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Ausgabe:

1917 Nr. 4

Spalte:

80-82

Autor/Hrsg.:

Vaihinger, Hans

Titel/Untertitel:

Der Altheismusstreit gegen die Philosophie des Als Ob und das Kantische System 1917

Rezensent:

Heim, Karl

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79 Theologifche Literaturzeitung 1917 Nr. 4. 80

mir einige Gegenbemerkungen zu feinen Ausftellungen
an den von mir u. a. in diefer Zeitfchrift I9I2 Sp. 177 ff.
vorgetragenen von den feinen abweichenden Anflehten
geftattet. Es handelt fich um drei Punkte, auf welche
von ihm S. 132 aufmerkfam gemacht ift. 1. A. hält die
von ihm mit a bezeichnete Erfurter Ausgabe des Kl. Kat.
(1529) für den älteren Nachdruck einer verloren gegangenen
erften oder zweiten Wittenberger Originalausgabe in Buchform
, dagegen die von ihm mit 7 bezeichnete Marburger
Ausgabe (1529) für den jüngern, bei deffen Anfertigung
jener benutzt fei. Ich halte dagegen 7 für einen ohne
Kenntnis von a veranftalteten Nachdruck jener erften
Buchausgabe und nehme an, daß in diefer das wenig
notwendig erfcheinende Scholion zu dem Worte .Wohlgefallen
' in dem Tifchgebete Benedicite noch nicht ge-
ftanden hat.

Albrecht begründet feine gegenteilige Anficht u. a. mit der Annahme,
in y fei das fchon in der Originalausgabe vorhanden gewefene Scholion
fortgelaffen, wie das bei Randgloffen öfter in Nachdrucken vorkomme
S. 135. Für feine Anficht beruft er fich auch auf die bekannte Abfchrift
von Stiefel, die nach dem Originale angefertigt fei und das Scholion
habe. Mir liegt diefe Abfchrift nicht vor, aber nach dem Abdruck von
ihr, den A. S. 269 im angeführten Bande der Lutherausgabe veröffentlicht
hat, ift die Randbemerkung mit einer langen Schleife als unter den Text
der betreffenden Stelle gehörend bezeichnet, wie fie denn u. a. auch in
der Schirlentzfchen Ausgabe von 1536 dorthin wirklich geftellt ift. Diefe
Schleife in Stiefels Abfchrift macht nun aber den Eindruck, daß es fich
um einen Nachtrag der Gloffe handelt, den Stiefel hinzugefügt hat, als
er feine Abfchrift des Originals bereits feit kürzerer oder längerer Zeit
angefertigt hatte und fie dann in einer fpäteren Ausgabe des Kl. Kat.
vorfand. Danach würde die Stelle in der Stiefelfchen Abfchrift nicht
beweifen, was fie nach A. hinweifen foll.

2. Ich habe f. Zt. die Meinung vertreten, daß Luther
in der Erklärung der 5. Bitte ,zwar den' (= denen) ge-
fchrjeben hat, wie der Marburger Nachdruck (1529) lieft.
Albrecht verteidigt dagegen die Lesart ,zwarten' als die
urfprüngliche.

Ich hatte ,zwarten' als ein hochdeutfehes Wortungeheuer bezeichnet,
das Luther nicht gebraucht haben könne. Diefe letztere Vermutung
beftätigt fich nicht. Es kommt bei ihm in der Tat vor; ob im Großen
Kat. W. A. 30 I, S. 167, wie A. meint, ift freilich mehr als zweifelhaft,
da dort ,zuwarten' fleht, was in dem Zufammenhange des Textes als
Zeitwort aufzufallen fein wird; wohl aber in der Jenaer Ausgabe 4,446h,
wo es heißt: (Ich) ,will zw rrten gern helfen beten', ferner 5,76b: ,Ich
will zwarten meine Vermeffenheit gerne geftraft . . . haben'; in der
Weimarer Ausgabe 34 II, 184,8: ,da wollt ich gern . . . zwarten auch

fagen gratias ago; 34 I, 48,4: ,Nos offerimus Papae.....omnia facere

. . . und zwarten am Freitag Fifch effen'. Diefe Stellen genügen zum
Belege, daß Luther das Wort gebraucht hat. Was die Lexika, die A.
nennt, über fonftiges Vorkommen des Wortes nachweifen, hat danach
nur untergeordnete Bedeutung, weil es fich, foviel ich fehe, lediglich um
Belege aus der nachlutherifchen Literatur handelt. Jedenfalls findet fich
die P'orm .zwarten' nicht angeführt im Etymologifchen Wörterbuche von
Kluge, in dem Frühhochdeutfchen Gloffar von Götze, in dem Mittelnie-
derdeutfehen Wörterbuche von Schiller und Lübben, in dem Mittelhoch-
deutfehen Wörterbuch von Müller, und Weigand wie Heyne haben
es nicht für nötig gehalten, die Form zu erwähnen. Sie entflammt
offenbar dem Niederdeutfchen ,twarsten' und kommt landfehaftlich auch
heute noch in der Form ,zwarften' vor, die ich abwechfelnd mit dem
Worte ,fchouften' aus dem Munde eines fozialdemokratifchen Volksredners
, der aus Helfen (lammte, wiederholt gehört habe. Wie in andern
Fällen erweift fich Luther auch in diefem Falle von dem niederdeutfchen
Dialekt beeinflußt, der in Wittenberg zu feiner Zeit noch der vorherr-
fchende war. Luther hat alfo die Form .zwarten' wiederholt gebraucht.
Daraus folgt aber nicht, daß er fie auch bei der Auslegung der 5. Bitte
angewandt hat. Das Wort, um das es fich handelt, hat die Bedeutung
einer Verficherungspartikel. Von Bugenhagen wird es durchaus zutreffend
mit ,vor war' wiedergegeben. Diefer überfetzt ,zwar' in der 6. Bitte
ebenfalls mit .vorwaer', in der I. Bitte dagegen mit den Worten ,yt is
waer'. Es liegt doch nahe, zu vermuten, daß er im hochdeutfehen Texte
nicht bloß bei der 1. und 6. Bitte, fondern auch in der 5. Bitte ,zwar'
gelefen hat, und es ift nicht anzunehmen, daß Luther ohne fichtbaren
Grund mit den Vokabeln ,zwar' und .zwarten' gewechfelt haben follte.
Dies führt dahin, wie ich glaube, die Lesart ,zwar den' als die urfprüngliche
anzufehen. Geftützt wird diefe Meinung noch durch Lesarten wie
zwar/den', ,zwar Inn' (= ihnen), Verfetzung von ,den' vor den Relativ-
fatz: ,die fich an uns verfündigen', Varianten unferer Stelle, die Beachtung
verdienen dürften und nicht lediglich für willkürliche Änderungen
des vorgefundenen Textes ausgegeben werden füllten.

3. Albrecht vertritt die Anficht, welche als die bisher
wohl mehr oder weniger allgemein angenommene
gelten darf, daß die Bezeichnung .Enchiridion', welche
fich zuerft an der Spitze des Titelblattes der zweiten
bzw. dritten Wittenberger Ausgabe 1529 vorfindet und

feitdem in den fpätern Ausgaben regelmäßig wiederholt
: wird, von Luther herrühre, während ich fie auf das
Konto des Druckers oder Buchführers Schirlentz fetze.

A. bezieht diefen Titel auf den Kl. Katechismus mit den bekannten
; Zugaben zu ihm bis zu den Reimzeilen: ,Ein jeder lern feine Lektion'
j ufw., während ich ihn als Gefamtbezeichnung für das von Schirlentz
i zufammengeftellte Buch auffaffe, welches außer dem Katechismus mit
i jenen Zugaben auch noch eine Reihe von liturgifchen Formularen enthält,
nämlich das Traubüchlcin, das Taufbüchlein, eine kurze Weife zu beichten,
1 die deutfehe Litanei mit Noten und drei Gebete, fodaß es gegen die
! frühere Ausgabe zu einem .Agendbuchlein' ausgewachfen ift, wie ein
folches mit analogem Inhalte 1529 oder vielleicht fpäter in Bafel erfchie-
I nen ift. Daß der Gefamttitel Enchiridion nicht von Luther herftammt,
fondern vom Buchhändler gewählt fein wird, vielleicht um den von Luther
verfaßten Katechismus dem Enchiridion Melanchlhons (1523) an die Seite
zu ftellen, möchte aus Folgenden hervorgehen: Die erften Ausgaben, bei
deren Veröffentlichung Luther direkt oder indirekt tätig gewefen, haben
, das Wort noch nicht auf dem Titel, nämlich weder der Tafeldruck, noch
j die erfte Buchausgabe, die wir aus den in Marburg und Erfurt erfchie-
| nenen Nachdrucken kenneu, noch die niederdeutfehe Cberfetzung von
Bugenhagen, noch die dänifche von Wormordfön, noch die von Petrus
j Palladius, noch endlich die lateinifche Überfetzung von Sauromannus. Die
j zuletzt erwähnte Tatfache verdient Ltefonders angemerkt zn werden, da
I Sauromannus Alphabete u. dgl. dem Katechismus vorangeftellt, ihn alfo
; zu einem elementaren Schulbuche benutzt hat, für welches die fonft übliche
1 Bezeichnung Enchiridion von ihm kaum vermieden worden wäre, wenn
Luther, in deffen Auftrage er die überfetzung anfertigte, feinen Katechismus
als Enchiridion bezeichnet gehabt hätte. Es kommt hinzu, dal!
Luther fein in Frage flehendes Buch niemals als Enchiridion, fondern
immer nur als Katechismus oder ähnlich bezeichnet hat. Gewähr dafür
ift mir, daß Albrecht S. 541 der Weimarer Ausgabe keine Stelle aus
; Luthers Schrifteu namhaft zu machen gewußt hat, in welcher der Kate-
i chismus von ihm .Enchiridion' genannt ift. Bei feiner Kenntnis der
Lutherfchen Schriften, welche die meine bei weitem übertrifft, würde er
fich gewiß ein bezügliches Zitat nicht haben entgehen lalfen, wenn es
beizubringen möglich gewefen wäre. Da A. in feinem Buche wiederholt
i auf die Möglichkeit hinweift, daß buchhändlerifcher Einfluß auf die Ge-
' Haltung der Buchausgaben des Kl. Kat. ausgeübt hat, z. B. S. 149 (drei-
' mal), 150, 159 und 160, fo kann auch meine Vermutung, daß der Titel
Enchiridion, der fich dann auf das ganze Buch, nicht nur auf den Kl.
Kat. bezieht, von Schirlentz und nicht von Luther herftammt, von ihm
kaum als haltlos bezeichnet werden. Wie wenig Luther geneigt war,
feinen fchriftftellerifchen Sammelwerken den damals gern angewandten
Titel .Flnchiridion' beizulegen, ergibt fich auch daraus, daß er feine für
j den Gottesdienft der Wittenberger Gemeinde beftimmte Sammlung von
Liedern nicht als Enchiridion, wie vor ihm von Buchdruckern für ähnliche
Sammlungen gefchehen war, fondern als .Geiftliche Lieder' bezeichnete,
j was bisher nicht genügend beachtet ift.

Man mag es entfchuldigen, daß ich fo eingehend
über die Verfchiedenheit der Anflehten zwifchen Albrecht
und mir habe berichten müffen in PTagen, welche m. E.
literarhiftorifch nicht ganz gleichgültig find. Ich glaubte,
es tun zu müffen nach dem Grundfatze: audiatur et
altera pars, nicht aber in der Meinung, daß dadurch ein
Ausgleich unferer Auffaffungen gefichert würde. Vielleicht
aber wird es nicht nötig fein, daß die Differenz
noch einmal bei künftigen Arbeiten über den Kl.
Katechismus aus der Paeder Albrechts oder der meinen
eingehend erörtert wird.

Zum Schluß noch eine Bemerkung: S. 165 heißt es, Joh. SaUermanu
fei wohl ideutifch mit dem im Winterfemefter 1518 in Wittenberg immatrikulierten
Johannes Sauermann de Cupferberg dioc. Bambergen, gewefen
. Es fcheint mir auch möglich, daß er der Johannes Sauermann
de Hyreyden gewefen, der im Sommerfemefter 1511 in der Erfurter
Matrikel eingetragen ift (Vgl. Dr. T. C. Herrn. Weilfenborn, Acten der
Erfurter Univerfität. Halle 1884. 11, 270.31). — Die Drucklegung des
Albrechtfchen Buches ift eine korrekte, doch find dem fcharfen Auge des
j Vf. folgende Druckfehler entgangen; S. 51, Z. 5. v. u.: Prof. für Prof.;
I S. 58. Z. II. v. u. snb ftatt sub; S. 115. Z 8. v. o. Katechismusunter-
j fuchung ftatt- unter weifung; S. 131. Z. I. v. n. ift das f in dem
Worte „fort" ausgefallen.

Göttingen. K. Knoke.

WefTelsky, Anton: Forberg und Kant. Studien zur Ge-
fchichte der Philofophie des Als Ob und im Hinblick
auf e. Philofophie der Tat. (V, 80 S.) gr. 8°. Wien,
F. Deuticke. M. 2.50

! Vaihinger, Hans: Der Atheismusttreit gegen die Philofophie
des Als Ob und das Kantifche Syftem. (IV, 32 S.) gr.8°.
Berlin, Reuth er & Reichard I916. M. I —

Die zunehmende philofophifche Literatur, die fich
I an Vaihingers ,Philofophie des Als Ob' (vgl. die Be-