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Ausgabe:

1917 Nr. 4

Spalte:

90-91

Autor/Hrsg.:

Hilling, Nikolaus (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Quellensammlung für das geltende Kirchenrecht. 4. - 6. Heft 1917

Rezensent:

Sehling, Emil

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89 Theologifche Literaturzeitung 1917 Nr. 4.

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geftreiften Aufgaben der .Volkshochschulen' und ähnlichen
Einrichtungen zur Weiterbildung der erwachfenen
bildungshungrigen Bevölkerung, gibt es wohl kaum eine
Aufgabe und ein Problem des Unterrichts-und Erziehungs-
wefens, das nicht berührt wäre; denn auchorganifatorifche
Fragen wie Verhältnis der Kommunen zum Staat, der
Bundesftaaten zum Reich (Reichsfchulgefetz oder Reichs-
fchulamt) find nicht vergeffen.

Der Herausgeber hat durch eine als Einleitung abgedruckte
gedankenreiche Rundfrage das Buch angeregt.
Er hat fich dabei nicht bloß an hervorragende Schulmänner
oder fozial tätige Pädagogen gewandt, fondern
auch pädagogifch intereffierte Männer und Frauen des
praktifchen und öffentlichen Lebens zu Urteilen aufgefordert
. Auf diefe Weife ift ein fehr vielftimmiger Chor
zu ftande gekommen.

Ich nenne Schulmänner wie liiefe, Ilojunga, Eickhof, Gaudig,
Haack, Kuckhoff, Lietz, Muthefius, Neubauer, Kichert, Sprengel, Vilmar,
Wolff. Schulbeamte, wie Sachfe, v. Sallwürk, Sickinger, Ziehen,
llochfch ullehrer wie Bernheim, Cauer, Hillebrandt, R. Lehmann,
L Mausbach, Meffcr, Oftwald, Rein, Rcinke, Baftian Schmid-Mttnchen,
K. L Schmidt-Berlin, v. Soden, W. Stern-Hamburg, Vietor; Sozialpädagogen
wie W. Claffen, Klumker, Tews; Männer der Praxis
wie die Abgeordneten von Campe, Faffbender und von Hcydebrand, der
Verlagsbuchhändler Giefecke-Teubner und Geh. Baurat Dr. Ing. v. Rieppel,
endlich Frauen wie Gertrud Bäumer, Elifabeth Gnauck-Kühne, Helene
Lauge und Marie Martin.

Im ganzen find es 84 Mitarbeiter, fodaß auf jeden
durchfchnittlich nur 5—6 Seiten kommen, alfo mehr Vota
als Auffätze. Schade, daß der Herausgeber diefe Beiträge
einfach nach dem Alphabet der Mitarbeiter und nicht
fachlich geordnet hat. Eine folche Sachordnung war zwar
nicht ganz leicht, da manche Mitarbeiter fich über ver-
fchiedene Gegenftände äußern; aber doch möglich, da
die allermeiften fich auf ein beftimmtes Thema befchrän-
ken. Für eine etwaige neue Auflage empfehle ich
dringend eine folche Sachordnung; fie erhöht wefentlich
die Überfichtlichkeit und damit die Wirkung.

In dem Buch weht trotz der Zahl und Mannigfaltigkeit
der Beiträge doch ein ftarker einheitlicher Geift, der
des deutfehen Sozialidealismus. Daher die ftarke
Betonung der Jugendpflege und der Fortbildungsfchule,
zur Überwindung der Jugendwüfte'; daher das Überwiegen
der erziehlichen Aufgaben (Willensbildung1, Körperpflege
, ftaatsbürgerliche Erziehung, weibliches Dienftjahr!)
vor den unterrichtlichen, (obwohl auch zu einzelnen
Unterrichtsfächern wertvolle und intereffante Beiträge j
geliefert find, z. B. Erweiterung der lateinifchen Lektüre
durch Auguftin, mehr praktifche Anwendung in der
Mathematik, Verftärkung des deutfehen, gefchichtlichen
und erdkundlichen Unterrichts, und — mir befonders lieb —
die mehrfache Forderung einer philofophifchen Propädeutik
als Anleitung zum philofophifchen Denken). Ich
rechne weiter hierher den immer wieder geforderten Auf-
ftieg der Begabten mit ftrenger Auslefe der fozial Bevorzugten
, das weibliche Dienftjahr und die ftaatsbürgerliche
Erziehung auch in den Fortbildungsfchulen, die Rückficht
auf Berufstüchtigkeit ohne kurzfichtiges Banaufentum,
die Verbefferung der Lehrerbildung: mehr wiffenfehaft-
licher Geift auf den Seminaren, eine gründliche pädago-
gifche Bildung der zukünftigen Oberlehrer auf den Hoch-
fchulen (gefordert von Lehmann, Rein, F. L Schmidt,
Stern). Nicht zum wenigften aber ift hocherfreulich die
Einmütigkeit, mit der eine deutfehe Schule gefordert
wird d. h eine Schule, die mehr als bisher von deutfehem
Geift, vom Geift des deutfehen Idealismus (Richert) getragen
ift, deshalb der Pflege der deutfehen Sprache,
Literatur, Gefchichte und Kunft mehr Raum gönnt, aber
ohne jeden Chauvinismus.

Dabei bleiben natürlich eine Reihe von Prägen um-
ftritten. Es handelt fich in diefem Buche weniger um
den Kampf um die alten Sprachen als um die Einheits-
fchule, das Berechtigungswefen, die Vorbildung der

lj Den Alkoholismus bekämpft Hartmans, der Sexualpädagogik
wird nur gelegentlich gedacht.

Volksfchullehrer (Seminar oder Univerfität) und die
Gabelung und Bewegungsfreiheit auf der Oberftufe
höherer Schulen (fie wird vielfach gewünfeht; Hillebrandt
warnt wegen der Gefahren, die aus der ungleichmäßigen
Vorbereitung für den wiffenfehaftlichen Betrieb der Univerfität
erfolgen).

Zwei Beiträge find dem evangeUfchen Religionsunterricht1
gewidmet. Prov. Schulrat a. D. Voigt
fchreibt über die apologetifche Aufgabe des R.U., und
Lic. von Soden trägt, auf Grund feiner Lehrtätigkeit
am Elifabeth-Lyceum in Berlin-Lichterfelde und feiner
Erfahrungen als Feldgeiftlicher, eine Reihe fehr beachtlicher
Wünfche vor: mehr Kirchengefchichte, mehr Kirchenlied
(gefangen!) und weniger Katechismus, das foziale
Ethos der Bibel mehr entfalten, die heroifchen Züge Jefu
betonen, Paulus als Miffionar und nicht als Theologen
fchildern, in der Methodik die Gefetze der Kinderpfycho-
logie, befonders im Anfangsunterricht, nicht länger mißachten
, die beklagenswerte Scheidung von Religion und
und Leben überwinden!

Hannover-Kleefeld. Schu fter.

Wohlgemuth, Dr.J.: Das Bildlingsproblem in den Oftjudenfrage.

[S.-A. aus Jefchurun. 3. Jg.] (IV, 80 S.) gr. 8°. Berlin,
Verlag des Jefchurun 1916. M. I.30

Die Oftjudenfrage ift für uns Deutfehe eine Frage
erftens der Politik, zweitens der Menfchlichkeit. Die örtlichen
Juden lieben das Land Polen, das feit mehr als
einem halben Jahrtaufend ihre Heimat geworden ift. Daher
wünfehen wir ihnen, daß fie dort glücklich werden, von
der ruffifchen Knute befreit und gegen polnifches Joch
(die Polen find Antifemiten) gefichert. Um der Deutfehen
in Konpreßpolen willen müffen wir wünfehen, daß die
Juden dort nicht verpolt werden. Solche Verpolung
wird übrigens nur von der kleinen, aber rührigen Schicht
der Affimilanten gewünfeht, würde aber die Juden, fofern
fie ihre Religion beibehalten, nicht fchützen gegen die
Feindfchaft der Polen, welche ebenfo fehr Fanatiker der
römifch-katholifchen Religion wie Slaven find. — Für
die Juden handelt es fich um eine Frage erftens der
Religion, zweitens der Nationalität. Der Rabbiner f.
Wohlgemuth in Berlin, Anhänger der ftreng gefetzestreuen
Richtung, erörtert die Angelegenheit natürlich vorwiegend
vom jüdifchen Standpunkte aus; er nimmt dabei aber
wiederholt Gelegenheit, feine Liebe zu Deutfchland ftark
zu betonen. Der bisherige Unterricht im Cheder (jüd.
Elementarfchule) und in der Jefchiba (Talmud- Hochfchule)
bedürfe freilich der Reform, werde aber in feinem Wert
für allgemeine Bildung gewöhnlich unterfchätzt. Für die
jüdifche Religion fei das gefetzestreue örtliche Judentum
ein Jungbrunnen und müffe als folcher erhalten werden. —
Die lange Erörterung über die ,Einheitsfchule' in Deutfchland
gehört nicht zur Sache und wäre beffer fortgelaffen.
Unklar find die Sätze S. 45 .Wollen die Zioniften. . ..' und
S. 59 ,Der letzte Beweis . .' S. 36 ift .Diefterweg' ftatt
.Dingelftädt' zu lefen. Allen, die mit dem in Frage
flehenden Problem fich befchäftigen, fei das mit Sachkunde
und innerer Teilnahme gefchriebene Büchlein zum
ernftlichen Erwägen empfohlen.

Berlin- Lichterfelde Wert. Herrn. L. Strack.

Quellenrammlung für das geltende Kirchenrecht, hrsg. v. N.
Hilling. 4.-6. Heft. 8°. Bonn, P. Hanftein 1916.

4. Hilling, Prof. Dr. Nikolaus: Die kirchlichen Strafgefetze
(Censurae latae sententiae). (63 S.) M. — 80. — 5. Derf.: Die
kirchlichen Büchergefetze (58 S.) M. — So. —6. Derf.: Der
kanonifche Eheprozeß (73 S.) M. 1 —

Von der ,Quellenfammlung für das geltende Kirchen-

1) ReL Unt. in der Fortbildungsfchule wird, wenn ich mich recht
erinnere, nur von katholifcher Seite gefordert.