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Ausgabe:

1917

Spalte:

144-145

Autor/Hrsg.:

Penzig, Rudolph

Titel/Untertitel:

Der Religionsunterricht einst, jetzt und künftig 1917

Rezensent:

Schuster, Hermann

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Theologifche Literaturzeitung 1917 Nr. 6/7.

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ein Schwärmer, oder ein Heros, ein religiöfes Genie, deffen
Tod keine Heilsbedeutung hat, fondern nur ein Märtyrertod
für die Wahrheit war. Ift Jefus nur als einfacher
Menfch ans Kreuz gefchlagen worden, fo kann fein un-
fchuldiges Leiden und Sterben höchftens die Schlechtigkeit
und Sündhaftigkeit feiner Feinde, ja der Menfchheit
überhaupt offenbaren (10—20). — In einem dritten Ab-
fchnitt fetzt fich Daxer mit Ritfehl und einigen durch
ihn angeregten Theologen auseinander, die aber feine
Lehre teils ergänzen, teils korrigieren wollen, Häring, O.
Kirn, Reifchle, H. Schultz, J. Kaftan (20—28). — Die
zwei letzten Kapitel follen die Löfung des Problems geben;
der Nerv desfelben liegt in dem zur orthodoxen Kirchenlehre
zurückkehrenden Gedanken einer objektiven Stellvertretung
und Genugtuung: Jefus trägt, was die Sünder
hätte treffen müffen, damit fie Vergebung erhalten; am
Kreuz Chrifti ift unfre Sünde zugleich verurteilt und vergeben
worden; der Zorn Gottes, der der Betätigung
feiner Liebe im Wege ftand, hat durch die genugtuende
Leiftung des Gekreuzigten die erforderliche Befriedigung
erfahren, fo daß damit die Ermöglichung und Verwirklichung
der Sündenvergebung ftattfand. Das Pleer von
Schwierigkeiten, das fich gegen die überlieferte Theorie
der proteftantifchen Scholaftik erhebt, vermehrt fich hier
um eine beträchtliche Zahl. Z. B. verfichert uns Daxer,
daß Jefus nicht den Zorn Gottes in Liebe umwandeln
mußte, daß aber der Liebe in Bezug auf die Sünde freie
Bahn gefchaffen werden mußte; anderfeits fpielen mancherlei
Erklärungen des Vfs. wieder in die von ihm bekämpfte
fubjektiviftifche Auffaffung, fo der Satz, daß das
Kreuz auf Golgatha uns nicht nur an unfere Sünden,
fondern auch an die Vergebung untrer Sünden erinnert.
— Eine Förderung der hier behandelten Frage kann in
Daxer's Schrift nicht gefunden werden.

Straßburg i/E. P. Lobftein.

Bezzel, Herrn.: Dienlt und Opfer. Ein Jahrg. Epiftelpre-

digten (Alte Perikopen). I. Bd.: Die feftl. Hälfte des
Kirchenjahres. (8, 381 S.) gr. 8°. Leipzig, Dörffling
& Franke 1916. M. 6 — ; geb. M. 7—

Der bekannte Münchener Oberkonfiftorialpräfident
läßt feinen Evangelienpredigten einen Epifteljahrgang
folgen. Der erfte Band führt bis zum 2. Pfingfttag; da
er aber auch Predigten für den Heiligen Abend und Gründonnerstag
fowie folche für das Epiphanienfeft und 6
Epiphanienfonntage fowie für Neujahr zwei enthält, bringt
er im ganzen 40 Stücke. Die Mehrzahl flammt noch aus
Bezzels Wirkfamkeit in Neuendettelsau; wäre das nicht
im Vorwort getagt, fo ließe es doch der Inhalt mit be-
fondrer Bezugnahme auf diefen Ort und feine Gefchichte
deutlich erkennen. Etwa zwölf find fpäteren Uifprungs;
eine oder die andere ift während des Krieges gehalten;
aber das kommt mehr gelegentlich zum Ausdruck, (z. B.
S. 284); .Kriegspredigten' rinden fich nicht. Die alten
Epifteln find zu gründe gelegt; und zwar in der alten
Faffung; die Eifenacher Revifion ift beifeitgelaffen (doch
4. p. Ep.l); auch Gal. 4, 21 ff. wird behandelt. (Hier bekämpft
Bezzel die Meinung, Paulus habe .allegorifieren'
wollen; aber die der Predigt zugrunde liegende Exegefe
ruht doch auf allegorifcher Deutung). Man wundert fich
bei diefer Selbftbindung eigentlich, daß doch auch Abweichungenvorkommen
; die Texte für Sexag. und 6. p. Ep.
begrenzt Bezzel nach eigenem Urteil; eine der beiden Neujahrspredigten
und die Karfreitagspredigt find Evangelienpredigten
. Die Predigten find ziemlich lang; nach kurzer
Einleitung haben fie ein klares Thema mit meift knapper,
plaftifcher Teilung; auch eine gereimte Teilüberfchrift
findet fich (216). Die Form hat nichts Auffallendes; nur
Bezzels Sprache zeigt deutlich eine befondere Art. Sie
ift in eigentümlicher Weife gedrungen und gehoben, wuchtig
und kräftig, ob auch keineswegs ganz leicht. Er fagt
einmal: ,DieKanzeln derer, die geiftreich predigen, werden

viel umlagert' (25); aber manchem wird auch feine Sprechweife
, fo wenig fie geiftreich fein will und fo fern ihr
alles Gefliehte liegt, doch zuweilen als geiftreich erfcheinen;
fo S. 129: .Seine Jünger treten in diefe Fußftapfen, nicht
groß, aber gründlich, nicht bedeutend, aber bedeutfam,
nicht mit Eindruck, aber mit Nachdruck ....'. Wie in
diefer Formgeftaltung, fo zeigt fich auch in den Gedanken
der eigengewachfene Mann: Bezzel geht durchweg in
den Bahnen der Bibel; daß fein Verftändnis der Bibel
das lutherifche ift, tritt überall zu Tage (63h. Taufe);
aber alles Biblifche und Lutherifche ift doch mit dem
befonderen Gepräge feiner Perfönlichkeit verfehen. Daß
diefe Sonderart, fo gewiß fie dogmatifch feft fundiert ift,
kaum irgendwo das Bedürfnis dogmatifcher Auseinander-
fetzung oder gar Polemik hat, wirkt fehr erfreulich;
charakterifiert wird fie viel eher durch den überaus großen
religiöfen und fittlichen Ernft, der in der Selbftkritik keine
Schonung kennt, und durch den unbeirrbar feften Glauben
an .Gottes Tatfachen'. Die Selbftkritik gilt bei allem
Lobpreis der lutherifchen Kirche doch fehr ftark auch
dem Kirchenwefen, wie es fich allmählich herausgebildet
hat, zumal dem Vereinswefen (icharfe Äußerung 107),
aber auch aller unlebendigen Kirchlichkeit (S. 66: .wegen
zu wenig Kirchengehen wird eine viel geringere Zahl
verworfen werden als wegen zu viel') und allem Unechten
auch in den .geförderten Gemeinden' (276). Nur an vereinzelten
Stellen wendet der Prediger fich gegen die .neuere
Bewegung', die mit der Gefchichtslofigkeit gegenüber dem
Sein und Werden dem chriftlichen Bekenntnis den Todes-
ftoß verfetzen wolle (63 f.; vgl. 115 Vervollkommnung
des Chriftentums). Die nachdrückliche Einftellung auf
.Verneuung' des eigenen wie des gefamten kirchlichen
Lebens wird weder durch umfaffende Zeitbetrachtungen
noch durch viel Beifpiele unterftützt. Letztere find faft
nur aus der Gefchichte entnommen; erftere halten fich
durchweg an das innere Gefchehen. Die Predigten zeigen,
daß eine kraftvolle, aus fefterÜberzeugung herausredende
Predigerperfönlichkeit ohne die Hilfsmittel der Redekunft,
ohne viel Illuftrationen und Gefchichten fehr wirkfam
werden kann.

Gießen. M. Schi an.

Penzig, Dr. Rudolph: Der Religionsunterricht einft, jetzt und
künftig. (III, 159 S.) 8°. Berlin, G. Reimer 1916. M. 2.40

Mit Vergnügen und Nutzen habe ich einft Penzigs
fchönes Büchlein .Ernfte Antworten auf Kinderfragen'
gelefen, und gern denke ich an P.'s befonnenes Auftreten
vor fünf Jahren auf einer Verfammlung des Bundes für
Reform des Religionsunterrichts. So ging ich mit gutem
Vorurteil an diefe neue Schrift. Leider hat fie mich im
Wefentlichen enttäufcht.

Der Verfaffer verfichert uns in der Einleitung, daß
.wirkliche Liebe zur Religion und wahrhaftige Begeifte-
rung für diefes edelfte Erzeugnis menfehlichen Geiftes-
lebens ihn auf den Plan ruft' und verwahrt fich ernftlich
gegen die unfachliche Bekämpfung mit bequemen Schlagwörtern
wie .religionslofe Schule' und .gottlofe Schule'.
Auch zeigt er trotz mancher unbilligen Kritik und un-
I nötigen Bitterkeit im Ton im Ganzen doch ein Verftändnis
für die chriftliche Kirche und ihre erziehliche Leiftung
, das turmhoch über dem Vulgärmonismus fteht.
Wir haben es eben mit einem kenntnisreichen und innerlich
gebildeten, daher mit einem vornehm gefinnten
Manne zu tun. Aber nach vollendeter Lefung feines
Buches frage ich mich vergeblich, was er eigentlich unter
.Religion' verlieht. Ich finde in dem Buche doch nur
einen mit Pietät gegen die (überwundenen oder zu überwindenden
) Geftalten der Religion verbundenen ethifchen
Kultur-Optimismus. Er ift durch ernften Willen und fo-
ziale Gefinnung erwärmt, aber gedanklich doch recht
fchlecht begründet. Ein Gewiffen, das nichts ift als die
Summe der menfehlichen Entwicklung, das weder reli-