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Ausgabe:

1917 Nr. 4

Spalte:

84-87

Autor/Hrsg.:

Dorner, August

Titel/Untertitel:

Die Metaphysik des Christentums 1917

Rezensent:

Troeltsch, Ernst

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Theologifche Literaturzeitung 1917 Nr. 4.

84

Trotzdem ift die hiftorifche Untersuchung D.s nicht
wertlos. D. Stellt zuerSt in engem Anfchluß an die Ausführungen
von H. Scholz in deffen Ausgabe der ,Kurzen
Darstellung' heraus, daß Schl.'s rein praktisch-kirchliche
Zweckbestimmung der Theologie nicht haltbar ift, daß
Sie aber von einer anderen durchkreuzt wird, die die
Darstellung des Christentums als pofitiver d. h. hiftorifch
bestimmter Größe zur Aufgabe der Theologie macht.
D. zeigt dann, daß Schi, eine Vereinigung einer empiri-
fchen Darstellung mit einer Spekulativen Ableitung des
Christentums aus Ideen Sucht. Das eigenartige Verhältnis
des Spekulativen und des Empirifch-hiftoiifchen, das der
Idee nach Sich decken müßte, aber in Wirklichkeit nur
ein .Gegeneinanderhalten' des Empirifchen und der Spekulativen
Begriffe unfrer Vernunft ermöglicht, ift die
eigentümliche Methode Schleiermachers, in der er eine
Mittelstellung zwifchen der Schelüng-Hegelfchen Spekulation
und einem ideenlofen Empirismus einnimmt. Die
Untersuchung D.s wäre noch fruchtbringender gewefen,
wenn er auch die Dialektik Sehls hinzugezogen hätte, in
der (S. 170f.; 142 fr. ed. Jonas) die .begleitende Beziehung'
des Empirifchen auf das Spekulative befonders deutlich
gefordert ift. Vor allem hätte an §§ 3 — 14 der Glaubenslehre
(2. Aufl.) gezeigt werden Sollen, wie das Christentum
von der Erfahrung der Erlöfung durch Chriftus aus
empirifch-hiftorifch verstanden und doch zugleich fpeku-
lativ-apriorifch als gefühlsmäßige Erfaffung des in allem
Endlichen Sich offenbarenden Unendlichen verstanden
wird. Der .Anfchluß an die höchste wiffenfchaffiche
Konstruktion' bedeutet für Schi, nicht wie für D., daß
wir ,auf das ungewiffe Meer der allgemeinen philofophi-
fchen Spekulation hinausgetrieben' (S. 46) werden. —
D. will die empirifch-hiftorifch-pofitiven Elemente der
Theologie Schl.s verstärken. Aber Sucht nicht die heutige
Philofophie im Grunde ebenfo wie die Schl.s eine
Vereinigung des Rationalen und des Irrationalen, eine
Durchdringung des Hiftorifchen mit Spekulativen Ideen
und Sieht doch ebenfo wie Schi, ein, daß diefe Aulgabe
fich Stets nur annähernd löfen läßt, weil Sich das Em-
pirifche nie völlig in eine begriffliche Konstruktion hineinlangen
läßt?

Bafel. Johannes Wendland.

Revue de Theologie et de Philosophie. Nouvelle serie. Tome
IJIüme (1915). (412 S.) gr. 8°. Laufanne, Bureau de
la Redaction. fr. 12 —

Diefe alle zwei Monate in Laufanne erscheinende
Revue ift, wenn ich nicht irre, in diefem Blatte noch niemals
angezeigt worden. Und doch verdient fie diefe
Ehre in jeder Beziehung; hat Sie doch eine lange arbeit-
und erfolgreiche Gefchichte hinter fich. Gegründet im
Jahre 1868 durch eine Gruppe namhafter Theologen
und Philofophen, hatte fie fich anfangs eine befcheidene
Aufgabe geftellt, die in dem Namen, den die Zeitschrift
in den erfiten Jahren trug, zum Ausdruck gebracht wurde
,Compte-rendu de theologie et de philosophie'; fo gab
z. B. Aftie fehr eingehende Berichte über Rothes Ethik,
auch über moderne Veröffentlichungen; der einzige der
noch lebenden Gründer H. Vuilleumier vermittelte feinen
Lefern die Kenntnis der neueren Forschungen auf dem
Gebiet des Alten Testaments. Auf die Länge genügte
die einfache und eng begrenzte Arbeit des Berichterstatters
den Herausgebern nicht mehr; immer zahlreicher
und umfaffender wurden die Selbständigen Beiträge, die
auch von einem weiteren Kreife von Verfaffern geliefert
wurden; nicht feiten erwuchfen aus den in regelmäßiger
Reihenfolge erfcheinendenKapiteln umfangreiche Schriften,
die den Rahmen von Gelegenheitsartikeln Sprengten. Vor
drei Jahren erlebte die Zeitschrift eine weitere Umgestaltung
durch Neukonftituierung des aus jüngeren Kräften
gebildeten Comite directeur, welches eine noch entfchie-
denere Schwenkung nach der kritifchen, vorwiegend nach

I der religionsgefchichtlichen Seite vollzog. Doch trägt
jeder Verfaffer die Verantwortung der von ihm gelieferten
Beiträge, und der weitefte Spielraum wird den einzelnen
Mitarbeitern gelaffen; die .Revue de Lausanne', wie man
fie feit langer Zeit zu nennen liebt, Steht nach wie vor
nicht im Dienft irgend einer Schule oder Partei.

Davon gibt auch der vorliegende Jahrgang 1915
einen entscheidenden und willkommenen Beweis. Der
früheren Tradition der Zeitfchrift entfpricht es, daß eine
nicht geringe Zahl der Artikel aus kritifchen Referaten
befteht; fo die Charakteristik der religionsgefchichtlichen
I Schule, nach Greßmann; Gunkel's Studie: Was haben wir
i am alten Teftament? die kritifche Auseinandersetzung

G. Berguers mit Riviere's und Babut's Schriften über die
Erlöfung, und M. Goguel's mit A. Weftphal über Jefus
von Nazareth'; R. Bouvier's Umfchau über die Anfänge
der wiffenfchaftlichen Pfychologie in Deutschland (Herbart
, lAchner, Helmholtz). In'diefelbe Reihe gehören
die nekrologifchen Beiträge über L. Emery, Joh. Weiß,

I J. Rouffiac (einen Schüler Deißmann's), P. Wendland.
! Von dem Kriegsproblem handein drei Stücke: A. Rey-
: mond, Les deux morales et la guerre, La morale evangeli-
j que et la guerre, Les Quakers et la guerre, die drei
wefentlich im Sinne des Pazifismus. Beachtenswert find
die Abhandlungen von A. Naville, die Theorie von den
zwei Wahrheiten; L. Humbert, Qoheleth; E. Lombard,
Der Montanismus und die Infpiration; Carrel, Der Begriff
der Erfahrung. Einen Streng konservativen Standpunkt
vertritt Ch. Porret, das Wefen des Evangeliums. In die
Lokalgefchichte Genfs führt uns die .hiftorifche Skizze'
Olivet's über die .Venerable Compagnie' ein. Die umfangreichste
(S. 161—236) und zweifellos wertvollste Arbeit
liefert der fchon oben erwähnte Mitbegründer der Revue,

H. Vuilleumier, über die Bibelgefellfchaft des Kantons Waadt,
die am 30. Dezember 1914 den Gedenktag ihres hundertjährigen
Beftehens feiern durfte. Durch die Gründlichkeit
und Reichhaltigkeit der Quellenforschung, durch
die gefchickte und geistvolle Einfügung der Darstellung
in einen größeren Zusammenhang, gestaltet fich diefe
klare, lebendige, Stellenweife mit Humor gewürzte Erzählung
zu einem Kabinetftück hiftorifcher. Kunft; die
intereffante, unter uns ganz unbekannte Perfönlichkeit
David Levade's (1750—1833), die kirchliche und theologifche
Welt der Weftfchweiz, die auf Aufklärung und
Reveil dankenswerte Streiflichter wirft, der Ertrag des
hier Gebotenen für die Kenntnis der Übersetzung und
Ausbreitung der Bibel in franzöfifcher Sprache, Sichern

i diefem Hefte des 3. Bandes der neuen Revue eine blei-
I bende Bedeutung. Wir wünfchen dem tapferen Unter-
| nehmen den wohlverdienten Erfolg.

Straßburg i. E. P. Lobltein.

Dorner, Prof. D. Dr. Aug.: Die Metaphylik des Chriltentums.

(VII, 666 S.) gr. 8°. Stuttgart, W. Spemann.

M. 12.60; geb. M. [4 —

Den metaphyfifch-logifchen Gehalt der christlichen Idee
und das in ihr wirkende fpezififche apriorisch-logifche Motiv
herauszustellen, wäre eine wichtige Aufgabe. Die großen
metaphyfifchen Gedankengebilde haben, indem fie über
das empirifche Denken hinausgehen, mit deffen Logik
nicht ausreichen und daher von dem gerade fie beherrfchen-

j den Grundgedanken aus eine eigentümliche metaphyfilche
Logik entwickeln, Sämtlich ein eigentümliches Gepräge

! und unterfcheiden fich dadurch von dem bloßen anthro-
promorphen mythifchen Phantafiedenken. Man würde
von hier aus z. B. für den Piatonismus, den Buddhismus,
die prophetifch-chriftliche Ideenwelt, die Gnofis ufw. verschiedene
logifche Motive, Verfahren und Ausgangspunkte
aufweifen und dadurch erft ganz in die inneren
Unterfchiede diefer Gebilde eindringen können. Das
Buch von Dorner Stellt Sich nun freilich nicht diefe phänomenologische
Aulgabe, fondern vielmehr eine dogma-