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Ausgabe:

1917 Nr. 5

Spalte:

100-101

Autor/Hrsg.:

Goethals, Augustin

Titel/Untertitel:

Le Pseudo-Joséphe 1917

Rezensent:

Windisch, Hans

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Theologifche Literaturzeitung 1917 Nr. 5.

100

Naturwiffenfchaften verarbeitet und uns zugänglich gemacht
. Fall: noch konzentrierter ift die Arbeit die in
Troeltfch's ideenreicherDarfteilung des 19.Jahrhunderts
fteckt. Das ift nicht eine Theologie-Gefchichte diefes
Jahrhunderts, fondern ihre Geiftesgelchichte, gefchrieben
mit der bei Troeltfch bekannten Meifterfchaft in fozio-
logifcher und kulturgefchichtlicher Betrachtungsweife.
Er fchildert als die bildenden Kräfte und Kennzeichen
des 19. Jahrhunderts: das Fortwirken der Aufklärung
und des Idealismus, die Einzelwiffenfchaften, die Philo-
fophie, den Kapitalismus, den Imperialismus, die Kulturkritik
des Jahrhundert-Endes und das Chriftentum. Die
beiden Beiträge von Titius und Troeltfch erfcheinen mir
als die Glanzftücke der Ergänzungsbände und als Weg-
weifer für die Fortentwicklung des großartigen Werkes,
wenn ich auch den entfagungsvollen Fleiß der andern
Beiträge, z. B. der Zeitfchriftenfchau, voll anerkenne.

Noch bleiben Wünfche für eine 4. Auflage. Titius
vermißte (a. a. O.) Kant, Neukantianismus und ähnliche
Stichwörter. Man könnte auch Bismarck, Sozialismus,
Entwicklung und andere nennen. Hammurapi ift in
dem Artikel: Gerichtswefen u. f. w. erwähnt, hat aber
kein Stichwort, unter dem man ihn auffinden könnte;
dasfelbe gilt von Darwin und Darwinismus, die von
Titius behandelt find, aber kein Stichwort haben. — Wir
find dankbar für das gebotene Gute und hoffen, daß der
in den Ergänzungsbänden vorfichtig befchrittene Weg
in der neuen Auflage befonnen fortgefetzt wird.

Hannover-Kleefeld. Hermann Schufter.

Ein mittelalterliches Zeugnis für den
akzentuierenden Rhythmus der altteltamentlichen Poefie.

Die wiffenfchaftliche Debatte über das Hauptproblem
des althebräifchen Versbaus ift bekanntlich noch immer
nicht abgefchloffen. Obgleich fich in letzter Zeit immer
mehrForfcher dafür ausgefprochen haben, daß der Rhythmus
der altteftamentlichen Poefie auf dem Prinzip des
Wort- und Satzakzentes beruht, wird die gegenteilige
Theorie, daß er durch die Silbenquantität bedingt fei,
noch eifrig vertreten. Ich erinnere nur an die von Grimme
und Schlögl aufgeftellten verwickelten Syfteme.

In diefem Streite hat man fchon lange darauf verzichtet
, die Ausfagen der Alten über die Form der hebräi-
fchen Poefie als Zeugniffe für und wider zu verwerten.
Mit Recht, denn was darüber bei jüdifchen und chrift-
lichen Schriftftellern von Philo und Jofephus bis auf Ifidor
von Sevilla zu lefen ift (vgl. die Zufammenftellung bei
Döller, Rhythmus, Metrik und Strophik 1899 S. 18 ff.),
ift unklar und überdies in fich felbft und untereinander
fo voller Widersprüche, daß man zu dem Urteil berechtigt
ift, diefe Ausfagen beruhten nicht auf wirklicher Sachkenntnis
. Sie haben wohl auch urfprünglich nur den
apologetifchen Zweck gehabt, die hebräifche Poefie als
auf der Höhe antiker metrifcher Kunftformen ftehend zu
erweifen, vgl. bef. die Urteile des Hieronymus, Döller
S. 26 ff.

Dagegen find m. E. die Ausfagen jüdifcher Dichter
des Mittelalters von großer Bedeutung für die Ent-
fcheidung des eingangs erwähnten Grundproblems, und
foviel ich fehe find diefe bisher gar nicht oder nicht richtig
eingefchätzt worden. Neuerdings hat B. Gray (Expos.
III, 5 [1913! S. 425) zwar kurz davon Notiz genommen,
aber den Wert diefer Zeugniffe nicht genügend betont.
Am klarften ift das, wasJehudaal-Harizi(vgl.KarpelesII
S. 78 ff) im Tahkemoni über den Unterfchied zwifchen den
von ihm und feinen Zeitgenoffen geübten poetifchen Kunftformen
und der althebräifchen Poefie fagt. Es mag genügen
, die Stelle aus der 18. Pforte des Tahkemoni, ed.
Lagarde S. 87 hierher zu fetzen (über Salomon Parchon
Mahbereth p. 4—d vgl. Brody, Studien zu den Dichtungen
Jehuda ha-Levi's I 1895 S. 13 (Berner Diff):

nnb s-ni ab * tnpn -pya ciaa» rma« Tri nya 13

ön * Q^ini ibtj'a'i 311« iho pi * tzhp poba bipti -p»
mn onb -p« ba« -p» vnnb irmi * nibpi oi-isp Dipios

JQibipffl 03i«1

Hier ift mit klaren Worten der Tatlache Ausdruck
gegeben, daß fich die Formen der zeitgenöffifchen Dicht-
kunft grundfätzlich von denen der biblifchen Poefie
unterfcheiden. Die Poefie zur Zeit Jehudas hüllte fich in
das Gewand der von den Arabern entlehnten, allerdings
etwas aufs Hebräifche zugefchnittenen Reim- und Vers-
kunft, und diefe beruht bekanntlich auf einem eigenartigen
quantitierenden Sing- bzw. Sprechrhythmus. Sie hat
alfo klaffifch gefprochen fefte .metrifche' Formen. Die
Dichtungen Jehudas und feiner Genoffen find daher DiTO
Qiblpuj d. h. gereimte metrifche Gebilde, die nach den
Gefetzen der arabifchen Silbenmeffung aufgebaut find,
vgl. darüber Brody a. a. O. S. 17 ff. Ihre Grundlage ift
der zweiteilige mn, wie Jehuda in Anlehnung an die
ältere metrifche Terminologie mit dem Ausdruck imn
TÜB fagt, vgl. Brody a. a. O. S. 25 (dagegen muß mn
an zweiter Stelle Reim, Reimftrophe bedeuten, vgl.
Kämpf, Die erften Makamen aus dem Tachkemoni
S. 45 und Nichtandalufifche Poefie II S. 100). Der mn
befteht aus einer beftimmten Anzahl von Füßen derfelben
oder verfchiedener Bildung fbnpti) und ift durch Reim
gebunden. Von alledem weiß die biblifche Poefie nichts,
fagt Jehuda. Sie hat alfo nach feinem Urteil ficher
keine ,Metren', d. h. quantitierende Rhythmen.
Nur die poetifchen Formen der Bücher fl "am wagt er mit
den Metren feiner Dichtungen zu vergleichen, doch fügt
er ausdrücklich hinzu, daß die Verfe diefer Dichtungen
vom Standpunkt der ausgebildeten arabifch-jüdifchen
Metrik und Reimpoefie aus eigentlich keine ,Verfe' find.
Man könne nur ihre .kurzen und leichten' Glieder d. h.
wohl modern gefprochen die rhythmifchen Phafen, aus
denen fich die at. Verfe refp. Vershälften zufammenfetzen,
annähernd auf eine Linie mit den metrifch gebauten
Qimn ftellen. Jehuda denkt dabei wohl zunächft an die
am zahlreichften vertretenen und verhältnismäßig am
meiften ausgeglichenen Reihen der Doppeldreier und
Fünfer in den genannten Büchern.

Jehuda und feine Zeitgenoffen werden den rhythmifchen
Formen der biblifchen Poefie mit derfelben Ver-
ftändnislofigkeit gegenübergeftanden haben wie die vom
humaniftifchen Ideal der quantitierenden klaffifchen Vers-
kunft befangenen modernen Forfcher, die den Verfuch
gemacht haben, die at. Poefie in das Joch einer .metrifchen'
Theorie zu fpannen. Nach obigem gefchichtlichen Zeugnis
find alle derartigen Verfuche von vornherein ausfichts-
los. Für die Weiterarbeit an den Problemen der at.
Verstechnik ift diefe Erkenntnis m. E. von grundlegender
Bedeutung.

Jena. W. Staerk.

Goethals, Auguftin: Le Pseudo-Josephe. (Antiquites
XVIII §§ 63—84). (Melanges d'histoire du Christia-
nisme. 4me partie.) (49 S.) gr. 8°. Bruxelles, H.
Lamertin. — Paris, Fifchbacher 1914. fr. 2.50

Obgleich gerade auch in den letzten Jahren viel über
das Chriftuszeugnis des Jofephus verhandelt worden
ift, vermag der Vf., der fich fchon durch andere Studien
zur Gefchichte des Urchriftentums bekannt gemacht hat,
doch noch etwas Neues und auch wirklich Erwägenswertes
zu fagen. Seine wichtigfte Thefe ift nämlich diefe, daß
das Zeugnis in feiner chriftianifierten Faffung herrührt von
Eufebius. Ausgangspunkt diefer zunächft frappierenden
Hypothefe ift natürlich der Tatbeftand, daß Eufebius
zweimal die Stelle zitiert (Demonftr. ev. III 5. 105 und
Hift. eccl. I 11, übrigens auch noch Theophanie 46). Eine
eingehendere Stilunterfuchung führt nun zu dem Ergebnis,
daß die in dem Zeugnis vorkommenden und zwar be-
fonders die dem Jofephus fonft nicht geläufigen Wendungen