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Ausgabe:

1917

Spalte:

138

Titel/Untertitel:

Senior D. Georg Behrmann, seine Persönlichkeit und sein Wirken 1917

Rezensent:

Steffen, M.

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'37

Theologifche Literaturzeitung 1917 Nr. 6/7.

138

der Vorlage im Abdruck durch fenkrechten Strich mar-
kiert wird.

Die Bedeutung diefes gewaltigen Corpus für die Re-
formationsgefchichte kann nicht leicht überfchätzt werden.
Es fteckt eine Fülle von Material in den Texten wie Erlauterungen
zur gefamten Reformationsgefchichte, und
man empfängt einen äußerft lebendigen Eindruck von
der Bedeutung, die hier der Schleuer mit dem Kreis feiner
Anhänger, unter denen Valentin Crautwald die erfte Stelle
eingenommen hat, beanfpruchen darf. Die fpäteren Verfolgungen
und die Stempelung der Schwenckfelder zu
Ketzer haben das leider ganz zurücktreten laffen. Die Korre-
fpondenz geht nach Schlehen, an Johann Rurer, Herzog
Albrecht v. Preußen, Martin Bucer, Oekolampad, Capito,
Georg V.Brandenburg, Joh. Bad er, Leonhard V.Liechtenstein,
Wilhelm v. Fürstenberg, Leo Jud, Katharina Zell, Jakob
Sturm, Carlstadt u. a.; die Korrefpondenz mit Philipp v.
Hessen ift in gleichem Format wie das Corpus von James
Leslie French 1908 feparat herausgeben worden (Leipzig,
Breitkopf & Härtel). Schwenckfeld ift ein reicher und feiner
Geift gewefen, der die verfchiedenartigen Strahlen der
Reformationszeit in orginalem Spiegel aufgefangen hat.

Eine Inhaltsangabe des reichen Materials kann hier
natürlich nicht gegeben werden. Aber fehe ich recht,
fo drehen hch in der in Rede fliehenden Zeit Schwenck-
felds Gedanken vorab um drei Punkte, die untereinander
wieder eng zufammenhängen: I.Wort und Geift, 2. Chrifto-
'°gie, 3- Abendmahlslehre; nebenbei wird dann die ganze
reformatorifche Theologie abgehandelt, wie etwa in dem j
.Clufter of theological Themes: Vom glauben in Chriftum,
Von den werckhen, Vom freien willen, Von der Furfehung
Gottes, Einfalt Gottes worts und der Warheit, Vom neuen
Menfchen und von zween Adam' (III, 558—569, aus dem
Schatze der Wolfenbütteler Schwenckfeldiana). Über die
beiden erften Punkte ift von Ecke wohl das Wefentlichfte
gefagt worden, fo gewiß die hier neu erfchloffenen Dokumente
eine wertvolle Ergänzung bieten. Aufmerkfam
machen aber möchte ich auf die große Rolle, die laut
vorliegender Publikation Schwenckfeld in den Abendmahls-
ftreitigkeiten gefpielt hat. Die Frage fängt an mit Dokument
18 (I 240 fr.): .Handlung und Gefprech mit den
Gelerten zu Wittenberg D. Martino Luthero, J. Pomerano
und Justo Jona, vom rechten Verstände der Worte das ift
mein Leib, das ift mein Blut'. Diefer Befuch des Schle-
fiers in Wittenberg und der Bericht darüber waren natürlich
fchon bekannt, aber lange nicht genügend gewürdigt.
(Vgl. die wenigen Zeilen bei Köftlin-Kawerau M. Luther5
II S. 78). Die Eigenart Schwenckfelds war nicht genügend
herausgearbeitet worden (a. a. O. ift z. B. nichts
darüber zu lefen); er deutete ,von hinten', wie es in einer
gleichzeitigen Flugfchrift heißt: ,das da für Euch gegeben
wird, ift mein Leib' und nagelte fehr gefchickt Bugenhagen
auf einen Punkt feft, den die Wittenberger noch
gar nicht ins Auge gefaßt hatten, wie denn die reale
Anwefenheit des Leibes und Blutes Chrifti zu denken
fei, ob fleifchlich oder geiftlich. Bugenhagen antwortete:
geiftlich, konnte aber, als Schwenckfeld eine nähere Erklärung
diefer geiftlichen Präfenz des auferftandenen
Chriftus wünfchte, nur mit dem Rekurs auf das Wunder
oder Schriftwort antworten. (Das Luthertum ift in diefer
Unklarheit hängen geblieben, wenn es einerfeits die man-
ducatio corporalis annahm, anderfeits die manducatio ca-
pernaitica ablehnte, Schwenckfeld hat fie als erfter erkannt
.) In einem fehr intereffanten Briefe, der, fehe ich
recht, den Herausgebern des Corpus Schwenckfeldia-
norum entgangen ift, fetzt fleh Zwingli am 17. April 1526
zu den Schwenckfeldern in Beziehung (Krit. Zwingli-Aus-
gabe VIII Nr. 470) und bezieht fie in feine antilutherifchen
Koalitionspläne ein, und durch das Corpus Schwenckfelds
hindurch fetzen fich die Beziehungen zu den Schweizern
fort. So hat Oekolampad Schwenckfelds Schrift de cur-
su verbi dei in Druck gegeben; auch zu den Straßburgern
fteht der Schleuer in lebhafter Beziehung. Alle die Probleme
des Abendmahlsftreites (Realpräfenz, Genuß der
Unwürdigen: ,ob Judas und die ungläubigen, falfchen
Chriften den leib und das blut Jefu Chrifti im Sakrament
des Nachtmahls etwan empfangen' (f. Bd. III S.
492 ff. u. a.) werden behandelt.

Die Fülle des in den vier Bänden niedergelegten
Stoffes ift übergroß. Die guten Perfonalregifter, zu denen
wir uns für den Schluß ein ebenfo gutes Sachregifter
erbitten, ermöglichen rafche Benutzung. Das Unternehmen
, dem wir baldige Vollendung wünfehen, verdient
aufrichtigften Dank; es wird je länger defto mehr fleh
als unentbehrlich für die Reformationsgefchichte erweifen.
— Nachträglich fehe ich aus Archiv f. Ref.-Gefch. XIII
S. 313, daß Prof. Ch. D. Hartranft 1914 geftorben ift, das
Corpus unter Leitung von E. S. Johnfon aber weitergeführt
und fein Umfang auf 17 Bde. veranfchlagt wird.
Zürich. W. Köhler.

Senior D. Georg Behrmann, feine Perfönlichkeit und fein
Wirken. Eindrücke u. Erinnerungen., gefammelt v.feinen
Freunden. (293 S.) gr. 8. Hamburg, A. Jansfen
1916. Geb. M. 6 —

Ein Gedenkbuch, zu dem 34 Mitarbeiter Beiträge
lieferten, um fo ein möglichft allfeitiges Bild feiner Perfönlichkeit
und feines Wirkens zu geben. Neben Behr-
manns eigenen .Erinnerungen aus meinem Leben' bieten
diese Aufiatze kaum neue Daten, fondern die Spiegelung
feiner überragenden Perfönlichkeit in den Herzen der
verfchiedenartigften Männer. Die Beiträge find natürlich
nicht alle gleichwertig; aber alle find durchzogen von
einem warmen Hauch der Dankbarkeit und Verehrung.
Es fehlt faft zu fehr ein Wort, das die Grenzen feiner
Perfönlichkeit aufzeigt. Nur Mahling betont, wie ihm der
Komplex der fozialen Fragen ftets fremd geblieben ift.
Auch die Aufgaben der kirchlichen Verwaltung, der
Organifation, der Kirchenpolitik hat er nur gedrängt und
ungern angefaßt; alles nur Sachliche, das er fleh nicht
durch den Geift des Perfönlichen aneignen konnte, lehnte
er ab. Darauf ruhte die eigenartige Anziehungskraft, die
diefer bedeutende Mann auf Menfchen der verfchiedenften
Geiftesrichtung ausgeübt hat. Diefe Tatfache kommt in
dem Sammelwerk, das Prof. D. Stange herausgegeben hat,
zum Marken Ausdruck. Die verfchiedenften Fachgelehrten
nehmen ihn für fleh in Anfpruch, als einen Mann, der
nicht nur ihrem Arbeitsgebiet mit Intereffe folgte, fondern
auch mitarbeitend es förderte, als Sprachgelehrter des
Orients und des Griechifchen, als Theologe des A. und
des N. Teft., als Freund der Literatur, der Gefchichte und
der Kunft. Dabei war er doch in erfter Linie Prediger,
Katechet und vor allem Seelforger, dies Wort in dem
hohen und feinen Sinn genommen, daß er Zeit und Geduld
hatte, jedes andern Seele auf fich wirken zu laffen,
und Liebe und Treue, ihr nach Kräften zu raten. Es
fehlt in dem Buch aus leicht begreiflichen Gründen —
wer hätte fie fchreiben follen? — eine Darfteilung davon,
wie er auf fchlichte Menfchen wirkte. Aber ob er darin,
auch abgefehen von der Eigenart feines Hamburger
Amtes als Hauptpaftor und Senior, das ihn von der
eigentlichen Gemeindearbeit fernhielt, wirklich befondere
Gaben hatte?

So tritt uns aus diefen Zeugniffen das Bild eines
hochgebildeten, feinfinnigen Chriften entgegen, dem es
in hohem Grade gelungen ift, aus feinem Leben ein
Kunftwerk zu machen im Sinne Goethes. Darin liegt
auch zugleich ausgefprochen, wie es uns in mancher
Weife doch als in einer vergangenen Zeit wurzelnd anmutet
. Ob die Zeit für folche, nur auf die Wiffenfchaft
und das Perfönliche eingeftellte Geifter für uns bald
wiederkommt? Als ein Gruß aus diefer Welt wird das
Buch nicht nur für Hamburger und folche, die Behrmann
perfönlich kannten, von Wert fein.

Hamburg. Steffen.