ganzen
hierauf bezüglichen Unterfuchung anhaftet.

Mit gemifchten Gefühlen legen wir diefe Apologetik
Frommeis aus der Hand. Ergriffen durch den gewaltigen
Ernft der fittlichen Betrachtung, hingeriffen durch die
Wärme des beredten Zeugniffes aus tief chriftlicher Erfahrung
, wendet fich der Lefer in höchfter Spannung dem
löfenden Wort des Apologeten zu, welcher den auf hohe
Erwartungen geftimmten, nach Wahrheit und Gewißheit
ftrebenden Sucher zuletzt in eine phantaftifche Dämonenwelt
einführt, wo alles Denken aufhört und ungezügelte
Willkür ihr unheimliches Wefen treibt. Das alfo

Straßburg, J. H. Ed. Heitz 1917. M. 1

M. zeigt in feinen feffelnden Darlegungen zunächft,
daß die tatfächlichen Zufammenhänge zwifchen Religion
und Moral fich nicht leugnen laffen, und zwar auch nicht
für die primitiven Religionen. Sein eigentliches Bemühen
gilt fodann dem Nachweis, daß diefe Zufammenhänge
fich nicht zufällig im Laufe der Gefchichte ergeben haben,
fondern notwendig und in der Natur der Sache begründet
find. Alle Moralfyfteme, führt er aus, befitzen trotz ihrer
großen Verfchiedenheiten als gemeinfamen Grundzug
nach der formalen Seite das Bewußtfein einer unbedingten
Verpflichtung, nach der materialen Seite neben den
befonders auf niederen Stufen ftark wuchernden zere-
monialen Satzungen eine Summe von fozialen Geboten,
die irgendwie direkt darauf abzielen, menfehliches Leben,
fei es das des Stammes, der Kalle, der Nation, des
Einzelnen oder der Gefamtheit, zu erhalten und zu fördern.
Andererfeits ift ein Hauptmerkmal aller Religion der Aufblick
zu einer weltbeherrfchenden göttlichen Macht, die
fich irgendwie ebenfalls die Erhaltung und Entfaltung
des menfehlichen Lebens zum Zweck gefetzt hat. Ge-
fchickt ausgewählte Beifpiele aus dem Gebiete der Reli-
gionsgefchichte dienen zur Erläuterung diefer Sätze. Es
ergibt fich die Folgerung: ,So kann das religiöfe Bewußtfein
gar nicht anders als etwas beitragen zu der Ent-
ftehung und Ausbildung unbedingt verpflichtender Gebote
, die irgendwie direkt auf Erhaltung und Förderung
des menfehlichen Lebens abzielen', S. 19. In diefer vor-
fichtigen Formulierung möchte ich die Thefe nicht anfechten
. Wenn es aber weiterhin mit fchärferer Pointierung
heißt: ,Es ergibt fich, daß alle Religion, fofern fie
nur Religion ift, ihrem Wefen nach die ftärkften
Antriebe auslöfen muß für die Entftehung und Ausbildung
des fittlichen Bewußtfeins, wie es fich uns tatfäch-
lich in der Menfchheit darftellt', S. 23, fo habe ich doch
Bedenken. Denn auch zugegeben, daß fich in allen uns
bekannten Religionen und Religionsformen die Vor-
ftellung aufweifen läßt, daß göttliche Mächte in irgendeiner
Weife Leben und Wohl der Menfchen fchützen und
fördern, fo fragt fich doch, ob wir hier wirklich auf ein
religiöfes Urdatum flößen, ob da nicht vielmehr fchon
eine uralte Verflechtung fittlichen und religiöfen Bewußtfeins
vorliegt. Die Möglichkeit, daß es fich fo verhält,
wird nicht von vornherein beftritten werden können, zumal
wenn es wahr ift, was E. W. Mayer in feinem trefflich
orientierenden Artikel über das Wefen der Religion
in R. i. G. u. G., Bd. V, S. 1955 bemerkt: Je weiter wir in
der Gefchichte der Menfchheit zurückgehen, um fo ftärker
erhalten wir den Eindruck eines kaum entwirrbaren Ineinandergreifens
der verfchiedenen geiftigen Lebensformen
, die fich erft allmählich und fpäter fcheiden und
auseinander treten'. Auch die Erinnerung daran, daß die
Götter der niedrigeren Religionen höchft launifche, un-
beftändige, reizbare Wefen find, muß uns vorfichtig
machen. M. erwähnt diefe Tatfache, um die Entftehung
der rituellen Gebote zu erklären; fiefcheint mir aber vor
allem zu beweifen, daß die Religion auch in ihren nied-
rigften Formen eine komplexe, an Rätfein und Wider-
fprüchen reiche Erfcheinung ift. Jedenfalls ift der Satz:
,Der Religion dagegen liegen zugrunde Gefühle der Ehrfurcht
und des Vertrauens' (S. 26, Anm, 8) einfeitig; wo

c! ui S le einer £eirtigen Arbeit, zu welcher Kant und ' bleibt da das Ahnen, Staunen, Schwelgen, Grauen? Vgl.
c>chleiermacher, Pascal und Vinet, CesarMalan junior und Ottos neues Buch ,Das Heilige'. Die Löfung des Pro-