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Ausgabe:

1917 Nr. 3

Spalte:

61

Autor/Hrsg.:

Bergmann, Ernst

Titel/Untertitel:

Fichte, der Erzieher zum Deutschtum 1917

Rezensent:

Hirsch, Emanuel

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Theologifche Literaturzeitung 1917 Nr. 3

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Steht es aber endlich vor unteren Augen als der gerechte
Richter, der unerbittlich das Böte ftraft, fo wird es zu
Gott dem heiligen Geilte. So bedeutet das Myfterium
der Dreieinigkeit nichts anderes als diefe moralifchen
Eigenfchaften Gottes d. h. des Sittengefetzes: die Heiligkeit
, Gnade, Gerechtigkeit. — Diefe kurze Darlegung zeigt
fchon, wie an der Oberfläche bleibend der oft gegen
Kant erhobene Vorwurf eines ,bIoßen Moralismus' ift.
Insbefondere fei auch noch hingewiefen auf das ganz
trefflich klar gefchriebene und heute befonders .aktuelle' 1
7. Kapitel des Döringfchen Buches ,Kant und der Staat'.
So kann diefes Werk, bei dem nur (rein äußerlich) die zu
häufige Verwendung des Sperrdrucks etwas ftörend wirkt,
durchaus empfohlen werden.

Berlin, Artur Buchenau.

Bergmann, Priv.-Doz. Ernft: Fichte, der Erzieher zum Deutfch-
tum. Eine Darftellg. der Fichtefchen Erziehungslehrc.
(VIII, 340'S.) gr. 8°. Leipzig, F. Meiner 1915.

M. 5—; geb. M. 6 —

Art und Richtung des Buchs fpiegeln fich in der
Vorrede. ,Dies Buch . . fei . . allen denen dargebracht,
aus deren Bruft Fichtes .verzehrende Flamme der höheren
Vaterlandsliebe' in den letzten Kriegsmonaten hell em-
porgefchlagen, fagen wir alfo: dem ganzen deutfehen
Volk.' Oder auch in der Aufforderung S. 65: ,Wer den
echten Fichte fehen will, den Reformer, Heilslehrer und
Meffias, den großen Bringer eines neuen und doch fo
uralten Lichts, das den Völkern einer verfunkenen Kultur
bereits geleuchtet, der folge uns auf unferer Wanderung'.
Wiffenfchaftliche Ziele verfolgt Bergmann mithin nicht.
Er will durch eine zufammenfaffende Darfteilung die Erziehungslehre
Fichtes weiteren, insbefondere national begeiferten
Kreifen nahebringen. Da er leicht verftändlich
fchreibt und fall alle mittelbar und unmittelbar in Betracht
kommenden Themen und Fichtefchriften ausführ-
lichft behandelt (nur die Staatslehre ift gänzlich vergehen),
fo wird es ihm an dankbaren und anerkennenden Lefern
gewiß nicht fehlen.

Leider ift das Buch nicht geeignet, diefen Lefern
ein tieferes Fichteverftändnis zu vermitteln. Bergmanns
Fichtekenntnis hat ja eine erfreuliche Breite, und fein Stil
atmet Begeifterung, jedoch ein ernftes Mühen, Fichte bis
zur Wurzel denkend zu durchdringen, verrät fich nirgends.
Die Darfteilung von Fichtes Spekulation ift vielfach wenig
präzis oder mißverftändlich (z. B. S. 199). Mit dem Urteil
,dürrfte Scholaftik' und ,öde Wortklauberei' ift Bergmann
leicht bei der Hand (S. 199, 205). Zudem atmen
ihm die .meiften tlieoretifchen Lehrfchriften Fichtes' den
.Geift der Vergewaltigung freien Denkens' (S. 18). Aus
ähnlichen von außen herangebrachten allgemeinen Erwägungen
, die vielfach Allerweltsargumenten nur zu ähnlich
fehen und jedenfalls an die Eigenart Fichtes nicht
heranführen, beliehen die Anfätze kritifcher Auseinander-
fetzung auch fonft noch (z. B. S. 124 t).

Es liegt in diefer Methode ein Grundfatz. Bergmann
hält wenig oder nichts von Fichte dem Philofophen und
viel von Pichte dem .großen Prediger, Träumer und Seher'
(S. 65). Aber eben diefer Grundfatz wird durch Bergmanns
Buch auf jeder Seite widerlegt. Es beweift, daß
man keinen einzigen befonderen Gedanken Fichtes klar
und fcharf erfaffen kann, wenn man an der Wiffenfchafts-
lehre vorübergeht

Bonn. E- Hirfch.

Loew, Pfr. Lic. Wilhelm: Das Grundproblem der Ethik
Schleiermachers in leiner Beziehung zu Kants Ethik. (Kant-
ftudien. No. 31.) (VIII, 113 S.) gr. 8°. Berlin, Reuther
& Reichard 1914. M. 4 —

Die Schrift, W. Herrmann gewidmet, ,geht von der

Vorausfetzung aus, daß Kants transzendentale Methode,
wie fie Hermann Cohen feit mehr als einer Generation
klar gelegt hat, allein im Stande ift, die Ethik zu der
Giftigkeit zu erheben, deren fie als Führer im fittlichen
Leben der Völker wie der Einzelnen bedarf. Sie will
einen Beitrag zu der Frage liefern, ob und wie die Kan-
tifche Begründung der Ethik von den Philofophen nach
Kant verllanden worden ift. Die Unterfuchung gilt alfo
lediglich dem Philofophen Schleiermacher'. Darauf, wie
Schleiermachers Gedanken in feiner Zeit wurzeln, geht
Loew höchftens nebenher ein; ihn intereffiert lediglich die
innere Gefchichte des Problems der Grundlegung der
Ethik. Wie hat Schleiermacher fich zu der Kantifchen
geftellt, wie hat er feine Abweichungen begründet? Loew
läßt nicht außer betracht, worin beide Philofophen über-
einftimmen; es gibt Worte, in denen Schi, fein ethifches
Syftem unter Anerkennung des von K. gelegten Grundes
als Bearbeitung einer von K. unerledigt geladenen Aufgabe,
nämlich die Ethik im einzelnen auszuführen, anzufehen
fcheint. Aber fie find vereinzelt; ungleich ftärker tritt
Schl.'s Gegenfatz zu K. hervor. L. hat, wohl mit Recht,
Schi.'s ethifche Anflehten als wefentlich fich gleichbleibend
behandelt; etwaige Wandlungen werden nur geringfügig
fein. Er weift den Gegenfatz zu K. im einzelnen nach au
Sehls Auffaffung von der Ethik als der Theorie der Gefchichte
, feinem Begriff des höchften Guts, feinem Streben
nach bildender d. h. das wirkliche Leben konfluierender
und umfaffender Ethik, die defkriptiv, nicht imperativ ift,
endlich an feinem Freiheits- und Individualitätsbegriff.
Die Verwendung des Stoffs ift forgfältig, die Kritik, die
L. an Schi, übt, hervorragend fcharffinnig. Sie fetzt, um
nur ein Beifpiel anzuführen, dabei ein, daß Sehl, wenn er
Kants Ethik als Pflichtenlehre faßt, fie mißverftehe, fofern
bei K. der Begriff des Sittengefetzes dem nur zu feiner
Anwendung dienenden der Pflicht durchaus übergeordnet
ift. Den ganzen Gegenfatz der ethifchen Anflehten, um
j den es fich bei K. und Schi, handelt, kann eine kurze
Befprechung der L.fchen Schrift nur bezeichnen, nicht
erörtern; er durchzieht die neuere Gefchichte der Ethik
und begegnet charakteriftifch wieder z. B. in Troeltfchs
Auseinanderfetzung mit Herrmann (Grundfragen der Ethik
in Tr.s Gef. Schriften Bd. II). Oft ift es weniger ein Un ter-
fchied der Erkenntniffe, als vielmehr ein Gegenfatz der
feelifchen Anlage, der die Denker zu entgegengefetzten
Sätzen führt: Schi, will einen einheitlichen Bau der Wifien-
fchaft, ein einheitliches Verftändnis der Welt; fein Plan
der Ethik ift herausgewachfen aus romantifchem Monismus
. Daß fich das Moralifche für ihn von felbft verftand,
erleichterte es ihm, die Ethik als Theorie der Kulturgebiete
zu geftalten und fich darüber zu täufchen, daß
zur Analogie mit der Ethik nicht bloß die Phyfik, die
fpekulative Naturwiffenfchaft, hätte herangezogen werden
müffen, fondern die Mathematik; dabei wäre, obgleich
Spinoza ethica more geometrico hatte demonftrieren
wollen, doch das Problematifche des Parallelismus deutlicher
geworden. Wenn L. nun geradezu von Naturalismus
des Schleiermacherfchen Denkens redet, fo verkennt
er doch keineswegs die tatfächliche fittliche Kraft Schl.'s
und die Feinheit feines ethifchen Urteils. Nicht richtig
fcheint mir die Geringfehätzung, mit der L. von Schl.'s
theoretifcher Behandlung der Individualität fpricht (die
praktifche Bedeutung des I.-Gedankens bei Sehl erkennt
er durchaus an), und erwägenswert, ob nicht doch der
Freiheitsglaube der Monologen im Grunde Schl.'s ethifche
Theorie fprengt. So gewiß das Ideal einer einheitlichen
Gefamterkenntnis uns immer wieder anziehen wird, fo
gewiß ift doch auch, daß der fittlich lebendige Menfch
aus dem Dualismus nicht herauskommt, fo wenig wie der
religiöfe. Finden wir Theologen den Gegenfatz nicht in
der äußeren Welt, wie der ältere Supranaturalismus es
tut, fo haben wir ihn in der Erkenntnistheorie. Schi, hat
ihn in feinem Denken überwinden wollen; in manchem
wird da Kant gegen ihn recht behalten; wie man aber