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Ausgabe:

1917

Spalte:

63-64

Titel/Untertitel:

Jahrbuch der Philosophischen Gesellschaft an der Universität zu Wien 1914 und 1915 1917

Rezensent:

Dorner, August

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Seite 1

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auch darüber urteilen mag, man wird in L.s eindringen- fikation der Hypothefen ermöglichen. Kurz der Ver-
der Arbeit wertvolle Anregung finden. j faffer meint, wir brauchen Theorien nicht nur um die

p ,. tt m i ff Dinge zu ordnen, fondern auch um die Theorien durch

BerÜn- _ M. muierr. ; Kla(flfikation zu ordnen.

--Der Vortrag von Vetter, Zur Philofophie der kunft-

Jahrbuch der Philolophifchen Gefelifchaft an der Univerfität j gewerblichen Arbeit', gelangt durch einen hiftorifchen
ZU Wien 1914 u. 1915. (Wiffenfchaftliche Beilage zum j Überblick zu dem Refultate, daß es die Aufgabe der
27. u. 28. Jahresbericht.) (IV, 165 S.) gr. 8°. Leipzig, ' Gegenwart fei, die Arbeit, insbefondere die handwerkliche
T A ■RoffV. ,n,r tut f: Arbeit zugleich zu einer künftlerifchen zu geftalten, und

j. /v ßartn 1910. m. o ]eugnet den wefentlichen Unterfchied zwifchen Kunft und

Im erften Vortrag behandelt das Thema ,das Neue j Gewerbe, wie den zwifchen Kunltgewerbe und anderem
am Neurealismus' H. S. Fullerton. Der Verfaffer lehnt j Gewerbe, und verlangt von der Arbeit, daß fie Stil habe,
den extremen Realismus ab, der fo weit geht, felbft | jn der Edelarbeit verlangt er vom Schaffenden die Treue
Phantafien und Schmerzen für felbftändige Realitäten zu ' gegen fich felbft, daß er fich keinen Fehler nachfieht, die
halten; auch wenn man ihn nicht fpürt, foll z. B. der ■ Treue gegen den Stoff, den er nicht verfälfchen darf, und
Zahnfchmerz objektiv exiftieren. Der Verfaffer felbft ; die Treue gegen den Gebraucher, den er nicht betrügen
empfiehlt einen gemäßigten Neurealismus, den er als darf. Wenn die Ausführungen des Verfaffers auch die

Kunft im engeren Sinne nicht genügend von dem Gewerbe
unterfcheiden, fo ift es doch auch im ethifchen lntereffe

Phänomenalismus bezeichnet, weil die Welt, die wir er
kennen, die in der Erfahrung gegebene Welt nicht ein
Ding an fich fei. Er unterfcheidet in der Erfahrung eine
fubjektive Form der Erfcheinung und eine objektive.
Z. B. kann durch die verfchiedene Stellung des Subjekts
zum Gegenftand diefer ein verfchiedenes Ausfehen haben,

verdienftlich, daß er den Mechanismus der Arbeit durch
die Beziehung auf die Kunft zu heben fucht.

,Über foziale Wertmaßftäbe' fpricht Adolf Menzel in
einer gefchichtlichen Betrachtung, in der er befonders

während auf der andern Seite z. B. die Veränderungen den Begriff der Gerechtigkeit und der Glückfeligkeit
an einem Baum durch die Bewegung des Windes der j hiftorifch verfolgt, und im Ganzen darauf hinweift, daß
objektiven Ordnung zugehören, und diefe Unterfcheidung 1 bei allem Ungenügenden diefer hiftorifchen Verfuche, all-
zwifchen objektiv und fubjektiv fei direkt in unferer Er- j gemein foziale Wertmaßftäbe aufzuftellen, das Streben
fahrung gegeben. In diefem Sinne könne man auch j nach einem, das Herz ergreifenden Ideal als Bafis für
zwifchen Wirklichkeit und Erfcheinung unterfcheiden. j ejne Kritik beftehender Zuftände und grundlegende Re-
Fullerton findet diefen Realismus relativ neu, da er einen ! formen gefellfchaftlicher Einrichtungen von höchftem
Dualismus innerhalb der Erfahrung anerkenne und eine Werte fei.

Unabhängigkeit der phyfifchen Welt von rein fubjektiven Die Abhandlung von Bernheimer ,Über die VerEindrücken
annehme und damit dem populären Bewußt- ■ knüpfung der Zielnotwendigkeit, und ihre Bedeutung
fein nur zu größerer wiffenfchaftlicher Klarheit verhelfe. I für die empirifchen Wiffenfchaften komplexer Phänomene'
Freilich bleibt der Verfaffer mit diefem Neurealismus, der I fucht zu zeigen, daß es abgefehen von der kaufalen
zugleich Phänomenalismus fein foll. in einer Unklarheit j Verkettung im Einzelnen in den meiften Gebieten, beflecken
, indem ihm das objektiv exiftierende doch wieder j fonders in der Gefchichte eine Kaufalverkettung in großen
nur phänomenal fein foll; während er die Frage nach I Zufammenhängen gibt, der gegenüber die Veranlaffung

einem Ding an fich als unberechtigt von der Hand weift
und den Unterfchied zwifchen einer fubjektiven und objektiven
Ordnung nur in das Erfahrungsgebiet des Be-
wußtfeins legt.

Der zweite Vortrag von A. Stöhr ,Ift Metaphyfik
möglich', kommt zu dem Refultate, daß fie nicht durch
Erkenntnis, fondern nur durch praktifche Reaktion gegen
die Eindrücke, teils auf dem Wege der bauenden Phan-
tafie, teils des leitenden Gemüts, teils des rollenden
Wortes zuftande komme. Er unterfcheidet in diefem
Sinne die ,theorogone, pathogone, und gloffogone' Metaphyfik
. Die beiden erften Metaphyfiken werden
nicht erkannt fondern gelebt, durch die Tat und durch
die Gemütsbewegung. Die Logik foll nur ausmerzend
wirken, wenn die logifchen Konlequenzen aus den meta-
phyfifchen Einfällen den Tatfachen widerfprechen. Kurz,
Metaphyfik fei Kunft und nicht Erkenntnis, fie beruhe
auf der Gabe der Einfälle. Es ift mir gänzlich unver-
ftändlich, wie man die Unerkennbarkeit der Metaphyfik
behaupten, und doch auf der anderen Seite zugeben
kann, daß die auf praktifchen Antrieben ruhende Metaphyfik
möglich, wirklich, ja eine Macht in uns fei.

Der dritte Vorlrag ,Zur Klalfifikation von Hypo-
thefenfyflemen'von Otto Neurath, fucht zu zeigen, daß
die vergleichende Betrachtung der Flypothefenfyfteme
als Grundlage aller hiftorifchen Forfchung in zwei Etappen
erfolgen könne, indem man einmal eine Gruppierung der

einen mehr zufälligen Charakter zu tragen fcheine.
Z. B. ift es notwendig, daß die Sterblichkeit unehelicher
Kinder größer fei als die ehelicher, wie auch im einzelnen
Fall der Tod veranlaßt fei. Der Sturm, der die Armada
vernichtete, war nur die Veranlaffung; Spaniens Seemacht
wäre auch fo vernichtet worden, weil es nicht genug
innere Kraft befaß. B. bezeichnet diefe grollen Kaufal-
zufammenhänge als Zielnotwendigkeit im Unterfchied von
bewußter Zweckmäßigkeit, weil die großen Kaufal-
zufammenhänge notwendig auf ein beftimmtes Refultat
hinführen. Er bezeichnet die Zielnotwendigkeit als das
unbewußt Zweckmäßige und will es vom bewußten Zweckhandeln
unterfchieden wiffen. Das hindert ihn aber doch
nicht, mit Kant neben dem Pankaufalen das Panteleolo-
gifche als eine andere Betrachtungsweife gelten zu laffen.
Es ift jedenfalls verdienftlich, in der kaufalen Verkettung
auf die Bedeutung der großen Zufammenhänge im Unterfchied
von der Einzelverkettung in faft allen Gebieten
hingewiefen zu haben.

Endlich weift W i e s n e r auf einige Mängel von H.Spencers
Evolutionstheorie hin. Er habe" fprungweife Entftehung
und Entwickelung nicht unterfchieden, das Sein und Beharren
nicht berückfichtigt, der Begriff der Integration
fei nicht klar beftimmt, und die Auflöfung könne nicht
unter den Begriff der Entwicklung fallen, und aus dem
vollkommenen Gleichgewicht brauche nicht Auflöfung
hervorzugehen. Er tadelt ferner mit Recht, daß er das
Elementaranfchauungen vollziehe, bei der man nicht bei j Superorganifche, d. h. die durch den Menfchengeift gebloßen
Dichotomien flehen bleiben foll, wie z. B. der fchaffenen Organifationen, nach den mechanifchen pbyfi-
bloßen Entgegenfetzung der Undulations- und der Emif- | kalifchen Analogien zu verftehen fuche. Man könne

fionstheorie des Lichtes, oder des Gegenfatzes von Rea
lismus und Idealismus, Schutzzoll und Freihandel ufw.,
fondern in umfaffenderer Weife den elementaren Unterfchieden
nachgehen foll. Die zweite Etappe wird durch
Zurückgehen auf die Gefamt-Weltanfchauung eine Klaffi-

nicht alles auf Entwicklung zurückführen. Spencer habe
wie Darwin das Beharrungsvermögen nicht genügend
berückfichtigt.

Godesberg a. Rh. Dorner.