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Ausgabe:

1917 Nr. 5

Spalte:

112-113

Kategorie:

Religiöse Kriegsliteratur, Kriegspredigten, Kriegspädagogik

Autor/Hrsg.:

Benz, Gustav

Titel/Untertitel:

Dennoch bei Gott. Predigten aus den Kriegsjahren 1914-1916 1917

Rezensent:

Schian, Martin

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III

Theologifche Literaturzeitung 1917 Nr. 5.

112

eine Fortfetzung der oben unter 1 befprochenen Sammlung
unternommen; aber während jene Predigten Verfchiedener
bot, will er die Fortfetzung, die in 3 Heften Predigten
für die feftliche Zeit geben foll, allein beftreiten. Er gibt
ihr den Gefamttitel ,HErr und Heer', über deffen Schönheit
fich ftreiten läßt. Unftreitig verfehlt fcheint mir der
Untertitel des 1. Bändchens zu fein, das von Advent bis
4. n. Ep. reicht: ,Krieg und Kind'. Er foll daran erinnern
, ,daß fein Inhalt beherrfcht ift von dem Blick auf
die Weihnachtskrippe und das Weihnachtskind'; aber das
muß eben dazu gefagt werden! Die Art der Predigten
ift natürlich die gleiche wie in der eben befchriebenen
Sammlung.

Diefen Bänden norddeutfchen Urfprungs füge ich
einige aus dem Süden kommende an. Denn die hier
vorliegenden Predigten Rittelmeyers 10, der inzwifchen
als Kind's Nachfolger nach Berlin gegangen ift, find alle
in Nürnberg gehalten, und zwar zwifchen Auguft 1914
und März 1916. Im Vorwort hebt Rittelmeyer hervor,
daß er in diefen Jahren keineswegs lauter ,Kriegspre-
digten' gehalten habe, wie fie in folcher Sammlung naturgemäß
den Vorzug haben. Auch fei zu eingehender
Ausfprache über die Frage, wie Chriftentum und Krieg
fich verhalten, in der Kirche nicht die innere Ruhe vorhanden
gewefen; das lebendige Bedürfnis der Hörer habe
vielmehr zu den Fragen gedrängt: Was gibt mir mein
Chriftentum für diefe Kriegszeit? Und was gibt mir die
Kriegszeit für mein Chriftentum? Diefe Bemerkungen
find ebenfo richtig wie wichtig, übrigens keineswegs bloß
für Rittelmeyers Kriegspredigttät igkeit. Theoretifche
Reflexion im Gottesdienft war im Kriege, namentlich in
feinen erften Zeiten, noch viel weniger erträglich als fonft.
Die 15 hier vereinigten Stücke ftellen nun alfo Kriegspredigten
im engeren Sinn dar; und fie zeigen, daß, auch
wo die Ruhe zur reflektierenden Problembehandlung nicht
vorhanden ift, doch der tief eindringende Gedanke regieren
kann. Man lefe z. B. die Predigt über Matth. 6, 10 (Kriegsfrömmigkeit
) mit ihrer Analyfe deffen, was an Frömmigkeit
jetzt im Volk lebt, und mit ihrer Anleitung zur
rechten Einfehätzung diefes Beftandes; man überdenke
die letzte Predigt: ,Unfer neuer Blick für Chriftus' mit
der außerordentlich feinen Beftimmung deffen, ,wie unfer
Verhältnis zu Jefus Chriftus fich in diefer Kriegszeit verändert
hat'. Faft fetzt Rittelmeyer manchmal allzuviel
bei den Hörern voraus: in der einen Predigt werden
erwähnt: eine Predigt des Bifchofs von London, die
Schweizer Religiös-Sozialen, Bachs ,Paffionen' und Max
Maurenbrecher, und zwar im Zufammenhang einer mächtigen
Fülle von Gedanken. Das ift ja wohl auch eigentlich
der Vorzug Rittelmeyer'fcher Predigt, daß er durch
und durch Gedanken bietet, aber nirgends in abftrakter
Überlegung, fondern immer in lebendigfter, praktifchfter
Auseinanderfetzung mit dem, was im Hörer ihm entgegen
kommt; nie in abgebrauchten Gedankengängen,
noch weniger in abgegriffenen Worten, fondern in ganz
neuer, aus dem intenfiven Miterleben der Zeit und aus
perfönlichftem religiöfen Erleben herausgeborener Gei-
ftesarbeit heraus. Dabei fpielen die mancherlei eingeflochtenen
Gefpräche, Erwähnungen, Zitierungen durchaus
nicht die Hauptrolle. Rittelmeyer ift weit entfernt
von der inferioren Art, die ein Zitat das andere hetzen,
ein Bild das andere totmachen läßt. Diefe Dinge find
ihm lediglich diskret angewendete Mittel zum Zweck.
Die Hauptfache ift und bleibt die originale Gedankenarbeit
, freilich als im tiefften — bei aller fteten äußeren
Anlehnung und Verknüpfung — religiöfe Gedankenarbeit
. Bei folcher Methode darf man den Hörern auch
noch etwas zumuten. Die Predigten find oft recht lang,

Advent bis Epiphanien. Berliner Kriegspredigten. (104 S.) 8°. Leipzig
Krüger & Co. 1916. M. I—; geb. M. 1.50

10) Rittelmeyer, Lic. Dr. Friedrich: Chrift und Krieg. Predigten
aus der Kriegszeit. (V, 286 S.) 8°. München, Chr. Kaifer (1916).
M- 3 —i geb. M. 4.20

länger als die Durchfchnittspredigt fein darf; fie verzichten
auf Präfentation des Dispofitionsfchemas; fie können
das, weil fie in klarer, von felbft heraustretender Ordnung
verlaufen. Ich weiche in manchem einzelnen Urteil,
das fich in diefen Predigten findet, von Rittelmeyer ab;
vielleicht würde ich zuweilen auch in einem wichtigen
Stück anders formulieren, als er tut. Aber das kann
mir nicht im geringften die große und herzliche Freude
verringern, die ich an diefen durch und durch fntereffan-
ten', mächtig packenden Kriegspredigten gehabt habe.
— Den Schluß mögen zwei aus der Schweiz flammende
Sammlungen bilden. Freilich, Heinzelmann 11 iflReichs-
deutfeher und nur nach Bafel verpflanzt; er hatte die
nicht leichte Aufgabe, neutralen Hörern während des
Weltkriegs zu predigen. ,Wir Chriften kämpfen alle in
diefen Zeiten doppelte Kämpfe durch. Wir nehmen fo
oder fo am Weltkrieg teil und flehen daneben im Ringen
um unferen Glauben'. Sehr begreiflich, daß der Krieg
in feinen Predigten nicht die Rolle fpielt wie in Predigten
von deutfehen Kanzeln. Selbfl wo er das Thema ,Näch-
ftenliebe und Krieg' formuliert, dröhnt der Krieg nicht
entfernt fo ftark hinein wie in die bisher befprochenen
Sammlungen. Vielleicht liegt das aber doch nicht bloß
an dem neutralen Boden, dem diefe Predigten entflammen,
fondern auch an der perfönlichen Art des Predigers.
Er pflegt die reine Innerlichkeit des religiöfen Lebens;
er drängt immer rafch auf das Grundthema des chrift-
lichen Herzens hin und hält fich bei dem, was draußen
ift, wenig auf (für ihn würde, wie mir fcheint, ein Verweilen
bei mehr äußeren Fragen wirklich einen ärgerlichen
Aufenthalt bedeuten). Er zeigt ,den Weg zur
Erkenntnis Jefu'; er fragt, ,warum uns Jefus herrlich ift';
er preift ,das Ideal des feilen Herzens'. Dabei rechnet
er, foweit diefe 12 Predigten erkennen laffen, auch alle
mehr theologifchen Reflexionen zu dem Außenwerk, das
nicht auf die Kanzel gehört. Die Forderungen religiöfer
Innerlichkeit aber finden in ihm einen warmen und doch
zugleich gedanklich recht durchgebildeten Dolmetfcher.
Auch bei Heinzelmann keine Phrafe, kein billiges Zitat,
kein Schwelgen in Bibelfprüchen; alles ift ernfte, inhaltreiche
Erwägung. Wahrfcheinlich wird feine Predigt als
eine viel Anfprüche Hellende, das Mitgehen zumal dem
einfachen Hörer nicht leichtmachende empfunden werden;
und das, obwohl er Themata und Teile, wenigftens vielfach
, anzugeben pflegt. — Die Vermutung, daß die große
Zurückhaltung gegenüber dem Außenleben bei Heinzelmann
nicht bloß auf den Ort, da er predigte, zurückzuführen
ift, wird durch einen Blick in Benz'12 Predigten
aus 1914—1916 beftätigt. Hier regiert der Krieg in ganz
anderem Maße. Freilich, Benz ift felbft Schweizer, und
kann darum zu feinen Landsleuten anders vom Herzen
weg reden als der Reichsdeutfche zu den Hörern anderen
Stammes. Aber er würde es nicht in diefem Umfang
getan haben, wäre es ihm nicht inneres Bedürfnis gewefen.
Er hat auch im Frieden nicht zeitlos gepredigt; aber
Zeitpredigten im allerdeutlichften Sinn, wie wir fie guten-
teils hier finden, hat er doch fonft nicht häufig gehalten.
Da herrfchte etwa der Ton, den wir in der erften, vom
19. 7. 1914 datierten Predigt diefes Bandes hören: ,Laß
mich deine Herrlichkeit fehenl' Jetzt aber hat ihn das
ungeheuere Erleben des Krieges in feinen Bann gezogen.
Welche ernfte Stimmung, welcher weite Blick in der
Predigt ,Am Vorabend des Krieges' (2. 8. 14)! Welches
Mitleben mit dem, was das Schweizervolk im Kriege
erlebt und tutl Der Kampf der Zungen und Herzen
hinter der Front (51 ff.), die große Frage der Neutralität
(85 ff nach Matth. 27, 11—26!), die Werke der Näch-

11) Heinzelmann, Prof. Gerh.: Im Kampf um lebendigen Glauben.
Zwölf Predigten aus der Kriegszeit. (189 S.) 80. Bafel, Kober 1916.
Geb. M 3 —

12) Benz, Pfr. Guftav: (Dennoch bei Gott. Predigten aus den
Kriegsjahren 1914—1916. (302 S.) 8». Bafel, Fr. Reinhardt 1916.
M. 3.60; geb. M. 5 —